• Wahrscheinlich werden die meisten hier mit Sindelfingen eher eine Autostadt assozieren, wo nur Mercedes-Benz gefahren wird :D Aber dies entspricht nur der halben Wahrheit. Denn die Altstadt von Sindelfingen, welche zwar sehr klein ist (sie passt wohl über 10 in das Firmengelände von Mercedes-Benz) bietet eine Schatzkammer für den Liebhaber (alemannischer) Fachwerkbaukunst!

    Doch zuerst ein wenig Geschichte, um den Ort zu verstehen:

    Bereits in der Jungsteinzeit gab es in der Nähe der heutigen Stadt Besiedlungen und zur Römerzeit am Goldberg einen römischen Vicus (Straßendorf). Nach der Zerstörung des Limes 260 nach Christus kam der germanische Stamm der Alemannen und siedelte auch in Siedelfingen. Um 700 stand schon eine Vorgängerbauwerk anstelle der heutigen Martinskirche. 1066 wurde in Sindelfingen ein Chorherrenstift gegründet welches 1155 als „praepositura in Sindelvinga“ erstmals urkundlich erwähnt wurde. Das Dorf Sindelfingen ursprünglich welfisch, kam später an die Tübinger Pfalzgrafen. 1263 wurde die Stadt erstmals nach einem Wettrennen innerhalb der Tübinger Linie (neu)gegründet. Seit 1351 württembergisch. Im 16 Jh. erfolgreiche Reformation auch in Sindelfingen. Während der Industrialisierung im 19 Jh. ließen sich zuerst mechanische Webereien nieder. Erst 1914 wurde das Daimlerwerk in Sindelfingen angesiedelt. Nach Zerstörung der Neustadt und Werk im Zweiten Weltkrieg, modernistischer Wiederaufbau. Von 1945/46 dem Land Württemberg-Baden zugehörig und seit 1952 dem heutigen Bundesland Baden-Württemberg.

    Außerhalb der Altstadt präsentiert sich Sindelfingen wie jede baden-württembergische Stadt: kalt und klotzisch. Deshalb habe ich auch von diesen Bausünden keine Bilder gemacht.

    Eine schöne Ausnahme außerhalb der Altstadt bildet das klassizistische mittlere Rathaus an der Ostseite des Marktplatzes, heute Stadtgalerie:

    Doch überqueren wir rasch den ansonsten tristen Marktplatz um zur Altstadt zu gelangen. Gehen wir durch die Straße "untere Vorstadt". Rechts ist die Turmstraße und dieses fränkische Fachwerkhaus:

    Danach kreuzt die Turmstraße die untere Burggasse. Hier befinden sich zwei interessante alemannische Fachwerkbauten. Zuerst Nr. 5 das sogenannte Schultheißen-Wohnhaus von 1466/70 war ganz früher das älteste der Stadt. 1495 dann wurde es zum Wohnhaus von Schultheiß Konrad Heinrichmann:


    Das benachbarte Fachwerkhaus ebenfalls alemannisch bzw. oberdeutsch stammt aus der selben Zeit nämlich der zweiten Hälfte des 15 Jh =O





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  • Noch ein Bild vom ehemaligen Hoftor, welches modernistisch umgestaltet wurde:

    Gegenüber:

    Die Nachbarhäuser sind wieder mehr fränkischer/mitteldeutscher Prägung:



    Nun kommen wir zur nächsten Sehenswürdigkeit: das alte Rathaus. Es handelt sich hierbei ebenfalls um ein oberdeutsches Fachwerkhaus, welches 1470 errichtet wurde! Die Streben sind hier ebenfalls verblattert. Und selbst der Eingang ist spitzbögisch also gotisch. Das Einzigste, was diesem authentischen Anblick gestört hatte waren damals (Sommer 2015) die sogenannten "Kunstinstallationen" in Form von irgenwelchen Stoffen in grellen Farben, welche in das Gefache gesetzt wurden...





    Das linke Nachbarhaus ist das sogenannte "Salzhaus" von 1592 und wurde ursprünglich als Magazin erbaut:



  • Tolle Galeri, du machst generell gute, gefällt mir mal nicht nur groß Städte zu sehen und soviel fachwerk. Die Alemannischen Fachwerk Häuser wirken sehr Urig und mächtig.Die Installation am Rathaus ist tatsächlich mal ne nette Idee, endlich mal was was auch mit dem Bau zu tun hat und in sogar unterstreicht, sagt mir zu.


