Populismus-Vorwurf in der Architektur

  • Ich habe nicht vor, mich auf einen philosophischen Diskurs zu diesem Thema einzulassen. Ich sehe es aus der Warte eines Historikers. Das Volk und die Gesellschaft als Kollektiv hat moralisch versagt. Wenn Täter in einer Gesellschaft so viel Akzeptanz erhalten, dass sie die Deutungshoheit darüber erlangen, was richtig und was falsch ist, dann hat die gesamte Gesellschaft versagt. Das Volk als Kollektiv macht sich schuldig, auch wenn nicht jedes einzelne Individuum es tut. Wenn wir die Geschehnisse von 33 bis 45 auf die Schuld Einzelner reduzieren, wird es uns nicht gelingen, vergleichbare Tendenzen in der heutigen Zeit zu erkennen und zu bekämpfen. Das wäre fatal.

    Sorry, aber du hast dich schon auf den philosophischen Diskurs eingelassen, als du die Behauptung aufgestellt hast, dass von Kollektiven bzw. Völkern das Prädikat "schuldig" ausgesagt werden kann. Das ist eine im ganz strikten Sinn philosophische These und keine historische. Historische Argumente sind für diese These vollkommen irrelevant.

    Du stellst hier also eine bestimmte philosophische These auf, die ich wiederum mit einem bestimmten Argument meine widerlegt zu haben. Darauf kannst du jetzt nicht einfach antworten, dass dich mein Einwand nicht interessiert und du trotz des Einwands an deiner (wie gesagt philosophischen, nicht historischen) These festhältst.

    Du musst meinen Einwand gegen deine These daher entweder philosophisch widerlegen oder deine These aufgeben. Du kannst nicht einfach einen substanziellen Einwand gegen eine philosophische These ignorieren, indem du sagst, du wärst Historiker und kein Philosoph. Wenn ich behaupten würde, dass Protonen kleine grüne Männchen sind, könnte ich auf den Einwand eines Physikers, der mir Argumente dafür anführt, warum das nicht der Fall ist, ja auch nicht antworten: "Ist mir egal, ich bin kein Physiker, sondern Philosoph und deshalb bleibe ich dabei, dass Protonen kleine grüne Männchen sind." Genauso irrational antwortest du mir gerade aber.

    Sorry, aber Rationalität gilt nun einmal auch für Historiker (auch wenn ich schon in mehreren Debatten mit Historikern den Eindruck gewonnen habe, dass diese oft meinen, das wäre nicht der Fall).

  • Ich sehe Deutschland (im Guten wie im Bösen) auch nicht als bloße Ansammlung von zusammenhanglosen Individuuen, wo ein jeder für sich, bindungslos und alleinverantwortlich handelt. Natürlich sind wir eine Nation. Deswegen ist die gegenwärtige Entwicklung unseres Landes ja so fatal, in dem trotz besonderer Verantwortung vor der Geschichte alles zugelassen wird, auch ein neuer, durch islamische Masseneinwanderung bedingter, mörderischer Antisemitismus (auch hier müssen die kollektiven Strukturen betont werden). Man schaue nur hin - auf die Schulen unserer Großstädte. Auch für diese Entwicklung tragen wir kollektive Verantwortung. Dieser Terminus muß daher vom Terminus der Schuld differenziert werden, die ein jeder privat zu tragen hat.

  • Waere schoen, wenn Historiker rein rational an Fakten hielten. Je nach System und herrschende Ideologie wird immer schon Geschichte geschriebe, wie es gerade passen tut. Was wurde von Historiker Geschichte verfaellscht in sozialistische Polen. Massaker Katyn war Schuld von Deutsche...nach 1989 ploetzlich von Russen. Drei Historiker, drei Meinungen...Geschichte wird von Sieger gemacht. Immer. Deutsche Menschen sind gleich schuld und unschuldig wie jede andere Nation auch. Nicht wenige, aber auch nicht mehr. Gebe Russen auch keine Schuld an Kommunismus. Sind immer nur einzelne Individuen schuld. Aus Geschichte lernt man nur, dass man nicht daraus lernt leider.

  • Ich sehe Deutschland (im Guten wie im Bösen) auch nicht als bloße Ansammlung von zusammenhanglosen Individuuen, wo ein jeder für sich, bindungslos und alleinverantwortlich handelt.

