Stuttgart - Neubauprojekte in der Innenstadt (Galerie)

  • Es gibt im Großraum Stuttgart eben eine Reihe von unschönen Tendenzen, die solche Reaktionen wie oben zur Folge haben:

    • ausgeprägte Umgestaltung zur autogerechten Stadt (nicht nur in Stuttgart, man schaue sich mal die Schneise direkt hinter dem alten Esslinger Rathaus an)
    • offensichtliche Geringschätzung historischer Stadtbilder inkl. Vernachlässigung historischer Bauten
    • nach wie vor vorhandene Abrißwut, verbunden mit der Errichtung von völlig unpassenden Neubauten
    • Neigung, selbst kleine Orte im Zentrum mit vermeintlich modernen Betonkonstruktionen zu verunstalten
    • die offensichtlich unvermeidlichen Wohnblocks am Ortsrand, sogar in kleinen Orten
    • ein allgemein mäßiger Erhaltungszustand von überraschend vielen Bauten

    Das gibt es zwar alles auch in anderen Teilen der BRD, aber nicht so massiv und intensiv. Wobei es Richtung Süden schnell besser wird, aber Aalen und vor allem Heidenheim oder auch Böblingen/Sindelfingen sind schon sehr heftig. Selbst erhaltene historische Städte wie Schwäbisch Gmünd fallen ja außerhalb eines kleinen Kernbereichs sehr schnell ab ...

    Ich hätte auch nie gedacht, daß Ludwigsburg oder Nürtingen den Krieg völlig unzerstört überstanden haben, zu durchwachsen ist das dortige Stadtbild.

  • Das Problem betrifft ja nicht nur Stuttgart sondern die gesamte Region, dass Altes schnell und ohne Rücksicht auf die Umgebung ersetzt wird.
    Die autogerechte Stadtgestaltung liegt ja auch daran, dass die Autos irgendwie durch den Kessel kommen müssen. Zwei sich kreuzende Talbrücken wären sicher auch nicht die Lösung im Sinne der Foristen.
    Ich verstehe nur nicht, warum immer der Stuttgarter Marktplatz fällt. Meines Erachtens gibt es wesentlich dringendere Ecken. Der Marktplatz ist immerhin harmonisch im Stil der 50er gestaltet, die ja auch durchaus ihren Reiz haben.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Was heißt dringend? Ehrlich gesagt fällt es ja schon schwer, eine Dringlichkeitsliste für die Stuttgarter Innenstadt zu erstellen, bei all den Defizitien. Der Marktplatz ist aber nun einmal das historische Herz. Und durch die direkte Nachbarschaft zu den Traditionsinseln Schillerplatz und Schlossplatz eben auch eine naheliegende Erweiterung des "historischen Stuttgarts".

  • Natürlich wäre es hinsichtlich des Stadtbildes ein Gewinn. Aber das Vorhaben ist doch völlig unrealistisch. Oder bist Du Multimillionär, der sämtliche Häuser am Marktplatz aufkaufen kann (incl. hohe Angebote an nicht verkaufswillige Eigentümer), dann sämtliche Mieter entmietet, dann alles abreißt und dann Rekonstruktionen errichtet? Wenn nicht Du, welcher Investor soll ein solches Vorhaben stemmen, es sei denn - was ich natürlich begrüßen würde - ein rekonstruktionsfreudiger Idealist, der sein Geld "verpulvern" möchte?

    Wie hat man es in Hildesheim gelost?

    Erste Wiederaufbau

    http://www.geschichteinchronologie.com/2wk/b/1945-03-…im-1960er-j.jpg

    Zweite Wiederaufbau
    https://m.oldthing.de/Hildesheim-Mar…heim-0024302797

    Wie war es moglich die Bestand zu abreisen und eine zweite Wiederaufbau einzuleiten?

  • Der Volksmund sagt; "Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg". Das geht aber nur dann, wenn viele Bürger ihre Stadt lieben und daran interessiert sind, die einstige Schönheit der Stadt zumindest in Teilbereichen wieder zurück zu holen. Dazu gehört viel Idealismus und möglichst Unterstützung von prominenter Seite.

