Baden-Baden – Neubau oder Rekonstruktion der Synagoge?

  • Ich denke, dieses Projekt verdient einen eigenen Strang: Die jüdische Gemeinde in Baden-Baden diskutiert seit einigen Monaten den Neubau einer Synagoge mit Gemeindezentrum. In den letzten Tagen ist ein heftiger öffentlicher Streit über den Standort neu entflammt. Derzeit erscheint eine Fläche einige Kilometer westlich der Altstadt an der Fürstenbergallee, die parallel zum Autobahnzubringer B500 verläuft, als wahrscheinlichste Lösung. Das stößt jedoch auf Kritik sowohl bei einigen Gemeindemitgliedern als auch anderen Einwohnern und Lokalpolitikern, die sich einen zentraleren Standort wünschen.

    Vom Rathaus erhielt die Gemeinde Anfang Februar nach einer Anfrage für einen alternativen Bauplatz jedoch eine Absage, da man über kein in Zentrumsnähe gelegenes, passendes stadteigenes Grundstück verfüge. Der Gemeinde wurde vom Rathaus nahegelegt, "sich auf dem privaten Markt umzuschauen" (Wortlaut, mehr Details und ganze Erklärung siehe hier). Daraufhin hat der FDP-Kreisvorsitzende René Lohs am Dienstag in einer schriftlichen Erklärung die Rekonstruktion der 1938 zerstörten Synagoge in der Altstadt angeregt. Er kritisiert darin die mangelnde "Sensibilität im Umgang mit dem Thema" durch den jetzigen Grundstückseigentümer, der das unbebaute Gelände nicht verkaufen wolle. Auch die Stadtverwaltung akzeptiere damit "den Bau des Gotteshauses am Autobahnzubringer" (Quelle).

    Die alte Synagoge (Details und Bauzeichnungen im Wikipedia-Artikel) an der Stephanienstraße war ein beeindruckender neoromanischer Bau mit Rundbogenportal, Rosette und Doppenturmfassade aus dem Jahr 1899. Die Bundespost hatte 1988 das brennende Gebäude zum Gedenken an die Pogromnacht 1938 sogar auf einer Briefmarke abgedruckt. Heute befindet sich auf dem Gelände ein Parkplatz, der von der örtlichen Zeitung "Badisches Tagblatt" genutzt wird. Einer Rekonstruktion stünden damit grundsätzlich keine bestehenden Gebäude im Wege.


    BadenBaden-Synagogue-architect drawing1 von Ludwig Levy in Wikimedia Commons / gemeinfrei

    Am kommenden Sonntag ist nun eine Demo in der Altstadt geplant, die für einen zentralen Standort werben will. Die Israelitische Kultusgemeinde Baden-Baden hat sich davon laut dem verlinkten Presseartikel allerdings distanziert.

    Die weitere Entwicklung wird sicherlich spannend werden. Fotos der aktuellen Synagoge, einem hübschen historisches Bauwerk in der Werderstraße hinter dem Kurhaus, und des unbebauten historischen Standorts werde ich in den kommenden Tagen einstellen.

    „Sollt ich einmal fallen nieder, so erbauet mich doch wieder!“ (Inschrift am Schwarzhäupterhaus in Riga)

    Nach Baden-Baden habe ich ohnedies immer eine Art Sehnsucht.
    Johannes Brahms (1833-1897)

  • Sehr gut die Rekoforderung!
    Offenbar schlägt mein Lobbyismus im liberalen Umfeld allmählich an :D Wobei das auch aus anderer Ecke kommen mag, ich hab aber Verbindungen nach Baden-Baden und könnte dem Nachdruck verleihen.

    Das war ja ein wundervoller Bau. Wie steht denn die Gemeinde selbst dazu? Kann sie sich eine Rekonstruktion überhaupt vorstellen?

  • Eine Rekoforderung hatte es vor der oben erwähnten Erklärung meines Wissens nicht gegeben, denn der historische Synagogenbau hat in den bisherigen Diskussionen (fast) keine Rolle gespielt. Die Hoffnungen wurden gerade nicht zuletzt durch die deutliche Abfuhr der jetzigen Eigentümer des alten Grundstücks vorerst zerschlagen.

    Allerdings: In der Gemeinde selbst herrscht ein interner Streit, da die Abstimmung zum Kauf des Grundstücks für den Neubau an der Fürstenbergallee im letzten Herbst angeblich nicht rechtmäßig gewesen sei. Der Fall liegt inzwischen sogar beim Zentralrat der Juden in Deutschland. Dieser Artikel erklärt in Kürze die Grundzüge des aktuellen Dilemmas.

    Die Situation ist deshalb leider mehr als vertrackt und Eile wäre ohnehin geboten ...

