Frankfurt a. M. - Paulskirche

  • Die Treppe hinaufsteigend sehen wir hier die Flaggen von Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die sächsische Flagge müsste ausgetauscht werden. Das haben andere vor mir auch schon gesagt, aber man kann es gar nicht oft genug sagen: Die sächsischen Farben sind Weiß und Grün. Hängeflaggen und Knatterflaggen sieht man in der Praxis oft falsch herum, aber in der Paulskirche sind bei den anderen Flaggen die Farben ja richtig angeordnet. Das folgende Bild zeigt, wie es sein muss:

    Aber da sieht man doch schön, wie stiefmütterlich die Paulskirche behandelt wird. Dass die sächsische Flagge falsch herum hängt, stand schon vor 15 Jahren in der FAZ. Interessiert dort bis heute keinen. Kann ich nicht nachvollziehen. Da müsste man als Hausherr doch vor Scham in Grund und Boden versinken.

  • „Der OB sieht die Frage der Architektur eher als zweitrangig an. Allerdings müsse der Charakter des Baus lebendiger werden.“

    Dieses bunte Geschwurbel ist unerträglich. „Demokratiezentrum“, das wird wohl eine ähnlich konkrete und durchdachte Sache, wie das „Humboldt-Forum“: sehr viel Gesinnung, sehr wenig Inhalt. Was soll in diesem „Demokratiezentrum“ zu sehen sein? Demokratie bzw. die Interpretation des OB und Konsorten darüber, was Demokratie zu sein hat? Spielt man da Wahlen nach? Oder gäbe es Podiumsdiskussionen, die das ganze politische Spektrum einschließen? Wird es ein Museum zur Geschichte der Demokratie in Deutschland? Oder das „Mahnmal“ Nr. 8‘637‘367?

    Der zweite Begriff ist „lebendig“. Was meint er damit? Dass nur Lebende sich dort aufhalten dürfen, nach dem Motto „Leichen haben keinen Zutritt“? Das ist bei den meisten öffentlichen Gebäuden abseits von Friedhöfen auch der Fall. Dass man lustige Konzerte im Kircheninneren veranstaltet? Dass es eine Cafeteria geben soll oder eine Shishabar? Hier spricht einer blumig daher, ohne irgendetwas zu sagen.

    Nur eines sagt er, und das sehr deutlich: die Architektur dieses nationalen Denkmals samt umliegender Bebauung ist zweitrangig.

    Immer schön die Fahne in den Wind hängen. In der Politik kommen oft nicht die besten nach oben sondern die angepasstesten. Ein widerliches Geschäft. Wobei der OB nach der 180Grad Wendung nach Fertigstellung der Altstadt nun doch sensibilisiert sein sollte für Rekonstruktionen. Unverständlich.

  • Ein Besuch der Paulskirche gehört für mich bei jedem Besuch in Frankfurt mit dazu - auch weil ich diese Widersprüchlichkeit mag, die ich dabei jedes Mal empfinde: Als historischen Ort finde ich den Umgang mit dem Inneren absolut unwürdig. Die Kälte und Nüchternheit, die das ausstrahlt, steht für mich in einem krassen Widerspruch zur Bedeutung des Ortes.

    Auf der anderen Seite ist sie ein herausragendes Beispiel für den Neubeginn nach 1945 und gerade in ihrer Schlichtheit ein Denkmal für das Selbstverständnis Deutschlands nach der Stunde Null. Ich kann deshalb auch nie sagen, was ich eigentlich von dieser Kirche will. Eine Rekonstruktion würde mir ebenso gefallen, wie eine Beibehaltung des jetzigen Zustandes.

  • Hier könnte ja auch mal ein ganz anderes Experiment gewagt werden... Eine Hälfte des Kirchraumes rekonstruieren, die andere so beibehalten. Quasi wie ein lebendiger geschichtlicher Querschnitt durch Deutschland. ;) Zudem würde das natürlich jedem den ästhetischen Vergleich der Epochen vor Augen führen und sicher sehr viel stärker zum nachdenken über den Wert klassischer Architektur anregen, als eine normale Komplettreko.

