Kaliningrad - Königsberg

  • Wenn man das kleine Einmaleins abfragen würde (ohne Taschenrechner) würde man sich ebenfalls erschrecken. Das macht das Angemahnte nicht besser, zumal dieses ein gewolltes Nichtwissen ist, aber generell ist es eine Zeichen fehlender (Schul)- Bildung gepaart mit hochgradigem Desinteresse (außer Netflix, Smartphone, Zalando). Ein Jammer, aber so ist es eben.

  • Dabei ist die Deutung als kollektive Strafe falsch. Ziel der neuen Grenzziehungen und der Zwangsumsiedlungen war es, ein stabiles Staatensystem, eine stabile Nachkriegsordnung zu schaffen. Man muss sagen, dass dieses Ziel erreicht wurde - um einen sehr hohen Preis. Dieser Preis ist allerdings in Relation zum Zweiten Weltkrieg zu setzen.

    Die nach dem Ersten Weltkrieg geschaffene Staatenordnung hatte sich nicht als stabil genug erwiesen. Was haben die Deutschen sich über die Pariser Vorortverträge beklagt! Wie ungerecht diese seien! Im Nachhinein würde man sich doch eine Rückkehr zu den damaligen Besitzständen (Deutschland in den Grenzen von 1937, blühendes Sudetendeutschtum) wünschen. In den 30er Jahren sind die Westmächte dem Deutschen Reich nochmals sehr entgegengekommen, um es einzubinden. Da die deutsche Seite, trotz großer Zugeständnisse, nicht bereit war, das europäische Staatensystem zu akzeptieren, und es beginnend mit der Tschechoslowakei und Polen zerstörte - nur 20 Jahre nach einem verheerenden europäischen Großkrieg - musste 1945 eine neue Lösung gefunden werden. Das maßvolle Vorgehen traditioneller Friedensverträge reichte offensichtlich nicht aus. Also ein radikaler Schnitt: Die Oder-Neiße-Grenze ist die kürzeste denkbare Frontlinie zwischen Deutschland und Polen. Der polnische Staat wurde aus der deutschen Umklammerung befreit. Dadurch sowie durch die Wiederherstellung der österreichischen Unabhängigkeit wurde auch die Tschechoslowakei aus der deutschen Umklammerung befreit. Die deutschen Minderheiten wurden umgesiedelt. Man hatte gelernt, dass die Deutschen mehrheitlich nicht bereit waren, in einem slawisch dominierten Staat zu leben.

    Die polnische Frage stand seit dem 18. Jahrhundert auf der europäischen Tagesordnung. Sie musste 1945 endgültig und natürlich zugunsten der polnischen Nation gelöst werden. Dies ist gelungen. Für die Deutschen innerhalb der vom Potsdamer Abkommen festegelegten Grenzen war es einfacher, die Verluste und traumatischen Erfahrungen durch Verdrängung zu verarbeiten.

  • blühendes Sudetendeutschtum


    Ich tu mich allgemein mit diesem Begriff schwer. Zum einen weil die Sudeten geographisch gesehen nur ein kleiner Gebirgszug in Böhmen sind. Zum anderen ist der Begriff "Sudetendeutsche" erst in den 20er-Jahren im politischen Diskurs aufgetaucht. Korrekter wäre hier von "Deutschböhmen" zu reden. Ein Kardinalfehler des Versailler Vertrags war die verweigerte Selbstbestimmung der Deutschböhmen, welche gerne bei Österreich geblieben wären, sich dann aber als Minderheit in einem neugegründeten Staat wiederfanden - mit den bekannten Konsequenzen später.

    In der Altstadt die Macht, im Kneiphof die Pracht, im Löbenicht der Acker, auf dem Sackheim der Racker.

    Hätt' ich Venedigs Macht und Augsburgs Pracht, Nürnberger Witz und Straßburger G'schütz und Ulmer Geld, so wär ich der Reichste in der Welt.

  • Nun ja, wenn man es etwas simpel betrachtet und an die deutsche Erbsünde glaubt, kann man das so sehen. Die Klage über die Versailler Verträge war mehr als berechtigt, die Schuldfrage war zwar einfach zu stellen und beim Verlierer gut unterzubringen, nach aktueller Geschichtsschreibung aber kaum zu beantworten (z.B. Clark, "Schlafwandler").