    Alllerdings muss ich sagen, dass ich von 1976 bis 2012 in Stuttgart gewohnt habe und ich in dieser Zeit keinen Funken an Interesse an Rekonstuktionen feststellen konnte. Eine rühmliche Ausnahme bildet ein Verein, (dessen Name mir leider entfallen ist), der sich für den Erhalt und die Rekonstruktion von historischen Brunnen in Stuttgart einsetzt. So wurde z. B. vor einigen Jahren die im ersten Weltkrieg eingeschmolzene Bronzegruppe "Mutterliebe" neu gegossen und wieder auf den noch vorhandenen Brunnensockel in der Tübinger Straße (bei der Marienkirche) gestellt. Solche Aktionen sind aber leider sehr seltene Ausnahmen.

    Ansonsten zählt nach meiner persönlichen Erfahrung in Stuttgart generell nur der krasse Materialismus mit Gewinnmaximierung. Eine Stimmung pro Rekonstruktionen gab und gibt es in Stuttgart nicht. Bei den Stuttgarter Grundstückspreisen, die ungebremst in immer gigantischere Höhen steigen, sind auch Gebäude unter Denkmalschutz nicht im Bestand gesichert. Man baut lieber neu und wesentlich höher als das alte Haus war, das bringt dann richtig viel Geld beim Verkauf der Einheiten. So wurden in Stuttgart auf dem Killesberg schöne Villen abgerissen und fast jeder m² des Grundstücks mit riesigen, hohen Betonklötzen überbaut, Eigentumswohnungen mit Tiefgarage. Es bleibt vom Park der Villa fast nichts übrig. Da ist dann auch das Stadtbild völlig wurscht. Wer in Stuttgart für Rekonstruktionen eintritt, erntet im besten Falle ein müdes Lächeln und wird als weltfremd oder als Spinner abgestempelt. Es müsste schon ein großes Wunder geschehen, wenn sich die tief verwurzelte, hier herrschende Gesinnung in pro Rekonstruktionen ändern sollte.

  • Es gibt zwei Bereiche, in denen es um unser Anliegen für liebenswerte Stadtbilder schlecht bestellt ist: Das eine sind die größeren Großstädte und das andere ist Württemberg. Und Stuttgart ist die Schnittmenge. Es ist die Metropole Württembergs. Wen sollte es da wundern, wenn es damit die deutsche Stadt ist, die bei unseren Betrachtungen hier im Forum mit am schlechtesten abschneidet, der Inbegriff des geschändeten Stadtbildes?

    Wenn Du sagst, in Stuttgart zählt "generell nur der krasse Materialismus mit Gewinnmaximierung", dann ist das eine Situation, die für Menschen mit Gefühl außerordentlich abstoßend ist. Es ist das Gegenteil von dem, wonach wir uns sehnen, jener heilen Welt, in der sich nicht alles um Geld dreht. Ich bin versucht zu sagen, "heile Welt" ist das Gegenteil von Württemberg, jedenfalls ist es das Gegenteil von dem, was in Württemberg zählt.

    Es ist klar, dass bei so einer Geisteshaltung kein Sinn für Denkmalschutz da ist. Angesichts dieser geistigen Haltung ist mir klar, warum der Denkmalschutz in diesem Land keine Chance hat.

    Es ist ja nicht nur so, dass ich mir mit meiner wenigen Erfahrung von Stuttgart und daher mit Hilfe meiner Erfahrung vom restlichen Württemberg eine Vorstellung machen würde, wie diese Stadt so tickt. Nein, Villa1895 und andere, die diese Stadt wirklich lang und gut genug kennen, beschreiben die Situation als völlig denaturiert. Man hat den Eindruck, diese Stadt ist die Inkarnation dessen, was dabei rauskommt, wenn Menschen, die nur einen Blick für Geld und Materielles haben, nur lang genug ihr Unwesen treiben und ihren Götzen des Wohlstandes und der Vergnügungsgesellschaft huldigen. Stuttgart ist wohl das, was man im Englischen als "horrifying" bezeichnet.

