Die Diktatur der Rasterfassade

  • Niemand kann die Augen davor verschließen: In vielen Ecken Berlins dominieren mittlerweile (zumindest gefühlt) die austauschbaren, monotonen Barcode- und Rasterfassaden das Stadtbild. Diese Architektur leistet zweifellos einen Beton gewordenen Offenbarungseid hinsichtlich der vorherrschenden, vollkommen erstarrten Bau-Ideologie sowie hinsichtlich der Unfähigkeit und Einfallslosigkeit einer ganzen Architektengeneration. Überall dasselbe Grauen im Stadtbild:
    Kennedy-Haus
    Bertha
    Innenministerium
    Hotel Capri
    Neue Botschaft Polens
    Leipziger Platz
    Total-Gebäude
    Humboldthafen
    BND-Zentrale
    und natürlich die Ostfassade des Stadtschlosses.
    Die Liste ließe sich beliebig erweitern.

    Ich habe wirklich den Eindruck dass das Berliner Stadtbild in den letzten rund 20 Jahren durch die mittlerweile inflationär viel gebauten Rasterfassaden erheblich Schaden genommen hat. Die Süddeutsche Zeitung (Link unten) spricht zurecht über diese Fassaden von "Stimmungskillern" bzw. "Launeverderbern".

    Ich habe im Folgenden eine Liste von kritischen Zeitungsartikeln zusammengestellt. Interessant ist übrigens, dass Nikolaus Bernau von der Berliner Zeitung Hans Stimmann die Hauptschuld für diese fatale Entwicklung gibt: ..."Die Konsequenz, mit der vor allem Stimmann die Bauherren und Investoren dazu brachte, sich einem vage klassizistischen Spätrationalismus aus Rasterfassaden zu unterwerfen, hat der Stadt lange gut getan. Berlin entwickelte aus den strengen Vorgaben sogar einen ganz eigenen Reiz: Obwohl die Stadt so viele historische Brüche zu verkraften hat wie wenige andere, behauptet das jüngere Stadtbild doch die große Kontinuität von Schinkel über den Chef der West-Berliner Neubau-IBA von 1987, Joseph Paul Kleihues, bis zum Schlossarchitekten Franco Stella. Aber die Methode ist schon lange erstarrt. Es muss neu gedacht werden" (Quelle).

    Hier die Links:
    http://www.sueddeutsche.de/kultur/archite…11?reduced=true (leider mit Zahlschranke)
    https://www.bz-berlin.de/artikel-archiv…r-einheitlicher
    https://www.berliner-zeitung.de/berlin/archite…lassen-25043848
    http://www.sueddeutsche.de/kultur/archite…ielos-1.3345895
    .

  • Schlecht sind die Haeuser ja nicht. Dem Zeitgeist entsprechend.
    Nur fehlen die Daecher, sind gefuehlt manchmal zu breit
    und folgen nicht dem Dreiklang uebereinander: Sockel, Fassade und Dachflaeche.

    Diese Fassaden mit richtigen Daechern und "Menschlich" diemensionierten Sockeln waeren die Bauten wohl in Ordnung.

  • Doch, sie sind weitgehend schlecht, da kann auch eine Fassade aus hochwertigem Naturstein nicht mehr abhelfen. Die o.g. Rasterfassaden sind jeweils (nahezu) unstrukturiert, unproportioniert und ungegliedert, Quadratmeter für Quadratmeter die gleiche Monotonie. Das ist hier Hauptproblem.

  • Es nervt vor allem die ominipräsente ständige Wiederholung der immergleichen mittelmäßigen Idee. Ein paar mal, eine Reihe von einem Dutzend solcher Fassaden im ganzen Land, da würde ich mir denken, okay, das ist ja ganz nett, das hat was. Aber doch nicht so.