    Die polnische Frage, was auch meine polnische Verwandtschaft bestätigt: sicher war dieses klären und ein polnischer Staat mehr als berechtigt. Aufgelöst haben diesen aber Russland, Österreich und Deutschland (3 Länder).
    Abgesehen davon , daß die Neugründung des ersten polnischen Staates 1917 erfolgte und sich Polen nach 1920 versuchte nach Osten auszudehnen - Stichworte Pilsudski und Polnisch-Sowjetischer Krieg, auch weit über seine Sprachgrenzen hinaus.

    Ich nehme an, Ihnen ist geläufig, daß auch Polen 1938 in die Tschechoslowakei einmarschierte (Teschener Gebiet) ?

    Die Westverschiebung Polens ist der Tatsache geschuldet, daß Stalin die eigentlich polnischen Gebiete um Grodno und Lemberg natürlich nicht hergeben wollte, und Polen halt nach Westen verschoben wurde - in Gebiete wie Schlesien, die das letzte mal 800 Jahre vorher polnisch waren und kulturell wie ethnisch schlicht deutsch waren. Heute würde man das ethnische Säuberung nennen. Fragen Sie in Polen heute einmal nach Lemberg, das wird nach wie vor als polnisches Gebiet angesehen da liegen große Teile der Wurzeln des Landes, die Universität dort war so polnisch wie die in Breslau deutsch und wurde dann nach Breslau umgesiedelt.

    In Ostpreussen ging es um einen eisfreien Tiefseehafen (Pillau und Königsberg) und Stalin zog der Legende nach eine gerade Linie durch Ostpreussen mit seine Pfeife. "Planmäßig" ist anders. Das Polen auch 1919 schon Interesse an den südlichen Teilen Ostpreussens hatte - siehe Abstimmungsergebnisse ist auch kein Geheimnis.

    Es wußten in Versailles seitens der Sieger alle was sie taten - Clemenceau: das ist kein Frieden, sondern ein Waffenstillstand. Ohne diesen unseligen Vertrag kein Hitler. Wenn die USA ihre eigenen Maßstäbe umgesetzt hätten, würde sich die Frage nach Leben unter eine slawischen Minderheitsregierung nie gestellt. (Stichwort Wilson und das Selbstbestimmungsrecht der Völker - Sudetenland als Beispiel, Einmarsch von polnischer Seite nach Oberschlesien, trotz anderer Abstimmungsergebnisse etc. pp nie gestellt). Heute werden deshalb Kriege zur Befreiung der nicht selbstbestimmten Ethnien geführt - Kosovo würde ich da mal anführen.

    Die Ansicht, da das traditionell maßvoll waren, ist eine sehr persönliche. Maßvoll war der Wiener Kongress, selbst der Friede 1870/71 führte nicht zum planmäßigen Ruin Frankreichs. Ein Friedensvertrag, bei der einer Seite der Vertrag nur nich zur Unterschrift vorgelegt wird und ansonsten mit Einmarsch gedroht wurde - maßvoll, nun ja.

    Bestrafung Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg - ganz sicher. Der Mensch ist nicht gut - die Besiegten waren es nicht,die Sieger ebenfalls nicht und nahmen sich was ihnen paßte.
    Die Oder Neisse Linie war so "klar", daß Anfang der 90er Jahre in Polen die Sorge herrschte, daß man vielleicht doch die andere Neiße, nämlich die Glatzer Neisse in Potsdam meinte und die Deutschen auf einmal zurückkommen. Völkerrechtlich war es bis zu den 2+4 Verträgen mehr als wacklig - faktisch aber belanglos. Die Oder liegt rechts von Stettin und Swinemünde - da wurde polnischerseits einfach durch Schaffung von Fakten geregelt.

    Alles in allem denke ich aber , man sollte das hier belassen, ich denke hier geht es um Kultur und Architektur und nicht um Politik, das sprengt den Rahmen und führt ins Nichts. So sinnvoll, wie das Reden über verschüttete Milch. Letztlich verliert man den Spaß an Architektur und Schönheit und ich denke darauf sollten wir uns konzentrieren.

  • Also ein radikaler Schnitt: Die Oder-Neiße-Grenze ist die kürzeste denkbare Frontlinie zwischen Deutschland und Polen. Der polnische Staat wurde aus der deutschen Umklammerung befreit.

