• Es erfordert eine gewisse Abstraktionsfähigkeit, sich vorzustellen, dass die gezeigten Bilder die Altstadt von Sindelfingen zeigen.

    Was wir hier sehen, ist eine fachwerkgeprägte Altstadt mit reichem Altbaubestand, die ein Stück weit dörflichen Charakter hat.

    Sindelfingen aber ist der Name einer Stadt, die kraft ihrer Wirtschaftskraft weit und breit als Synonym für die hochtechnisierte, moderne Industriegesellschaft steht. Sindelfingen, das ist die moderne, in alle Richtungen wuchernde, moderne Industriestadt im Grünen. Eine Stadt, die voll und ganz den Charakter einer Stadt besitzt, die keine historischen Wurzeln hat, sondern das Ergebnis des Aufbaus nach dem Krieg darstellt. Wer heute durch die Stadt fährt, erfährt sie wie Burghausen als moderne, aufgelockerte Industriestadt, wo alles hochmodern und hochentwickelt ist (abgesehen davon, dass sich am Rand von Burghausen noch eine Altstadt befindet).

    Diese beiden Assoziationen zusammenzubringen, nötigst Du uns heute dankenswerterweise, Fachwerkliebhaber. Deine Ansichten beweisen, dass der Inbegriff der modernen Industriestadt ein geradezu dörflich anmutendes Herz hat. Was für eine Vorstellung!

    Die Galerie hat mich veranlasst, im Luftbild die Altstadt und ihre Begrenzung zu suchen und anzuschauen. Sie liegt wie ein Fremdkörper, wie eine kleine, introvertierte Welt in dem Häusermeer der großen Stadt. Die Altstadt besitzt keine Kirche, diese liegt außerhalb! Die Innenstadt schaut sehr interessant aus - wie eigentlich so ziemlich jede große, historische Stadt Württembergs. Da habe ich größte Lust, das alles in natura zu sehen.

    So wie heute habe ich Sindelfingen noch nie gesehen. Was für ein Kontrastprogramm!


    http://www.swv-sindelfingen.de/ursprung-stadt…ndelfingen.html
    http://www.swv-sindelfingen.de/sindelfinger-stiftsbezirk.html
    http://www.swv-sindelfingen.de/stadtgeschicht…-kernstadt.html
    http://www.swv-sindelfingen.de/index.php?opti…tmap&Itemid=583

  • @alle Vielen Dank für die vielen, positiven und überraschten Reaktionen zu meiner Galerie. Als ich über das sogenannte "Firstsäulenhaus" geschrieben habe, habe ich mich auf diese offizielle Quelle der Stadt Sindelfingen berufen, die halt besagt, dass das Bauwerk rekonstruiert wurde nach Zerstörung in WK 2! Danke für die vielen sehr guten Quellenangaben, die das Gegenteil beweisen!

    Ja mich hat Sindelfingen auch gerade deswegen sehr fasziniert, weil dieser kleine aber wunderbar erhaltene "Ortskern" wie ein Wunder erhalten blieb im Grunde wie eine Zeitkapsel inmitten der Nachkriegsödnis , die offenbar von den meisten hier erwartet wurde und wohl auch bekannt war.

  • Speziell die Kurze Gasse ist großartig, auch aufgrund der ansteigenden Topographie.

    Aber, was ist denn da schon wieder in der Hinteren Gasse (Nr. 12, neben dem Haus Arzat) passiert?

    Auch das Haus hier rechts (Haus Arzat) auf dem Bild hat im Giebel oberdeutsches Fachwerk und ist im Kern von 1434:

    https://www.flickr.com/photos/sindolf/2884297793

    https://www.wohnstaetten.com/kaufen/neubau/hintere-gasse/

    Oh wei...


    Zum links angeschnittenen Haus zum Hexensprung.

    2006 wurde da gerade der Seitenflügel renoviert. Das Hauptgebäude sah seinerzeit noch ein wenig anders aus (nach Umbau 18./19. Jh.), da erfolgte also im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss (inkl. Stube) seitdem offenbar eine Zurückversetzung in einen (mutgemaßten?) früheren Zustand.

    Auch bei dem tollen Fachwerkbau Untere Burggasse 3 ("Avatarhaus") sieht das Erdgeschoss auf einer früheren Aufnahme im Büchlein "Kleine Kunstgeschichte des deutschen Fachwerkbaus" (Aufnahme T19) noch ein wenig anders aus. Daneben stand noch ein weiterer Fachwerkgiebelbau (eine Scheune?), der nicht mehr existiert.

    Das Haus gegenüber, Ecke Turmgasse, wurde ebenfalls seit 2006 renoviert und es wurden ein paar Bäumchen gepflanzt...