    (Die unterschiedlichen Geschosshöhen usw. sind mir bewusst, doch auch für sowas finden sich bestimmt Lösungen.)

  • (Die unterschiedlichen Geschosshöhen usw. sind mir bewusst, doch auch für sowas finden sich bestimmt Lösungen.)

    Ja, zum Beispiel eine Seilbahn oder ein riesiges Trampolin... Demokratie in Bewegung2... :lachentuerkis:

  • Hier könnte ja auch mal ein ganz anderes Experiment gewagt werden... Eine Hälfte des Kirchraumes rekonstruieren, die andere so beibehalten. Quasi wie ein lebendiger geschichtlicher Querschnitt durch Deutschland. ;) Zudem würde das natürlich jedem den ästhetischen Vergleich der Epochen vor Augen führen und sicher sehr viel stärker zum nachdenken über den Wert klassischer Architektur anregen, als eine normale Komplettreko.

    (Die unterschiedlichen Geschosshöhen usw. sind mir bewusst, doch auch für sowas finden sich bestimmt Lösungen.)

    Am Schloss Hartenfels zu Torgau gibt es elbseitig einen großen Rundturm. Dieser war im 16. Jahrhundert Teil einer prächtigen kurfürstlichen Residenz und diente im 19. Jahrhundert als Geschützturm einer preußischen Festung. Bei den Restaurierungsarbeiten der letzten Jahre wurden beide Zeitschichten sichtbar gemacht. Denkmalschützer und Restauratoren lieben sowas. Ich habe mal mit einer Restauratorin gesprochen, die ganz stolz darauf war und betonte, dass so etwas nur sehr selten möglich sei. Mir hat es auch gefallen, aber viele Leute mögen das nicht.

    Erbses Idee finde ich für die Paulskirche sehr passend. Die Paulskirche ist und war ja nicht als Raumkunstwerk, sondern als geschichtlicher Ort bedeutend. Das Sichtbarmachen geschichtlicher Brüche und verschiedener Zeitebenen würde sich hier anbieten.

  • Es stellen sich ein paar Fragen.

    War der Rundturm von Schloss Hartenfels zu Torgau ein architektonisches Denkmal der Nachkriegszeit?

    Wurde beim Rundturm von Schloss Hartenfels zu Torgau ein früherer Zustand (teil)rekonstruiert? Oder war es nur eine Freilegung früherer, aber noch substanziell vorhandener Zeitschichten?

    Last but not least. Dient der Rundturm von Schloss Hartenfels zu Torgau als nationaler Festort, in dem Bundeskanzler, Buchpreisträger oder die Queen ein und aus gehen?

    Zumindest als letzteres dient die Paulskirche. Sie wird intensiv genutzt, ist nicht nur ein Architektur-Anschauungsort für Baufachleute und Denkmalschützer. Ob es für einen solchen Festsaal praktikabel ist, in seiner Mitte eine Kante von der Höhe eines Geschosses aufzuweisen, mag jeder selbst beurteilen. Weiterer Platz für Stühle ginge noch durch Treppen oder Rolltreppen weg, die die Kante überwinden müssten. Da müssen die Feste zukünftig eben kleiner ausfallen.

    Und dann die Ästhetik. Zur einen Hälfte wird die Schlichtheit der Nachkriegszeit präsentiert, wenn man sich umdreht, wird es aber plötzlich klassizistisch mit halber Balustrade. Bloß, welche Seite nehmen wir als Hintergrund für das Rednerpult? Vielleicht könnte man die Kirche alle sechs Stunden einmal um die Achse drehen, so dass vormittags der Hintergrund Nachkriegszeit, nachmittags aber Klassizismus zeigt?
    Aber man könnte natürlich auch ein Schwimmbad oder einen Indoor-Spielplatz daraus machen. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

    "Erbse" kann jederzeit den Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt anschreiben und von der Idee zu überzeugen versuchen. Er wird auf diesen Appell möglichenfalls antworten, dass das so nicht geht, sondern es Sponsoren und Mitstreiter bedarf. Also, wird er eben nach diesen suchen müssen. Einen hat er womöglich schon gefunden. Aber, ich mutmaße mal, dass es mit dieser Idee schwierig wird, in Frankfurt Mitstreiter zu finden. Mir fällt keiner ein. Aber vielleicht irre ich mich ja. Ich lasse mich mal überraschen.

