Modernistische Straßenraumgestaltung in alten Städten

  • Ich empfehle allen Interessierten dieses Beispiel einer Straßenraumgestaltung im Zuge einer bevorstehenden Sanierung am Beispiel Rietstraße in Villingen, so wie sie NICHT erfolgen sollte!

    - Beseitigung traditioneller Straßenlaternen durch modische

    - Reduzierung des Kopfsteinpflasters auf einen schmalen mittleren Streifen zugunsten von breiten Randbereichen mit Platten, die einem monotonen Muster folgen -> weniger Lebendigkeit der Straßenoberfläche durch Reduzierung des historischen Pflasterbelags auf eine Alibifläche sowie ahistorische Gliederung des Straßenraums.

    - Wahl zu hoher Baumart, welche ohne (historischen) Bezug zu den dahinterliegenden Fassaden gestreut im Straßenraum angeordnet werden.

    Im Detail gibt es weitere Punkte, die jedoch ohne Kenntnis der lokalen Gegebenheiten weniger ersichtlich sind wie etwa der Torso eines hier nicht wiederhergestellten Stadtbachs, auf welchen infolge mangelnder technischer Kenntnisse des beauftragte Planers im Gegensatz zu den Stadtbächen der 3 anderen Straßenzügen des Zähringerstraßenkreuzes inkonsequenterweise verzichtet werden muss...


    Anbei PDF des Entwurfs zur Neugestaltung Rietstraße Villingen im Zuge einer Sanierungsmaßnahme 2018/ 2019:
    https://ris.villingen-schwenningen.de/ris/show_anlag…id_nr=&_nk_nr=6

  • Blick in die Villinger Rietstraße am vergangenen Wochenende:

    https://static4.suedkurier.de/storage/image/…K05f_5PSW6i.jpg

    Die Umgestaltung der Fußgängerzone mit den modernistischen Straßenlaternen ist damit von vier Hauptstraßen des Zähringer Straßenkreuzes nach weitgehend selbem Muster (allerdings ohne Stadtbächle) zwischenzeitlich beendet. Man erkennt zweifellos wie störend dieser Leuchtentyp im historischen Straßenraum der alten Stadt gegenüber den Vorgängermodellen wirkt:

    https://www2.landesarchiv-bw.de/exporte/leo/ar…-5-299318-1.jpg

    https://iiif.deutsche-digitale-bibliothek.de/image/2/0def4c…0/0/default.jpg

    Ergänzend dieser Blick auf die Rietstraße vom Osianderhaus am Riettor, der zudem die neue, unambitionierte Flächengestaltung der Pflasterungen als Flickenteppich ohne ein Gespür für Gliederungen im mittleren und hinteren Teil der Ansicht verdeutlicht: https://images.webcamgalore.com/webcam-Villing…gen-2138-08.jpg

    Dazu im Vergleich die historische Gliederung des Straßenraums mit passenden Straßenlaternen auf einer frühen Ansicht des 20.Jhs.:

    https://img.oldthing.net/8867/23390316/…r-Kreis-LKR.jpg Hier zudem die frühere, gelungene Einbindung der Gassen mit abgerundeten Bordsteinen und die Pflasterungen mit Absenkungen vor größeren Eingangstoren der Bürgerhäuser zu sehen, von den kleinkronigen Kugelbäumen einmal ganz abgesehen: https://img.oldthing.net/8867/23002792/…r-Kreis-LKR.jpg

    Der selbe modernistische Leuchtentyp fand später auch auf dem Platz hinter dem Stuttgarter Kunstmuseum Verwendung, dem sogenannten kleinen Schlossplatz - offensichtlich als Ware von der Stange, die an jedem Ort ohne Bezug zur städtebaulichen Situation eingesetzt wird:

    https://www.stuttgarter-zeitung.de/media.media.02…riginal1024.jpg

    https://www.stuttgarter-nachrichten.de/media.media.bf…riginal1024.jpg

  • Furchtbar! Es ist doch erschreckend, daß gerade die Leute, die über die Stadtmöblierung entscheiden, manchmal so gar kein Gespür für Gestaltung und Harmonie haben. Ich finde diese orangefarbenen Mülleimer aus dem 1970er-Jahren schon hässlich. Nun gibt es in Frankfurt a.M. noch die dazu passenden Sitzringe.

  • Das ist die grundlegende Misere der ganzen "modernen" Kunst. Sie soll nicht gefallen sondern provozieren, dann gilt sie als erfolgreich.

