München - digitale 3D-Rekonstruktion von Gebäuden um 1900

  • Jetzt brauche ich tatsächlich mal eure Hilfe...

    Es geht um die Rückseite des Hertie-Gebäudes, von dem es - wie oben erwähnt - keine Fotos gibt. Ich habe allerdings aus der Bauzeitung von 1905 Pläne des EG, 1. Stocks und 4. Stocks.
    Die spannende Frage ist nun, wie ich diese Pläne zu interpretieren habe. Und da kommt ihr ins Spiel... :)

    Das ist der Plan des EG:

    Es geht um den mittleren Teil (Hofraum), bei dem ich schon nicht weiß, ob die Front hier geschlossen ist oder ob es da eine Einfahrt (für Kutschen?) gibt? Sind das Schraffierte Türen oder Fenster? Normalerweise sind es Fenster...
    Ist Hofraum als "Raum für König und Anhang" zu verstehen? Mich irritiert der Pfeil, der rechts beginnend nach innen weist, da umläuft und links wieder nach draußen führt. Das sieht mir doch sehr wie eine Kutscheneinfahrt aus. Das innenliegende Halbrund interpretiere ich als entsprechende Fassade?

    Im 1. Stock sieht es so aus:


    Da gibt es offensichtlich eine außenliegende Terrasse. Die Klötzchen an der Front sind Säulen? (Die im 1. Stock beginnen?)
    Hier sehr irritierend: Im EG sind im "Hofraum" zwei Säulen erkennbar. Wenn ich nun den ersten Stock dazu nehme, frage ich mich, wo diese Säulen aus dem EG hingehen, denn offensichtlich ist dort im 1. Stock "Luft"...?
    Die Einbuchtung oberhalb des Schriftzugs "Terrasse" ist tatsächlich eine Einbuchtung? Wenn ja, hätte man da ja nach unten sehen können und das würde wieder nahelegen, dass im EG die Einbuchtung tatsächlich offen war bzw. außenliegend. Ansonsten hätte man ja nur die Decke des EG gesehen...

    Noch der 4. Stock:

    Damit dürfte sicher sein, dass es ab dem ersten Stock tatsächlich eine massive Einbuchtung gibt, die sich bis oben fortsetzt, und innen offensichtlich als Bogen ausgeführt ist.

    Das Gebäude steht ja heute noch, aber man hat dummerweise genau diesen Teil mit einem Übergang zum hinteren Teil des Karstadt zugebaut. Mit einem außergewöhnlich hässlichen Übergang, wie ich bemerken möchte:

    Mit Dank im Voraus!

  • Kann ich auch nicht sagen, bin über Previous Bildindex rein und dann Startseite - Katalog - Orte - Deutschland - M - München - Stadt - Fotografische Ansichten und da kommen dann die Luftbilder.

  • Markus meinte wohl die alte Version des Bildindex'. Mit der neuen Version habe ich mich nicht anfreunden können. Gerade wenn man ein Gebiet systematisch nach Bildern "absuchen" möchte, ist die alte Version besser.

    Zu den Plänen: man muss sich eine Weile in solche Pläne einlesen.

    Erdgeschoss: Bei den karierten Feldern entlang den Fassaden links und oben handelt es sich möglicherweise um Glasbausteine auf Bürgersteighöhe, also Oblichter für die Kellerräume. Solche bestanden demnach auch bei den vier Öffnungen von der Strasse zum Hof. Dieser Hof war im Erdgeschoss mit einer durchgehenden Fassade abgeschlossen. Beim Hof handelt es sich um die Anlieferung und Warenannahme. Also Kutschen haben da nicht angehalten, wohl aber kleinere Fuhrwerke und Lastwagen. Der Pfeil kennzeichnet die Fahrtrichtung. Bei den äusseren beiden Öffnungen handelt es sich also um eine Ein- und Ausfahrt, die über die Nacht und die Festtage wohl mit Eisentoren, Gitter oder dergleichen verschlossen werden konnten. Die mittleren beiden Öffungen könnten Schaufensterkästen gewesen sein. In der Mitte des Hofes sind nicht "zwei Säulen", sondern wohl zusätzliche Oblichter aus Glasbausteinen für das Untergeschoss. W.A. = Warenaufzug, P.A. = Personenaufzug. Überdacht war der Hof durch ein U-förmiges Vordach, die Terrasse im 1. Obergeschoss.

    1. Obergeschoss: Die "Klötzchen" sind die Aufsicht auf die Mauerpfeiler des Erdgeschosses. Die Fassade lief im Erdgeschoss durch und endete oben im 1. Obergeschoss auf Brüstungshöhe. Man nennt eine solche Fassade "Kulissenmauer".

    Bildindex-Foto: Wenn man das Bild stark vergrössert, erkennt man, dass der Hof zwei weitere Einbauten in den Ecken besass, die in den Grundrissplänen nicht eingezeichnet sind. Die Dachgauben gleichen zwar den Restlichen am Hauptgebäude, sodass diese Einbauten wohl eine Planänderung zur Bauzeit oder eine sehr frühe Ergänzung im gleichen Gebäudestil waren.

