Potsdam - Neubauquartier III am Alten Markt

  • So unterschiedlich sind eben die Geschmäcker. Ich finde das einfach nur kitschig und an Baumarkt-Deko erinnernd. Besonders das Monstrum auf dem Dach (Damen mit Sonnenschirm?) finde ich scheußlich.

  • das Blechkunstwerk möge ein Herbststurm entsorgen

    Wenn man das ausgerüstete Gebäude nun so sieht, finde ich mit Ausnahme des Koffers diese Installation überhaupt nicht negativ. Eigentlich eher sogar wichtig auf dem Weg in Richtung wieder mehr Kunst am Bau zu haben, die sich an guten Rezepten aus der Vergangenheit orientiert. Hier hat man mal eine nicht absurd abstrahierte Darstellung, versucht nicht sich über die sonstige Gestaltung zu drängen oder gar diese zu konterkarieren, sondern zusammenzuwirken.
    Mir ist natürlich auch klar, dass das Ergebnis hier leider (noch) kein Produkt ist einer neuen Haltung, sondern Ergebnis der spezifischen Vorgaben in Potsdam und dieser spezifischen Situation (mit entsprechendem historischen Vorbild), aber erfolgreiche Ansätze können gerne übernommen werden und weiter entwickelt werden.

  • Aber hier hat der Künstler sich wirklich viele Gedanken gemacht und ein Werk von eigenem Wert geschaffen. Das Scherenschnittartige an den Darstellungen macht es in meinen Augen eher interessant, und das Material passt auch.

    Vielleicht hätte ich noch ein Bild von Süden einstellen sollen - wenn man vor dem Stadtschloß steht schaut man ja seitlich auf das Haus. Da siht man, dass das flache Stahlblech das völlig falsche Material ist, da es über null Plastizität verfügt.

    Über den Inhalt der Installation kann man sicher sagen, Herr v. Waldow habe sich "viele Gedanken gemacht". Das ist aber meiner Ansicht - im Gegensatz zu Snork - nach kein Wert an sich, wir sind ja nicht in der Schule. Man muss sich den Text einmal antun:

    "Ursprünglich befand sich auf der Dachkante eine Allegorie der Abundantia (Überfluss) aus Sandstein, die ihr Füllhorn über der Stadt Potsdam ausschüttet. Links neben ihr eine Figur, die verzweifelt auf umgebende Ruinen hinweist, in einer Hand ein Tuch, mit dem sie sich die Tränen trocknet. Diese Gruppe bezog sich auf einen verheerenden Stadtbrand 1795 – das Haus selbst wurde kurz danach errichtet. Mit ihren Gaben tröstet Abundantia die Weinende, die sich deshalb auf eine rosige Zukunft freuen darf. Über dem Eingang weiter unten zeigte eine Relief dazu passend Putten, die einen Brand löschen.

    Wir verstehen Überfluss heute nicht mehr als abstrakte Gottesgabe. Überfluss auf der einen Seite bedeutet Mangel auf der anderen. Er ist Ausdruck eines Ungleichgewichts. Tauscht man die historischen Figuren gegeneinander aus, dann sitzt Abundantia links und schüttet ihr Füllhorn aus, während rechts, von ihr abgewandt, die weinende Figur leer ausgeht und ungetröstet einer ungewissen Zukunft entgegen sieht.

    Meine Grundidee war darum, die Position der beiden Figuren umzukehren. Mein Projekt zeigt also, was passiert, wenn eine zeitgenössische Abuntantia alle ihre Waren verschwendet, ohne sich um die Verteilung zu kümmern, während in dem Fries über der Tür bereits ein Feuer ausbricht.

    In meinem Entwurf für den Fries verwende ich ein erhaltenes Relieffragment des ursprüngluchen Hauses. Es sitzt an seiner "historischen" Stelle, ist allerdings bereits dabei herabzustürzen und so ein neues Unglück auszulösen. Hinter ihm schlagen bereits Flammen hervor. Die Figuren links davon sind mit sich selbst beschäftigt. Sie bemerken weder das Feuer noch den herabstürzenden Stein. Der Mann im rechten Bildteil, versucht mit einem kahlen Baum das Feuer auszuschlagen, möglicherweise aber auch zu befeuern, begleitet von einem "Medienvertreter". Währenddessen stielt sich rechts eine alte Frau aus dem Bild, in der Hand einen Koffer mit Zeichen abgelaufener Zeit.