    Das impliziert doch auch keine meiner Aussagen. Wie leitest du aus der Aussage "Aus ontologischen Gründen können nur Individuen schuldig werden" her, dass ich der Auffassung wäre, dass eine Nation eine Ansammlung von zusammenhanglosen, bindungslosen Individuen sei.

    Das eine ergibt sich in keiner Weise aus dem anderen. Das ist ein glatter Fehlschluss.

  • Du stellst hier ein bestimmte philosophische These auf, die ich mit einem bestimmten Argument meine widerlegt zu haben.

    Das Problem ist wohl eher, dass sich philosophische Thesen nur schwer widerlegen lassen, weil sie in der Regel nicht auf Fakten basieren. Das andere Problem ist, dass du versuchst, eine an Fakten (Täter und Mitläufer) orientierte Einschätzung (Verantwortung, Schuldfrage) auf eine höhere philosophische Ebene zu hieven, die das eigentliche Problem aus den Augen verliert. Damit wird es in ihrer praktischen Relevanz entwertet, weil nur noch Gegenstand eines philosophisch-wissenschaftlichen Diskurses. Die Frage nach der Verantwortung und der Erinnerung ist aber keine theoretische, sondern eine real gesellschaftliche, die bis in unsere Generation nachwirkt und unser Handeln bestimmt. Die Frage, wie wir heute mit dem nationalsozialistischen Erbe umgehen, wird nicht durch philosophische Exkurse bestimmt. Die Antworten geben die Menschen, die von Philosophie nicht viel verstehen.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Das impliziert doch auch keine meiner Aussagen. Wie leitest du aus der Aussage "Aus ontologischen Gründen können nur Individuen schuldig werden" her, dass ich der Auffassung wäre, dass eine Nation eine Ansammlung von zusammenhanglosen, bindungslosen Individuen sei.
    Das eine ergibt sich in keiner Weise aus dem anderen. Das ist ein glatter Fehlschluss.


    Nicht so aufgeregt, Philon. Woraus schließt Du denn, daß ich auf Deine Aussage Bezug nehme? Ich habe hier lediglich meine Einschätzung mitgeteilt, daß es kollektive Verantwortung sehr wohl gibt. Das hast Du verneint.

  • Das Problem ist wohl eher, dass sich philosophische Thesen nur schwer widerlegen lassen, weil sie in der Regel nicht auf Fakten basieren. Das andere Problem ist, dass du versuchst, eine an Fakten (Täter und Mitläufer) orientierte Einschätzung (Verantwortung, Schuldfrage) auf eine höhere philosophische Ebene zu hieven, die das eigentliche Problem aus den Augen verliert. Damit wird es in ihrer praktischen Relevanz entwertet, weil nur noch Gegenstand eines philosophisch-wissenschaftlichen Diskurses. Die Frage nach der Verantwortung und der Erinnerung ist aber keine theoretische, sondern eine real gesellschaftliche, die bis in unsere Generation nachwirkt und unser Handeln bestimmt. Die Frage, wie wir heute mit dem nationalsozialistischen Erbe umgehen, wird nicht durch philosophische Exkurse bestimmt. Die Antworten geben die Menschen, die von Philosophie nicht viel verstehen.

    Erst einmal: Dass Philosophie mehr oder weniger unwissenschaftlich sei, weil sie nicht mit Fakten zu tun hat, ist plattester Empirismus. Philosophie arbeitet mit rein rationalen Argumenten und ist darum die Wissenschaft par excellence.

    Dann noch ein letztes Mal zur Sache: Nicht ich versuche, "eine an Fakten orientiere Einschätzung auf eine höhere philosophische Ebene zu heben", sondern du hast das von Anfang an getan, indem du die Fakten in einer bestimmten Weise philosophisch interpretiert hast. Du hast die Fakten, die ja niemand bestreitet, nämlich so ausgelegt, dass sie bedeuten würden, dass "die Deutschen" als Kollektiv sich schuldig gemacht hätten bzw. ein Tätervolk seien. Damit setzt du aber wiederum logisch notwendig die These voraus, dass Schuld überhaupt von kollektiven Akteuren ausgesagt werden kann. Und damit vertrittst du eben eine philosophische These. Gegen diese These habe ich wiederum einen Einwand erhoben. Statt auf diesen Einwand einzugehen, weichst du ihm die ganze Zeit aber einfach nur aus.