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    Johannes Brahms (1833-1897)

  • Eine interessante Neuigkeit im Streit um den künftigen Standort der Synagoge: Beim Kauf des Grundstücks, auf dem das 1938 zerstörte Gotteshaus stand, hatten sich die heutigen Eigentümer (Gesellschafter der Lokalzeitung "Badisches Tagblatt") gegenüber der Israelitiscen Kultusgemeinde vertraglich verpflichtet, eine "profane Nutzung" auszuschließen. Das ist durch den derzeitigen Parkplatz aber nicht gegeben. Dieser "bisher unentdeckte Paragraf" aus dem 1955 unterzeichneten Kaufvertrag wurde jüngst von einem lokalen Nachrichtenportal veröffentlicht.

    Der FDP-Kreisvorsitzende René Lohs kritisierte daraufhin erneut Stadt und Eigentümer für ihre strikte Weigerung, das zentral in der Altstadt gelegene Grundstück der jüdischen Gemeinde zum Kauf anzubieten: "Die Tatsache, dass sich die Eigentümer des ehemaligen Synagogen-Grundstücks mit Unterstützung der Oberbürgermeisterin gegen eine Rückgabe des Grundstückes an die jüdische Gemeinde wehrten, hatte nur einen Grund: Man will das gesamte Areal inklusive des jetzigen Standorts der Zeitung verscherbeln und die Stadt − in Anlehnung an das nahe gelegene Vincenti-Areal – mit weiterem überteuerten Wohnraum − wahrscheinlich in Flachbauweise − beglücken." (Zitat aus diesem Artikel). Erstaunliche Worte aus dem Munde eines FDP-Politikers, der kurz zuvor schon eine Reko der historischen Synagoge gefordert hatte.

    Weitere Reaktionen kamen u.a. vom bekannten deutsch-französischen Publizist Alfred Grosser, der sich im Interview ebenfalls für einen Standort in der Altstadt ausspricht. Auch aus Israel kamen inzwischen kritische Töne zur Haltung des Rathauses. Das für die öffentliche Diskussion in der Stadt sicherlich wichtigste Medium, das "Badische Tagblatt" (deren Gesellschafter wie erwähnt die Eigentümer des Grundstücks der hist. Synagoge sind), hat bislang nicht über die Diskussion berichtet. Der Grund dafür dürfe nahe liegen.

    Man darf gespannt sein, ob der Druck auf Rathaus und Eigentümer nun weiter steigt ...

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    Einmal editiert, zuletzt von Badner (13. März 2018 um 22:36)

  • Zur besseren Einordnung nun noch die drei Örtlichkeiten im Vergleich.

    Zunächst die aktuelle Synagoge in der Werderstraße, direkt hinter dem Kurhaus mit seinem berühmten Casino gelegen. Die Kultusgemeinde bezog das einstöckige Gebäude (im Bild links) mit offener Vorhalle im Jahr 1956. Es war 1876 von Großherzog Friedrich I. als Atelierhaus für den Bildhauer Joseph von Kopf erbaut worden, wodurch sich auch die großen Fenster an der Ostseite erklären. Sicherlich heutzutage eine der wenigen Synagogen in Deutschland in einem historischen Gebäude.

    Synagoge Baden-Baden
    Synagoge Baden-Baden von Osten
    Anstelle der 1938 zerstörten Synagoge in der Stephanienstraße, zentral in der Altstadt, befindet sich heute der oben oben erwähnte Parkplatz der Regionalzeitung "Badisches Tagblatt".

    Grundstück ehem. Synagoge Baden-Baden
    Die Baulücke am Ende der Stephanienstraße ist mehr als offensichtlich. Oberhalb des grünen Hauses ist ein Teil vom Park des Neuen Schlosses zu sehen. In den Hängen darüber thront die Burg Hohenbaden, die dem Land Baden vor über 900 Jahren seinen Namen gab.

    Stephanienstraße Baden-Baden
    Was für eine fantastische Sichtachse durch eine Reko wieder hergestellt würde, verdeutlicht diese Fotomontage (bitte entschuldigt die simple Aufmachung, die der Eile geschuldet war):

    Fotomontage hist. Synagoge Baden-Baden
    (Bild der hist. Synagoge aus Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 / Montage von mir).

    Ein Foto des von der Israelitischen Kultusgemeinde bereits erworbenen Grundstücks an der Fürstenbergallee, parallel zum Autobahnzubringer B500 gelegen, ist in diesem Artikel zu sehen.

    Fotos im Artikel von mir.

    „Sollt ich einmal fallen nieder, so erbauet mich doch wieder!“ (Inschrift am Schwarzhäupterhaus in Riga)

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