Kaliningrad - Königsberg

  • Valjean

    Vielen Dank für diesen Aspekt, den ich bisher noch nicht kannte und jedenfalls interessant erachte, da ich die DDR-Protagonisten bis dato stets als Marionetten ohne sichtbare Fäden Moskaus hielt. Vielleicht war der ursprüngliche Gedanke damals tatsächlich gewesen, dass die "unter polnischer Verwaltung" stehenden deutschen Gebiete dereinst wieder an Deutschland hätten zurückgehen sollen? Dieser Stalin war sicherlich das vermutlich größte Schwein (sorry, wollte die animalische Gattung selbigen Namens nicht beleidigen), das jemals auf dieser Erde lebte. Selbst nach diesem schrecklichsten aller Kriege, wäre ohne diesem verdorbenen Charakter, Millionen Deutschen und Polen unendlich viel Leid erspart geblieben!

  • Eine solch echte "Rückgewinnung" [sic!] etwa wie Danzig oder Breslau?

    Ich meine damit nur, dass Ostpreußen jahrhundertelang ein Herzogtum des polnischen Königs war und dann die Hohenzollern im 17. Jahrhundert dieses Gebiet erwarben. Schlesien und Pommern dagegen waren schon seit dem 13-14. Jahrhundert Teil des Heiligen Römischen Reiches und höchstens im frühen Mittelalter mal polnisch gewesen, zu einer Zeit, als ein polnischer Staat im heutigen Sinne noch gar nicht existierte, da die moderne Staatlichkeit sich erst in früher Neuzeit so richtig etablierte und man vorher nur von einem "Personenverbandsstaat" sprechen konnte. Propagandistisch hätte man also eine Eingliederung des Königsberger Gebietes, dessen Zugehörigkeit zu Polen bis in die Neuzeit nachweisbar ist, viel eher von polnischer Seite nach 1945 als "Rückgewinnung" euphemisieren können als bei Breslau oder Stettin. Jedoch wäre diese Euphemisierung nur dann gültig gewesen, wenn man auf die unmenschliche Vertreibung verzichtet hätte. Denn auch als Ostpreußen vor dem 17. Jahrhundert polnisches Lehen war, lebten dort ja sehr viele deutschsprachige Menschen. Niemanden störte es, welche Sprache die Untertanen sprachen, solange sie brav ihre Abgaben leisteten. Erst der moderne Nationalismus hat dieses Zusammenleben mehrerer Sprachen nebeneinander zu einem Problem hochstilisiert, wie wir alle wissen. Daher ist der Abbau des Nationalismus nach wie vor vorrangiges Ziel, weil er stets der Völkerverständigung wie auch konkreten Projekten wie dem Wiederaufbau des Königsberger Schlosses immer nur im Wege stehen wird.

  • Das Gebiet gehörte nicht zu Polen, sondern war ein Lehen der polnischen Krone, zur Zeit der Personalunion Polen-Litauen in Form der Jagiellonen, also der litauischen Großfürsten, die zugleich polnische Könige waren. Das ist ein entscheidender Unterschied, schließlich gehören die Kanalinseln oder die Isle of Man auch nicht zu England oder Großbritannien.

    Easy does it.

  • Der Artikel steht hinter einer Firewall, daher kann ich nicht prüfen, was darin steht. Meinst du die Information, dass Becher sich weigerte, ins polnisch besetzte Breslau zu fahren? Das glaube ich ohne weiteres. Aber steht dort auch etwas von Ulbrichts Plänen, Pommern und Schlesien für die DDR zurückgewinnen? Und von Stalins Machtwort?

  • Schlesien und Pommern dagegen waren schon seit dem 13-14. Jahrhundert Teil des Heiligen Römischen Reiches und höchstens im frühen Mittelalter mal polnisch gewesen, zu einer Zeit, als ein polnischer Staat im heutigen Sinne noch gar nicht existierte, da die moderne Staatlichkeit sich erst in früher Neuzeit so richtig etablierte und man vorher nur von einem "Personenverbandsstaat" sprechen konnte.

