Leipzig - Leerstände

  • Leipzig war mal eine lebendige Messestadt.

    Selbst für Schülerarbeiten wie hier ein Linolschnitt Ende der 1950er Jahre war dies ein Thema:

    Jedenfalls konnte man zweimal im Jahr (jeweils zur Frühjahrs- und Herbstmesse) ein reges Treiben auch mit "fetten Westwagen" erleben.

    Zehn Jahre später war der Messehof schon "sicherer". Als Bernd-Lutz Lange 1968 seinen Protest mit Kreide dokumentierte, war die Staatsmacht schnell zur Stelle. Er wurde verhaftet und bekam es sicherlich mit den Genossen der Staatssicherheit zu tun ...

    https://www.archiv-buergerbewegung.de/images/cssr/themen/dubcek.jpg

    Der Messehof war damals kleinteilig angelegt mit den unterschiedlichsten Geschäften. Vom Fleischer bis zu begehrten Handarbeiten aus dem Erzgebirge konnte man vieles finden, was in der damaligen DDR nicht so häufig war.

    Dies hat sich mit dem Umbau nach der Wende grundlegend geändert. Statt Kleinteiligkeit dominiert Grobschlächtigkeit in den Gewerbeflächen, so daß sich diese meist nur größere Ketten leisten können. Und selbst diese haben sich teils bereits wieder zurückgezogen.

    Messehofpassage (auch alle weiteren Fotos vom 6. September 2018)

    Blick vom Neumarkt aus gesehen

    Hier war bis vor zwei Jahren ein rege besuchtes Café.

    Blicke vom Innenhof

    tolle Gebirgsansicht ...

    Auch hier war mal ein Laden drin.

    Gleiches ist auch am Neumarkt zu bewundern.

    Hier gab es noch im Sommer Billigschuhe.

    Und hier ist plötzlich u.a. ein Zeitungsladen verschwunden ...

    Auch vom Neumarkt haben sich einige Läden verabschiedet.

    Von den geschichtlichen Massenmotiven her ist besonders die Petersstraße bekannt:

    Eingangsbereich Petersstraße

    Auch dieser Laden gehört zum Petersbogen. Plötzlich fehlte hier Tschibo.

    Ein Teil mal von oben aus dem Restaurant von Karstadt fotografiert:

    In der ersten Etage war Frauen-Fitness angesagt.

    Die Kabelrollen waren aber damals nicht drin.

    Gleich tote Flächen kann man in der Leipziger Innenstadt! häufig finden. Ich beschränke mich stichprobenartig nur auf einen Umkreis von ca. 200 Meter.

    Kulturfortschritt in der Kupfergasse

    Einen großen Lichtblick gibt es in der Universität Leipzig.

    Die Studierenden bekommen endlich mal, nachdem über 250 Millionen Euro für das Gelände ausgegeben wurden, einen Lern- sowie Aufenthaltsraum!, den sie vermutlich noch nie hatten ...

    https://stura.uni-leipzig.de/news/leibnizla…udentische-hand

    Und für alle Leipziger, die nicht dort studieren, gibt es dennoch Hoffnung, daß sie sich wie Schneekönige freuen können, wenn es in der Grimmaischen Straße endlich eine süße Neueröffnung in Leipzig zu feiern gibt:

    Nix für ungut.

