Deutsche Vorschlagliste für UNESCO-Weltkulturerbe

  • bei einem "weltkulturerbe" geht es weder um die grösse eines ortes, noch darum, dass dieser sich ständig verändern soll. vielmehr sollte ausschlaggebend sein, ob ein ort etwas für die menschheitsgeschichte bedeutsames, einzigartiges aufweist.

    wenn allein stefan und nur in bawü auf die schnelle vier städte mit historisch intakten stadtkernen einfallen, ist es wohl mit deren einzigartigkeit nicht so weit her. (welche italienische/spanische/französische kleinstadt dürfte denn da auf der weltkulturerbe-liste fehlen?)

    bei dieser liste geht es weder um alter noch "schönheit". dies zu verstehen, hilft, auch nichtberücksichtigte orte als wertvoll und schützenswert zu betrachten.

  • Stimme dir da voll zu. Meistens wird aber auch danach gegangen, sonst stünde nicht die brasilianische Hauptstadt Brasilia, ein Relikt der 50er, auf der Weltkulturerbeliste.

    Allerdings sollte man für schöne historische Stadtkerne und bedeutende Ensembles einen Sonderstatus einführen der diese vor Glasfassaden und Hochhäusern schützt.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • ROTTWEIL, SCHILTACH, GENGENBACH und MEERSBURG sind innerhalb baden-württembergs und damit auch für die entwicklung der alten bundesrepuplik sicher eine einzigartikeit, gerade in bezug auf ihre intakten stadtkerne. ganz im gegenteil zu frankreich oder v.a. italien gehören intakte, erhaltene stadtbilder heute zur großen ausnahme in deutschland und bedürfen des besonderen schutz in anbetracht der dogmatischen fortsetzung modernistischer architekturtendenzen, die weiterhin zur verunstaltung der historischen städte führen.

    weder das alter, noch „schönheit“, oder der alleinige erhaltungsgrad sind das kriterium für die auswahl dieser städte , sondern deren vorbildliche und einzigartigen haltung, nicht dem sog des nachkriegs-modernismus im westen der bundesrepublik zu verfallen und die bewahrung des historischen erbes nicht allein auf grobe strukturen in der ortserhaltung oder sicherung einzelner baudenkmale zu reduzieren, wie es vielerorts leider immer noch stattfindet.

  • Also ich plädoyiere für Wiesbaden als "Perlenkette des Historismus"... wobei man auch Baden-Baden mit diesem Titel ausstatten könnte - aber Wiesbaden ist doch schon ein bisschen größer.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Stefan:
    schutz für deine lieblingsorte ist schon okay. aber dass sie in den 70ern für karstadt oder die örtliche sparkasse nicht lukrativ genug waren, um im ortskern betonbauten zu errichten, qualifiziert sie doch wirklich nicht fürs weltkulturerbe. "baden-württemberg-erbe" langt auch. oder wie würdest du darüber denken, wenn du andalusier, argentinier oder angolaner wärst?

  • Warum gibt es nicht für die vielen schützenswerten Bauwerke und Altstädte so eine Art "Nationalkulturerbe" bzw. "Regionalkulturerbe"? Da könnte man Kulturdenkmäler mit regionaler und überregionaler Bedeutung auflisten, die in Deutschland einen ähnlich hohen Status wie das Weltkulturerbe besitzen. Ich finde es auch nicht erstrebenswert, jede schöne Altstadt in Deutschland, von denen es wahrlich viele gibt, auf die Liste des Weltkulturerbes zu setzen.

  • ach rakete, „andalusier, argentinier oder angolaner“ könnten es aus den genannten gründen nachvollziehen, warum die „lieblingsorte“ auf die liste des weltkulturerbes gesetzt werden sollten.
    bank- und kaufhäuser gibt es abgesehen davon auch in diesen städten. nur woran hat es wohl gelegen, dass dort der modernismus nicht schalten und walten konnten, wie andernorts...?

  • @ rakete: Kann es sein, dass du dir Stefan's Post nicht richtig durchgelesen hast?

    @ Stefan: Woran lag es denn? An weitsichtigen Stadtplanern, die nicht jedem Trend hinterhergerannt sind oder einer prosteststarken Bevölkerung?