    Alle deine weiteren wolkigen Ausführungen zu gesellschaftlicher Relevanz, Verantwortung und was weiß ich, basieren auf dieser philosophischen These, so dass sie alle genau dann hinfällig sind, wenn diese These falsch ist. Also müssen wir über diese These diskutieren und da verweigerst du dich gerade schlicht.

  • Erst einmal: Dass Philosophie mehr oder weniger unwissenschaftlich sei, weil sie nicht mit Fakten zu tun hat, ist plattester Empirismus.

    Wo habe ich geschrieben, dass Philosophie keine oder eine minderwertige Wissenschaft ist? Ich bin selbst Geisteswissenschaftler! Geisteswissenschaften dürfen nur nicht den Fehler begehen, sich naturwissenschaftlichen Erkenntnissen entgegen zu stellen. Ganz im Gegenteil: Je nach Disziplin sollten sie auf diesen basieren.

    Damit setzt du aber wiederum logisch notwendig die These voraus, dass Schuld überhaupt von kollektiven Akteuren ausgesagt werden kann.

    Das Problem an dieser Diskussion scheint zu sein, dass wir Schuld anders definieren. Ich schrieb bereits oben, dass ich Schuld im Sinne von Verantwortung(slosigkeit) sehe. Und wir können doch wohl nicht bestreiten, dass auch Kollektive eine gesellschaftliche Verantwortung besitzen.

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  • Der Zankapfel sind wohl die Begrife "Kollektiv und Schuld". Versteh ich das richtig?
    Ist unter Kollektiv die Gruppendynamik zu verstehen?
    (Die Verbrechen in diesem Ausmaß hätten einzelne Individuen niemals zustande gebracht)

    Der andere Punkt ist: Inwieweit kann man von Akzeptanz politischer Entscheidungen in einer Bevölkerung sprechen, wenn dies in einer Diktatur geschieht.

    Beauty matters!

  • Wo habe ich geschrieben, dass Philosophie keine oder eine minderwertige Wissenschaft ist? Ich bin selbst Geisteswissenschaftler! Geisteswissenschaften dürfen nur nicht den Fehler begehen, sich naturwissenschaftlichen Erkenntnissen entgegen zu stellen. Ganz im Gegenteil: Je nach Disziplin sollten sie auf diesen basieren.

    Das Problem an dieser Diskussion scheint zu sein, dass wir Schuld anders definieren. Ich schrieb bereits oben, dass ich Schuld im Sinne von Verantwortung(slosigkeit) sehe. Und wir können doch wohl nicht bestreiten, dass auch Kollektive eine gesellschaftliche Verantwortung besitzen.

    Nein, wir definieren Schuld genau gleich: als dasjenige, was sich für einen Akteur daraus ergibt, gegen eine moralische Norm verstoßen zu haben.
    Du bist aber der Auffassung, dass man Schuld nicht nur Individuen, sondern auch Kollektiven zuschreiben kann (Zitate von dir: "Das Volk als Kollektiv macht sich schuldig"; "Auch ein Kollektiv kann eine Schuld tragen"; "war das deutsche Volk für Jahrzehnte zu Recht als Tätervolk gebrandmarkt"). Ich bin der Auffassung, dass man Schuld nur von Individuen prädizieren kann. Unser Dissens hat also nicht das Geringste mit verschiedenen Definitionen von Schuld zu tun, sondern besteht einzig und alleine in der Frage, ob man Kollektiven oder nur Individuen Schuld zuschreiben kann.

    Beim Verantwortungsbegriff bringst du auch einiges durcheinander: Verantwortung ist ein äquivoker Begriff, der einmal Handlungen bzw. Handlungsfolgen moralisch zuschreibt und insofern im Fall der Zuschreibung einer moralisch falschen Handlung Schuld impliziert ist (z.B. "Peter ist für den Diebstahl verantwortlich."). Zum anderen werden mit dem Verantwortungsbegriff aber auch Pflichten zugeschrieben (wie in "Peter ist für die Pflege seines kranken Vaters verantwortlich.")
    Verantwortung qua Pflichtenzuschreibung kann es in einem weiteren Sinn auch bei kollektiven Akteuren geben, wobei aber selbst hier der Adressat der Pflicht letztlich das Individuum ist. Das heißt aber nicht automatisch, dass man Kollektiven im Sinn von Verantwortung qua Handlungszuschreibungen Schuld zuschreiben könnte.