  • Weiter geht es die Hintere Gasse in das Herz der Altstadt. Was ich an der Sindelfinger Alt"Stadt" schätze ist die Einzelstellung der Fachwerkhäuser im Grunde wie im Dorf mit viel grün dazwischen:

    Gegenüber ein hübsches Ensemble. Das linke Haus typisch fränkisch mit großen geschnitzen Fesntererker ganz links stammt wohl aus dem 16 Jh.


    An der Gabelung Hintere Gasse - Martinsgasse steht unsere nächstes alemannisches Fachwerkhaus, das "Haus zum Hexensprung", welches 1475 errichtet wurde mit einem Anbau von 1506 und sehr malerisch und verwinkelt aus allen Richtungen wirkt <3


    Die typische alemannischen Stubenfenster, hinter dem nicht verputzten, sondern verbretternden Brüstungen befindete sich im Mittelalter die Stube, das Wohnzimmer des Hauses. Doch mittlerweile wird dies auch infragegestell, denn nach neueren Forschungen jedoch sollen die Brüstungen auch für die Stube wie bei den anderen verputzt worden sein, also war es eine frühere (falsche) Freilegung.


  • Die Nachbarhäuser gegenüber unserem alemannischen Schmuckstück:


    Detail des interessanten Pfotstenwerks am "Haus zum Hexensprung"


    Bick von Süden auf das verwinkelte Anwesen:




    Auch eigenartig dieses Nachbarhaus (Martinsgasse 4+6:



    Martinsgasse 2:

  • Mmmmmhh... Alemannien, wie es leibt und lebt!
    (Sorry, wenn auch ich mal ein bisschen themenfremd schreibe)


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    Die Kunstinstallation am Rathaus und Nachbargebäude finde ich gelungen; sie verhunzt und verulkt das Gebäude nicht, und das Farbenspiel im Kontrast zu den Ockerfarben ist noch interessant. Zudem ist sie zeitlich sicher begrenzt (was aber kein Freipass für diverse Kunstprojekte an historischen Bauten sein sollte). Solche Farbenspiele werden auch in der Praxis durchgeführt, wenn man beispielsweise die Farbe der Fensterläden bestimmen muss, wenn man keine Befunde mehr von den originalen hat.

  • Danke @Maxitown für die lieben Worte :daumenoben: ja ich war von der besonderen heimeligen Atmosphäre der Sindelfinger Altstadt sehr begeistert! Zu den Textilien im alten Rathaus: wenn das nur temporär für einen Monat oder so ist, dann ist es nicht schlimm, aber in Google Earth sieht man das Rathaus ebenfalls im selben “Kleid“. Ich befürchte, dass das Gefache dadurch beschädigt wird.... Auf der einen Seite sieht es ganz, lustig aus, aber auf der anderen Seite ist es irgendwie auch kitschig. Schwierig zu sagen :D

  • noi, i glaub' in Sindelfinga dät mer des andersch schwätzä.
    so o'gfähr:
    no net hudle, s' kommt scho no!
    (nein, in Sindelfingen würde man das anders sagen, so ungefähr: nur nicht eilen, es kommt schon noch!)

  • Natürlich. Ich habe ja nicht so geredet wie in Sindelfingen, sondern so, wie wir reden.

    War auch als temporärer Beitrag gemeint, der bald wieder gelöscht wird...

  • Da bin ich wirklich erstaunt. Ich habe mir Sindelfingen bisher komischerweise immer als ziemlich hässlich vorgestellt, die Galerie zeigt aber ein wirklich schmuckes Stadtbild, das äußerst wertvolle Fachwerkpracht zu bieten hat!

  • Ich habe die Altstadt im März eher durch Zufall auch für mich entdeckt, mangels Kamera aber keine Fotos aufgenommen. Auf Google Earth gibt es aber ein komplettes 3D-Modell zu sehen.

