Neue Charta der Denkmalpflege

  • Auf dem Strang Quartier VI - Patrizia Immobilien AG (im Bau) wurde ausführlich über die Farbfassung des Regimentshauses in Dresden diskutiert und es wurden weitere Beispiele (Kloster Melk, Bautzen) angeführt. Um den Dresdner Strang nicht zu überlasten und weil das Thema der Farbfassung ja auch primär eine Grundsatzfrage der Denkmalpflege ist, möchte ich hier einige weitere Beispiele bringen:
    Den Königshof in Offenburg (ehemalige vorderösterreichische Landvogtei), der 1714 - 1717 vom Vorarlberger Baumeister Dominik Elmenreich nach den Plänen von Michael Ludwig Rohrer aus Baden-Baden, dem Erbauer von Schloss Favorite in Rastatt, entworfen wurde. Die in den 1970er Jahren erstmals rekonstruierte und in den 1990er Jahren leicht modifizierte rosafarbene Fassung wirkt recht irritierend, folgt aber dem Rastatter Schloss.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Noch umstrittener war die Farbfassung des Bruchsaler Schlosses (ich glaube in den 1970er) Jahren, die ich aber für sehr gelungen halte.
    Die Flächen der Rücklagen sind rot bzw. weiß punktiert, was aus der Ferne ein gewisses Oszillieren verursacht. Die massiven Fensterrahmen werden durch gemalte Brüstungen und Giebel in eine Fassadensyntax integriert. Im Giebelfeld des Mittelpavillons kommt der Porzellancharakter der Stuckaturen gut zur Geltung.
    Fazit: Man sieht, wie wichtig die farbliche Interpretation der Gliederung gerade für die mitteleuropäische Barockarchitektur ist.


    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

    Einmal editiert, zuletzt von Seinsheim (3. Januar 2019 um 17:31)

  • Zum Thema Farbe:
    Schloss Hirschberg bis Anfang der 90er, gelb und mit Fensterläden am Mittelteil:
    Schloss-Hirschberg.jpg

    und heute im nüchternen weiß mit Betonbunker als Anbau (meine Tante schimpft bis heute über die 'Verschandelung'):
    Hirschberg_castle_small.jpg
    Quelle: wikimedia, commons, Benutzer Blackfalcon, CC BY-SA 3.0

    5 km weiter Kloster Plankstetten:
    1020px-Abtei_Plankstetten_08.jpg
    Quelle: wikimedia commons, Benutzer Derzno, CC BY-SA 3.0
    Linker Teil mit Turm wie vorher alles gestrichen war, rechts wie der bereits sanierte Teil aussieht und auch wohl der linke Teil beim 3 Sanierungsabschnitt des Hauptgebäudes gestrichen werden soll (links unter dem Kirchturm sieht man die Probeachse).

    Bild während der Bauarbeiten:
    3276-69ce79f4.jpg


    Und nochmal zurück zu Chartres:
    Es gab vor kurzem eine sehr schöne Doku über sakrale Bauwerke auf arte: dort wird auch ab Minute 29:15 Chartres thematisiert und nochmal, warum man so entschieden wie man entschieden hat und einige interessante Bilder der Restaurierung gezeigt. Dasselbe Bildmaterial aber ausführlicher findet man auch im 25-minüter Stätten des Glaubens (7/15) Frankreich - Die Kathedrale von Chartres.
    Das ist eine andere als die hier schon mal verlinkte Doku über gotische Kathedralen ebenfalls von arte!

  • Wenn ich mal was ganz Triviales und Klischeebehaftetes sagen darf: das Ockergelb sieht irgendwie katholisch-süddeutsch-barocker, das Weiß irgendwie protestantisch-aufklärerisch-moderner aus....

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Vielen Dank für den Hinweis mit Chartres. Ich muss den Machern vor Arte allerdings widersprechen. Die spätbarocke Ausmalung, die wiederhergestellt wurde, simuliert eine Materialität, die so in der Gotik nie intendiert war, weil es dort um die Transfiguration der Materie ging. Ich vermute, die Gewölbesegel waren ursprünglich blau gefasst und mit goldenen Sternen bedeckt, die Rippen dürften farbig gefasst und zumindest teilvergoldet gewesen sein.
    Falsch in der deutschen Synchronisation ist auch, dass - in diesem Kontext - das Pantheon als griechische (!) Architektur schlechthin bezeichnet wird.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Zitat von Seinsheim

    das Ockergelb sieht irgendwie katholisch-süddeutsch-barocker, das Weiß irgendwie protestantisch-aufklärerisch-moderner aus.