    Entschuldigung, aber das ist historisch gesehen kompletter Blödsinn. Das war nie die Motivation hinter den neuen Grenzziehungen.
    Der simple Grund war vielmehr, dass Stalin diejenigen Teile Polens annektieren (genauer gesagt: behalten) wollte, die östlich der Curzon-Linie lagen. Und zwar nicht ganz zu unrecht, da diese Gebiete mehrheitlich nicht von Polen, sondern von Weißrussen und Ukrainern bewohnt waren, weshalb ja Lord Curzon diese Linie ja 1919 als polnische Ostgrenze vorgeschlagen hatte.
    Da die West-Alliierten aber eine Nachkriegsordnung auf Kosten Polens niemals akzeptiert hätten, man zugleich aber auch Stalin nicht verprellen wollte, musste Polen für Stalins Ausdehnungspolitik "entschädigt" werden. Das ist der simple Grund dafür, dass Ostdeutschland Polen zugeschlagen wurde. Alles andere sind Hirngespinste.

  • Abgesehen davon war die Vertreibung aller "Nicht-Slawen" aus Osteuropa östlich der Linie Stettin-Triest schon 1848 die Forderung der panslawischen Nationalisten und Imperialisten auf dem Prager Panslawisten-Kongreß.

    Ebenso war es russisches Kriegsziel im 1. Weltkrieg, Ostpreußen und Schlesien zu annektieren und die Oder-Neiße-Linie schon 1919 Ziel polnischer Nationalisten.

  • Entschuldigung, aber das ist historisch gesehen kompletter Blödsinn.Das war nie die Motivation hinter den neuen Grenzziehungen.Der simple Grund war vielmehr, dass Stalin diejenigen Teile Polens annektieren (genauer gesagt: behalten) wollte, die östlich der Curzon-Linie lagen...

    Da die West-Alliierten aber eine Nachkriegsordnung auf Kosten Polens niemals akzeptiert hätten, man zugleich aber auch Stalin nicht verprellen wollte, musste Polen für Stalins Ausdehnungspolitik "entschädigt" werden. Das ist der simple Grund dafür, dass Ostdeutschland Polen zugeschlagen wurde. Alles andere sind Hirngespinste.

    Entschuldigung, aber auch das ist historisch gesehen Blödsinn.
    Die Oder-Neiße-Grenze war kein Zugeständnis Stalins an die West-Allierten, um diese hinsichtlich der neuen polnischen Ostgrenze zu besänftigen.

    Zwar waren sich die Allierten wohl einig, dass Polen als "Entschädigung" Gebietsgewinne im Norden und Westen erhalten sollte. Hinsichtlich der Oder-Neiße-Linie (mit zwangsläufig Millionen Vertriebenen) hatten die Westallierten aber durchaus Bedenken.
    Nicht umsonst hieß es dann auch 1945 im Potsdamer Abkommen, dass "die endgültige Grenzziehung einem Friedensvertrag vorbehalten" sein sollte.

    Die Motivation Stalins hinsichtlich der Oder-Neiße-Grenze hatte also durchaus mehrere Gründe:


    - Deutschland möglichst klein zu halten und ein Wiedererstarken, eine neue Gefahr, zu
    verhindern.
    - Panslawistische, nationalistische Ideen zu befriedigen.
    - Durch die Massenvertreibungen dauerhaft Zwietracht zwischen Deutschen und Polen zu sähen,
    d.h. einen polnischen Vasallenstaat zu schaffen, der sich zwangsläufig Russland bzw. der SU
    anbinden muss und deren Schutz benötigt.

  • Die größte Tragödie ist dass die ehemaligen Ostgebete heute kaum noch im kollektiven Gedächtnis unseres Landes vorhanden sind, und ihr Verlust wird nicht betrauert, im Geschichtsunterricht spielen sie kaum noch eine Rolle... in Bezug auf den ehemaligen deutschen Osten herrscht heute ...weitgehend eine völlige Gleichgültigkeit.

    Eine weit verbreitete Gleichgültigkeit gibt es auch gegenüber unseren östlichen Nachbarn. Die meisten interessieren sich doch z.B. weit mehr für Spanien als für Polen.