    Wolf von Waldow, 2018

    Man merkt, dass Herr v. Waldow sich zwar Gedanken macht, aber schon im ersten Satz seiner Interpretion falsch liegt: von "abstrakter Gottesgabe" zeugt die Abundantia gar nicht, sondern als Personifikation für Reichtum - das war in den letzten 2000 Jahren immer etwas Erstrebenswertes und ist es noch heute in den meisten Ländern der Erde.

    Dass Überfluss zwangsweise einen Mangel an anderer Stelle bedeutet und ein Zeichen für Ungleichheit ist, halte ich dür sozialkritisches Dahingeplatter auf dem Niveau eines PW-Grundkurses einer Provinzgesamtschule. Die These, dass sich eine "zeitgenössiche Abundatia" "um die "Verteilung ihrer Waren" zu kümmern habe, sind sozialistische Versatzstücke aber kein ernsthafter Gedanke.

    Ich wette eine Flaschen guten Champagners, das kein Mensch zur Interpretation dieses Blechkitsches fähig sein wird. Allein schon dadurch ist das Kunstwerk gescheitert. Die Wertung des vom Bauherrn, der Wohnungsbaugenossenschaft "Karl Marx" eingesetzten Preisgerichtes halte ich deshalb auch für abseitig: "Wunderbar! Das ist es, was unsere Stadt Potsdam braucht. Eine gelungene Übersetzung der ursprünglichen Figurengruppe in eine zeitgemäße Silhouette. Die Verwandlung des Füllhorns und des Tränentuchs in das Bild der ungleichen, globalen Verteilung ist eine nicht zu übertreffende bildliche Metapher."

    Zu der ganzen Sache passt, dass ins Erdgeschoß das "Autonome Frauenzentrum" einziehen wird, finanziert von der Stadt Potsdam und als "Kulturnnutzung" ausgegeben.

  • Ich wette eine Flaschen guten Champagners, das kein Mensch zur Interpretation dieses Blechkitsches fähig sein wird. Allein schon dadurch ist das Kunstwerk gescheitert.

    Man kann das Kunstwerk gut oder schlecht finden, aber ich denke nicht, dass es ein Problem sein wird, interpretative Ansätze zu finden. Sie mögen vielleicht nicht alle Askpekte der eigentlichen Intention des Künstlers abdecken, aber zumindest eine Grundidee drängt sich eigentlich auf. Daher würde ich es zumindest unter diesem Aspekt nicht als gescheitert bezeichnen.

  • Das Kunstwerk passt in meinen Augen ästhetisch nicht zur Fassade. Es ist aber auch kein Weltuntergang, ich kann damit leben. Nur dem Satz "Überfluss auf der einen Seite bedeutet Mangel auf der anderen" kann ich mich in der simplen Kausalitätsbehauptung nicht anschließen. Stabile Demokratie und Menschenrechte ziehen stabile Wirtschaft nach sich und somit allgemeinen Wohlstand oder zumindest auskömmliches Leben durch einen finanzierbaren Sozialstaat. Diktatur, Terrorherrschaft, Korruption und Misswirtschaft bedeutet Armut für fast alle.

  • Aber warum bei historisierende Neubauten immer wieder eine suboptimale Lösung wählen?

    Jeder mensch möchte etwas Eigenes schaffen, verstehe ich.

    Meine Hoffnung ist, das die "Fehler" oder vertane Chancen auf einen Tag beiseitigt werden.

  • Gestern vor dem Einschlafen, sah ich mir nur die Scherenschnitte an. (Hatte keine Lust die Texte zu lesen). Mir gefielen sie. Die Frau, die aktiv irgendetwas ausschüttet und ein Mann, der untätig herumsitzt. Message: Die tätige Mensch hat Spaß!