    Vor allem sieht's wärmer, freundlicher und anheimelnder aus. Erinnert doch sehr an die alten Bauten Österreichs. Gefühlt war da auf meinen Reisen durch Austria in den 80igern alles in gelb bis ocker und stand somit für die alte KuK-Zeit.
    Frag mich, ob das grelle weiß wirklich historisch authentisch ist? Wäre das nicht eigentlich eine Mineralfarbe, die mit der Zeit nachdunkelt, oder ein Kalkanstrich, der vergilbt und leicht gelblich wird!??

  • Heute zeichnet der Schweizer Heimatschutz wieder eine Gemeinde mit dem Wakkerpreis "für die Pflege ihres Ortsbilds" aus. Wie darüber entschieden wird und wer in die engere Auswahl kommt, davon handelt dieser Artikel:

    https://www.srf.ch/kultur/gesells…8#main-comments

    Nach Durchsicht der bisherigen Preisträger sehe ich allerdings weniger die Pflege von Orts- und Landschaftsbildern im Fokus, vielmehr die üblichen, vereinheitlichten Weiterentwicklungen, die zu meinem Bedauern wohl ganz im Sinne der Fachkommission modernistisch-abstrahierend oder gar modisch ausfallen und durch ihre universalen Gestaltungskriterien stets den bemühten und so unnötigen Bruch mit den lokalen traditionellen Ensembles provozieren.

    Ein weiteres Beispiel dafür aus meiner Sicht, dass Auffassung und Fragen des Denkmal- sowie Schweizer Heimatschutzes einer Reform bedürfen, die auch der Ästhetik eines Genius loci, also dem Geist eines Ortes, Rechnung trägt.

  • @zeitlos Mit Heimatschutz hat das in der Tat nichts zu tun. Teils ambitionierte, teils banale Designarchitektur, die nicht, wie behauptet wird, verbindet, sondern spaltet.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • https://www.faz.net/aktuell/feuill…Uypuuxm0jN5ptLA

    Der Autor hat sich bislang nicht unbedingt durch Unterstützung von Rekonstruktionsvorhaben hervorgetan. Hat er dazu gelernt? Oder ist er ein Wolf im Schafspelz?

    Im Unterschied zu ihm finde ich die Scrafitto-Fassung im Dresdner Schloss vertretbar - als eine Nach- und teilweise Neuschöpfung, die nicht den Anspruch erhebt, einen historischen Zustand wiederherzustellen, sondern dem Hof einfach seinem ursprünglichen Charakter annähert.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Das historische Scrafitto war seinerzeit auch Phantasie! Wenn unsere Vorfahren damals auch schon so einfältig und phantasielos gewesen wären wie die heutigen "akademischen" Zeitgenossen, dann wäre die Pragerstrasse oder der Postplatz schon 500 Jahre zuvor so katastrophal gebaut worden wie sie heute aussieht... Man sollte den ganzen ideologischen Nonsense einfach komplett abschütteln, dann könnte wieder eine Baukultur entstehen, die diese Bezeichnung auch verdient.

  • In diesem Sinne halte ich die Scraffiti des Dresdner Schlosses auch für eine Bereicherung. Ornamentik, Fassadenkunst, Raumdramaturgie, Stadtbaukunst, Ikonographie, Verbindung von Architektur und Bildkünsten - wir haben alles verlernt und müssen es erst einmal wieder neu lernen. Dazu brauchen wir erstens gute Handwerker, zweitens Städteplaner, die über wirkliche Bildung und Weitblick verfügen und drittens Architekten, die den Formenkanon wieder berherrschen. Ein Einstieg ist die schöpferische Rekonstruktion.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Lieber Seinsheim,