    Und Westdeutsche waren laut meiner Großeltern übrigens auch schon vor 1945 nicht sonderlich an Ostdeutschland interessiert. Die meisten wussten damals, dass es Königsberg, Breslau, Danzig, ggf. noch Stettin gab, und das war es dann auch schon. Es herrscht(e) eine weit verbreitete Arroganz des Westens gegenüber dem Osten, in Europa wie in Deutschland selbst.

    Was hinsichtlich der ehemaligen Ostgebieten meiner Meinung nach dringend fehlt, ist ein zentrales Museum, in dem es nicht um die Vertreibung und den Krieg geht, sondern um die kulturellen Errungenschaften, einschließlich natürlich der Architektur.

    Ein lebendiges Museum, das in moderner Weise (mit Multimedia usw.) die Geschichte und untergegangene Kultur darstellt und kurzweilig präsentiert.

    Und das Ganze am besten auch zweisprachig (auf polnisch, russisch usw.) um die kulturelle Vergangenheit nicht als Gegensatz, sondern als Bereicherung auch für die heutigen Bewohner bewusst zu machen.

    Einmal editiert, zuletzt von newly (7. April 2019 um 07:02)

  • newly: Deine Ausführungen widersprechen doch dem, was ich sage keineswegs. Natürlich hatte Stalin nicht nur einen Grund, sondern mehrere Gründe.
    Was ich genannt habe, war aber der Hauptgrund der sog. "Westverschiebung Polens". Von daher verstehe ich nicht, wie du dazu kommst, etwas, das Konsens in der Forschung ist, als "Blödsinn" zu bezeichnen.

    Was die Westalliierten angeht: die hatten zwar Bedenken gegenüber dem Ausmaß der "Kompensation" für Polen, aber nicht gegenüber dem prinzipiellen Vorgehen. Und selbst das erst in Potsdam und nicht schon in Jalta, wo Stalin es ihnen vorgeschlagen hatte.

    Und auch nicht, weil sie plötzlich verstanden hätten, was für einem Verbrechen sie da zustimmten, sondern weil sie Angst hatten, dass die Masse an Vertriebenen ihre Besatzungszonen ins Chaos stürzen würden.

  • @Philon

    Ich finde ja fast alle deine Beiträge gut, aber mit der einen Formulierung oben hast du dich "vergaloppiert".
    Du schreibst: "Da die West-Alliierten eine Nachkriegsordnung auf Kosten Polens niemals akzeptiert hätten, ...musste Polen für Stalins Ausdehnungspolitik "entschädigt" werden.
    Nach deiner Formulierung wären demnach im Ergebnis die West-Alliierten diejenigen gewesen, die eine Veränderung der deutschen Vorkriegsgrenzen forderten und betrieben.
    Tatsächlich war es doch vor allem die Sowjetunion.

    Und faktisch konnte Stalin in seinem Machtbereich doch machen was er wollte. Hätte er z.B. die deutsche Ostgrenze auf dem Stand von 1937 belassen oder die Grenze nur 100 Kilometer weiter nach Westen verschoben, hätten die West-Allierten dies natürlich auch akzeptiert (Was hätten sie auch machen sollen?).

  • Nein, ich habe nicht behauptet, dass die "Westverschiebung" eine Forderung der Westalliierten gewesen sei. Der Punkt ist, dass Stalin ihnen das als Angebot gemacht hat, wie eine Expansion der Sowjetunion möglich ist, die nicht auf Kosten Polens geht, für dessen territoriale Integrität die Westalliierten immerhin in den Krieg eingetreten waren.
    Stalin hat ihnen damit einen einfachen Weg angeboten, wie sie seinen Expansionsgelüsten ohne Gesichtsverlust zustimmen konnten. Damit wiederum wurde die Annexion Ostpolens für die Westalliierten überhaupt erst akzeptabel und Stalin wusste das, deshalb hat er das Angebot ja so gemacht. Fordern mussten sie es schon deshalb nicht, weil das klar war.

    Und diesem Angebot haben sie zugestimmt.

  • Und Westdeutsche waren laut meiner Großeltern übrigens auch schon vor 1945 nicht sonderlich an Ostdeutschland interessiert. Die meisten wussten damals, dass es Königsberg, Breslau, Danzig, ggf. noch Stettin gab, und das war es dann auch schon. Es herrscht(e) eine weit verbreitete Arroganz des Westens gegenüber dem Osten, in Europa wie in Deutschland selbst.

