München - digitale 3D-Rekonstruktion von Gebäuden um 1900

  • Ich finde diese Patina und auch die Lichtverhältnisse sehr gelungen. Ist das Auto CAD? Welche Programme sind eigentlich die besten, was besonders realistische Darstellungen von Gebäuden, Bäumen und Landschaften betrifft? Ich denke dass Auto CAD am realistischsten die Gebäude darstellt, oder?

  • Na, dann nehme ich doch gleich mal das alte Telegrafenamt als Beispiel und lasse zwei Bilder sprechen; das Gebäude existiert heute noch und steht direkt gegenüber des Bahnhofs. Ursprünglich dürfte es mal so ausgesehen haben - ich denke, ich bin da am Original recht nah dran (wenn auch vereinfacht):



    Und so sieht es heute aus: (auf die Schnelle aus GoogleMaps kopiert - ich hoffe, dass das keine Abmahnung gibt...)

  • Hallo Kaiser Karl,

    nein, das ist Unity 3D, eine der am meisten verbreiteten Game-Engines.

    Ich bin in den letzten Wochen zunehmend vom Anspruch einer möglichst realistischen Darstellung abgerückt. Der Aufwand dafür ist uferlos; im Grunde braucht dann fast jedes Haus seine eigene Textur. Inzwischen verwende ich für die meisten Wände immer dieselbe Grundtextur, die dann nur verschieden eingefärbt wird. Das hat den großen Vorteil, dass die Datenmengen überschaubar bleiben und den netten Nebeneffekt, dass der Look sehr einheitlich wird.

    Dasselbe für's Licht: die längste Zeit hatte ich ein Plugin, das die Sonnenstände für jeden Tag und jede Stunde korrekt abbildet; inzwischen habe ich eine Hauptlichtquelle und eine gegenübergestellt "Ambient"-Lichtquelle und die sind statisch. Ist für den Look besser.

  • Übrigens: einer der coolsten Erfindungen seit dem Monitor ist "Ambient Occlusion" - die macht viel von der Optik aus...

    Und auch vergessen: Dieser Bildausschnitt stammt aus dem Gebäude-Komplex, der dort stand wo heute der Elisenhof steht, also nordwestlich vom Bahnhof. Dieser Komplex bestand aus zwei Hauptgebäuden, die durch ein winziges Verbindungshäuschen - wie abgebildet - verbunden waren.
    Die Farben sind - wie immer - geraten.

  • Weil ich gerade am Vorbereiten der neuen Version bin...
    Eine rein technische Frage, die mir schon länger auf der Seele brennt...
    Die Eingangshalle des alten Centralbahnhofs (vormals Gleishalle des noch älteren Centralbahnhofs) war innen durch riesige Stahlbögen gestützt. Das sah so aus:

    Ich frage mich die ganze Zeit, wie diese Bögen dahingekommen sind. Sie messen ca. 30 m im Durchmesser und sind daher gut 15 hoch. Sind die am Stück gegossen worden? Konnte man 1900 so große Bögen am Stück gießen?
    Oder wurden die Bögen in Segmenten gegossen und dann an Ort und Stelle zusammengebaut? (Wie der Eiffelturm?)
    Es ist auf den beiden Fotos kaum zu erkennen, aber soweit man es sehen kann, gibt es an den Bögen keine "Nähte"...
    Und wie wurden solche Segmente transportiert? So ein Teil wiegt doch sicher einige zig Tonnen - mit LKWs (1900?) oder Eisenbahn?

    Übrigens: Ich habe von der Eingangshalle gerade mal zwei Bilder. Wenn jemand noch Bilder hat, bzw. jemanden kennt, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der Bilder hat, bitte melden!

    G.

  • Diese Eisenbogenträger waren wahrscheinlich aus vielen Einzelteilen zusammengenietet worden. Man sieht auf der Foto tatsächlich keine Verbindungen wie Schrauben oder Nieten, was aber mit der Qualität des Bildes zusammenhängt. Dieses sieht nämlich retouchiert aus. Von daher wäre es wichtig, alle verfügbaren Bilder zu vergleichen.

    Auf halber Höhe der rechten Billetschalter und den senkrecht stehenden Oblichtfenstern sieht man einen schwachen Lichteinfall. Dort ist auf den Stegen der Eisenbogen eine gitterförmige Struktur erkennbar; auf der linken Seite ebenfalls, aber noch schwächer. Diese erinnert mich an die genieteten Gitterwerkbrücken aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vielleicht aus Gründen der Optik und/oder statischen Verstärkung wurden die Zwischenräume mit Platten geschlossen. Es sieht für mich nach einer Sandwich-Konstruktion aus: Blechtafeln und beidseitig das Gitter.

    Einmal editiert, zuletzt von Riegel (3. Dezember 2018 um 14:39)

  • So, als letztes Gebäude der neuen Version ist das Eckhaus am Beginn der Dachauer Straße, also direkt gegenüber vom Centralbahnhof, fertig geworden. Das Haus steht heute noch, wurde allerdings "verrenoviert".

    Damit gibt es übrigens auch die erste Ladenfront. :)
    Ob dort tatsächlich mal ein Tabakladen war, kann ich nicht sagen. Der untere Teil des Gebäudes ist auf keinem Bild gut zu erkennen. Ziemlich sicher ist, dass es kleine Vordächer hatte und dass es damit ein Geschäft war.
    Und ums gleich vorweg zu sagen: Ich weiß, dass man "Cigarren" mit zwei R schreibt, aber diesen Schriftzug habe ich von einem Foto von um 1900; da wurde es offensichtlich so geschrieben - oder der Schilder-Maler hat sich vermalt...