    Das Fries konnte ich nicht interpretieren, Lebendiges am Bau finde ich grundsätzlich schön.

    Bis ich jetzt den Text las! Das erinnert mich an die Brot-für-die-Welt-Kampagne „Hunger durch Überfluss“ aus den Achtzigern.

    Diese Annahme ist doch längst von moderner Entwicklungshilfe wiederlegt!

    Egal. Nur die wenigstens werden das Nachlesen (ich hätte das auch nicht freiwillig getan).

    Beauty matters!

  • Wir verstehen Überfluss heute nicht mehr als abstrakte Gottesgabe. Überfluss auf der einen Seite bedeutet Mangel auf der anderen. Er ist Ausdruck eines Ungleichgewichts.

    Wenn ich so einen Blödsinn schon lese. Offensichtlich hat sich WvW noch nie mit Volkswirtschaftslehre befasst. Und wenn doch, dann nichts verstanden.

  • Gesamteindruck

    Diese schräge Art, wie das erhaltene Teil installiert wurde, steht dem modernen Künstler nicht zu.

    Das originale, klassizistische Haus war ja bereits ziemlich zurückhaltend gestaltet, so dass eine beinahe-Leitfassade relativ einfach zu bauen war. Gestrichen wurden die Festons unter den drei Fenstergiebeln, die Stuckelemente über den Fenstern im Mittelrisalit und die Stuckelemente unter den Lünetten im Erdgeschoss (waren nur im linken Haus noch erhalten). Dafür ist die Regenrinne heute besser integriert.

    Potsdam Museum - Forum für Kunst und Geschichte. "FS 892: Potsdam, Am Alten Markt 13/14" last modified 2023-10-05. https://brandenburg.museum-digital.de/object/2627

    Der Entwurf von van geisten.marfels architekten hatte eigentlich mehr Details, etwa angedeutete Festons unter den Dreiecksgiebeln und horizontale Fenstergiebel unter den Lünetten im Erdgeschoss.

    Quelle: Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses Alter Markt 6 (Am Alten Markt 13-14) in Potsdam
    Visualisierung: PONIE Images GbR, Aachen (i. A. der Wohnungsgenossenschaft 'Karl Marx' Potsdam eG)
    WB Kunst am Bau 'Fassadenschmuck': Wolf von Waldow, Berlin (1.Preis), https://vangeistenmarfels.de/alter-markt-13-14-potsdam.html


    Die neue Sichtachse zur Garnisonkirche wird dennoch wahrscheinlich hervorragend mit den zwei benachbarten Leitbauten im Quartier IV und V.

  • Um die Ecke gibt es dann den langen Neubau... leider sieht er aus der Distanz grau-grau eintönig aus.

    In der Fußgängerperspektive gibt es dann ein paar Details zu beobachten.

    Gezahntes Gesims und grüne Fenster, irgendwie postmodern

    ... und die vertikal profilierten Flächen neben dem Eingängen. Leider sind solche Details nicht aus der Distanz wahrnehmbar.

    Zum erfrischen der Augen

    Meines Erachtens war es ein Fehler für die nicht-Rekos einen weiß-grauen Farbton vorzuschreiben, denn dieser erzeugt eine dröge, einförmige Atmosphäre. Zum Vergleich die ebenfalls einfachen Fassaden in Pisa, die aber durch Farbigkeit ein angenehmeres Innenstadtgefühl aufkommen lassen.

    Wenn nachts die Farbheinzelmännchen kommen.

  • Also ich sage es mal so. Das Haus hat viele verschiedene Wirkweisen. In der frontalen Draufsicht wirkt es fürchterlich.

    Die Details an Gesimsen, Attika und Sockel sind eigentlich sehr positiv.

    1. Und 2. OG sehr langweilig

    In der Straßenflucht (besonders vom Alten Markt) fällt es nicht weiter auf. Kein Blickfang aber auch kein Fremdkörper.

    Hauptproblem ist tatsächlich die Farbgebung.

    Auch wenn man im Detail an einigen "Füllbauten" Kritik üben kann, so würden sie durch ein polychromes kräftiges Farbkonzept ganz anders wirken.