    Völlig richtig, für viele Westdeutsche hört die Welt hinter Berlin auf und selbst Berlin wird als seltsame Insel begriffen in einer Gegend, durch die der ICE rast, sei es aus Hamburg, Hannover oder jetzt auch aus München. V.a. die beiden norddeutschen Korridore unterstützen diesen Effekt noch dadurch, dass sie die Städte Sachsen-Anhalts und Brandenburgs links liegen lassen und ohne Halt durchballern.

    Die ehemaligen Ostgebiete sind selbst für geschichtlich interessierte Menschen nur noch ein ganz müder Nachhall, es vermischen sich Besetzung (Generalgouvernement) mit den Grenzen 1914 und denjenigen nach dem Versailler Vertrag. Da werden dann Danzig oder Breslau gerne als eigentliche polnische Städte mit deutscher Minderheit imaginiert, falls überhaupt irgendetwas imaginiert wird. Sogar eine mir gut bekannte Geschichtslehrerin, die sich sehr mit der deutsch-polnischen Aussöhnung beschäftigt, macht hier manchmal Fehler in der Differenzierung.

    Dass Städte wie Stettin oder Breslau 1935 und 1885 so deutsch waren wie heute Leipzig oder Hannover, haben diese Menschen nicht mehr präsent. Der Grundstock hierfür wurde sicher auch durch die Flüchtlingswellen nach dem Krieg gelegt, die überproportional in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern untergebracht wurden. Im ländlichen Norddeutschland waren das die "Polacken", die schmuddelig waren, es wurde sich über ihren Akzent lustig gemacht "zwee Handtiicher, eens unjebraucht, alles auf der Flucht verloren", sie sprachen kein Plattdeutsch, kurz sie waren einfach Fremde.

    In Bayern waren die Böhmendeutschen kulturell näher und sprachen verwandte oberdeutsche Dialekte, so dass der "clash" etwas weniger groß war. Aber ein Ostpreusse im Emsland oder Dithmarschen? Das war auch kulturell einfach sehr anders.

    Sehr gut werden diese Unterschiede übrigens im überaus empfehlenswerten Buch "Altes Land" von Dörte Hansen thematisiert. Jedem sehr zum empfehlen, da das unausgesprochene Leid dieser Menschen aus den Ostgebieten hier -ohne zu dominieren- immer wieder vorkommt. Ein Psychogramm dieser traumatisierten Generation. Sie sollten mehr oder weniger das Maul halten und froh sein, dass es was zu essen gab, wenn sie auf den Höfen mitanpackten.

  • Philon, wer hat denn angefangen, Äußerungen von Mitforisten als "Blödsinn" abzuwerten? Newly hat dich oben ja genau zitiert.

    Ich verstehe die Sprachen unserer slawischen Nachbarvölker und kann die historischen Zusammenhänge auch aus der anderen Perspektive betrachten. Ich finde es erschreckend, was für ein Geschichtsbild Philon und Platon hier verbreiten, und möchte mich davon ausdrücklich distanzieren. Zustimmen kann ich aber dieser Äußerung hier:

    Alles in allem denke ich aber , man sollte das hier belassen, ich denke hier geht es um Kultur und Architektur und nicht um Politik, das sprengt den Rahmen und führt ins Nichts. So sinnvoll, wie das Reden über verschüttete Milch. Letztlich verliert man den Spaß an Architektur und Schönheit und ich denke darauf sollten wir uns konzentrieren.


    Es gibt Landesmuseen für Schlesien in Görlitz, für Pommern in Greifswald, für Ostpreußen in Lüneburg usw. Auch gibt es an verschiedenen Orten immer wieder Ausstellungen, die auch die Kulturgeschichte der Ostgebiete in den Blick nehmen. Noch bis zum 28. April zeigt das Archäologische Landesmuseum in Brandenburg an der Havel eine Ausstellung über den Baumeister Hinrich Brunsberg. In Berlin stellte die Nationalgalerie den Maler Otto Mueller und seine Kollegen an der Breslauer Kunstakademie vor. Beide Ausstellungen entstanden in Kooperation mit polnischen Kollegen und waren bzw. sind zweisprachig beschriftet. In Schloss Caputh stellte die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten vor einiger Zeit historische Gartenschöpfungen im heute zu Polen gehörenden Teil des Königreichs Preußen vor. In dieser Saison machen sie das Thema "Herrenhäuser in Estland und Lettland".