  • Dafur finde ich Tubingen ein bisschen Gegenpol und eine von meiner persohnliche Favoritaltstadten in Deutschland - oder gehort es nicht zu Wurttemberg?

  • Dafur finde ich Tubingen ein bisschen Gegenpol und eine von meiner persohnliche Favoritaltstadten in Deutschland - oder gehort es nicht zu Wurttemberg?

    Doch, seit 1342. Als Residenzstadt und Sitz der Landesuniversität war es sogar ein Zentrum Württembergs. Heutzutage ist Tübingen aber wegen der Universität nicht repräsentativ für Württemberg, was die Mentalität betrifft. Die große Zahl der Studenten schafft auch Sonderbedingungen auf dem Wohnungsmarkt, die der Erhaltung von Altbauten förderlich sind. Man kann nämlich in Tübingen jedes noch so runtergekommene Loch für gutes Geld an Studenten vermieten.

  • Ich muss hier mal den Stuttgartern zur Seite springen....Klar hat die Stadt sehr hässliche Ecken und klar ist die Stadt nur noch ein Schatten ihrer selbst wenn man den Zustand bis 1943 zugrunde legt....ABER: Man misst hier trotzdem irgendwie mit zweierlei Maß...Da wird z.B. Frankfurt in den Himmel gehoben -auch für das Dom-Römer-Projekt. Ich komme von dort und klar ich liebe Frankfurt und auch das Dom-Römer-Projekt.Aber, als ich die Tage mal wieder über die Baustelle lief -siehe Bilder - dachte ich wieder das man schon sehr langsam gehen muss um auf fünf Minuten Gehzeit zu kommen....und da sehe ich bei weitem nicht nur Rekonstruktionen ;) In Stuttgart hingegen gibt es noch zahlreiche historische Bauten -und ich meine hier keine Gründerzeitbauten, sondern wirklich alte Bürgerhäuser- die nun auch wirklich nicht alle nur als Solitäre im Stadtbild herumstehen (Eberhardstraße, Calwer Straße, Webestraße, ganz allgemein das Bohnen-/Leonhardsviertel)....da kann man in anderen Städten vergleichbarer Größe lange suchen..... :lehrer:;)

  • Lieber Königsbau, ich hoffe, du nimmst das hier Geschriebene nicht persönlich, denn so ist es nicht gemeint. Es ist schön, daß du dich in deiner Stadt wohl fühlst, und für Stuttgart gut, daß Menschen mit Sinn für Ästhetik und Stadtbild dort wohnen, die im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten Verbesserungen anstreben.

    Dennoch exponierst du dich mit manchen Aussagen, die ich nun mal nicht teilen kann. Ich finde...
    - den Schloßplatz nicht einzigartig in Deutschland, da in der unmittelbaren Nähe zu viel Mittelmaß und dahinter Brutalismus stehen.
    - S-West und -Süd sind nette Wohnviertel, die sich nicht im Positiven von denen in Frankfurt, Nürnberg oder München abheben; der übermäßige Autoverkehr gerade im Westen zieht für mich das Gesamturteil eher nach unten.
    - und schließlich, ohne "schlechtreden" zu wollen, die Karlshöhe: Sie ist ein nettes Refugium von Frühjahr bis Herbst für einen kurzen Ausflug. Aber "etwas, das man sonst nirgendwo geboten bekommt"? Ich finde den Blick vom Nikolausberg/Käppele auf Würzburg, vom Philosophenweg auf Heidelberg, den Anhöhen in Freiburg oder der Burg auf Nürnberg - letzteres deutlich urbaner und weniger grün - ebenso sehr erhebend.
    Es ist, denke ich, auch kein Zufall, daß du und andere von der Karlshöhe meist Bilder mit Blick auf S-West und vor allem -Süd zeigen, nicht aber auf die Innenstadt. Denn diese sieht von oben nun mal wie ein gigantisches Gewerbegebiet aus; leider auch von unten, wie die Bilder dieses Stranges zeigen.