  • Mir scheint, dass der absolute Leerstand nicht mehr geworden ist, jedoch hat sich durch Renovierungen (zB. Oelßners Hof,) oder durch den Bau der Höfe am Brühl das Angebot an hochwertiger mittelgroßer Verkaufsräume deutlich erhöht. Die Kaufkraft in Leipzig ist immer noch relativ niedrig, zu niedrig, als dass sie das Mehr an Gastronomie und Einzelhandelsangeboten entsprechend bedienen kann. Gleichzeitig ist Leipzig als Boomtown gerade für Neueröffnungen potentiell hochattraktiv. So kommt es zu gewissen Rotationen. Beispielsweise wurde der Netto in der Strohsackpassage geschlossen, kurz darauf der Penny in Oelßners Hof eröffnet, beide eher in versteckter Lage.
    Der Verlust der absurden Situation zweier H&Ms, kaum 50 Meter entfernt einander schräg gegenüber, wie sie jahrelang in der Petersstraße bestand hatte, ist natürlich nicht allzu bedauerlich.
    Sehr gut entwickelt hat sich nach meinem Empfinden die Nikolaistraße, wohingegen sich die Angebotsvielfalt in der Hainstraße (m.E. die schönste Straße in der Innenstadt) verflacht hat. Zwar stehen dort keine Läden leer, aber die nun zwei Drogerien nebeneinander (Rossmann und DM) stellen auch keinen Mehrwert dar.
    Ohnehin, Läden für die es sich aufgrund ihrer Einzigartigkeit lohnt nach Leipzig zu kommen (da Inhabergeführt oder nur sehr wenige Standorte) sind rarer geworden, in der Innenstadt mangelt es zunehmend an kleineren, bezahlbareren Verkaufsflächen.
    In den Promenanden im Hauptbahnhof stehen auch einige Läden leer, die Kernöffnungszeit wurde von 22 Uhr auf 21 Uhr gekürzt. Ob die geplante 30 Millionen Euro teure Auffrischung der Promenaden da Abhilfe schaffen wird, darf bezweifelt werden.
    Die Neueröffnung der Verkaufsflächenin der alten Post (uA. ein EDKEA, mehrere Restaurants und Bars, ein Großrestaurant, Einrichtunsgladen) wird ebenso einige Kunden von der Innenstadt wegziehen, gleichwohl eine Belebung der Ostseite des Augustusplatzes (wie ohnehin der ganzen Johanisvorstadt) mehr als wünschenswert ist. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen?
    An der Ostkante des Augustusplatz hat bisher das Nirvana begonnen. Dann kommt bis Reudnitz ganz lange gar nichts. Toter Stadtraum, 50er-Jahre Zeilenbau, Brache, Park. Langsam belebt sich jedoch auch dieser Bereich. Der Einzelhandel und die Gastronomie in den zentrumsnahen Stadtteilen wächst nach meinem Empfinden und wird höherwertiger, was jedoch auch Verdrängung und Verschiebung mit sich zieht, mit allen Vor- und Nachteilen. Läden, die vor fünf Jahren auf der Dresdner Straße waren (Internetcafé, Gemüseladen, Vietnamese, Russischer Laden) finden sich jetzt so ähnlich auf der Zweinaundorfer Straße/Täubchenweg. Da war vor ein paar Jahren fast alles leer, mitlerweile gibt es sogar Cafés dort. Die Dresdner scheint für all diese Läden nun zu teuer. Schmerzlich sind der gentrifizierungsbedinge Verlust des 4rooms und der Rumpelkammer, es waren mehr als ein Club und eine Bar, mit den vielen Veranstaltungen dort waren es auch zwei wichtige Kulturräume für Reudnitz.
    Auch muss ich für den durch einen Humana-Laden (eine Second-Hand-Kette) ersetzten Schreibwarenladen nun häufiger in die Innenstadt (in Reudnitz gibt es leider keinen Schreibwarenladen mehr), doch ganz allgemein ist doch mein Eindruck, dass die Menschen mehr vor Ort in ihren Stadtteilen einkaufen und ausgehen. Vielleicht auch ein Faktor: Wenn man nicht gerade ein Semesterticket oder sonstiges Abodement hat, ist der öffentliche Personennahverkehr Absolut und im Verhältnis zur Leistung der teuerste in Deutschland. Ein Tagesticket ist teurer als in Berlin. Berlin hat U-Bahn, eine richtige S-Bahn, richtigen Nachtverkehr, Leipzig hat das alles nicht (wirklich) und nur ein Drittel der Fläche Berlins. Die Preise steigen jedoch zuverlässig. Auch das sind Soft-Skills, die Menschen letztlich davon abhalten können, in der Innenstadt zu bummeln.

    Einmal editiert, zuletzt von Kaoru (9. September 2018 um 21:46)

  • Der Messehof war damals kleinteilig angelegt mit den unterschiedlichsten Geschäften. Vom Fleischer bis zu begehrten Handarbeiten aus dem Erzgebirge konnte man vieles finden, was in der damaligen DDR nicht so häufig war.

    Trauers Du wirklich DIESEM Durchgang nach? Auf mich wirkt das eher wie ein Bahnhofstunnel.

  • Hier ging es nur um einen konkreten Hinweis. Wenn man sich mit einem der Leipziger Innenstadthöfe befassen will, reicht natürlich 1 Stasi-Dokument nicht. Und es ist auch zur Vorsicht zu mahnen. Betrachtet man genau den bemitleidenswerten Zustand Leipzigs vor 1989 nach 40 Jahren SED-Staat, hätte fast die gesamte Stadt abgerissen werden müssen. Dem Eindruck eines Bahnhofstunnels muß entgegenhalten werden, daß es sich um eine solide gestaltete Passage gehandelt hat, die auch Verkaufsflächen für Einzelhändler oder kleinere Filialen bot. D.h. diese Flächen konnten individuell für Passanten gestaltet werden. Und in den Schaukästen waren z.B. Buchangebote von Leipziger Verlagen zu sehen. Im Unterschied zur Mädlerpassage war hier ein anderes, aber nicht minderwertiges Fluidum.

    Dies trifft sehr wohl das Thema Leerstand, weil mit dem Umbau eben jener anonyme Allerweltsglasmüll Einzug fand, der auch in London, New York oder sonstwo in einer Möchtegernpampa stehen könnte, es aber eben nicht ist.

    Denn der eigentliche Reiz der Höfe leitet sich aus der Historie ab.

    Wie beim Auerbachshof, der dann überdacht und zur Mädlerpassage wurde, gibt es eine geschichtliche Kontinuität.