    Ich glaube, wir sollten dann wieder zum Strangthema Königsberg (Kaliningrad) zurückfinden. In diesem Interesse will ich mich auch nicht weiter zu dem verdrehten Geschichtsbild einiger hier äußern, in dem deutsche Schuld offenbar gar nicht mehr vorkommt. Ich hatte eigentlich gedacht, dass bekannt ist, wer letztlich die Hauptverantwortung für den Verlust der deutschen Ostgebiete trägt. Ich hatte gedacht, dass die deutschen Verbrechen gegen das polnische Volk und gegen die Völker der Sowjetunion nicht völlig verdrängt würden. Man könnte den oben zitierten Satz Gerhart Hauptmanns vielfältig abwandeln, z.B.:

    "Wer das Weinen verlernt hat, lernt es wieder beim Anblick des untergegangenen Warschau."

  • Dass Städte wie Stettin oder Breslau 1935 und 1885 so deutsch waren wie heute Leipzig oder Hannover, haben diese Menschen nicht mehr präsent. Der Grundstock hierfür wurde sicher auch durch die Flüchtlingswellen nach dem Krieg gelegt, die überproportional in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern untergebracht wurden. Im ländlichen Norddeutschland waren das die "Polacken", die schmuddelig waren, es wurde sich über ihren Akzent lustig gemacht "zwee Handtiicher, eens unjebraucht, alles auf der Flucht verloren", sie sprachen kein Plattdeutsch, kurz sie waren einfach Fremde.

    Wir sollten auch die Sowjetische Besatzungszone als Aufnahmeland der Flüchtlinge / Vertriebenen / Umsiedler nicht vergessen. Schon in der Mark Brandenburg galten die Ostpreußen als Fremde, die unter anderem dadurch lächerlich wirkten, dass sie völlig veraltete Vornamen hatten. Das zeigt uns übrigens, wie groß früher die regionalen Unterschiede in Deutschland waren.

    Wenn viele gebildete Deutsche heute nicht wahrhaben wollen, wie deutsch der deutsche Osten bis 1944 größtenteils war, dürfte das auch daran liegen, dass es so einfacher ist, die Tragödie zu verarbeiten.

  • Diese Ignoranz gegenüber den Ostgebieten zog sich wohl bis in die höchsten Kreise: Unser Bundeskanzler Konrad Adenauer war ja bekanntlich ein überzeugter Preußenhasser und so verwundert es nicht, dass die Westintegration der Bundesrepublik in seinen Augen Priorität gegenüber der Wiedervereinigung besaß. Er sagte einmal, dass man am Rhein zusammen mit Frankreich schon Hüter eines kulturellen Erbes gewesen sei, während man in Ostpreußen noch Menschenopfer dargebracht worden hätte - hier schwang sein Geschichtsbild mit, das dieses Barbarentum Preußens auch noch in spätere Jahrhunderten projizierte. Östlich der Elbe begann für Adenauer Asien, und wenn er mit dem Zug nach Berlin reiste, zog er einer Anekdote nach die Vorhänge zu, um die "asiatische Steppe" nicht sehen zu müssen. Da kann man sich denken, was er von noch weiter östlich gelegenen Regionen Deutschlands hielt.. Aus seiner Sicht war der Aufstieg Preußens ein Verhängnis gewesen, denn der angeblich unzivilisierte, kriegstreiberische Staat habe das friedliebende, kultivierte Restdeutschland von seinen seit der Römerzeit bestehenden engen Verbindungen nach Frankreich bzw. in den romanischen Raum abgetrennt. Hier bediente Adenauer die Mär von einem angeblichen preußischen Militarismus, und es ist natürlich angenehm, wenn man über einen Sündenbock verfügt, den man für jegliche Schattenseiten der eigenen Geschichte verantwortlich machen kann. Der Gerechtigkeit wegen muss man jedoch auch anmerken, dass sich sein Bild von Ostdeutschland wohl im Laufe der Zeit gewandelt hat. Nach dem Bau der Berliner Mauer schrieb Adenauer folgendes: "Allen Berlinern dankt Deutschland und jeder, der die Freiheit liebt, für den geschichtlichen Verdienst, den sie sich erworben haben um das gesamte Deutschland und um die Freiheit. Berlin hat sich mehr als je zuvor in die Herzen aller Deutschen fest eingeschrieben als die Hauptstadt Deutschlands." Hierbei beachte man jedoch die Formulierung "mehr als je zuvor", in die man wiederum eine Geringschätzung der preußischen Geschichte interpretieren könnte.