  • https://www.faz.net/aktuell/rhein-…n-16267765.html


    Zitat von FAZ

    Popp zufolge kann man beim Thema Sanierung der Paulskirche über alles streiten. Für die Grünen sei jedoch klar, dass die das Gebäude prägende Nachkriegsmoderne des demokratischen Deutschlands erhalten bleiben müsse.

    Man kann über alles streiten, aber klar sei, dass nicht der historisch relevante Zustand im 19. Jahrhunder, als die Paulskirche zur Natonalversammlung wurde, sondern der Hungerstil-Wiederaufbau der Nachkriegsjahre zu konservieren sei. So so. Für mich eine Schnapsidee.

  • Bericht von der Ausstellungseröffnung im Deutschen Architekturmuseum zur Paulskirche.: https://www.fr.de/frankfurt/fran…r-12977592.html
    Die FR schreibt dazu "Die Rechtspopulisten von AfD und BFF (Bürger für Frankfurt) werben derzeit für eine historische Rekonstruktion der Paulskirche in der Gestalt des 19. Jahrhunderts. Also mit prachtvoll geschmücktem Innenraum und umlaufender Empore. Alle an diesem Morgen positionieren sich klar gegen diese Forderung....".
    Auch Philip Kurz, Geschäftsführer der Wüstenrot-Stiftung (Sponsor der Ausstellung), hat was dazu zu sagen: "Das würde bedeuten, dass wir die Paulskirche bis auf die Grundmauern abreißen müssten.“ Alles etwas irritierend. Wurde die rekokritische Ausstellung jetzt im Sinne der Stiftung oder unabhängig von der Meinung der Stiftung rekokritisch gestaltet?

    ...

  • Da weiß man wirklich nich mehr ob man lachen oder weinen soll...jetzt hat man die Chance einen Raum wiedererstehen zu lassen, der für die Demokratiegeschichte in Deutschland von so immenser Bedeutung ist und dann kommen die Roten, die bald selbst Geschichte sind und stellen Befürworter einer Rekonstruktion mit der AFD gleich...der Raum wurde so karg gestaltet weil nach dem Krieg kein Geld und kein Material da war, das gilt auch für das prägende Dach und jetzt wird dieses vermurkste Erscheinungsbild zum Nationalheiligtum erklärt, unglaublich...
    Meinetwegen soll er seine demokratische Würfelbude danebenstellen, die strahlkraft eines rekonstruierten Innenraums in dem man die demokratische Euphorie von damals spüren kann wird der Würfel nicht erreichen.

  • Aus der Frankfurter Politik melden sich Stimmen, die sich wenigstens für eine teilweise Rekonstruktion der Paulskirche stark machen:

    https://www.faz.net/aktuell/rhein-…IiBIfizSP1h-ERk

    "Die Paulskirche ist der Ort des ersten deutschen Parlaments und nicht nur ein Festsaal der Stadt Frankfurt."
    Richtig! Hoffentlich findet sich noch mehr Unterstützung für eine dringend angebrachte Rekonstruktion des Inneren.

  • Bemerkenswert sind lt. des FAZ-Berichts die Aussagen des Ortsbeiratsvorsitzenden Strank (SPD) der sich wohl auch was historisches wünscht.

    ...

  • Zitat von BDA

    "Die Paulskirche ist eines der wichtigsten Denkmäler für die Geschichte der Demokratie in Deutschland. Der Umgang mit der Paulskirche muss dieser Bedeutung gerecht werden..."

    http://www.frankfurt-live.com/paulskirche-al…zen-116057.html

    Da hat der BDA ja auch a priori Recht, aber die weitere Argumentation hinkt hier meiner Meinung nach wieder gewaltig, denn der Keim der deutschen Demokratie liegt nämlich im Jahr und den Ereignissen um 1848! Demnach wäre eine Rekonstruktion des Zustandes von 1848 der Idealzustand, der die Demokratie am Besten und am Gefestigsten transportiert - ideell (und architektonisch dann sowieso)!