  • Auch das Haus hier rechts (Haus Arzat) auf dem Bild hat im Giebel oberdeutsches Fachwerk und ist im Kern von 1434:

    Nun kehren wir wieder um und schauen uns die malerische Kurze Gasse an:

    Hier ist jedes Haus ein Unikat!

    Ein stattliches fränkisches Fachwerkhaus, wohl 16. Jh. Am Eck im Obergeschoss erkennt man mit den Fenstererkern die Stube:

    Das schlägt das Herz jedes Altstadtfreundes höher:


    Nr. 8 ist ein Ackerbürgerhaus und wurde 1717 erbaut:


  • Auch ein interessantes Haus: Obergeschosse sind zwar neuer (18. bis 19. Jh.) aber das Erdgeschoss ist im Kern ebenfalls aus dem 15. Jh. (die typischen alemannischen Verblattungen erkennt man an der Ecke unten rechts):

    Ein Blick zurück:

    Details Rauten auf Andreaskreuze:




    Das sechsstöckige sogenannte Storchenhaus von 1601 ist eines der größten Fachwerkhäuser der Sindelfinger Altstadt. Ursprünglich war es ein Lagergebäude (Speicher):



  • Das steinernde Erdgeschoss des Storchenhauses. Man sieht an den Stürzen die Pofile der Renaissance und sogar ein wenig Spätgotik an der zweiten Tür von rechts:

    Die Hintere Gasse. Hier befinden sich zum Teil die Scheunen:

    Aber auch solch ein mittelalterliches Schmuckstück. An der Tür bezeichnet 1605 aber aufgrund des alemannsichen (Ständer)Fachwerks sicherlich viel älter:


    Im Hof erwartet einem auch eine Überraschung:


    Dann noch etwas weiter die Nr. 33 auch ein seht altes Haus:





    Blick hinunter Richtung Grabenstraße:


  • Nun gehts zurück:




    Storchenhaus ebenfalls mit "Kunstinstallationen":


    Gegenüber vom Storchenhaus befindet sich das Firstsäulenhaus. Es wurde wie die angrenzende Bebauung im Zweiten Weltkrieg zerstört und wurde 1988 bis 89 rekonstruiert. Das im Stil ebenfalls oberdeutsche Haus ist ursprünglich um 1450 errichtet worden.


  • Hinter dem Haus befindet sich der Schaffhauserplatz mit Resten der Stadtmauer aus dem 13. Jh.

    Wenn wir jetzt wieder zur Langen Straße zurückgehen, kommen wir an der stark befahrenen Ziegelstraße raus:

    Hier wurde ein Fachwerkhaus mit Reklame verunstaltet:

    Dahinter befinden sich schon Häuser, die zum Kirchenbezirk gehören:


    Jetzt erblickt man schon den Turm der romanischen Kirche:


    Fortsetzung folgt!

  • Außergewöhnlich gut erhaltene Fachwerkhäuser mit auffällig uraltem spätgotischen Baudatum. Sehr geschmackvoll auch restauriert. So toll ausschauend war das bei meinem letzten Besuch vor gefühlt 30 Jahren noch nicht gewesen. Man merkt den Wohlstand der Gegend und kann von Glück reden, daß die Häuser in den 60iger und 70igern nicht abgerissen wurden.
    Das Firstsäulenhaus eine Rekonstruktion!? Super gemacht! Das Holz wirkt wie echt alt, wohl auch aus alten Balken gezimmert, oder waren noch Teile des originalen Hauses vorhanden? Nur der Putz hätte mir verraten, daß da was nicht stimmt!?

    Ach, Fachwerkliebhaber, kann ja verstehen, daß Dir "DEINE" Fachwerkhäuser am liebsten pur sind, aber das letztere ist mir selbst keine Reklameverunstaltung, sondern eine mal andere temporäre Werbung für ein Kulturfestival. Ist doch in Ordnung, wie die Idee mit der Gefacheverhüllung am Rathaus. Altstädte sollten auch für die Bevölkerung attraktiv bleiben und andere Leute auch anlocken, ist doch kein Museum, das kann keiner sich wünschen. Es will ja auch darin gelebt werden, sonst können wir die Fachwerkstädterln bald vergessen. Mir scheint die Belebung ist in Sindelfingen gelungen. Da wohnt man gern. Sicher die/der eine oder andere KünstlerIn!?