    Der Grundstock hierfür wurde sicher auch durch die Flüchtlingswellen nach dem Krieg gelegt, die überproportional in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern untergebracht wurden. Im ländlichen Norddeutschland waren das die "Polacken", die schmuddelig waren, es wurde sich über ihren Akzent lustig gemacht "zwee Handtiicher, eens unjebraucht, alles auf der Flucht verloren", sie sprachen kein Plattdeutsch, kurz sie waren einfach Fremde.

    Tatsächlich haben sogar dänische Nationalisten versucht, diese Ressentiments für ihren "Drang nach Süden" dienstbar zu machen: Angesichts der Flüchtlingswellen warb man in Schleswig-Holstein für den Anschluss an Dänemark und hatte damit zeitweilig sogar relativen Erfolg. Dabei bediente man sich auch einer Sprache, die sehr an den Nationalsozialismus anmutet: Das "nordische" Schleswig-Holstein sei von den "ostpreußischen Rundschädeln" bedroht, die das Land rassisch überfremden würden. Erst der Appell an patriotische Gefühle und eine Verbesserung der materiellen Lage konnte dieser Propaganda den Wind aus den Segel nehmen.

  • Philon, wer hat denn angefangen, Äußerungen von Mitforisten als "Blödsinn" abzuwerten? Newly hat dich oben ja genau zitiert.

    Erstens hat er das nicht und zweitens ging es um deine Behauptung, die Oder-Neiße-Grenze sei dadurch motiviert gewesen, für Polen eine möglichst günstige Frontlinie im Fall künftiger Kriege gegen Deutschland zu schaffen. Das ist objektiv falsch und an den Haaren herbeigezogen, wie dir jeder ernstzunehmende Historiker bestätigen wird.


    Ich finde es erschreckend, was für ein Geschichtsbild Philon und Platon hier verbreiten, und möchte mich davon ausdrücklich distanzieren.

    Worin siehst du denn dieses Geschichtsbild und was findest du daran denn bitte so erschreckend oder "verdreht"?

    Ich hatte eigentlich gedacht, dass bekannt ist, wer letztlich die Hauptverantwortung für den Verlust der deutschen Ostgebiete trägt.

    Ist es ja auch: Stalin, die polnische Exilregierung und die Westalliierten. Die Verantwortung für eine Ereignis hat immer derjenige, der sich in Freiheit entscheidet, es herbeizuführen. Niemand ist für Entscheidungen und Handlungen anderer verantwortlich. Das ist das kleine Einmaleins der Grundlagen ethischer wie rechtlicher Zurechnung und damit von jeder möglichen Form von Normativität überhaupt.

  • Hier tut niemand die Verbrechen des Nazi-Regimes verdrängen oder herunterspielen. Eine Diskussion inwieweit "gerecht" diese Neuordnung nach dem Krieg war, möchte ich hier im Forum nicht führen. Bitte tauscht Euch privat dazu aus.
    Bitte auch die Nettiquette beachten (Das heißt Begrifflichkeiten wie "Blödsinn" etc vermeiden).

    Beauty matters!

  • Zitat : Rastrelli

    " Schon in der Mark Brandenburg galten die Ostpreußen als Fremde, die unter anderem dadurch lächerlich wirkten, dass sie völlig veraltete Vornamen hatten. Das zeigt uns übrigens, wie groß früher die regionalen Unterschiede in Deutschland waren. "

    Meine Großeltern Mütterlicherseits stammten aus dem Ermland , meine Großmutter hieß " Auguste " …. sie waren Landarbeiter und Flohen gerade noch rechtzeitig über das Eis das von der Wehrmacht abgesteckt wurde , unter Tieffliegerbeschuss gerieten sie dort (ich kenne das aus den Familienerzählungen so , das meine Großmutter ihre Kinder vom Wagen heruntergerissen hat und legte sich quasi als Kugelfang auf die Kinder drauf) aber sie überlebten. Sie kamen dann über Mecklenburg /Kreis Grevesmühlen in ein Auffanglager in Berlin , und dann nach Probstzella / Thür. wo mein Großvater im Lazarett lag … ab 1947 lebten sie dort … freilich waren sie dort fremde , auch noch Katholiken ein Exotenstatus in der späteren DDR.

