Stadtbild und Selbstbild

  • Welchen Stellenwert hat bei Ihnen der öffentliche Raum bei einer Vorstadt? 1

    1. In meinem Kiez muß ich mich wohl fühlen, was im Stadtzenrum läuft interessiert mich nicht. (0) 0%
    2. Vorstädte sind nicht so wichtig, wichtiger ist die Verbesserung des öffentlichen Raumes im Stadtzentrum. (0) 0%
    3. Interessant gestaltete Vorstädte bereichern das Leben. (1) 100%
    4. Vorstädte sind und bleiben Schlafstädte, da kann man sich den Aufwand sparen. (0) 0%

    Am 1. Juni 2005 nahm ich in Münster an einer Bürgeranhörung zu einem Bebauungsplan teil.

    Es ging um die Schaffung eines neuen Ortskerns in einem Vorort.
    Ein zu einer Schlafstadt mutiertes ehemaliges Straßendorf soll nachträglich einen kleinen Marktpölatz mit Wohn- und Geschäftshäusern bekommen.
    "Sollte" ist wohl präsziser, denn der unsprüngliche, vor zwei Jahren verabschiedete, durchaus interessante Plan ist durch fehlende Investoren obsolet geworden. Die geforderte Ladengröße für das Hauptgeschäft entsprach mit maximal 800 qm Nutzfläche nicht den Anforderungen, die geforderten 1.600 qm Nfl. ließen sich nicht unterbringen.

    Nunmehr also wurde eine Planung für einen "Einkaufs-Schwerpunkt" am Rande des Ortes vorgestellt.
    Von der 2 1/2 geschossigen Bauweise für Wohn- und Geschäftshäuser war nicht mehr die Rede: es sollen reine Gewerbe-Gebäude ("Kisten") in Leichtbauweise für Supermarkt und drei Einzelhandel-Läden werden.

    In der Versammlung waren ca. 80 interessierte Bürger vertreten.
    Die Diskussion kreiste vornehmlich um die geplanten Kindergartenplätze und um die Linienführung des Stadtbusses.
    Gestaltungsfragen interessierten nicht.
    Hinweise, daß die 80 Meter lange und 7 Meter hohe Rückfront des Supermarktes plus Warenlagers parallel zu der Wohnsammelstraße läge und daß eine solche Wand ohne jegliche Fensteröffnung und Strukturierung auch Gegenstand der Debatte sein sollte, wurden ignoriert.
    Der Wegfall des im Ursprungsplan vorgesehen gestalteten "Marktplatzes" interessierte ebensowenig wie der Abzug von Kaufkraft und Freizeitwert aus dem ohnehin nur schwach ausgebildeten alten Ortskern.

    Was sind das für Bürger, die es in der Hand haben, ihren Stadteil mit zu gestalten, und die nur die Funktionalität im Auge haben?
    Sind das überhaupt "Bürger"?
    Sind es nicht nur "Einwohner", die wert auf eine frostsichere, wasserdichte Behausung mit Busanschluß legen?

    Welches Selbstverständnis liegt solchen Prioritäten zu Grunde?
    Interessieren diese Menschen sich grundsätzlich nicht für wohlich Gestaltete öffentliche Räume oder kennen sie es nicht besser,
    weil auch ihre privaten Wohnräume keine Gestaltungsqualität haben?

    Der Wind gedreht
    Albtraum verweht
    Zum Schluss jetzt das Glück
    Das Schloss kommt zurück!

  • Schade um das Marktplatz-Projekt.

    Aber solange sich die Gewerbekisten auf die Versorgung der Vorstadtbewohner beziehen, sind sie nichts schlechtes. Katastrophal ist es hingegen, wenn solche Einkaufszentren die Käufer aus der Innenstadt abziehen, die dortigen Geschäfte zum Aufgeben bringen und so der Innenstadt das Leben aussaugen.

    Aber das sind eher politische Fragen, die mit Architektur wenig zu tun haben.