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Booni

    das verständnis, das bewußtsein für die stadtbaugeschichte in der bevölkerung sowie bei den städtischen entscheidungsträgern und der daraus resultierende frühzeitige und weitsichtige erlass von örtlichen gestaltungs- und erhaltungssatzungen auf der grundlage des denkmalschutzgesetzes in baden-württemberg, können hier sicher und bekanntermaßen als wichtige gründe herangezogen werden.

  • das sollte nur die verkürzte formel dafür sein, dass in kleinstädten in der regel
    - keine gewaltigen kriegszerstörungen zu beklagen waren
    - der investitionsdruck geringer ist
    - verkehrsplanung sich auf den bau einer umgehungsstrasse beschränken kann
    - häuser sich oft in familienbesitz befinden und vererbt werden, anstatt ständig umgebaut und erweitert zu werden

    insofern werden wohl stadtplaner und bürger einfach das beste aus der situation gemacht haben - was die resultate nicht schmälern soll. schliesslich war hier im forum schon von ganz anderen stadtsanierungen zu lesen, bei denen der begriff "provinziell" wohl negativ besetzt war und traditionelle stadtstrukturen zugunsten einer vermeintlichen modernität aufgegeben wurden, die sich im rückblick nur als zeitgeist der 60er/70er jahre entpuppt.

    wenn es darüber hinaus noch andere gründe für das heutige erscheinungsbild von gengenbach etc. gibt, werde ich auch die mit interesse lesen.

  • und wieder wird eine rekonstruktion weltkulturerbe. wohlgemerkt, nicht in seiner art als rekonstruktion, sondern als original. und dabei sind doch rekos so ganz schröcklichst unauthentisch...

    "Wir sind Welterbe!"

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Ich kann ein paar Bilder von der Saalburg anbieten, wenn's gewünscht wird...

    Sie ist ein schönes Beispiel dafür, dass Rekos für manche Zeitgenossen auf einmal nicht mehr anstößig sind, wenn die Rekos nur mittlerweile selbst ein gewisses Alter (und somit eine eigene Geschichte) vorweisen können. Man übersieht natürlich, dass die Rekos, die man JETZT baut, in 100 bis 150 Jahren auch diesen Status haben werden.

    Die Saalburg ist keine völlig authentische Rekonstruktion. Man hat eben nach dem damaligen Kenntnisstand rekonstruiert, und entsprechend haben sich Irrtümer eingeschlichen. Ihr "Makel" ist aber gleichzeitig ihr "Wert": Denn durch diese Fehler vermittelt uns die Saalburg nicht nur Wissen über die alten Römer, sondern sie vermittelt uns auch Wissen über das Römerbild des Wilhelminischen Deutschlands.

    Entsprechendes ließe sich auch über das Pompejanum in Aschaffenburg sagen (das meines Wissens merkwürdigerweise auch noch nie als Disneyland bezeichnet wurde, obwohl da doch jemand ne antike Villa aus Pompeji einfach so an den Main gefplanzt hat, wo ein derartiges Gebäude niemals stand): Das Pompejanum ist in vielfacher Hinsicht ein idealisiertes Haus, aber das sagt uns auch etwas darüber aus, wie man im 19. Jahrhundert in Deutschland die Römer gesehen hat.

    Baut man JETZT irgendeine Reko, so wird dieses Gebäude späteren Generationen gegenüber die Aussage machen können, wie man im Jahre 2005 Probleme bei der Rekonstrukion historischer Gebäude mit den damaligen Mitteln gelöst hat. Eine Reko hat also immer auch einen Wert, der über das ursprüngliche historische Gebäude, das "kopiert" wird, hinausgeht. Aber das wollen die Reko-Gegner ja offenbar nicht sehen...

  • da stimme ich dir zu.

    "Ich kann ein paar Bilder von der Saalburg anbieten, wenn's gewünscht wird... "

    ich würde mich freuen, war nämlich noch nie da. :)

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Nun gut. Immerhin handelt es sich, soweit ich weiß, um das einzige Römerkastell, das wieder aufgebaut wurde...

    Die Fotos sind alle ein paar Monate alt. Jetzt, wo die Bäume Laub tragen, müsste es noch ein wenig malerischer dort aussehen...