    2 Mal editiert, zuletzt von Riegel (13. Dezember 2018 um 01:44)

  • Hallo Riegel,

    besten Dank wieder mal! Möchtest du nicht mein persönlicher Assistent werden? :)

    Ja, die beiden Einbauten im Innenhof habe ich auch schon mit Erschrecken festgestellt. Nachdem der Innenhof im Moment aber sowieso tabu ist, fallen die erstmal flach.
    Ansonsten beginnt das Ganze langsam ein Bild zu ergeben. Werde mich u.U. morgen oder übermorgen nochmal mit Entwürfen melden.
    Dank an euch!

  • Noch zu den (wohl nachträglich hinzugefügten) Einbauten im Innenhof. Diese Herumbauerei hat mich schon beim Bahnhof wahnsinnig gemacht. Der Bürklein hat Pläne wohl nach Meter bezahlt bekommen... Von ihm gibt es unzählige Pläne und Zeichnungen von denen die meisten schlicht falsch sind - vermutlich Skizzen bzw. Vorschläge. So naive Menschen wie ich bauen dann noch einem solchen Plan, um dann nach ein paar Tagen festzustellen, dass sich das hinten und vorne nicht ausgeht - bis man dann merkt, dass der Plan so gar nicht umgesetzt wurde...

    Was mir an der Stelle noch auffällt: Ich bin beeindruckt, was für eine Unmenge an Plänen und Skizzen damals von Architekten (oder deren Angestellten) angefertigt wurden - und mit welcher Qualität. Manche reichen schon fast an Fotos heran. Das muss doch Unmengen an Zeit verbraten haben...

    Ahja, noch was: Zur selben Seit wie der Hertie-Bau wurde auch das Oberpollinger-Kaufhaus in der Kaufinger Straße gebaut (nur zwei Wochen später eröffnet). Der Stil ähnelt dem Hertie-Bau in frappierender Weise, was wohl daran liegt, dass beide Gebäude vom selben Duo gebaut wurden (Heilmann & Littmann).
    Erstaunlich daran: der Hertie-Bau wurde in 12 Monaten fertiggestellt, der OberPollinger in 10 Monaten.
    Beeindruckend, wie schnell damals gebaut wurde - vor allem wenn man es mit heute vergleicht...

  • So, das ist ein Zwischenstand - im "Rohbau". Wenn ich ehrlich bin, sieht das ziemlich unarchitektonisch aus... Ich hoffe, ihr baut nicht wirklich so...

    So würde ich die Pläne von oben interpretieren... Allerdings steht die Wand EG Mitte etwas verloren herum, die Terrasse sieht aus, als wäre sie zu kurz und überhaupt scheint mir das ganze statisch recht gewagt...
    Was ist da falsch?
    Das Rätsel zum Samstag...

  • Ich kann mir vorstellen, dass die Erdgeschossarchitektur mit den bogenförmigen Schaufenstern um das ganze Gebäude herum gegangen ist, also auch an der Rückseite inkl. Hofmauer. Dadurch erscheint die Wand nicht als allein freistehend mitten im Hof, sondern verschwindet in der durchgehenden Bogenarchitektur.

    Der ganze Hof scheint zur Zeit zu stark in die Breite gezogen. Die seitlichen Terassen sind zu wenig tief gezeichnet. Du hast jeweils ihre Vorderkante mit der Einbuchtung von gerundeter und gerader Fassade auf einer Linie gezeichnet. Den Plänen gemäss kragten die seitlichen Terrassen viel weiter aus. Überhaupt wäre es sehr wichtig, dass du mit dem Stützenraster des Gebäudes arbeitest. Das ganze Gebäude - auch dort wo Zwischenwände bestehen - steht nämlich auf einem Stützenraster, in den auch der Hof eingebunden ist. Wenn du das beachtest, solltest du keine Probleme mehr mit den Proportionen des Hofes haben.

  • Hmm… Vielleicht habe ich auch zu wenig ins Bild gepackt...

    Ich habe spaßeshalber mal die Luftaufnahme und meinen aktuellen Stand "untereinander gelegt" - da sehen die Linien eigentlich ganz gut aus: (leider sehr klein, weil die Luftaufnahme schlecht aufgelöst ist.)



    Mit Stützraster meinst du, dass das ganze Haus auf einem einheitlichen Raster steht? Die ganzen Wandsegmente haben alle eine Breite von 5.50 m - das dürfte das Raster sein, oder? Dummerweise stehen zwischen den schön genormten 5.50m-Wandsegmente widerborstige Türme herum... Vermutlich liegt das Problem darin, dass ich mich von diesen Türmen verleiten hab lassen, das Raster zu verlassen... Doof eigentlich, weil das Raster auf den Plänen ja nun wirklich deutlich zu erkennen ist...
    Na gut, dann wird das Haus erstmal "umgerastert"...