    Ich will das mal etwas präzisieren. Ein Königreich Polen existierte bereits seit dem frühen 11. Jahrhundert bis ins späte 18. Jahrhundert. Die Herrschaft über Schlesien wechselte das gesamte Mittelalter über zwischen Polen und Böhmen. Etwas komplizierter waren die Verhältnisse in Pommern, da das Herzogtum Pommern seine Eigenständig im Hochmittelalter zu behaupten versuchte. Die ersten Herzöge Pommern aus dem slawischen Geschlecht der Greifen sind im 12. Jahrhundert greifbar und zwar unter polnischer Herrschaft. Auch die Christianisierung Pommerns wurde zu dieser Zeit unter polnischen Herrschaft angestoßen. Die Greifen regierten in Pommern bis ins 17. Jahrhundert. Dass Pommern sich bereits im späten 12. Jahrhundert dem Heiligen Römische Reich anschloss, ist nicht gleichbedeutend mit einer Zugehörigkeit zu Deutschland. Das Reich war ein Staatenverbund, dem ebenso slawische Herrschaften wie eben Pommern, Schlesien oder Böhmen angehörten.

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    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Der Artikel steht hinter einer Firewall, daher kann ich nicht prüfen, was darin steht. Meinst du die Information, dass Becher sich weigerte, ins polnisch besetzte Breslau zu fahren? Das glaube ich ohne weiteres. Aber steht dort auch etwas von Ulbrichts Plänen, Pommern und Schlesien für die DDR zurückgewinnen? Und von Stalins Machtwort?

    Nur ersteres. Ich dachte, dass es darum ging. Um Ulbrichts Plänen stand dort leider nichts.

    Hat die Schönheit eine Chance-Dieter Wieland

  • Was Christoph Hein über Ulbricht schreibt, ist Nonsens. Man sieht es schon an der Art der Darstellung und den simplen Faktenfehlern.

    Zitat von Christoph Hein

    Ulbricht wollte die verlorenen deutschen Gebiete zurückhaben. Er wollte Pommern und Schlesien, denn dann wären vermutlich Millionen Pommern und Schlesier in ihre Heimat zurückgekehrt, die DDR wäre sehr viel größer geworden, ihr Territorium und ihre Einwohnerzahl wären denen der westlichen Bundesrepublik nahegekommen. Ulbricht weigerte sich, den Anweisungen Stalins bezüglich der deutschen Ostgebiete nachzukommen, und beharrte fünf Jahre lang auf der Rückgabe dieser deutschen Länder.
    1951 war Stalin dieses Widerstands überdrüssig, zumal er den östlichen Teil Polens der Sowjetunion einverleibt hatte und keineswegs den aus Ostpolen in die ostdeutschen Provinzen vertriebenen Polen ihr früheres Land zurückgeben wollte. Er schlug auf den Tisch und stellte Ulbricht ein Ultimatum, das dieser nicht zurückweisen konnte.

    Natürlich hätten die deutschen Kommunisten gern einen größeren Teil Deutschlands regiert. Eine DDR mit den Ostgebieten ohne Ostpreußen und Danzig wäre aber der Fläche nach immer noch deutlich kleiner als Westdeutschland gewesen. Die Bevölkerungszahl hätte nicht mal die Hälfte jener Westdeutschlands erreicht. Doch mit dem Potsdamer Abkommen waren die Würfel gefallen.

    Die Grenzen der Besatzungszonen waren von den Besatzungsmächten festgelegt worden. Vor Gründung der DDR hatte Ulbricht somit keine Befugnisse irgendeine Staatsgrenze anzuerkennen. Die DDR wurde am 7. Oktober 1949 gegründet. Aufnahme diplomatischer Beziehungen erfolgte am 15. Oktober mit der UdSSR, am 17. Oktober mit Bulgarien und am 18. Oktober mit Polen und der Tschechoslowakei. Wäre die Oder-Neiße-Grenze seitens der SED in Zweifel gezogen worden, dann hätte Polen die Anerkennung des neuen Staates sicherlich hinausgezögert. Die formelle Anerkennung der Oder-Neiße-Linie durch die DDR erfolgte im Vertrag von Zgorzelec am 6. Juli 1950. Dies war der erste internationale Vertrag der DDR.