    Interessant ist auch Folgendes: Als man damals zu Wilhelms Zeiten das Kastell rekonstruiert hat, da wusste man noch nicht, dass die Gebäude in der Antike alle verputzt waren. Den Putz hatte man damals nämlich dann so bemalt, dass eine andere Art Mauerwerk vorgetäuscht wird. Trotz dieser Erkenntnis hat man sich entschieden, die Saalburg weitestgehend so zu belassen, wie sie damals unter Kaiser Wilhelm gebaut wurde. Das folgende Bild aber zeigt den Verputz mit der Bemalung:

    Lediglich ein einziges Gebäude auf dem Gelände hat man dann komplett so hergerichtet, um den richtigen Eindruck zu vermitteln:

    Das war's, was ich in meinem vorherigen Beitrag meinte: Die Saalburg bietet uns nicht nur einfach die Rekonstruktion eines Römerkastells, sie vermittelt uns auch durch die "Fehler" den Kenntnisstand zur Wilhelminischen Zeit.

    Im Innern der Gebäude sind Fundstücke ausgestellt wie auch Rekonstruktionen, z. B. von Rüstungen und Waffen, vor allem aber auch von voll funktionsfähigen römischen Torsionsgeschützen. Im Saalburg-Lokal kann man Speisen nach original-römischen Rezepten zu sich nehmen. Öfters gibt es auch Darbietungen verschiedener Art, z. B. Schießübungen mit den Geschützen. Außerhalb des Geländes steht auch noch irgendwo eine rekonstruierte Jupitergigantensäule.

    Übrigens: Der Hessenpark ist von der Saalburg weniger als 10 Minuten entfernt...

  • Danke für die Bilder.

    Also ich finde die wilhelminische Version sogar irgendwie schöner, sieht halt nicht so geleckt sauber aus.


    Und das hier finde ich besonders interessant:


    Die Benutzung der Reko für politische Zwecke:

    Wilhelm II. bezeichnet sich hier selbst als Imperator und stellt sich so in die Tradition der römischen Kaiser. Aber das war bei den beiden Kaisern und dem Zaren ja logisch und normal.


    Kann jemand eigentlich so gut Latein um den ganzen Text zu übersetzen? Leider fehlt ja ein Teil und mir erschließt sich nicht alles.


    Ich probiers mal (freie Übersetzung):

    1. Text:

    Wilhelm II., der Sohn Friedrich III., welcher der Sohn Wilhelms des Großen ist, [...] restaurierte im 15. Jahr seiner Herrschaft in Gedenken und Stolz [...] das Kastell des römischen Limes Saalburg.


    Bitte ergänzt und korrigiert mich.


    Weiterhin interessant die Bezeichnung Wilhelms I. als Wilhelm den Großen. Tja, dieser Versuchs W. II. seinen Großvater zu glorifizieren und als Gegenstück zum Bismarckkult aufzubauen war wohl nicht wirklich erfolgreich.

  • Hallo Sauerländer,

    deine Übersetzung müsste weitgehend stimmen. Den vollständigen Text kann man hier sehen:

    http://www.ak-ansichtskarten.de/direktentrykateg.php4?kateg=61&sort=alle\r
    http://www.ak-ansichtskarten.de/direkte ... &sort=alle
    (Dem Link folgen und dort Karte Nr. 323616 anklicken - direkt verlinken geht leider nicht)

    Die Statue zeigt Antoninus Pius. Wilhelm II. hat sich einen der "guten" Kaiser ausgesucht, um sich in seine Tradition zu stellen...

    Auch ich finde die wilhelminische Variante der Gebäude schöner, weil rustikaler. Aber ich denke, auf die germanischen Barbaren werden die verputzten Mauern einen sehr imposanten Eindruck gemacht haben.

    Auf dem ersten Bild ist auch ein weiterer Fehler: Der Abstand der Zinnen ist zu gering. Sie waren in Wirklichkeit weiter auseinander, da man dort ja die Geschütze aufstellte - die brauchten mehr Platz. An einem anderen Mauerabschnitt, der auf keinem meiner Fotos zu sehen ist, hat man das korrigiert, und die Zinnen haben dort den richtigen Abstand.