    Halbwegs ansprechend gestaltete Vorstädte wie etwa Potsdam-Kichsteigfeld


    Quelle: http://www.iba-sdl.de">http://www.iba-sdl.de

    sind sicher erfreulich, aber viel wichtiger ist es meiner Meinung nach, zu verhindern, daß sich das Leben in den Innenstädten zurückbildet. Daher hätte man diese Investitionen besser in Potsdam selbst getätigt (und dafür Plattenbauten abgerissen). Wie es in Münsters Innenstadt mit Leben und Einkaufen etc aussieht, weiß ich nicht, aber wahrscheinlich nicht schlecht, oder?

  • Zitat von "Schloßgespenst"


    Aber das sind eher politische Fragen, die mit Architektur wenig zu tun haben.


    Ich glaube: im Gegenteil. Architektur, gute wie schlechte, auch Nicht-Architektur (Funktionsbauten) haben viel mit Lebensauffassung, Werte-Raster oder eben mit deren Negierung zu tun.
    Letztendlich ist alles - irgendwie - politisch.
    Vor 30 Jahren wurde angesichts der "Neuen-Heimat-Architektur" der Satz geprägt " Man kann einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt".
    Wenn DAS keine politische Herausforderung ist...

    Zitat von "Schloßgespenst"


    Halbwegs ansprechend gestaltete Vorstädte wie etwa Potsdam-Kichsteigfeld sind sicher erfreulich,...


    Oh, ich bin mehrmals extra dorthin gefahren und habe sogar eine Stadtführung mit Rob Krier dort erlebt.
    Das Konzept des Kirchsteigfelds ist genau DAS, was mir für den modernen Städtbau vorschwebt.
    Es ist das mittel-europäische Gegenstück zu Poundbury, Dorset und zu Seaside, Florida.

    Zitat von "Schloßgespenst"


    ...aber viel wichtiger ist es meiner Meinung nach, zu verhindern, daß sich das Leben in den Innenstädten zurückbildet.


    Naja - deshalb hatte ich ja auch die obige Umfrage gestartet.
    Ich denke, daß das Eine das Andere nicht ausschließen muß oder sogar begünstigt.

    Zitat von "Schloßgespenst"


    Daher hätte man diese Investitionen besser in Potsdam selbst getätigt (und dafür Plattenbauten abgerissen).


    Du sprichst mir aus der Seele! Wenn ich die preisgekrönten DDR-Hochhaus-Plattten "auf dem Kiewitt" sehe...

    Zitat von "Schloßgespenst"


    Wie es in Münsters Innenstadt mit Leben und Einkaufen etc aussieht, weiß ich nicht, aber wahrscheinlich nicht schlecht, oder?


    Münster ist im großen und ganzen wundervoll.
    Aber bestimmt nicht perfekt...

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  • Zitat von "Reinhard"

    ..... oder kennen sie es nicht besser,
    weil auch ihre privaten Wohnräume keine Gestaltungsqualität haben?

    Reinhard, genau das ist der Punkt ! Wenn jemand immer in Platten
    gewohnt hat und niemals auch nur ansatzweise sich historische
    Architektur angeschaut hat, so wird dieser auch nie ein Problem mit
    seiner Platte haben. Hätte der Neandertaler irgendwo einen ionischen
    Tempel gesehen, hätte er mit Sicherheit versucht, diesen nachzubauen.
    Je mehr man weiß, um so höher werden die Ansprüche. :zwinkern:

  • Ich finde, Vorstädte sollten gemütlich sein und eine Grundversorgung bieten, also Lebensmittel, Drogerie, Bäckerei etc, aber ein eigenes Geschäftszentrum sollten sie nicht bekommen.... sonst kommt man ja gar nicht mehr raus ;)

    Anders allerdings bei so Riesenstädten wie Berlin oder Hamburg, hier dürfen größere Vorstädte durchaus was eigenes haben, eingemeindete Städte in meinen Augen sowieso.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Gestern hatte ich Gelegenheit im Deutschen Architektur Museum, Frankfurt, den Vortrag von Rob Krier zu genießen.

    Welch ein Vorkämpfer für die wahre Baukutur! Welch ein Charme strömt von diesem Mann aus! Welch eine Übereugung spricht aus seinen Entwürfen!

    Und nach dem Vortrag ging´s wieder hinaus an den Main mit Blick auf das nächtliche Mainhattan.
    Welch ein Kontrast... :augenrollen:

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