    In dubio pro reko

  • Das ist die grundlegende Misere der ganzen "modernen" Kunst. Sie soll nicht gefallen sondern provozieren, dann gilt sie als erfolgreich.

    Das leider nicht nur bei der Bau"kunst" der Fall, sondern auch bei der darstellenden Kunst a la Oper oder auch Theater...

    Die ehemals "Erste Bühne" im deutschen Sprachraum - das Wiener Burgtheater - meide ich seit Jahren, da man sich mit Neuinterpretationen schon selbst nur noch karikiert und die letzten Opernaufführung (zugegebenermaßen Volksoper und nicht Staatsoper) verließ ich bereits nach der Pause, weil anscheinend das progressive, statische Bühnenbild mir jedwede Lust am Rest verleidete. Vielleicht bin ich aber zu konservativ - mag sein - aber es würde sich auch keiner irgendeine historische Verfilmung ansehen, wo alle Darsteller nur in schwarz gekleidet und mit nie abwechselnder Hintergrundkulisse parlieren...vielleicht liegt es daran, dass die Theater (zumindest bei uns) sich zu einem Teil aus Steuergeld finanzieren und nicht gefallen müssen...

    Es gibt aber auch (glücklicherweise) Ausnahmen und deren Vorstellungen sind dann stets restlos ausverkauft. Nur checken das so manche von der Politik ausgesuchte Staatsbühnendirektoren nicht, da sie auch noch irgednwelche politischen Aussagen in solche Aufführungen interpretieren wollen (vieleicht müssen).

    War etwas OT - ich weiß - aber das kam mir gerade so in den Sinn bei Königsbaus Beitrag. Unsere abendländische Kultur hat nicht gerade eine Hochkonjunkturphase, aber nach jeder Talfahrt kommt bekanntlich auch wieder eine Bergfahrt und das ist in der Architektur sicher auch einmal wieder der Fall um den Kreis wieder zu schließen ;) .

  • Das mit der Talfahrt, auf die eine Bergfahrt folgt ist ein schöner Gedanke. Allerdings begreift sich die Moderne ja bereits durch ihre Bezeichnung als Höhe- bzw. Endpunkt einer kulturellen Entwicklung, nach dem eigentlich nichts mehr folgen kann und darf. Ein absolutistischer Anspruch, den es zu brechen gilt. Zunächst einmal dadurch, dass man das Attribut "modern" in Zusammenhang mit der Gegenwartskunst nicht mehr verwendet. Wenn man z.B. in einem Atemzug von hässlicher und moderner Architektur spricht, wird neben der Kritik ungewollt eine Bestätigung für die Architekten mitgeliefert. Das sollte vermieden werden. Als Alternative bieten sich Begriffe wie "funktionalistisch" oder "minimalistisch" an.

    In dubio pro reko

  • Da die Straßenraumgestaltung maßgeblich zur Erscheinung des Stadtbildes beiträgt, im aufwertenden wie im verunstaltenden Sinne, hier ein weiteres, leider negatives Beispiel als kleine Sehschule aus der Kategorie des modernistischen Unvermögens behagliche Stadträume zu schaffen.

    Villingen, Färberstraße: https://scnem2.com/art_resource.php?sid=30cfu.g41j79

  • Da kommt richtig romantisches Altstadtflair auf...

    Ehrlich gesagt finde ich das jetzt zumindest auf dieser Aufnahme nicht soo schlimm, wenn denn tatsächlich Kopfsteinpflaster in den mittleren Bereich kommt.

  • Um eine Vorstellung zu bekommen, was weniger "schlimm", also eine angemessenen Gassengestaltung ist, gibt es zahlreiche, anschauliche Beispiele, hier eines aus Bremen: https://scontent-frt3-1.xx.fbcdn.net/v/t1.0-0/p526x…2df&oe=5FA63A5B

    Auch für Villingen wäre eine weniger modernistisch-funktional betonte Form der Gestaltung von Vorteil für das Stadtbild.

  • Allerdings wird die Bremer Gassengestaltung auch durch eine passende altstädtische Bebauung flankiert. Bei der gezeigten Gasse in Villingen sehe ich vor allem Garagen, Häuser mit großen Garageneinfahrten und Balkons/Dachterrassen mit modernen Metallgittern. Dafür scheint mir die geplante Pflasterung fast schon hochwertig. Aber vielleicht übermittelt das verlinkte Bild ja auch nur einen falschen Eindruck.