    In Anbetracht der Zwangsumsiedlungen und der Machtverhältnisse in Europa war es von Anfang an, also seit dem Potsdamer Abkommen, klar, dass die von den Siegermächten festgelegte deutsch-polnische Grenze dauerhaften Bestand haben würde.

    Stalin war nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 von seinem antipolnischen Kurs abgerückt. Er hatte die politischen Verhältnisse im befreiten Polen unter Kontrolle und keine Veranlassung, Polen wieder zugunsten Deutschlands zu verkleinern. Ulbricht wusste natürlich, was Sache war und wer der Boss war. Die SED hatte nur die Wahl, die "Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges" (so eine gängige Formel) mitzutragen. Die radikalen Maßnahmen der Siegermächte gegen die Deutschen hatten zum Ziel, eine stabile Nachkriegsordnung zu schaffen.

  • Ich meine damit nur, dass Ostpreußen jahrhundertelang ein Herzogtum des polnischen Königs war und dann die Hohenzollern im 17. Jahrhundert dieses Gebiet erwarben.

    Das stimmt so nicht. Der Staat des Deutschen Ordens wurde im Zweiten Thorner Frieden 1466 geteilt. Der Westen mit dem Bistum Ermland und dem Kulmerland fiel an die Polnische Krone. Im Osten blieb die Herrschaft des Deutschen Ordens bestehen, allerdings unter polnischer Lehnshoheit. 1525 wurde der Ordensstaat, der ja eine geistliche Herrschaft war, säkularisiert. Dieses Herzogtum Preußen wurde 1525-1618 von einer Nebenlinie der Hohenzollern regiert. Nach deren Erlöschen fiel es an die Kurfürsten von Brandenburg. Im Frieden von Oliva 1660 konnte Kurfürst Friedrich Wilhelm die polnische Lehnshoheit über das Herzogtum Preußen abschütteln. Dies war Voraussetzung für die spätere Erhebung Preußens zum Königreich (1701).

    Das Herzogtum Preußen hatte in der Zeit der polnischen Lehnshoheit weitgehende Autonomie. Das Königliche Preußen wurde hingegen vom König von Polen regiert. Seine offizielle Residenz dort war die Marienburg. Dieser Umstand wird von polnischer Seite gern betont. Das Schloss der Herzöge von Pommern in Stettin war die Residenz des slawischen Geschlechts der Greifen (erloschen 1637). Dies dient für Polen heute als Anknüpfungspunkt. Beim Königsberger Schloss fehlt ein solcher Anknüpfungspunkt. Es war Sitz des Hochmeisters des Deutschen Ordens (1457-1525) und danach eine Residenz der Hohenzollern. Ich halte es daher für möglich, dass es im Falle einer polnischen Herrschaft über Königsberg nach 1945 nicht wiederaufgebaut worden wäre.

    Polen war 1945 bereit, Königsberg und Umgebung zu übernehmen. Aber historisch gut begründen ließ sich das nicht. Letztlich war die Formel von den "wiedergewonnenen Gebieten" (ziemie odzyskane) ein Versuch, einen Bezug zu den neuen polnischen Territorien aufzubauen. Die Formulierung "wiedergewonnene Gebiete" ist in Polen aber schon lange außer Gebrauch gekommen.

    Um nun wieder auf Königsberg zurückzukommen: Am besten wäre es natürlich für die Stadt gewesen, wenn sie deutsch geblieben wäre. Hier ging 1944/45 eine bis ins 13. Jahrhundert zurückreichende deutsche Kultur unter. Die zweitbeste Lösung wäre eine Integration in den polnischen Staat gewesen. Kaliningrad ist aber nunmal eine russische Stadt, ob uns das nun gefällt oder nicht. An eine Rekonstruktion des Königsberger Schlosses oder weiterer Teile der Altstadt glaube ich nicht.

  • Stalin war nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 von seinem antipolnischen Kurs abgerückt. Er hatte die politischen Verhältnisse im befreiten Polen unter Kontrolle und keine Veranlassung, Polen wieder zugunsten Deutschlands zu verkleinern.