    du bringst es wunderbar und anschaulich auf den Punkt. In diesem Zusammenhang möchte ich in aller Bescheidenheit auf die von mir unter Architekturgeschichte und -theorie, im Unterverzeichnis So schön könnte Bauen sein (Architekturentwürfe) eingestellte Pläne bzw. Entwürfe eines Architekturstudenten aus dem Jahre 1880 hinweisen. Der Student hatte damals bei diesen Plänen zu einer Villa auch Wandmalereien entworfen. Die klassische Baukunst mit allem, was dazu gehört, muss wieder ihren Platz beim Studium finden. Auch die Fantasie und die Freude am klassischen Schönen müssen sich endlich entfalten können. Wenn nur endlose Rasterfassaden und monströse Klötze im globalen Einheitsstil gelehrt und geduldet werden, alles andere abgekanzelt und mit schlechten Noten bestraft wird, dann muss die Kreativität der Menschen ja verkümmern. Auch an den Gewerbeschulen müssen die jungen Menschen auf die Kunst und auf die klassische Bauweise und alle Bereiche, die damit in Zusammenhang stehen, wieder hingeführt und ihnen die Augen dafür geöffnet werden. So wie es bei uns derzeit bestellt ist, verkümmern leider Gottes sehr viele Talente.

    3 Mal editiert, zuletzt von Villa1895 (22. Januar 2019 um 10:59)

  • Wir sind dabei, gefährliches Pflaster zu betreten: Seither gingen wir davon aus, dass Rekonstruktionen exakte Nachbildungen des verlorenen Originals sein müssen. Mit der Forderung nach Phantasie bei der Rekonstruktion verlassen wir dieses Feld und betreten Neuland. Eigentlich aber kein wirkliches Neuland, sondern das Problem des Historismus - und das wäre ein Neuaufguss, der so nicht funktionieren kann.

    Selbverständlich kann es bei der Wiedergewinnung von Bauwerken nötig sein, wie im großen Innenhof der Dresdner Residenz sich auf die Schaffung des verloren gegangenen Gesamteindrucks zu konzentrieren. Regel sollte das aber nicht sein und kann es wohl auch nicht werden.

    Der Link über die leeren Fenster, über wenig ist wenig - ich weiß gerade nicht, wo ich ihn hier gesehen habe - zeigt das eigentliche Problem klar: durchlöcherte leere Wände lassen den Betrachter kalt. Als horror vacui, die Angst vor der leeren Fläche, ist das seit Jahrtausenden bekannt. Ich habe das hier bereits einmal in einem Beitrag am im Rohbau fertigen Betonrohbau des Schlosses gezeigt. Der Betonklotz hat in der Presse Abscheu erregt, was die Gegner ja dann auch weidlich ausgenützt haben.

    Ich habe damals darauf hingewiesen, dass die Proportionen des schmucklosen „Monstrums“ ja von Schlüter stammen und konsequent seinem Formempfinden von Weltrang entsprechen - nur aber eben ohne ornamentalen Schmuck wirkungslos verpuffen. Es war ein gewaltiges Erlebnis, wie die fatzenglatten Wände des Schlosses zunehmend mit dem Einsatz der Steinornamente Schönheit, Wärme, Wohlbehagen und Leben gewonnen haben.

    Ich meine, dass dies das Hauptproblem des modernen Bauens ist: Die Architekten von Weltrang haben oft deutlich Sinn für Proportionen, der aber als proportionierte Beton-Glas-Löcher in sonst kahlen Wänden völlig wirkungslos bleiben muss, wie Schlüters Proportionen im leeren Beton-Rohbau eben völlig wirkungslos waren.

    Hier muss meiner Ansicht nach die Phantasie moderner Architekten einer wirklich neuen Generation ansetzen: geschult an historischer Formensprache, gebildet in der Betrachtung historischer Gebäude, belesen in der Interpretation historischen Bauens wie z. B. in den kenntnisreichen Veröffentlichungen des Kunsthistorikers Peter Stephan, soll die Kreativität dieser Architekten das Nachkriegs-Verbot der Ornamente überwinden und auf historischer Basis eine neue Ornamentation erschaffen, welche die Leere und damit die Tristesse modernen Bauens überwindet.

    Hier ist nun alles gemeint, Ornament als Stuck oder als Malerei usw. Das gilt auch für Innenräume. Das Wiederaufgreifen alter Wurzeln stellt damit modernes Bauen in historischen Bezug, schafft gleichzeitig aber Neues. Sicher eine riesige Herausforderung, aber weshalb sollte sie nicht zu bewältigen sein?