  • Aber es ist immerhin noch was da. Das Problem ist doch, wenn man sich auch bei den Straßen immer weiter von einer altstadtgerechten Gestaltung entfernt, wird die (eh sehr begrenzt vorhandene) Motivation der Hausbesitzer, die Gestaltung ihrer Häuser in Zukunft etwas altstadtgerechter anzupassen oder die Sanierung ihrer Altbauten durchzuführen anstatt gleich abzureißen noch geringer.

    Hin und wieder kann man da einen Herdentrieb beobachten: ein, zwei schön hergerichtete Altbauten, ein Anwohner mit einem 60 er/70er/80er Jahre-Bau, dem ein Lichtlein aufgegangen ist und die Fassade altstadtgerechter umgestaltet und noch eine altstadtgerechte Straßenerneuerung. Dazu noch eine Handreichung und Beratung über altstadtgerechtes Bauen von der Kommune. Ein paar Jahre später kann man dann oft weitere Verbesserungen beobachten: Hier mal neue Holzfenster mit Sprossen eingebaut dort mal ein hässliches „Baumarkt-Geländer“ entfernt, hier mal den einstmals modisch-strukturierten 70er Jahre Putz durch einen Kalkputz und dezenter Kalkfarbe ersetzt. Klar, das bringt kein einziges verlorenes historisches Haus zurück und kann bei gutem Willen aber wenig Wissen auch zu ästhetischen Unfällen führen, dennoch ist es oft besser als z.B. dieses Sammelsurium an Bauschrott und öder Neugestaltung der Straße, den man auf zeitlos‘ verlinkten Bild von Villingen erkennen kann. Wenn die Stadt schon mit schlechtem Beispiel vorangeht, dann zeigt das, was für einen geringen Stellenwert das bauliche Erbe und das Erscheinungsbild des Ortes hat. Dann geht die Dynamik in die andere Richtung.

    Die Sterilität, die von vielen Straßenbelagserneuerungen in den letzten 10/15 Jahren ausgeht, könnte womöglich im Kontrast mit richtigen historischen ("schiefen") Häusern dazu führen, dass das Unbehagen der Bewohner mit "dem oiden Glump" und somit die Akzeptanz für weitere Abrisse mit anschließend ebenfalls sterilen Neubauten noch größer wird.

  • Ich würde aus der Gasse in Villingen gerne noch einmal ein Bild im fertigen Zustand sehen!

    Zumindest wird dort der Versuch unternommen, altstadttauglich zu gestalten. Man hätte ja alternativ auch einfach Asphalt reinkippen oder die Straße komplett mit Kunststeinen pflastern können.

  • Die Kurzsichtigkeit des aktuellen Zeitgeistes auch hier:


    Eckernförde / St.-Nicolai-Straße

    Zitat

    Kritiker sehen Altstadtflair in Gefahr

    Verantwortliche von einst können geplanten Austausch der Natursteine in der St.-Nicolai-Straße nicht nachvollziehen. Sie wollen keine Klinker-Piste

    Quelle: https://www.shz.de/lokales/eckern…id19109586.html

  • Ich finde das schwierig, zu schimpfen, so lange völlig offen ist, was kommt ("Ob neben dem Austausch der Natursteine und der Verlegung glatter Klinkersteine auch eine moderate Regulierung mit den vorhandenen Natursteinen eine Option ist, wird sich zeigen – Quelle: https://www.shz.de/19109586 ©2020") - eine Pflasterung mit abgeschliffenem Natursteinpflaster wie z.B. auf dem Alten Markt in Potsdam ist also im Rennen.

    Man kann ja auch einfach mal mit den Leuten reden. Immerhin sitzen in den kommunalen Bauausschüssen meistens Leute, die ihre Tätigkeit für eine minimale Aufwandsentschädigung in ihrer Freizeit wahrnehmen. Die freuen sich durchaus, wenn sie nicht immer gleich Prügel einstecken müssen.

  • Zu oft ist das Kind diesbezüglich in den Brunnen gefallen, zeigen sich Stadträte und Verwaltungspersonal ignorant gegenüber den Einwänden auch hinsichtlich von Fragen des Stadtbildes und entscheiden letztendlich nach eigenem Unvermögen sowie rein pragmatischen Gesichtspunkten, die ihnen von modernistischen Stadtplanern erzählt werden. Der Blick für das harmonische Ganze oder eine Vorstellung davon im Ansatz ist häufig nicht vorhanden. Von daher ist die konstruktive Kritik bezogen auf die Auswirkungen seitens der Bürgerschaft bei solchen Überlegungen nicht nur angebracht, sondern auch leider notwendig...und alles andere als bloßes Geschimpfe.