    Real wurde das Staatsgebiet Polens aber gegenüber dem Vorkriegszustand verkleinert. Die Aussage stimmt nur in Bezug auf "zugunsten Deutschlands", wie Du auch schreibst. Große Gebiete im Osten blieben allerdings bei der Sowjetunion (heute Weißrußland, Ukraine, Litauen). (siehe hier) Indes waren diese Gebiete auch mehrheitlich von Nicht-Polen besiedelt. Das war allerdings in Ostpreußen, Schlesien und Pommern bis 1945 auch der Fall. Polen konnte also ein deutlich über das Kongress-Polen des 19. Jahrhunderts hinausgehendes Territorium eigentlich nur durch Vertreibungen oder Unterdrückung großer ansässiger Bevölkerungsgruppen sichern.

    Daher ist der Abbau des Nationalismus nach wie vor vorrangiges Ziel, weil er stets der Völkerverständigung wie auch konkreten Projekten wie dem Wiederaufbau des Königsberger Schlosses immer nur im Wege stehen wird.

    Dabei sind wir ja gerade. Die große Richtung der westlichen Politik geht in One World, globale Vernetzung, Bezugsgröße "Mensch", Abbau nationalstaatlicher Strukturen, Weltstaat. Schauen wir mal, wie das Projekte zum Wiederaufbau von einstigen Kulturgütern der alten, sich langsam auflösenden Völker dienlich ist. Bzw. wen das von der neu entstehenden Bevölkerung überhaupt noch interessiert.

  • Das stimmt so nicht. Der Staat des Deutschen Ordens wurde im Zweiten Thorner Frieden 1466 geteilt. Der Westen mit dem Bistum Ermland und dem Kulmerland fiel an die Polnische Krone. Im Osten blieb die Herrschaft des Deutschen Ordens bestehen, allerdings unter polnischer Lehnshoheit. 1525 wurde der Ordensstaat, der ja eine geistliche Herrschaft war, säkularisiert. Dieses Herzogtum Preußen wurde 1525-1618 von einer Nebenlinie der Hohenzollern regiert. Nach deren Erlöschen fiel es an die Kurfürsten von Brandenburg. Im Frieden von Oliva 1660 konnte Kurfürst Friedrich Wilhelm die polnische Lehnshoheit über das Herzogtum Preußen abschütteln. Dies war Voraussetzung für die spätere Erhebung Preußens zum Königreich (1701).

    Das Herzogtum Preußen hatte in der Zeit der polnischen Lehnshoheit weitgehende Autonomie. Das Königliche Preußen wurde hingegen vom König von Polen regiert. Seine offizielle Residenz dort war die Marienburg. Dieser Umstand wird von polnischer Seite gern betont. Das Schloss der Herzöge von Pommern in Stettin war die Residenz des slawischen Geschlechts der Greifen (erloschen 1637). Dies dient für Polen heute als Anknüpfungspunkt. Beim Königsberger Schloss fehlt ein solcher Anknüpfungspunkt. Es war Sitz des Hochmeisters des Deutschen Ordens (1457-1525) und danach eine Residenz der Hohenzollern. Ich halte es daher für möglich, dass es im Falle einer polnischen Herrschaft über Königsberg nach 1945 nicht wiederaufgebaut worden wäre.

    Meine Großeltern Mütterlicherseits waren aus dem Ermland , das Ermland war das Eichsfeld Ostpreußens.

  • Schauen wir mal, wie das Projekte zum Wiederaufbau von einstigen Kulturgütern der alten, sich langsam auflösenden Völker dienlich ist.

    In Berlin gab es seit dem Potsdamer Edikt eine gar nicht so kleine französische Gemeinde, die bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ihre französische Kultur und Sprache pflegte, inklusive Gottesdienst und Schulunterricht, und sich nicht nur sprachlich, sondern auch religiös von der Mehrheitsbevölkerung unterschied. Die unheilvollen Folgen der Duldung dieser Sondergemeinschaft für das sich auflösende preußische Staatsvolk sind ja allgemein bekannt...

  • offline gelesen.