  • Es sind leider auch durch die Bank sehr wuchtige Baukörper, sodaß diese Fassaden sich kaum irgendwo vornehm zurücknehmen. Die dargestellten Beispiele sind auch fast alle Solitäre. Vermutlich betrachten die Architekten dies im Vergleich zu den lange Zeit üblichen reinen Glasfassaden schon als echte Ornamentik.... :kopfschuetteln:

    " Dem Wahren, Schönen, Guten "

  • Der zweite Torbau wird ja konsequenterweise ziemlich ähnlich aussehen. Wenn der erstmal fertig ist, hat man wenigstens ein eindrucksvolles Ensemble für zeitgenössische Architektur. Auf das Gesamtergebnis mit 360° Ansicht bin ich dann wirklich mal gespannt.

  • Nein, dann hat man nur ein eindrucksvolles Ensemble für gähnende Langeweile und Einfallslosigkeit. Ich kann mir das Ganze nicht mal schöner saufen. Ich behaupte, dass diese Architektur der Gegenwart die schlechteste ist, die es jemals in der Neuzeit gab. Sogar die Nachkriegsjahre brachten Besseres hervor. Vielleicht ist das die Rache der Architekten an den unzufriedenen Bürgern, die Altstädte und Schlösser wollen. Ich neige immer mehr dazu, so eine böse Absicht zu unterstellen. Menschenfreunde bauen und entwerfen jedenfalls nicht solches Zeug.

    In dubio pro reko

  • Der zweite Torbau wird ja konsequenterweise ziemlich ähnlich aussehen. Wenn der erstmal fertig ist, hat man wenigstens ein eindrucksvolles Ensemble für zeitgenössische Architektur. Auf das Gesamtergebnis mit 360° Ansicht bin ich dann wirklich mal gespannt.

    "Eindrucksvoll" ??
    Sorry, aber der Leipziger Platz (Gesamtbild) besteht m.E. weitgehend aus belanglosem, langweiligen Schrott, ganz im Sinne Regula Lüschers. Das gilt insbesondere für die Bebauung der Südseite. Lediglich beim Mosse-Palais und der "Mall" auf der Nordseite kann ich ein wenig bzw. ansatzweise Ästhetik und den Willen zu einer individuelleren Fassadengliederung erkennen.
    Hoffentlich wachsen die Bäume auf dem Platz entsprechend schnell um das Grauen verdecken zu können!

  • ch behaupte, dass diese Architektur der Gegenwart die schlechteste ist, die es jemals in der Neuzeit gab

    Na, die Siebziger Jahre mit ihrem Betonbrutalismus und der "Sozialdemokratisierung" der Architektur wie z.B. das NKZ am Kottbusser Tor in Berlin sind immer noch unerreicht. Die Rasterfassaden sind wohl so eine Art modernistischer Klassizismus, dabei aber in seiner Ausdrucksweise monoton und kalt. Die Sichtbetonmonster der Siebziger waren aber eine bewusste Vergewaltigung aller überlieferten Stadtbilder.
    Aber natürlich kann man sich deshalb auch nicht mit der neuen Monotonie abfinden.

    Hatten wir eigentlich diesen Artikel über Rekos hier schon mal eingestellt? Habe ich zufällig vorhin gefunden. Da sieht man, daß es die Liebhaber der Moderne dank Bürgern wie uns auch nicht mehr leicht haben :biggrin: :

    "
    Harte Zeiten für Anhänger moderner Architektur"

    https://www.welt.de/debatte/kommen…rchitektur.html

    " Dem Wahren, Schönen, Guten "

  • Die Architektur der 70er kann man viel vorwerfen, das stimmt. Aber sie war zumindest eine Art Statement und oft aufsehenerregend (wenn auch meist im negativen Sinn).
    Diese heutigen Rasterfassaden sind gar nichts, sie sind ausdruckslos, leblos, einfallslos, ohne jegliche Relevanz, der Tiefpunkt jedes gestalterischen Anspruchs. Insofern bleibe ich bei meiner Einschätzung.

    In dubio pro reko

  • Die Architektur der 70er kann man viel vorwerfen, das stimmt. Aber sie war zumindest eine Art Statement und oft aufsehenerregend (wenn auch meist im negativen Sinn).
    Diese heutigen Rasterfassaden sind gar nichts, sie sind ausdruckslos, leblos, einfallslos, ohne jegliche Relevanz, der Tiefpunkt jedes gestalterischen Anspruchs.