    Da Demokratie (leider) kein Dauerzustand ist, wäre es sicherlich nicht das Schlechteste, wenn man hier - wieder (sic!) - eine attraktive Stätte der Demokratie schafft, mit der sich auch junge Leute identifizieren können/dürfen!

    Wenn man Schüler heute durch diese kahle, kalte und abweisende "Nachkriegsinterpretation von Demokratie" führt, dann werden sie vermutlich leider genau DAS unter Demokratie verstehen und die Gefahr sich von dieser Verkörperung von Demokratie mental zu verabschieden, ist dann wirklich wesentlich größer als wenn sich die jungen Leute in der "Kathedrale der Demokratie" seelisch wohlfühlen und diese, ihre positive Geschichte gerne annehmen können! Aber vielleicht ist genau das nicht gewünscht.

    Demokratie zum Wohlfühlen...

    https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Zei…Paulskirche.jpg

    ...oder Demokratie zum Depressiv werden...

    https://www.fotocommunity.de/photo/frankfur…naxoss/41902305

  • Sehr gut Exilwiener!
    Genau das muss man dem BDA und der Bevölkerung + Polit-Gesellschaft mal deutlich machen.

    Aber für die Politik ist der Beginn und die Gründung der BRD eben heilig. Die werden sich von der "alten" Demokratie nicht überzeugen lassen.

    Wichtiger als der Innenraum, wäre für mich die Rekonstruktion des Daches. Das ist entscheidend für das Stadtbild. Außen alt, innen neu - das wäre vielleicht ein demokratischer Kompromiss.

  • @ Exilwiener,

    die Frankfurter Paulskirche ist untrennbar mit dem ersten frei gewählten deutschen Parlament von 1848 verbunden, das in der Paulskirche zu Frankfurt a. M. tagte.

    Bei Gründung der Bundesrepublik Deutschland hatte sich der parlamentarische Rat für Bonn als Sitz des Parlaments und gegen Frankfurt als Sitz des Parlaments entschieden:

    Am 8. Mai 1949 legten die Mitglieder des parlamentarischen Rats das Grundgesetz vor. Am 10. Mai erörterte der Parlamentarische Rat die Frage des "vorläufigen Sitzes" (gemeint war der Sitz bis zur Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit) von Parlament und Regierung. Er entschied mit 33 zu 29 Stimmen zu Gunsten von Bonn gegen Frankfurt.


    Der Aufbau der im Krieg ausgebrannnten Paulskirche nach dem II. Weltkrieg in den damals modernen Formen passt überhaupt nicht zur Paulskirche als Stätte des ersten frei gewählten deutschen Parlaments. Mit der Bonner Republik und deren Parlament in Bonn hat die Paulskirche keine Berührung, wenn man von der Tatsache absieht, dass beide Parlamente frei gewählt worden sind. Die Modernisten und Schlafhauben des BAD verschanzen sich abermals hinter dem Denkmalschutz, weil dieser ihnen in den Kram passt. Damit soll dieser auch hier etwas Gutes, nämlich die Rekonstruktion des ursprünglichen Gebäudes, verhindern. Überdies würde die originale Innenausstattung eine sehr viel glaubwürdigere, authentischere und dichtere Atmosphäre vermitteln als der jetztige unterkühlte und karge Zustand.

    Einmal editiert, zuletzt von Villa1895 (10. Oktober 2019 um 16:07)

  • Die Nachkriegsarchitekten hatten eben immense Schuldgefühle und nur die Farbe Weiß (die keine Farbe ist) hilft, in der Ausdrucksweise der Unschuld damit fertigzuwerden. Deshalb sind von der Seniorengeneration bis heute ja sowohl die Außengestaltungen von Eigentumswohnungen weiß, gleiches gilt für die Innenfarben bei Wohnungsübergaben.

    Um also als Nation zu gesunden, muss dieser verrückte Weißfetisch überwunden werden. Und dazu gehört auch die Sanierung der Paulskirche im Stile von 1848. Was schert mich die menschenfeindliche BRD von 1949?
    Die KZ-Opfer mit dem rosa Winkel saßen weiterhin im Gefängnis. Umsonst gehofft.

    Nein, die Paulskirche muss wieder aussehen wie 1848.