    Ich finde, der (übrigens auch bei uns gerne vorgenommene) Vergleich der Zeit des Großen Kurfürsten mit der heutigen trifft es auf den Punkt. Schon in vorfriderizianischen wurden im fortschrittlich-preußischen Schulsystem vor allem Kinder mit solch altertümlich klingenden französischen Namen wie Avneet, Efthimia oder Wajeeha unterrichtet. Den UrBürgern tat dies überhaupt keinen Abbruch, war doch in den Schulklassen gewöhnlich stets ein Kleiner von ihnen ebenso vertreten. (Vgl. hier) Also, nur ewige Meckerer konnten damit unzufrieden sein oder eine Auflösung der UrBürger (denen ich mittlerweile kaum noch eine Träne nachweine) verbinden. Gut, Potsdam hinkte der Entwicklung stets um zwei Jahrzehnte hinterher, aber auch dessen rückständige besitzbürgerliche Bewohner wurden irgendwann zu der Erkenntnis gezwungen, dass solche Entwicklungen zu Toleranz und Miteinander stets zwangsläufig zu einem Mehr an Bewusstsein und Interesse zur Pflege historischer Bausubstanz geführt haben. Hauptsache, der Nationalismus, das größte Problem unserer Zeit, ist endlich überwunden, wie "Manuel Re" es richtig bemerkt hat.

  • Vielen Dank für das Verlinken des ZEIT-Artikels. Nachfolgend ein kurzer und interessanter Auszug daraus, der auch die besagte Anekdote bez. des Kongresses in Breslau thematisiert. Woher Raddatz sich heraus nimmt auch derart abfällig über Becher zu schreiben (kläglicher Charakter, feiger Verräter etc.) erschließt sich mir nicht ganz. Andererseits war wohl schon alleine Bechers Heimatliebe und Patriotismus für viele Linke zu viel des Guten.

    Er war ein bedeutender Dichter und ein kläglicher Charakter; er war ein mutiger Himmelsstürmer und ein feiger Verräter; er war ein Formensprenger und ein in öden Oden versandender Klassizist; er war ein Liebender, ein Mörder, ein bisexueller Morphinist, ein entlaufener Bürger und ein kommunistischer Minister, der sich als Präsident des "Kulturbunds" noch 1948 weigerte, die Leitung der deutschen Delegation bei einem in Breslau tagenden "Kongreß zur Verteidigung der Kultur" zu übernehmen, weil er kein "polnisches Schlesien" besuchen mochte. Denn Heimat war für ihn eine so kostbare Kategorie, daß sich Erika Mann noch in ihrem Nachruf verwunderte:

    "Becher war deutscher Patriot in einem Grade und Ausmaß, die auch nur von ferne zu begreifen mir schwerfiel. Mit großer Deutlichkeit erinnere ich mich eines einschlägigen Gespräches im Juli 1945. Noch die schmutzigste deutsche Pfütze, erklärte er damals, sei ihm kostbar, – ja, er liebe sie zärtlicher als den blausten See, falls dieser sich ‚draußen‘ befände und seine kleinen Wellen nichts zu erzählen wüßten von deutscher Art und Geschichte."

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Was Christoph Hein über Ulbricht schreibt, ist Nonsens. Man sieht es schon an der Art der Darstellung und den simplen Faktenfehlern.

    Rastrelli wie er leibt und lebt in seiner charmant-bescheidenen Art.

    Die radikalen Maßnahmen der Siegermächte gegen die Deutschen hatten zum Ziel, eine stabile Nachkriegsordnung zu schaffen.

    Stalin wollte den 1939 (!) annektierten Ostteil Polens nicht mehr hergeben und die Westalliierten akzeptierten das. Folglich beschlossen die Alliierten Polen mit Gebieten im Westen zu kompensieren. Diese Gebiete mussten allerdings Deutschland erst herausgerissen und die deutschen Menschen vertrieben werden. Dass dies mit einer Schwächung Deutschlands einherging, war gewiss ein gewünschter Nebeneffekt und dieser anti-deutsche Geist tritt auch in dem berühmt-berüchtigten Zitat Lord Ismays über den Zweck der NATO hervor:

    By the end of his tenure however, Ismay had become the biggest advocate of the organisation he had famously said earlier on in his political career, was created to “keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down.”