    Ich meine, auch darauf müsste unsere neue Charta der Denkmalpflege neben unserem Bemühen, Rekonstruktionen, als Kulturdenkmale anzuerkennen, hinarbeiten: Die Überwindung der leeren Fläche mit einer an historischen Vorbildern entwickelten modernen Ornamentik, welche in der Lage ist, die Proportionen der Gebäudestruktur zu unterstreichen, so dass sie wirkungsvoll werden kann. Wobei ein phantasievoller Kopf sicher auch die Gebäudegliederung selbst endlich einmal wieder aus historischen Wurzeln heraus gestalten wird.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

    2 Mal editiert, zuletzt von Bentele (30. Januar 2019 um 22:48)

  • Wenn es ausschließlich um die Erlebbarkeit gehen soll hat das einen Pferdefuß, denn es gibt doch einige Bodendenkmale die unter der Erde liegen, verborgen als archäologische Hinterlassenschaften. Z. B. irgendwelche Befestigungsanlagen, Fundamentreste usw. Davon gibt es lt. Denkmalliste in Nürnberg auch einige, aber die sind nicht wirklich "erlebbar". Die würde nicht trotzdem nicht direkt in Frage stellen wollen.

    Ich finde es aber eben falsch, allein auf die Substanz abzustellen, denn was kann man denn an einer 100-jährigen Putzfläche besser ablesen als an einer 10-jährigen, die mit traditionellen Methoden erstellt und originalgetreu gestaltet wurde. Und was bedeutet es erst wenn ein Denkmal "ertüchtigt" werden muss, mit Dämmputzen, Wandheizungen, Aufzügen oder Isolierglasfenstern. Dann ist es mit der Substanz ja nicht mehr weit her. Ein saniertes Denkmal dürfte dann folgerichtig ja keines mehr sein, denn dessen Oberfläche, das was man sehen und anfassen kann, ist ja auch neu.

    Mir fällt da immer der Spruch ein "Tradition ist das Weitergeben der Flamme und nicht die Anbetung der Asche", wenn also Denkmale etwas mit Tradition zu haben, dann ist der aktuelle Denkmalschutz ein Dogma der Asche. Es muss also mehr darum gehen wie die Baustoffe be- und verarbeitet werden, wie sie sich zusammenfügen und ein gesamtkonzept bilden, das für eine bestimmten Zeitpunkt, Umstand oder Epoche steht usw., und nicht allein darum wie alt sie sind.

    Wenn ich aus den Ziegeln eines abgerissenen Denkmals ein neues Haus baue ist es ja auch nicht automatisch ein Denkmal.

  • Mit der Forderung nach Phantasie bei der Rekonstruktion verlassen wir dieses Feld und betreten Neuland. Eigentlich aber kein wirkliches Neuland, sondern das Problem des Historismus - und das wäre ein Neuaufguss, der so nicht funktionieren kann.

    Veto. Der "industrialisierte" Historismus hat mE so gut funktioniert wie keine andere Epoche zuvor und danach.
    Sie hat so vielen Menschen in so kurzer Zeit und höchstmöglicher Qualität wie nie zuvor und nie danach Wohnraum, urbane Zentren und geschäftige Neubauviertel gegeben. Noch heute zehren die Städte weltweit davon, jene Städte mit der höchsten Lebensqualität haben in den allermeisten Fällen einen hohen bis sehr hohen Anteil an Blockrandvierteln der Belle Epoque, aus dem Historismus.

    Eine Neuauflage dieser in ihrer Kombination aus Quantität und Qualität bislang erfolgreichsten Architekturepoche ist nur folgerichtig und vernünftig. Es ist ja auch bereits abzusehen, dass dies geschieht - da sich die modernistische Architektur des 20./21. Jahrhunderts in eine Sackgasse manövrierte, aus der nur der Gang zurück auf "Start" den Ausweg ermöglicht. Von der Basis klassischer und frühmoderner sowie organischer Architektur aus kann wieder etwas Neues entstehen in den nächsten Jahren, was wir endlich wieder als menschliche und nachhaltige Architektur bezeichnen können. Wir sind es unseren Kindern und Nachkommen schuldig!

  • In der Charta von Venedig (1964) steht "Jede Rekonstruktionsarbeit soll jedoch von vornherein ausgeschlossen sein." Nun gibt es auch die Charta von Burra (1996) über den denkmalpegerischen Umgang mit Objekten (die das Thema Reko etwas anders sieht) uvm. Warum wird sich beim Thema Rekonstruktion von den Modernisten immer nur auf die Charta von Venedig bezogen? Sind die anderen von Deutschland nicht ratifiziert worden?

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