  • Der Grundstock hierfür wurde sicher auch durch die Flüchtlingswellen nach dem Krieg gelegt, die überproportional in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern untergebracht wurden. Im ländlichen Norddeutschland waren das die "Polacken", die schmuddelig waren, es wurde sich über ihren Akzent lustig gemacht "zwee Handtiicher, eens unjebraucht, alles auf der Flucht verloren", sie sprachen kein Plattdeutsch, kurz sie waren einfach Fremde.

    In Bayern waren die Böhmendeutschen kulturell näher und sprachen verwandte oberdeutsche Dialekte, so dass der "clash" etwas weniger groß war. Aber ein Ostpreusse im Emsland oder Dithmarschen? Das war auch kulturell einfach sehr anders.


    Das ist ein interessanter Aspekt den du aufwirfst über das sich verloren fühlen in der Fremde. Ist es wirklich ein so grosser Unterschied ob man sich als Ostpreusse nach der Flucht im Emsland bzw. Schleswig-Holstein niederliess? In "normalen" Zeiten waren die Unterschiede relativ gering. Als Ostpreusse war man ja auch Norddeutscher und sprach Platt, wenn man vom Lande stammte. Ich denke die Sichtweise jedes einzelnen Vertriebenen variiert stark. Ein Görlitzer, welcher aus seiner Wohnung im Stadtteil östlich der Neisse gejagt wurde, wird es wohl eher als einen Wohnungswechsel innerhalb seiner Stadt gesehen haben. Das Gleiche gilt wohl auch für jemanden aus Hinterpommern (aus Stettin oder Wollin bspw.), den es nach Greifswald oder Stralsund verschlug. Für solche Leute war es viel weniger schlimm, da sie ja immer noch in ihrer vertrauten Region lebten. Aber natürlich gab es auch das mir bekannte krasse Gegenteil, wie eine Gruppe Böhmerwäldler, die sich plötzlich an der Ostsee wiederfanden und sich nie damit arrangieren konnten.

    In der Altstadt die Macht, im Kneiphof die Pracht, im Löbenicht der Acker, auf dem Sackheim der Racker.

    Hätt' ich Venedigs Macht und Augsburgs Pracht, Nürnberger Witz und Straßburger G'schütz und Ulmer Geld, so wär ich der Reichste in der Welt.

  • Ich selbst weiß das im Detail gar nicht... natürlich waren auch Hinterpommern und Ostpreußen ursprünglich plattsprechend, aber wie lebendig der Dialekt dort noch war, kann ich nicht sagen. Die meisten Flüchtlinge sprachen wohl hochdeutsch mit entsprechenden Akzenten, viele kamen ja auch aus weiter südlichen Gegenden wie Schlesien etc.. Sogar die Schuld am Aussterben des Niederdeutschen wurde den Neuankömmlingen gegeben, vielleicht sogar mit einer gewissen Berechtigung , denn es verlor erst nach dem Kriege endgültig seinen Status als lingua franca auf den Dörfern, nachdem es zuvor schon aus den Städten "vertrieben" worden war. Letztlich waren die Flüchtlinge natürlich nur Katalysator für eine schon seit Jahrzehnten laufende Entwicklung, aber so wurde das damals gesehen.

    Auch die phänotypischen Unterschiede wurden -wie Suebicus schrieb- sehr stark betont und bemerkt, gerade in den nordseenahen Marschen war die autochthone Bevölkerung nach dem Krieg wohl wirklich noch zu fast 100% blond und blauäugig und plötzlich kamen da diese kleineren, dunkelhaarigen und dunkeläugigen Menschen aus dem Osten - auch das wird übrigens in Dörte Hansens Buch thematisiert.

    Aus heutiger Sicht kaum denkbar, wie stark die Ressentiments gegenüber den Ankömmlingen waren, wie stark die Unterschiede betont wurden...