    Aber nein, die Alliierten verfolgten allesamt hehre, beinahe altruistische Ziele und wenn Millionen Deutsche aus ihrer angestammte Heimat gewaltsam vertrieben werden mussten(!), dann geschah dies einzig, weil sie das noble Ziel einer "stabilen Nachkriegsordnung" anstrebten.

    Das mag glauben wer will, ich tue das nicht. Habe die Ehre.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Ich meine damit nur, dass Ostpreußen jahrhundertelang ein Herzogtum des polnischen Königs war ...

    Vielen Dank für die Klarstellung, deren Argumentation und Kernaussage ich weitestgehend zustimmen kann. Allein die Passage am Ende, dass der Abbau des Nationalismus vorrangiges Ziel sei - (für wen eigentlich?) - kann ich nicht teilen. Und was soll an seine Stelle treten, noch mehr "Internationalismus"?

    Zumal schon der Begriff des Nationalismus im heutigen Gebrauch schwammig gehalten wird. Das Einstehen für die eigene Nation, Kultur, Sprache bedeutet mitnichten zwangsläufig ein Herabwürdigen anderer Nationen. Ich bin ein Patriot auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene und bin insofern auch ein Nationalist, in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes. Gleichwohl und vielleicht auch gerade deswegen kann ich die Beweggründe von Patrioten anderer Nationen nachvollziehen.

    Charles de Gaulle sprach 1960 von einem "Europa der Vaterländer" und diese Vaterländer waren gewachsene Nationalstaaten. Auch de Gaulle war ein Nationalist.

    Im Privaten komme ich - und das mag hier überraschen - mit vielen polnischen Patrioten in der Regel gut aus, natürlich nicht mit den Chauvinisten darunter. Die Polen werden ihren Patriotismus (der ja auch ein nationaler ist) nicht einfach ablegen und das ist auch gut und richtig so.

    Ohnehin wäre mE "Chauvinismus" die bessere Bezeichnung für übersteigerten und andere Nationen herabwürdigenden "Patriotismus".

    Aber das führt jetzt schon wieder zu weit off-topic.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Moderationshinweis: Absätze zu themenfremder Diskussion gelöscht.

    Zum Thema zurück: Bei der Diskussion über territoriale Gewinne Polens fehlt mir doch wie so oft der Kontext. Das klingt dann bei manchen hier fast so, als sei Polen richtig gut davongekommen im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei hat kein Land mehr Einwohner verloren durch den Krieg als Polen. 17% seiner Bewohner sind im zweiten Weltkrieg gestorben, bzw. ehrlicher: ermordet worden. Das ist relativ zur Einwohnerzahl fast doppelt so viel wie Deutschland. Kein anderes Land hatte mehr Opfer zu beklagen. Und anders als zumindest ein großer Teil Deutschlands konnte sich Polen zur "Belohnung" dann nach dem Krieg auch noch an 45 Jahren sowjetischer Herrschaft "erfreuen", während der Westteil Deutschlands in Freiheit rasch wieder das Wohlstandsniveau der Vorkriegszeit erreichen und überholen konnte.

    Auch das soll nur ein Anstoß sein, sich mal etwas in einen größeren Kontext zu wagen, statt immer und immer nur alles aus einer rein deutschen, zudem vorkriegsdeutschen Perspektive zu sehen. Natürlich schmerzt mich auch der Verlust des deutschen Ostens. Aber alles in allem ist Deutschland gemessen an seinen Taten sehr gut davongekommen, natürlich nicht aus Altruismus der Siegermächte, sondern als Nebeneffekt des Kalten Kriegs, aber trotzdem. Wie irgendjemand glauben kann, dass nach diesem von Deutschland begonnenen Krieg mit einer zweistelligen Millionenzahl an Opfern in Ostmitteleuropa einfach die Rückkehr zu den Verhältnissen von 1937 erfolgen hätte können, wird mir wirklich niemals in den Kopf gehen. Schwamm drüber, Jungs, war nicht so gemeint - und können wir Königsberg und Breslau wieder haben? Ehrlich?