    Wenn es jemand kann, dann ist es keine Kunst. Und wenn es jemand nicht kann, dann ist es erst recht keine Kunst!

  • Wenn nachts die Farbheinzelmännchen kommen.


    Diese Farbe sähe in der Tat deutlich angenehmer aus. Insgesamt fehlt dem Haus bei der Breite die Unterteilung / Strukturierung. Zudem wirkt die Fassade zu glatt. Aber gut, immer noch besser als der wirklich grässliche Bau Erika-Wolf-Str. 3.

    Bei den Füllbauten sieht man leider wieder einmal, dass die Architekten von heute es zumeist nicht können oder nicht wollen.

  • An sich sind diese Bauten nicht schlecht proportioniert, was sie von der 60/70er Wiederaufbauarchitektur wohltuend unterscheidet. Damals ist wirklich so gut wie alles, was nicht rekonstruktiv war, schiefgegangen. In der Glätte und im Verzicht auf alles Lebendige scheint immerhin ein gewisses Stilmittel zu liegen, das sogar irgendwie zu Potsdam passt, aber das man natürlich keineswegs schätzen muss. Immerhin hat das, was hier entsteht, ein gewisses Gesicht und füllt den Raum zwischen den Reko-Glanzlichtern letztlich befriedigend aus.

    Wenn man sich ansieht, wie etwas das da:

    16-hauptmarkt.jpg (2048×1536) (astronomieweg-nuernberg.de)

    daneben gegangen ist, muss man über dieses geradezu stilvolle und -sichere Potsdamer Ergebnis überglücklich sein.

    Die Farbaktion der Heinzelmännchen stellt insofern eine wirkliche Verbesserung dar, als das Haus nur sehr gut mit der dahinterliegenden Kuppel zusammenspielt und sich vom Klingnerschen Haus abhebt.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Es handelt sich um eine weitere Großfassade nach Andreas Palladio: und zwar in den "Vier Büchern über Architektur" abgebildete Fassade des Konventes "Santa Maria della Carita" in der Sestiere Dorsoduro (Venedig).

    Leider ist ist der Bereich nach dem Brand der Kirche 1795 anders bzw. aufgestockt wiederaufbaut worden, auch weil die Häuser hinter der von Friedrich II. vorgeblendeten Fassade unterschiedlichen Eigentümern gehörten und diese sich nicht einigen konnten. Friedrich Wilhelm II. hatte an der Architektektur des Alten Marktes wenig Interesse, weshalb der Neubau der Kirche bis zu seinem Tod nicht verfolgt wurde.

  • Die Fassade sah aus eine Kombination aus zwei Palladio Entwürfen mit diversen Anpassungen für den Ort.

    1. Palladios Entwurf für Palazzo Thiene Hoffassade mit einem rustifizierten Erdgeschoss und zurückversetzen Fenstern, so wie es laut Gemälde auch in Potsdam realisiert wurde.

    Quelle Abbildung X: https://archive.org/details/gri_33…e/n135/mode/2up

    Palazzo Thiene Hoffassade realisiert in Vicenza. Die etwas schmaleren und höheren Fenster im zweiten Geschoss entsprechen vielleicht eher der Potsdamer Version, wobei es hier auch eine starke Ähnlichkeit zur Santa Maria della Caritá in Venedig gibt.

    1024px-Palazzo_Thiene_%28Vicenza%29_-_courtyard.jpg

    2. Palladios Entwurf für Santa Maria della Caritá. Das dritte Geschoss mit den aufrechten Fenstern und der Abwesenheit von Statuen entspricht eher der Potsdamer Version. Es sieht auf dem Potsdamer Gemälde/Stich auch so aus, als wären keine Säulen oder Pilaster realisiert worden, wahrscheinlich da neben der Kirche diese als zu imposant (oder teuer?) gesehen wurde.

    Quelle Abbildung XXII: https://archive.org/details/gri_33…e/n161/mode/2up

  • Pilaster sind ja schon angedetet in der Potsdamer Fassung - aber diese "Architekturkopien" waren ja nie Kopien, sondern Adaptionen - beispielhaft ist das Barberini zu sehen.