    Ich finde schon, daß man Stuttgart gewisse Vorwürfe machen kann:
    - Die Kriegszerstörungen waren nicht übermäßig im Vergleich zu anderen Städten.
    - es wurde sehr wenig rekonstruiert oder bestehende Fassaden erhalten.
    - der Neubau bestand meist aus großen Kästen oder billigen kleinen Buden (siehe Marktplatz).
    - sehr viel Historisches/Historistisches wurde für den Umbau zur autogerechten Stadt abgerissen; mehr als in anderen Städten.

    In Frankfurt, das hier genannt wurde, ist ebenso vieles verloren, gerade wenn man die Geschichtsträchtigkeit der Stadt bedenkt. Aber auch hier hinkt der Vergleich: Das Bohnen- und Leonhards"viertel" sind Straßenzüge, das Heusteigviertel, wie so vieles auch nicht super-groß und historistisch. Hier wäre Sachsenhausen der Vergleichswert...


    Die Mentalität der Württemberger und Stuttgarter im Allgemeinen - nicht im Einzelnen! - wurde hier dargestellt.
    Zeno, dir stimme ich wie so oft in fast allem zu. In diesem Strang gibt es aber zwei Abweichungen:
    1. Du solltest dich nicht von Feuerbach abschrecken lassen: Es ist ein Industrieaußenstadtteil mit langweiligen Mietswohnungen und Familienhäusern. Das gibt es so ähnlich leider fast überall.
    2. Stuttgart ist keine "Metropole". Die Innenstadt war einst herzöglich, dann königlich, heute ist sie ein Einkaufsparadies für Massenkonsumenten ohne ästhetisches Gefühl. Angrenzend kommen die netten historistischen Viertel und danach irgendwelche Industriekäffer ohne jegliche Urbanität. Mentalität und Stadtbild bedingen und begründen sich hier gegenseitig. Die Mietpreise und Löhne mögen noch so hoch sein, letztlich wohnt der Großteil der Menschen im Raum Stuttgart in zersiedelten Wohngebieten auf der ehemals grünen Wiese, kann dort seinem privaten Glück nachgehen, aber Bürgerlichkeit und Urbanität entstehen so eben nicht. Man bleibt Provinzler - ich habe nichts gegen "Provinzialität", die Nürnberger mag ich aufgrund ihrer einfachen Natürlichkeit, aber in Stuttgart hat dies irgendwie die vorherrschende Ellbogenmentalität und dieses "Jeder ist sich selbst der Nächste" noch verstärkt.

    Daher ist man auch nur sehr ungern bereit, auf das Auto zu verzichten, denn was geht einem die Innennstadt an, die man selbst nur funktional nutzt?
    Ebenso: Wie viele Menschen wohnen in Stuttgart entlang der Königsstraße, dem Marktplatz oder deren unittelbarer Nähe? Wohl sehr wenige. Die Eigentümer dieser Gebäude, wahrscheinlich vorwiegend Gesellschaften, werden den Teufel tun, diese Gebäude abzureißen, währenddessen auf die (hohen) Mieten der Geschäfte, Kanzleien und Praxen zu verzichten, nur um ästhetischere Gebäude zu rekonstruieren, in einer Stadt, mit der man außer Geld verdienen nichts zu tun hat.
    Gewissen negative Entwicklungen und Eigenschaften, die es überall gibt, treten in Stuttgart leider auffallend häufig auf...

  • Wie hat man es in Hildesheim gelost?
    Erste Wiederaufbau

    http://www.geschichteinchronologie.com/2wk/b/1945-03-…im-1960er-j.jpg

    Zweite Wiederaufbau
    https://m.oldthing.de/Hildesheim-Mar…heim-0024302797

    Wie war es moglich die Bestand zu abreisen und eine zweite Wiederaufbau einzuleiten?


    Du solltest nicht die völlig unterschiedlichen Rahmenbedingungen aus den Augen lassen. In Stuttgart handelt es sich - man möge mich korrigieren, wenn ich falsch liege -, um Einzelhäuser in Privatbesitz. Zum Beispiel gehört das Gebäude Marktplatz 6 dem Regisseur Günther Beelitz. Du müsstest also in Verhandlungen mit einer Reihe privater Eigentümer gehen und diese zum Verkauf überreden oder enteignen, um dort großflächige Abrisse vornehmen zu können.