  • Und jetzt ist mir noch ein Fehler aufgefallen...
    Die Wandsegmente an der Front ergeben eine leichte Biegung, stehen also nicht plan. Ich habe dafür dieselben 5,50m Wandsegmente verwendet und die einfach schräg gestellt. Aber durch das Schrägstellen sind sie im Aufriss natürlich nicht mehr 5,50m breit, sondern etwas weniger - als Wiener würde ich sagen, sie sind "schöweangad".
    Die Breite, die mir an der Front verloren geht, fehlt mir dann hinten natürlich...
    Gut, dann ist mir klar, was ich morgen tue... :)
    Besten Dank, Riegel!

  • Du musst wirklich als erstes den Stützenraster aus den Plänen nehmen. Im Bereich des Haupttreppenhauses/Lifte ist er ausnahmsweise enger. Auch rechts oben (im Plan) bleibt der Stützenraster, aber die Fassade hält sich dort nicht mehr daran, wohl auch wegen des dortigen Risalits (oder gemäss Flugaufnahme eines Erkers?) gegen die Gebäudeecke. Im Hof sind die entsprechenden Stützen weggelassen, aber in der Hofmauer ist der Raster wieder drin. Wenn man es ganz genau nimmt, scheinen die beiden 'Kompartimente' des Rasters rechts aussen breiter zu sein.

    Solche Erkenntnisse aus einem Grundrissplan sind eine wesentliche Hilfe bei der Rekonstruktion oder zeichnerischen Nachbildung eines Gebäudes. Denn so wurden die Gebäude am Reissbrett ja auch entworfen.

    Oft erkennt man in einem Grundrissplan verschiedene Bauetappen eines Gebäudes, wie beispielsweise einen Kernbau, der später massiv vergrössert wurde. Dies erklärt dann auch unterschiedliche Raster innerhalb eines Gebäudes.

    Einmal editiert, zuletzt von Riegel (15. Dezember 2018 um 23:20)

  • Naja, dass es bei jedem Gebäude eine gewisse "Schematik" gibt, ist mir schon aufgefallen. Alle meine bisherigen Gebäude sind aus einigen wenigen "Bausteinen" zusammengesetzt, wie Wandsegmente und Ähnlichem.
    Bisher hatte ich aber keine schöweangaden Schrägen und Viertel-Achteckigen Türme, die auch noch außerhalb des Rasters stehen... (Und in Wirklichkeit nicht symmetrisch sind...)

    Ich hab mir den Plan jetzt auf die richtige Größe gezoomt und unter das Gebäude gelegt. Da fehlen mir an der Südwand jetzt gut 4 Meter... Die kommen von den abgeschrägten Front-Segmenten - macht erstaunlich viel aus...

    Da gibt es wieder schöne Rechenspiele: Wie lang ist eine Wand die im Aufriss 5,50m breit ist, aber in einem Winkel von 12 Grad steht...?
    Da hab ich heute Abend schon eine Beschäftigung... :)
    Herzlichen Dank nochmal für deine Erklärungen!

  • Das sieht jetzt von der Fassadenaerchitektur schon ganz anders aus! Insbesondere weil jetzt das Erdgeschoss durchläuft und den Hofraum als 'halbprivate' Zone abtrennt. Mir scheint aber die Verkürzung des Rasters nach hinten zu stark. Die Öffnung von der Terrasse zum Hof hinab tendiert doch eher zum Quadrat.

    Das Balustergeländer würde ich auch fassadenbündig zur Strasse durchlaufen lassen (auch wenn es im Plan unklar gezeichnet ist), und den rückwärtigen Bereich der Terasse mit einem einfachen Metallgeländer versehen. Es war ja wirklich nur die Anlieferung und kein prominenter Zugang zum Warenhaus.

  • Da schaut einer ganz genau... ;)
    Ja, erschreckend, wie betriebsblind man wird, wenn man den ganzen Tag an etwas herumbastelt... Habe gerade festgestellt, dass die Rückwand des Hofes nicht zwei Stützgittersegmente zurückgesetzt ist, sondern drei!
    Irgendwie habe ich mit dem Zählen Probleme...
    Na gut, das ist weit weniger Aufwand als der andere Umbau...
    Dann wird der untere Teil des Hofes auch deutlich geräumiger...
    Danke wieder für die Hinweise!

  • So, nach einer gefühlten Ewigkeit ist das "Warenhaus Hermann Tietz" "vorerst final".
    Ich betrachte es als „vorerst fertig“; irgendwann wird es mich wieder packen und ich werde es weiter aufpeppen.
    Es ist ein ziemlich wildes Gebäude, bei dem noch unzählige Ornamente fehlen, mit vier Stilrichtungen vermischt, weswegen es bei mir auch den Spitznamen „Kaufhaus Neuschwanstein“ hat. ;)

    Das Gebäude steht heute noch gegenüber vom Hauptbahnhof, allerdings wurde es im Laufe der Zeit (wie die meisten Gebäude in München) bis zur Unkenntlichkeit „vereinfacht“.
    Später wurde es der Hertie (Hermann Tietz) und heute ist es der Karstadt.