  • Der Zankapfel sind wohl die Begrife "Kollektiv und Schuld". Versteh ich das richtig?
    Ist unter Kollektiv die Gruppendynamik zu verstehen?
    (Die Verbrechen in diesem Ausmaß hätten einzelne Individuen niemals zustande gebracht)

    Ich weiß nicht genau, ob tegula das meint.

    Es gibt in der Praktischen Philosophie und der philosophischen Handlungstheorie eine ausführliche Debatte darüber, wie man moralwidriges kooperatives Handeln mehrerer individueller Akteure verantwortungstheoretisch angemessen erfasst.

    Die einen sagen, dass sich dann das Kollektiv der kooperierenden Akteure sich als Kollektiv schuldig gemacht hat (also z.B. "die Panzerknacker-Bande" oder "das deutsche Volk"). Selbst dabei ist allerdings übrigens noch zu beachten, dass dann als Angehörige des "schuldigen Kollektivs" genau die Menge derjenigen Individuen gilt, die faktisch an der Kooperation teilgenommen haben und nicht weitere Mitglieder von Kollektiven, denen die kooperierenden Akteure möglicherweise noch angehören (man käme also auch mit dieser These nicht zu einer kollektiven Schuld "der Deutschen", sondern nur zu einer "kollektiven Schuld derjenigen Deutschen und Nicht-Deutschen, die kooperativ die Verbrechen begangen haben")

    Die anderen sagen, dass auch im Fall kooperativen Handelns immer noch die beteiligten Individuen diejenigen Entitäten sind, die sich individuell schuldig gemacht haben und nicht durch das kooperative Handeln ein kollektives Supersubjekt entstanden ist, das schuldig wäre.

    tegula vertritt offenbar die erste Auffassung, ich wie viele andere Philosophen die zweite.

  • Das Problem ist wohl eher, dass sich philosophische Thesen nur schwer widerlegen lassen, weil sie in der Regel nicht auf Fakten basieren. Das andere Problem ist, dass du versuchst, eine an Fakten (Täter und Mitläufer) orientierte Einschätzung (Verantwortung, Schuldfrage) auf eine höhere philosophische Ebene zu hieven, die das eigentliche Problem aus den Augen verliert. Damit wird es in ihrer praktischen Relevanz entwertet, weil nur noch Gegenstand eines philosophisch-wissenschaftlichen Diskurses. Die Frage nach der Verantwortung und der Erinnerung ist aber keine theoretische, sondern eine real gesellschaftliche, die bis in unsere Generation nachwirkt und unser Handeln bestimmt. Die Frage, wie wir heute mit dem nationalsozialistischen Erbe umgehen, wird nicht durch philosophische Exkurse bestimmt. Die Antworten geben die Menschen, die von Philosophie nicht viel verstehen.

    Der erste Denkfehler besteht m. E. darin, dass ein Historiker eigentlich gar nicht zu bewerten, sondern Fakten aufzuzeigen hat. Ehrlich, schonungslos, gewissenhaft. Diese sprechen dann durchaus für sich. Und jede zivilisierte Gesellschaft ist imstande, die von Historikern eruierten Fakten moralisch einzuordnen. Es ist das große Elend, dass wir meinen, Wissenschaft in den Dienst der Moral stellen zu müssen. Wo immer das geschieht, gerät Wissenschaft über kurz oder lang in die Mühlen von Weltanschauungen und Ideologien.

    Der zweite Fehler ist, dass Wissenschaftler immer häufiger zur Hypermoral neigen und dabei nicht nur philosophische, sondern auch rechtliche und ethische Grundsätze außer acht lassen. In keinem Rechtsstaat verhängt ein Richter Kollektivstrafen; auch bei gemeinschaftlich begangenen Taten wird individuell geurteilt. Denn unser Recht und unsere Ethik gehen von der selbstverständlichen Erkenntnis aus - man nenne sie philosophisch oder nicht - dass Taten immer von einzelnen begangen werden und daher auch Schuld individuell ist. Das Konstrukt vom Tätervolk stellt aber Massenmörder, Helfershelfer, Mitläufer, Unbeteiligte, Unschuldige und Widerstandskämpfer auf eine Stufe. Das ist zutiefst unmoralisch und letztlich rassistisch.