    In Hildesheim bot sich eine historische Chance, als das in dem Nachkriegsbau untergebrachte Hotel Rose pleite ging. Offenbar war das Areal nicht im Privatbesitz, sondern entweder städtisch oder im Besitz der Sparkasse, die dort jedenfalls neu bauen wollte. Das erleichterte das Vorhaben, weil die Stadt recht frei walten konnte. In Frankfurt war es ähnlich. Das Technische Rathaus war im städtischen Besitz, konnte somit abgerissen werden. Was das Dom-Römer-Projekt ermöglichte.

  • Mit der Stuttgarter / Schwäbischen "
    Provinzialität" meinte ich aber nicht die liebenswert-positive Einstellung zur ländlichen Idylle / Lebensweise,
    sondern die rückständige Sichtweise zu Modernität und Städtebau. Man hat im Südwesten immer noch nicht begriffen, aus welchen Elementen moderne und lebenswerte Stadtstrukturen bestehen und dass diese wenig bis nichts mit der Zerstörung historischer Ensembles oder mit Betonbrutalismus a la 70er Jahre zu tun haben müssen.

  • Wer in Stuttgart für Rekonstruktionen eintritt, erntet im besten Falle ein müdes Lächeln und wird als weltfremd oder als Spinner abgestempelt.

    Im schlimmsten Fall lacht das ganze Podium, wie ich es einst bei einer Podiumsdiskussion erlebte, in der es um die damals noch offene Neugestaltung des Kleinen Schlossplatzes ging und in der ein Mann aus dem Publikum verschämt und doch mutig die Rekonstruktion des Anfang der Sechziger abgerissenen Kronprinzenpalais vorschlug. Dabei war der Abriss dieses nur leicht beschädigten Gebäudes dazumal von Lokalpresse, Heimatbund und Denkmalamt heftig bekämpft worden, aber das war eben noch in jener Übergangsphase, in der die "moderne" Gesinnung mit ihrer Brutalität sich nur eben erst durchzusetzen begann.

  • Übrigens tauchte etwa zwanzig Jahre später nochmals ein höchst interessanter Vorschlag auf, der aber weder in den Medien noch sonstwo Resonanz fand: Am Karlsplatz, an der Stelle des jetzt fertiggestellten Dorotheenquartiers könnte, so wurde gefordert, eine zumindest äußerliche Rekonstruktion des Kronprinzenpalais entstehen, in dem dann ein Luxushotel Platz finden könnte, wie es bestimmte Kreise in Stuttgart vermissen. Die Idee war kühn und hätte in kaum einer deutschen Stadt Chancen auf Verwirklichung gehabt, am wenigsten in Stuttgart.

    Stuttgart hätte mit seinen hervorragenden Voraussetzungen, mit seiner Topographie, seinen Gründerzeitquartieren, seinen Hangstraßen und seinen Höhenvillen anderen deutschen Städten beim Wiederaufbau den Rang ablaufen können, hätte die ansehnlichste deutsche Großstadt werden können, aber das erlaubte der Zeitgeist nicht. Der Wettlauf ging in eine andere Richtung, in die Richtung Amerikanisierung und Kappung der eigenen Geschichte. Dabei aber entwickelten die Akteure des Wiederaufbau eine für Stuttgart eigentümliche Wiedergutmachungsgesinnung gegenüber der klassischen Moderne, die sich in Vorkriegszeiten nur mühsam gegenüber dem nationalsozialistischen Heimatschutzstil hatte behaupten können..Allerdings fiel diese Wiedergutmachung zaghaft und unentschieden aus und erreichte weder eine qualitätvolle Anknüpfung an Altstadtstrukturen noch die konsequente Anwendung des Internationalen Stils. Gerade die "Architektenstadt" Stuttgart geriet zum Musterbeispiel für das Mittelmaß, das alle deutschen Wiederaufbaustädte entstellt.

  • nationalsozialistischen Heimatschutzstil

    Der Heimatschutzstil als solches war nicht nationalsozialistisch, ganz und gar nicht, aber das wolltest du vermutlich auch nicht sagen...

