Eine differenzierte Einschätzung, der ich in allen Punkten zustimme, v.a. zu den beschränkten Einflussmöglichkeiten der Politik und dem Desinteresse der Bremer Bürger. Wie gesagt, abgesehen von ein paar Zeitungsartikeln gab es damals praktisch KEINE öffentliche Reaktion auf die Rekonstruktions-Pläne, die trotz der Defizite ein Kracher ersten Ranges gewesen wären für Bremen.
Kein Widerstand, keine Diskussionen, keine Leserbriefschlachten, die Stimmung war -möchte ich sagen- irgendwas zwischen Desinteresse und vorsichtig wohlwollend. Ich würde behaupten, die meisten Bremer wussten nichts von den Plänen. Das Thema war auch überhaupt nicht kontrovers, Eberhard Syring, ehemaliger Vorsitzender des Bremer Zentrums für Baukultur und definitiv Modernist äußerte sich ganz neutral, in dem er einfach nur beschrieb, dass das Projekt gut in eine Reihe von Rekonstruktionsprojekten passe, er psychologisierte zwar ein wenig von wegen "unsicheren Zeiten, die den Wunsch nach Bewährtem" nährten etc. - aber in anderen Städten wäre er genau der Typ gewesen, der den Widerstand angeführt hätte. Auch von der Linkspartei nichts, im Beirat wie von Jakku korrekt beschrieben Wohlwollen und sogar Freude, und offen geäußerte Enttäuschung nach der Meldung, dass es nichts wird, auch wieder von allen Fraktionen.
Bremen scheitert an einer Mischung aus Resignation (beispielhaft vielleicht Jakkus kleine Tirade neulich weiter oben - also alles ganz schlimm, Stadt verloren, man müsste eigentlich wegziehen - exakt so, wie auch ich hier schon vom Leder gezogen habe ;)) und Selbstzufriedenheit. Reicht doch. Es nimmt unter den westdeutschen wirklich großen Städten über 500.000 EW eine seltsame Sonderstellung ein mit seiner tatsächlich noch punktuell gut erhaltenen Altstadt. Man ist ganz zufrieden mit seiner "guten Stube" und den paar schönen Straßen drumherum - und es ist ja auch wirklich, wirklich schön, Schnoor, Marktplatz, die Kirchen, Böttcherstraße - im Prinzip einmalig für eine Stadt dieser Größe in Westdeutschland.
Es besteht anders als in anderen, wirklich schwer zerstörten Innenstädten, kein wirklicher Schmerz, wie etwa in Dresden oder in Frankfurt. Es ist aber umgekehrt auch nicht so schön, dass daraus eine Art Motivation für weitere Verbesserungen besteht, wie vielleicht in Leipzig oder München. Dafür ist das Grauen drumherum zu allumfassend, zu unrettbar, zu erdrückend. Es meckern zwar alle über die Innenstadt und wie sie stürbe, aber bei schönem Wetter ist die Gegend um den Marktplatz doch immer rappelvoll von Touristen und Einheimischen. Es wird nicht erkannt, was alles weg ist und wie viel besser und schöner es noch sein könnte.
In dieser Gemengelage ist es sehr schwierig, etwas auf die Beine zu stellen. Ich persönlich nehme mich da gar nicht aus. Ich schimpfe hier auch über die Passivität der Akteure, aber das ist leicht, anonym im Internet. Ich bin aber beruflich und familiär wirklich gerade in der Rush Hour meines Lebens, ich habe zwar durch mein Schichtsystem immer mal vormittags Zeit, auf meine Streifzüge zu gehen und verbringe wirklich viel Zeit mit dem Thema Städtebau und Architektur, habe aber NULL Reserve für irgendwelche regelmäßigen abendlichen Treffen oder die Mühen der Vereinsarbeit, die notwendigen Termine, auch weil ich an keinem einzigen Tag der Woche sicher sagen kann, nicht entweder Spätdienst zu haben und erst um 21:00 zu können - oder am nächsten Tag Frühdienst, bei dem ich um 6:00 anfange. Das pack ich nicht neben der Arbeit. Ich bin idealer Mitläufer, kann ganz gut schreiben, bilde mir auch ein, etwas Ahnung zu haben mittlerweile - aber ich bin kein Anführer, kein Politiker, kein vernetzter Typ, der hier die Entscheider kennt, UND durch meine beiden Vereinserfahrungen (einmal Elternverein Kita und einmal unser kleiner Verein hier) auch ziemlich bedient beim Thema Vereine.
Heinzer, wir haben uns ja bezügl. des Punktes Engagement der Bremer Bürger hier im Strang ja schon auf # 307 und # 309 ausgetauscht. Ich beschrieb da ja schon das Engagement der Bürger in ihrem Stadtteil bei neuen Stadtplanungsprojekten.
Was da Essighaus angeht, scheint es doch wohl so zu sein, dass der Investor klar und deutlich eine Rekonstruktion der Essighausfassade und der beiden Giebel des Kontorhauses kommuniziert hat. Warum also sollte es dann noch "Widerstand, Diskussionen und Leserbriefschlachten" geben, wenn das Projekt in trockenen Tüchern ist, wovon man bei dem guten Ruf Jacobs´ in Bremen doch ausgehen konnte.
Du bedauerst "abgesehen von ein paar Zeitungsartikeln gab es damals praktisch KEINE öffentliche Reaktion auf die Rekonstruktions-Pläne, die trotz der Defizite ein Kracher ersten Ranges gewesen wären für Bremen", aber eine "öffentliche Reaktion auf die Rekonstruktions-Pläne" von Deiner Seite habe ich auch nicht wahrgenommen.
Ich schreibe den letzten Satz in vollem Respekt vor Deine beruflichen Belastungen. Mein Motto, auch bei der Arbeit in Initiativen oder Vereinen, war immer das Marx-Wort aus dem Kommunistischen Manifest: "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Fertigkeiten" (wenn ich es denn noch richtig in Erinnerung habe) und ich möchte hinzufügen: Jeder nach seinen Möglichkeiten. Wer in einem Verein oder einer Bürgerinitiative nicht viel machen kann, ich find das vollkommen OK. Da soll man auch keinen Druck aufbauen. Für mich ist auch das Bekenntnis zu einer Sache wichtig, sozusagen die psychologische Unterstützung. Wegen mir braucht keiner, wenn er nichts machen kann, Schuldgefühle entwickeln. Aber dann muss man sich bei der Bewertung anderer, die nichts machen, auch zurückhalten und nicht die Untätigkeit der Bremer bedauern. Denn auch die anderen, die in dieser Stadt wohnen, sind HEINZER!, mit den gleichen Zeit- und anderen, das Engagement hemmenden Problemen.
Du schreibst soviel auf Stadtbild Deutschland, ein Leserbrief zum Essighaus im Weser-Kurier wäre für Dich doch kein großer Zeitaufwand und die von Dir geforderte "öffentliche Reaktion auf die Rekonstruktions-Pläne gewesen", oder?