Im Folgenden werde ich eine Auswahl von Kirchen aus der byzantinischen und venezianischen Zeit Kretas vorstellen. Ich erhebe dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit - die Anzahl der erhaltenen Bauwerke dürfte 1000 weit überschreiten. Zentralkreta ist am stärksten repräsentiert, einige Bauten aus den Städten Chania und Rethymno sind auch dabei, desweiteren werden auch einige Profanbauten und Kirchen späterer Zeiten vorkommen, wenn es der Kontext anbietet/verlangt.
Zunächst einmal ein wenig (Bau-)Geschichtliches, um die Einordnung der Bauwerke zu erleichtern.
Kirchliche Bauwerke wurden auf Kreta seit der römischen Zeit erbaut. Die ältesten Bauten waren durchweg Basiliken; wenig ist von ihnen erhalten. Im Kontext der meist aufgegebenen griechischen und römischen Städte im Landesinneren Kretas findet man häufig noch die Grundmauern derartiger Basiliken, doch aufgehendes Mauerwerk ist in der Regel nicht erhalten - die Ostpartie der Basilika von Gortyn bildet hierbei eine Ausnahme.
Aus der frühbyzantinischen Zeit ist auf Kreta auch nicht mehr viel erhalten. Das bedeutendste Zeugnis dieser Epoche ist die innere Stadtmauer von Chania, Kirchen sind nur noch in wenigen Resten belegt. Der Grund dafür liegt in der Herrschaft der Sarazenen über Kreta von 826-961, denen wohl der Großteil der älteren Kirchen zum Opfer fiel.
Mit der byzantinischen Rückeroberung der Insel begann die erste fruchtbare Phase des Kirchenbaus auf Kreta. Aus dieser Zeit stammende Kirchen zeigen sehr vielfältige Bauformen, neben dem einfachen tonnengewölbten Saal und der klassischen Kreuzkuppelkirche auf Dreikonchenbauten, Saalkirchen mit Zentralkuppel und auch schon die später typischen zwei- und dreischiffigen Kirchen mit parallelen Tonnengewölben, die meist ein Werk verschiedener Bauphasen sind.
1204 fiel das byzantinische Reich dem vierten Kreuzzug zum Opfer, und Kreta gelangte nach einer langen, von Kriegen und Aufständen geprägten Phase zur Republik Venedig. Der letzte große Aufstand gegen die venezianische Herrschaft endete 1299 mit einem Vertrag, der eine für den griechischen Raum ziemlich einmalige Lösung schuf: Unter venezianischer Oberherrschaft behielten die großen byzantinischen Adelsgeschlechter Kreta, allen voran das Haus Kalergis, weitgehend ihre alten Rechte und ihren Besitz, und auch die byzantinischen Diözesen der Insel konnten weitgehend ungestört weiter existieren. Die Folge war, dass der Katholizismus außerhalb der venezianisch kontrollierten Städte keine Verbreitung fand, im Gegensatz etwa zum Fürstentum Archipelagos (eine Herrschaft, die den Großteil der Kykladen umfasste), welches direkt von Venezianischen Adeligen beherrscht wurde und heute noch eine große katholische Minderheit besitzt.
Infolgedessen gab es auch keinen Veränderungen der Bauformen - man baute weiterhin in den alten byzantinischen Formen, am häufigsten tonnengewölbte Saalkirchen und mehrschiffige Kirchen, aber auch Kreuzkuppelkirchen wurden noch vereinzelt errichtet. Selbst auf die katholischen Kirchen der Städte färbten diese Bautypen ab, sodass die ehemalige Dominikanerkirche von Chania komplett tonnengewölbt ist.
Im Bereich des Bauschmucks brachte der Einfluss Venedigs jedoch geradezu eine Revolution - die venezianische Gotik fand hier flächendeckend Verbreitung. Wo vorher gekuppelte Rundfenster in der Hauptapsis vorherrschten, wurden nun gotische Spitzbogenfensterchen oder fein verzierte Rundfenster in Anlehnung an gotische Fensterrosen eingesetzt. Auch gotische Portale und Spitzbogen-Blendarkaden innen und außen verdrängten ihre byzantinischen Vorgänger fast vollständig. Einige dieser Formen überdauerten auf Kreta das Ende der Gotik und sogar die spätere Osmanische Herrschaft - Spitzbögen an Portalen und Glockentürmen blieben bis ins 19. Jahrhundert üblich!
Mit dem 16. Jahrhundert hielt auch auf Kreta die venezianische Renaissance Einzug - im Kirchenbau kam davon außerhalb der Städte allerdings wenig an. Einzelne Kirchenfassaden der Renaissance entstanden jedoch auch hier, meisten an Klosterkirchen - Diejenige des bekannten Arkadi-Klosters dürfte die Bedeutendste sein.
Die Osmanische Eroberung Kretas, die 1640 mit der Eroberung Chanias begann und 1668 mit der Eroberung des damaligen Candia (heutzutage Heraklion) ihren Abschluss fand, führte zunächst vom völligen Erliegen des Kirchenbaus. Die katholischen Kirchen der Städte wurden mit fast ausnahmslos zu Moscheen umgewidmet und teils aufwändig umgebaut, außerhalb der Städte blieb aber zunächst alles beim Alten. Zwar wurden bald die meisten der alten orthodoxen Diözesen aufgelöst und in den Städten konzentriert, einen Verlust von Bausubstanz hatte dies allerdings meist nicht zur Folge. Auch der Unabhängigkeitskampf Kretas im 19. Jahrhundert, der erst 1895 sein Ziel erreichte, forderte nur wenige Opfer unter den Kirchenbauten der Insel, sodass man auch heute noch eine Vielzahl kleinerer und größerer Kirchen aus allen Epochen in allen Regionen der Insel finden kann.
In den folgenden Beiträgen werde ich dann genauer auf einzelne Bauwerke eingehen, die ich besucht habe.