    Dann bevorzuge ich immer noch die Einfallslosigkeit gegenüber dem Aufsehen Erregen a la Kottbusser Tor oder Technisches Rathaus Frankfurt.

  • Darüber kann man diskutieren, das ist dann aber eine städtebauliche Frage und keine des architektonischen Ausdrucks. Und in diesem Fall stimme ich dir zu, diese Neubauten sind zumindest neutral, was ihre Einbettung in die Stadt angeht. Für sich betrachtet aber sind sie ohne bemerkenswerte Eigenschaft, sie sind einfach nur kubische Baukörper mit Lichteinlass. Und das ist wirklich der architektonische Tiefpunkt nach dem es eigentlich nur besser werden kann. Zumindest kann ich mir nicht vorstellen, wie man noch Inhaltsleereres, Nichtssagenderes schaffen könnte.

    In dubio pro reko

  • Tach,

    ich bin nicht zum ersten Mal über die Google-Bildersuche hier gelandet und möchte mich in Form eines ersten Beitrags und sogleich zweier Schnappschüsse an dem Thread beteiligen.

    Hotel-Schandlfeck nahe des Alex:
    Frontal, bei Regen: https://drive.google.com/file/d/1XSRPx7…iew?usp=sharing
    In der Gruppe: https://drive.google.com/file/d/10oQSzF…iew?usp=sharing

    Jedes Mal ergreift mich der Zorn beim Anblick dieser Missgestalten, insbesondere auf die Verantwortlichen. Zumal wir diese tristen Bauten so schnell nicht wieder loswerden.

    Da fragt man sich: Wie leer können die Seelen von Architekten bzw. deren Auftraggeber nur sein?

    Wohlan,
    Markus

  • Ich lese übrigens gerade:

    "Weltweit größtes Hampton by Hilton in Berlin eröffnet":
    https://www.ahgz.de/hoteldesign/ke…0012239412.html Diese Überschrift muss man sich auf der Zunge zergehen lassen und währenddessen diese Fassade ansehen, dessen Steigerungsformen mir für Monotonie, Depression, Eintönigkeit und Co. unbekannt sind.

    Da möchte man doch lieber in einem Gefängnis verweilen, zumindest von außen:
    Hampton 2190886_18011715520061118511.jpg vs. JVA Plötzensee 2880px-Jsa_ploetzensee_torhaus.jpg

    Da weiß die volltrunkene Junggesellen-Gruppe auf dem nächtlichen Heimweg gar nicht mehr, in welchem Hotel sie eingebucht war: cdfc1ac6-3c34-3612-ba69-59b3ebf88cb4

    … oder diese Ansicht aus einem Artikel der Berliner Zeitung (2015):
    https://www.berliner-zeitung.de/berlin/neubaut…erplatz-1752594 (da komme ich selbst ganz durcheinander).

    Entschuldigt den Doppel-Post, aber ich bin heute etwas aufgewühlt. ;)

  • Wenn man das mit den Hotels der Gründerzeit vergleicht wirkt die ästhetische Verkümmerung unserer Zeit besonders erschütternd. Da liegen Galaxien dazwischen. Einziger Trost: Schlimmer kann es wirklich nicht mehr werden, denn wie soll man das noch unterbieten?

    In dubio pro reko

  • „Sehr bald gerieth ich in den Fehler der rein radicalen Abstraction, wo ich die ganze Conception für ein bestimmtes Werk der Baukunst aus dem trivialen Zweck allein und aus der Konstruction entwickelte, in diesem Falle entstand etwas Trockenes, Starres, das der Freiheit ermangelte und zwei wesentliche Elemente: Das Historische und das Poetische ganz ausschloß."

    Karl Friedrich Schinkel

    Jeder heutige Architekt sollte dieses Zitat auswendig lernen müssen.

    In dubio pro reko

  • Hier muss man allerdings sagen, dass die ehemalige Hauptpost auch kein architektonisches Kunstwerk war und der Neubau zumindest etwas offener und leichter wirkt. Die Fassade ist natürlich belanglos, da gibt es nichts zu beschönigen.

    In dubio pro reko