    Kann bei Gelegenheit ein paar Vergleichsbilder von 2006 dazu stellen (Dias, muss ich aber erst einscannen, das dauert ein wenig...)


    Kleiner Nachtrag:
    Komischerweise gibt es im Bildindex gerade mal 3 Treffer zu Sindelfingen, die ehem. Stiftskirche betreffend???
    Auch auf der Webseite Bauforschung Baden-Württemberg findet sich keines der vorgestellten interessanten Fachwerkgebäude...

    2 Mal editiert, zuletzt von Markus (19. November 2017 um 14:21)

  • Die neuere Bildindex-Version bringt bei mir jetzt auch 66 Treffer inklusive älterer Aufnahmen von Unterer Burggasse 3 bzw. 5. Die 3 Treffer waren es bei der früheren Version (zu Bopfingen vgl. 166).

  • Kommen wir jetzt endlich zur romanischen Kirche St. Martin zu Sindelfingen. Die Kirche hat ihrem Ursprung bei der Gründung des ehemaligen Chorherrenstifts St. Martin im Jahre 1059, welche unter dem Grafen Adalbert II. von Calw und seiner Gemahlin Wirltrud von Bouillon geschah. 1083 wurde die Kirche geweiht und die Krypta um 1100. Im 16. Jh. und im 19 Jh. wurden an dem romanischen Bauwerk einige Änderungen durchgeführt. Diese wurde dann bei der letzten größeren Restaurierungsmaßnahme 1933 beseitigt um das ursprüngliche Raumgefühl wieder herzustellen. Zuerst ein paar Fotos von Außen:

    Der Glockenturm steht abseits vom Kirchenschiff und wirkt dadurch ein wenig italienisch:

    Seitenschiff und Hauptschiff. Mit dem typischen romanischen Rundbogenfris wird die strenge Baumasse ein wenig aufgelockert:




    Die Apsiden mit Blendarkaden typisch romanisch:



    Das Hauptportal: man merkt hier die schlichte Wiederherstellung aus den 30er Jahren:

    Treten wir nun ins Innere ein:

    Sofort fallen die Pfeiler auf, die Ecken mit Rundstäben besitzen:


  • Gesamtblick Richtung Chor:

    Die bunten Bleiglasfenster stammen von 1933 und wurden von Walter Kohler entworfen:

    Verlassen wir jetzt aber wieder dieses Gotteshaus und schauen uns das nächste alemannische Fachwerkhaus an, welches vermutlich das Chorherrenhaus war. Es wurde 1454 erbaut und man erkennt sofort dass es am authentischsten ist von allen mittelalterlichen Häusern denn selbst der Tüsturz ist noch original:

    Die Nachbarhäuser mit Hoftoren (wie an der deutschen Weinstraße) zur Ziegelstraße:

  • Nun geht es wieder zurück über die Lange Straße zum Schaffhauser Platz. Hier befindet sich am südöstlichen Eck noch ein schönes fränkisches Fachwerkhaus: das Gasthaus "Drei Mohren" von 1714.



    Die Planierstraße:




    Die romantische Turmgasse:

    Nochmal Lange Straße, Blick in Richtung Süden:


    Stumpengasse:

  • Endspurt: bleiben wir noch in die langen Straße...

    ... wo man dieses hübsche Ensemble im Hof hinter der hintere Gasse findet:

    Beim linken Gebäude, einer ehemaligen Scheune, hat man auch teilweise das Gefache verglast zur Helligkeitserhöhung im Inneren:

    Und noch etwas südlicher, am Wettbachplatz dieses Gründerzeithaus:

    Gegenüber dieses süße Fachwerkhäuschen:

    Wieder in der Straße "Untere Vorstadt" ein Rest der ehemaligen Stadtmauer aus dem 13. Jh. :

    Wir haben unseren Ausgangspunkt den Marktplatz wieder erreicht und den Stadtrundgang beendet!

    --- Ende ---

  • @Fachwerkliebhaber

    Besten Dank für diese sehr interessanten Fotos. Ich konnte mir bisher unter Sindelfingen nicht viel vorstellen. Klar, Mercedes-Benz und die damit verbundene wirtschaftliche Potenz wie im übrigen Stuttgarter Raum. Umso überraschter bin ich über diesen äußerst pittoresken Altstadtkern mit viel Grün dazwischen. Ich hatte bereits mit einer gruselig verunstalteten Altstadt à la Crailsheim oder Heidenheim gerechnet. Schön daß ich mich da getäuscht habe.

    In der Altstadt die Macht, im Kneiphof die Pracht, im Löbenicht der Acker, auf dem Sackheim der Racker.

    Hätt' ich Venedigs Macht und Augsburgs Pracht, Nürnberger Witz und Straßburger G'schütz und Ulmer Geld, so wär ich der Reichste in der Welt.