    Die neue Version wird in den nächsten 1-2 Tagen fertig sein, dann kann auch jeder selbst herumlaufen.

    .

  • So, jetzt gibt es eine neue Herumlauf-Version auf meiner WebSite: München 1900 Downloads

    Das ist der Eröffnungsbildschirm der Anwendung:

    Wie zu erkennen ist, klafft zwischen dem Telegrafenamt rechts und dem nächsten Gebäude eine lästige Lücke. Das ist der Hertie (bzw. früher: Warenhaus Herrmann Tietz), um den ich mich bisher gedrückt habe.
    Inzwischen habe ich angefangen und merke, warum ich mich bisher gedrückt habe...
    So sieht's mal aus:



    Ihr Architekten baut manchmal Sachen zusammen...
    Diese angeschrägten Wandsegmente kosten mir den letzten Nerv.
    Auch der Bürklein hat beim Bahnhof übelst herumgemurkst. Da wurde auch öfter passend gemacht was nicht gepasst hat...

    In diesem Sinne wünsche ich allen ein geruhsames Wochenende. ;)

    G.

  • Während ich so am Hertie herumbaue, fällt mir immer wieder auf, dass das ein ziemliches Stückwerk ist; erinnert entfernt an Neuschwanstein und eine englische Burg. Nicht unhübsch, aber irgendwie zusammengestückelt.
    Was sagt eigentlich der gemeine Architekt zu dem Hertie-Baue (der ja heute noch steht)?

  • Jetzt hätte ich doch noch eine Anfrage...
    Ich habe kein Foto des Hertie-Gebäudes "von hinten"; alle Fotos, die ich habe, bilden das Gebäude vom Hauptbahnhof aus ab, also aus südwestlicher Richtung. Weiß jemand, ob es Aufnahmen aus der Luitpold- oder Prielmayerstrasse, also nordöstlicher Richtung, gibt?
    Ich habe einen Plan des Gebäudes aus einer Bauzeitung aus dem Jahre 1905, aber leider keine Aufrisse.

  • Ich hab auch kein richtiges und bezweifele auch, dass es eins gibt...
    Das einzige, wo man den Hertie ein bisserl von Nordosten aus sieht, scheint mir das folgende zu sein, welches die Südseite der Prielmayerstraße Richtung Bahnhof zeigt:

    https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/bil…EID=10&SQNZNR=1
    (aufgenommen 1908, der Hertie ist links neben dem Bahnhof in Schrägansicht ganz klein zu sehen)

    Eine ebenfalls interessante Ansicht aus diesem Blickwinkel ist das folgende, vom Dach des Justizpalastes aus aufgenommene Foto, allerdings stammt es von 1900 und somit ist der Hertie noch nicht erbaut. Man sieht aber die Vorgängersituation:
    https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/bil…EID=10&SQNZNR=1

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Danke für die Tipps!

    Beide Fotos kenne ich, aber beim ersten wäre ich nicht die Idee gekommen, dass man da (natürlich) auch eine Seite des Hertie sieht! An sich ist es nicht dramatisch, weil man ja noch heute das Gebäude an Ort und Stelle betrachten kann, allerdings habe ich den Eindruck, dass man beim Wiederaufbau einiges stark vereinfacht hat. Der Plan aus der Bauzeitung zeigt z.B. an der Nordseite eine geräumige Terrasse im ersten Stock, die beim heutigen Gebäude fehlt.

    Das zweite Foto hat mich lang beschäftigt, weil kaum herauszubekommen war, was anstelle des Hertie dort eigentlich stand. Inzwischen, nach einigen Stunden googeln, habe ich es herausgefunden: es war - wie sollte es in München anders sein - ein Biergarten, nämlich der Sterngarten. Da gibt es im Stadtarchiv wohl nur eine Zeichnung aus dem Jahr 1895:

    http://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/bil…EID=10&SQNZNR=1

    Wenn mich nicht alles täuscht, ist das Gebäude im Hintergrund das Telegrafenamt, der Blick wäre also von Nord nach Süd.

  • Übrigens: Recherche ist ein nie enden wollendes Puzzle. Gerade um Details zu finden, bedarf z.T. einiger Irrwege. Vom Telegrafenamt z.B. habe ich gut 15 Fotos, allerdings sind die fast alle von der Front aufgenommen und die Details am Verputz kann man bei keinem wirklich gut erkennen. Nach stundenlangem Wühlen in Fotos habe ich dieses entdeckt, das eigentlich der Schützenstraße zugeordnet ist - aber man erkennt im Hintergrund sehr gut den Verputz des Telegrafenamts. :)

    (Wie nennt ihr eigentlich diesen Verputz an einem Haus? Ornamentik? Struktur? Stuckatur?)

    https://stadtarchiv.muenchen.de/scopeQuery/bil…EID=10&SQNZNR=1

    Ich finde immer wieder Bilder, wenn ich nach einem Gebäude suche, die etwas zeigen, was aus einem völlig anderen Kontext stammt - meist im Hintergrund.

    *off topic*
    Zum Thema Recherche - kennt ihr eigentlich das? http://www.titanichg.com/
    Die haben sogar ein eigenes Video zum Thema Recherche erstellt...