    Ein dritte Fehler entsteht, wenn die Zwangskollektivierung auf nachfolgende Generationen ausgedehnt wird. Dann wird es erst recht rassistisch, denn dann wird die Schuld losgelöst von einer konkreten Situation zu einer Art Erbgut. Und dann sind wir plötzlich ganz in der Nähe jener, von denen wir uns doch eigentlich distanzieren wollen.

    Der vierte Fehler kommt zustande, wenn Historiker meinen, mit ihrer Moral Gesellschaftspolitik betreiben zu müssen, wenn sie Schüler und Studenten indoktrinieren, wenn sie ihre Wissenschaft missbrauchen oder ab einem gewissen Punkt - wie Trüby - um einer vermeintlich richtigen (in Wahrheit aber moralisch verwerflichen) Grundhaltung willen Andersdenkende unter dem Deckmantel der Wissenschaft diffamieren; wenn sie die Wissenschaft an ihrer Ideologie ausrichten und dabei Logik, Recht und Anstand beiseite schieben.

    Moral ist nicht der Gegenstand von Wissenschaft; für ein moralisches Empfinden brauche ich die Wissenschaft gar nicht. Wohl aber wird im Gegenzug der Wissenschaft durch Moral bzw. Ethik Grenzen gesetzt.
    Gegenstand von Wissenschaft ist die Logik, bzw. sie ist deren methodische Grundlage. Und Logik hängt nun einmal mit Philosophie zusammen; nicht von ungefähr gehören die Geschichtswissenschaften zu den Philosophischen Fakultäten, ist der promovierte Historiker ein Dr. phil. Ein Historiker, der sagt, er schere sich nicht um Logik, sondern betreibe lieber Moral, ist nicht wissenschaftlich.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Der Zankapfel sind wohl die Begrife "Kollektiv und Schuld". Versteh ich das richtig?

    Ich würde das nicht verneinen, Philon dagegen offensichtlich schon. (Sorry, für die verschachtelte Ausdrucksweise).

    Ist unter Kollektiv die Gruppendynamik zu verstehen?


    Ich würde es so definieren wie es Wikipedia tut:

    Der Begriff Kollektiv benennt unspezifisch soziale Gebilde, deren Zugehörige nach sehr verschiedenen Gesichtspunkten zusammengefasst werden – es kann etwa ein Volk, eine Klasse oder eine Belegschaft sein.

    (Die Verbrechen in diesem Ausmaß hätten einzelne Individuen niemals zustande gebracht)

    Uneingeschränkte Zustimmung!

    Das heißt aber nicht, dass man Kollektiven im Sinn von Verantwortung qua Handlungszuschreibungen Schuld zuschreiben könnte.

    Nun, dann wird es wohl darauf hinauslaufen, dass wir da völlig unterschiedlicher Einschätzung sind. Ein Kollektiv kommt dann in die Verantwortung, wenn durch das System des Kollektivs moralisches Fehlverhalten einer sehr großen Anzahl ihrer Mitglieder erfolgt, so dass dieses Fehlverhalten nicht mehr als die Tat einzelner Individuen wahrgenommen wird, sondern als gesellschaftliches Massenphänomen. Ein gutes Beispiel dafür stellt zur Zeit übrigens auch die katholische Kirche dar. Durch im System angelegte Entwicklungen entsteht gerade die Situation, dass sexueller Missbrauch in der Kirche nicht mehr als Verfehlung Einzelner, sondern als generelles systembedingtes Problem in Erscheinung tritt. Es überlagert zunehmend das korrekte Handeln einzelner Individuen. Immer mehr wird die gesamte katholische Kirche in der Verantwortung für die Missstände gesehen. Auch in der Politik ist eine kollektive Verantwortung für Fehlentwicklungen Alltag. Bereits eine Partei stellt ein Kollektiv dar.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

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    Einmal editiert, zuletzt von tegula (30. Oktober 2018 um 23:59)

  • Im übrigen birgt die Kollektivschuld auch die Gefahr, dass die Verbrechen des einzelnen relativiert werden. Wenn alle irgendwie schuldig sind, wiegt die Schuld der großen Verbrecher nicht mehr so schwer.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Der erste Denkfehler besteht m. E. darin, dass ein Historiker eigentlich gar nicht zu bewerten, sondern Fakten aufzuzeigen hat.