  • Um nun wieder auf Königsberg zurückzukommen: Am besten wäre es natürlich für die Stadt gewesen, wenn sie deutsch geblieben wäre.

    Nein, Rastrelli, für Königsbergs Stadtbild wäre eine Zugehörigkeit zu Polen nach 1945 besser gewesen, weil die Polen es rekonstruiert hätten, Ulbricht dagegen ganz sicher nicht. Und nur ums Stadtbild geht es hier doch eigentlich, um mal wieder aufs Thema zurück zu kommen.

  • Das klingt dann bei manchen hier fast so, als sei Polen richtig gut davongekommen im und nach dem Zweiten Weltkrieg.

    Tatsächlich ist Polen als Staat mE richtig gut davongekommen. Nicht ohne Grund wird von den Polen selbst das heutige Polen in Polen A (Westteil) und Polen B (Ostteil) unterteilt. Woran das wohl liegen mag?

    Der Teil Polens, welcher der Sowjetunion einverleibt wurde, war weit weniger zivilisatorisch entwickelt als es die deutschen Ostgebiete waren. Als Beispiele hierfür zu nennen wären Anzahl der Städte und städtische Siedlungen, Eisenbahnverbindungen, Häfen etc.

    Wobei Polen seinerseits diese Gebiete erst von der jungen Sowjetunion eroberte und annektierte.

    dwo-ku-polen-1-wk-weltkrieg-sk-jpg-2.jpg


    Darüber hinaus stellten die Polen in diesem Ostteil lediglich eine große ethnische Minderheit dar, neben Weißrussen, Litauern, Ukrainern und Juden. Im Westteil des Polens der Zwischenkriegszeit lebten zudem noch viele Deutsche: im Raum Posen und in jenem Teil Westpreußens, der nach 1919 an Polen fiel.

    Ausschnitt aus „Verteilung der Sprachen in Mittel-, Ost- und Südeuropa um 1910“:


    putzger_s.99-ausschnitt2.jpg?w=937(Quelle: Putzger „Historischer Weltatlas“, Cornelsen 1990, S.99)

    putzger_s.99-3.jpg(Quelle: Putzger „Historischer Weltatlas“, Cornelsen 1990, S.99)


    Gegenüber diesen Minderheiten verfuhr der neue polnische Staat doch einigermaßen "unsensibel":

    "Das fremde Element wird sich umsehen müssen, ob es nicht anderswo besser aufgehoben ist."

    (Quelle: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, „Deutsche Minderheiten in der Zwischenkriegszeit“, 2009, S.10, PDF)

    So kam es zwar im Februar 1921 zu einer antideutschen Demonstration in Bromberg, in deren Folge deutsche Geschäfte und die Redaktionsräume der lokalen deutschen Zeitung angegriffen wurden, und im Juni 1921 plünderte ein polnischer Mob in Ostrowo 50 deutsche Häuser und Geschäfte, ohne dass die örtliche Polizei eingriff.

    (Quelle: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, „Deutsche Minderheiten in der Zwischenkriegszeit“, 2009, S.10, PDF)

    Dies sind nur zwei kleine Hinweise und wer mag, kann ja nach weiteren Hinweisen recherchieren. Es gilt mE aber unbedingt in die Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen, dass das Polen der Zwischenkriegszeit (seit 1926 ohnehin eine Militärdiktatur) alles andere als ein einfach zu händelnder Nachbar war. Keiner Regierung der Weimarer Republik gelang es einen wirklichen Ausgleich mit Polen zu erzielen.

    Auch kursierte ab den 1920er Jahren unter polnischen Nationalisten die Idee der Rückgewinnung historisch polnischer Gebiete im Westen. (s. folgende Karte aus dem Jahr 1934: hier)

    Dies nur als kleiner historischer Exkurs, um ein paar Aspekte mit aufzuführen, die mitunter kaum berücksichtigt werden.

    Für mich bleibt es dabei: ich wünsche den Polen nichts schlechtes, als deutscher Patriot halte ich es gleichwohl mit Johannes R. Becher und vermeide es in die ehemaligen Ostgebiete zu reisen. Das ist eine persönliche Entscheidung.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)