    Ansonsten stimme ich dir zu. Stuttgart hatte ähnlich gute Voraussetzungen wie München, vielleicht bessere, man hat aber wenig daraus gemacht. Es ist unglaublich, wie man aus einer eigentlich schönen Stadt mit Gewalt eine hässliche bis durchschnittliche machte und noch immer macht.

    Was braucht es in Stuttgart, um den Funken zu entzünden? Mitunter reicht ja schon ein kleines Projekt.

  • Philoikodomos, gut geschrieben, zwei Begriffe will ich näher thematisieren:

    - "Amerikanisierung" ist für das heutige Stuttgart ein sehr passender Ausdruck: Wohnen auf der grünen Wiese, flüchtige, nach außen freundliche Beziehungen zur unmittelbaren Nachbarschaft (wegen der Kehrwoche oder Autoparken kann die freundliche Firnis aber schnell einreißen), mit dem Auto zum nächsten Großeinkaufszentrum oder zu Veranstaltungen in die (Tief-)Garage. Sehr viele Einwohner und hohe Wirtschaftskraft, aber null Urbanität.
    Der Vergleich zu den deutschen Exilautoren und -schriftstellern à la Franz Werfel oder Thomas und Heinrich Mann tut sich hier auf, die, bei aller Freude und Dankbarkeit, gerade diese fehlende Urbanität und damit (Stadt-) Kulturlosigkeit an der Westküste der USA bemängelten.

    - "Mittelmaß": Der Aufbau Stuttgarts ist für mich an vielen Stellen überhaupt nicht mittelmäßig, sondern bodenlos schlecht (große Flachdachkisten, keine oder kaum Ornamentik, breite Straßen...), also banal, gesichts-, herz- und seelenlos, aber nicht mittelmäßig.
    Leider ist dies auch in manch anderen bundesdeutschen Städten so ähnlich...

  • Der Heimatschutzstil als solches war nicht nationalsozialistisch

    Das stimmt; ich bezeichne lediglich eine ganz spezifische, zeitlich scharf umrissene Ausprägung des ansonsten weiter gespannten und mit sehr verdienstlichen Leistungen hervorgetretenen Heimatschutzstils des 20. Jahrhunderts. Die NS-Architektur, soweit sie nicht einem monumentalen Klassizismus folgte, strebte ein landschaftsverbundenes Bauen an, das aber durch rigide Vorgaben (vor allem in Fensterteilung und Dachneigung) eine ganz Deutschland durchziehende fast soldatische Einförmigkeit und Sterilität an den Tag legte. In Stuttgart ist diese Richtung eher dominant als die klassische Moderne.der Vorkriegszeit.

    An Eduard: Es hat sich leider eingebürgert, den Ausdruch "Mittelmaß" auch für das Dürftige, Unzulängliche zu gebrauchen. Man beugt sich damit eben einer gewissen Nachsichtigkeit im Urteilen. Schließlich waren die Protagonisten des Stuttgarter Wiederaufbaus davon überzeugt, ihr bestes zu geben. Dies lag auch an provinzieller Selbstbescheidung; hätte man das Ausland zum Maßstab genommen (Frankreich, Belgien, Polen), wäre man zu anderen Resultaten gelangt.

  • Aber ist Stuttgart so viel schlechter als Kassel oder Hannover? Was in Stuttgart gibt gibt es auch in mehrere andere BRD städten. Die Stadt als Einkaufzentrum und Leuten wohnen irgendwo anders - das macht zum beispiel Lubeck so charmant weil die Altstadt ist auch eine dichte und attraktive Wohngegend.

    Kassel
    https://www.google.co.uk/amp/s/www.hna.…378788.amp.html

    Hannover
    http://www.webbaviation.de/galerie/index.…ui-state=dialog

  • Aber ist Stuttgart so viel schlechter als Kassel oder Hannover?

    Nein, Stuttgart ist sogar besser als die beiden genannten Städte, sicherlich auch besser als Dortmund, Essen oder Köln. Selbst Hamburg finde ich in weiten Teilen absolut häßlich - Stuttgart ist also irgendwo durchschnittlich.