    Einige der Höfe haben sogar den Krieg überlebt und wurden erst zu DDR-Zeiten abgerissen. Meines Wissens betrifft das z.B. die Hinterseiten des Romanushauses. D.h. von diesen Höfen wie an der Hainstraße gibt es nur noch wenige. Und was man so am Neumarkt und an anderen Stellen sehen kann, "jammert den Hund". Das hängt auch damit zusammen, daß es derzeit keine gemischten, bewohnten Strukturen gibt, wo man sich täglich trifft und auch dort lebt. Vieles muß also erst wieder neu erfunden werden ...

    So etwas wie die Handwerkerpassage reicht eben nicht an das heran, was früher z.B. neben der Thomaskirche stand.

    Doch zurück zu den Höfen, die dann überdacht als Passagen fungierten.

    Auch hier gibt es Veränderungen, die vielleicht an den Bildern verständlicher herüberkommen als mit einem Text.
    Früher war hier eine größere Betriebsamkeit und vielleicht eine bessere Orientierung am Markt (man erinnere sich, daß es mal eine soziale Marktwirtschaft gab) ...

    Ein Friseur, vermutlich in den 1920er Jahren in der Mädlerpassage.

    Die Mädlerpassage heute (23. September 2018) und auch alle weiteren Vergleichsfotos.

    Blickrichtung Königshaus-Passage und Petersstraße

    Rechts hatte hier der "Indianer" Siegfried Jahn bis Ende letzten Jahres sein Refugium für antiquarische und viele schöne Kinderbücher.

    gelaufen 28.12.1932

    Blickrichtung Grimmaische Straße / Markt

    gelaufen 24.5.1941

    2018

    2018

    Hier könnten vielleicht andere Sammler mit historischem Material ehemalige Passagenbereiche dokumentieren.
    Denn derzeit ist die Realität eben folgende.

    Statt Großer Feuerkugel mit Goethes Studentenwohnung Galeria Kaufhof:

    Detail am Neumarkt

    Statt historischen Vorbildern - Petersbogen

    2018

    2018

    Hier gab es mal Maggisuppen.

    2018

    Und zurück zum Messehof:

    (Bilder alle etwas aufgehellt, damit es etwas optimistischer aussieht.)

    Hier wird eine Passage eher zum Notausgang für die beiden großen Geschäfte links und rechts. Und man meidet folglich diesen Weg, auch um eine vermutlich Obdachlose nicht zu stören ...

    Dagegen kommt man hier bei der Querung der Passagen immer vorbei:

    Das bedeutet Großplakatierung im eigentlich individuellen Sichtbereich, so daß die Tristesse, die durch Überdimensionierung entsteht, einfach stört.

    Natürlich kann man sich wie bei am Markt bei B. werben lassen, aber der Normalbürger, so es diesen gibt, sagt sich wahrscheinlich eher: meiden.

    bzw.

    Nix für ungut.

  • Dies trifft sehr wohl das Thema Leerstand, weil mit dem Umbau eben jener anonyme Allerweltsglasmüll Einzug fand, der auch in London, New York oder sonstwo in einer Möchtegernpampa stehen könnte, es aber eben nicht ist.

    Da solltest Du auch Japan erwähnen. Ich gerade wieder einmal für ein paar Wochen in Fernost.

    Es wird noch eine Weile dauern, bevor ich mich wieder an die hiesige Ödnis gewöhnt haben werde.

  • Da ich gerade u.a. den japanischen Text zum Museum im Mendelssohn-Haus vor mir liegen habe: Vielleicht wäre das etwas für diese, was man im Haus der Kirche Leipzig wohl nicht so schnell auf die Reihe bekommt:

    Leipzig, den 23. September 2018, Haus der Kirche Leipzig Burgstraße 1 - 5 / Thomaskirchhof

  • "Wohnungsnot"

    Es wurde schon an anderer Stelle etwas zu den realen Leerstandsquoten in Leipzig ausgeführt. Dabei ging es darum, daß nicht nur in Problemgebieten und an Ausfallstraßen ganze Häuser bzw. Straßenzüge leerstehen. Die praktischsten Informationen erhält man dazu oftmals nicht in den Beiträgen, sondern in den Kommentaren des lokalen Zentralorgans. Wie dem auch sei, als ich heute für "xy-ungelöst" unterwegs war, fiel mir als Beispiel die Ostheimstraße auf. Während die rechte Seite zum Friedhof bewohnt ist, sind auf der anderen Seite a l l e Gebäude unbewohnt:

    Stand: 5. Januar 2019

    Früher war dieses Gebiet vermutlich aufgrund der Bahngleise auf der anderen Seite mit offener Braunkohlebeförderung und -feuerung nicht besonders attraktiv, aber bei der heutigen Nutzung durch die Deutsche Bahn ist es eher eine ruhige Lage ...

    Blick von der Riesaer Straße zum Eingang Ostheimstraße

    Wie gesagt, es ist nur 1 Beispiel ...