    Als Kunsthistoriker und Historiker kann ich dir sagen, dass dies Annahmen falsch ist. Ein Großteil meiner wissenschaftlichen Ausbildung bestand darin, aus Fakten mit Zuhilfenahme von Erfahrungswerten Schlüsse zu ziehen und Bewertungen vorzunehmen.

    In keinem Rechtsstaat verhängt ein Richter Kollektivstrafen; auch bei gemeinschaftlich begangenen Taten wird individuell geurteilt.

    Dann nochmal deutlich: Schuld und Verantwortung wird von mir hier im moralischen Sinne diskutiert, nicht im rechtlichen!

    Ein dritte Fehler entsteht, wenn die Zwangskollektivierung auf nachfolgende Generationen ausgedehnt wird.

    Hat das hier jemand getan? Ich selbst habe mich entschieden gegen diese Übertragung auf heutige Generationen ausgesprochen.

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  • Ich würde das nicht verneinen, Philon dagegen offensichtlich schon. (Sorry, für die verschachtelte Ausdrucksweise).

    Ich würde es so definieren wie es Wikipedia tut:

    Uneingeschränkte Zustimmung!

    Nun, dann wird es wohl darauf hinauslaufen, dass wir da völlig unterschiedlicher Einschätzung sind. Ein Kollektiv kommt dann in die Verantwortung, wenn durch das System des Kollektivs moralisches Fehlverhalten einer sehr großen Anzahl ihrer Mitglieder erfolgt, so dass dieses Fehlverhalten nicht mehr als die Tat einzelner Individuen wahrgenommen wird, sondern als gesellschaftliches Massenphänomen. Ein gutes Beispiel dafür stellt zur Zeit übrigens auch die katholische Kirche dar. Durch im System angelegte Entwicklungen entsteht gerade die Situation, dass sexueller Missbrauch in der Kirche nicht mehr als Verfehlung Einzelner, sondern als generelles systembedingtes Problem in Erscheinung tritt. Es überlagert zunehmend das korrekte Handeln einzelner Individuen. Immer mehr wird die gesamte katholische Kirche in der Verantwortung für die Missstände gesehen. Auch in der Politik ist eine kollektive Verantwortung für Fehlentwicklungen Alltag. Bereits eine Partei stellt ein Kollektiv dar.

    Das ist aber doch schon wieder ein Problem, das auf einer komplett anderen Ebene liegt. Natürlich können bestimmte soziale Systeme moralisches oder unmoralisches Verhalten begünstigen.

    Das ändert aber trotzdem nichts daran, dass es nur die Individuen sind, die schuldig oder unschuldig werden können: und zwar sowohl diejenigen Individuen, die innerhalb des Systems dann, von diesem begünstigt, unmoralisch handeln, als auch diejenigen Individuen, die das System ändern könnten, aber es nicht tun.
    Du führst die ganze Zeit Punkte an, die meinen zentralen Einwand gegen deine Kollektivschuldthese gar nicht betreffen.

  • Ein gutes Beispiel dafür stellt zur Zeit übrigens auch die katholische Kirche dar. Durch im System angelegte Entwicklungen entsteht gerade die Situation, dass sexueller Missbrauch in der Kirche nicht mehr als Verfehlung Einzelner, sondern als generelles systembedingtes Problem in Erscheinung tritt. Es überlagert zunehmend das korrekte Handeln einzelner Individuen. Immer mehr wird die gesamte katholische Kirche in der Verantwortung für die Missstände gesehen. Auch in der Politik ist eine kollektive Verantwortung für Fehlentwicklungen Alltag. Bereits eine Partei stellt ein Kollektiv dar.


    Ich verstehe, da geht es um die moralische potitische Verantwortung, Außenwirkung und Systemkritik.
    Dazu habe ich einen Strang in petto "Verein und Außenwirkung".
    Vielleicht veröffentliche ich ihn.

    Aber jetzt beruhigen wir uns wieder! :knuddel:

    (apropo Partei und Kollektiv: Feind, Todfeind, Parteifreund... )

    Beauty matters!

  • Dann nochmal deutlich: Schuld und Verantwortung wird von mir hier im moralischen Sinne diskutiert, nicht im rechtlichen!

    Die Rechtspraxis basiert hier aber auf einer (richtigen) moralischen Grundannahme: nämlich der, dass Schuld immer individuell und nie kollektiv ist.