Abrechnung mit dem Städtebau der Wiederaufbaujahre

  • Andererseits: wo gab es eine "Meisterplanung"? Und dass die Planung jener Jahre auf möglichst schnelle Wiederherstellung von "Normalität" ausgerichtet war und dabei Ästhetik außer acht lassen musste, ist doch irgendwo mehr als verständlich. Dazu kommt, dass westliche Staaten damals noch rechtsstaatlich orientiert waren und so etwas wie Eigentum und damit verbunden persönliche Gestaltungsfreiheit schützten.

    Ohne Frage wurden viele und schwere Fehler gemacht, gravierende Fehlentscheidungen getroffen (Nürnberg, Beseitigung des mittelalterlichen "Bauschutts", Motorisierung, Individualverkehr etc). Aber das war aus der Sicht der Zeit nicht anders zu erwarten. Wie viele von uns hätten sich der damaligen Auffassung angeschlossen und gesagt: mit der Zeit gehen, erhaltene Romantik gibt es in Klein- und Mittelstädten eh genug! Vorwerfbarer erscheint indes das nachträgliche Beharren in diesen Irrtümern, was bis heute nachhaltige Reparaturmaßnahmen so behindert und zu Skurrilitäten wie beim Nürnberger Pellerhaus bzw beim FFer Römerberg führt, wo man sich infantil-trotzig zum Wiederaufbau-Elend bekennt und sogar wesentliche erhaltene Fassadenteile in den Depots vergammeln lässt. FFM scheint es geradezu gleichgültig zu sein, dass man mit ein paar Eingriffen eines der schönsten Platzbilder Zentraleuropas herstellen könnte. Hier ist Rob natürlich schon recht zu geben.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Schöne Städte sind faschistisch. Wenn die Heimat schön ist, erliegt das Volk vielleicht noch der Versuchung sie wert zu schätzen. Hässliche moderne Architektur schafft Abhilfe.

    ????????

    Die Obrigkeit will, dass deutsche Städte hässlich sind, damit das Volk demütig und gefügig ist.

    ????????

    Meint ihr das wirklich ernst?

    Wenn ja, dann nehme ich euch nicht ernst!

    Moderatoren: Bitte befreit uns doch endlich mal von solchen Mitdiskutanten. Jemand der unvoreingenommen in dieses Forum gelangt meint doch wir hätten sie nicht mehr alle.

  • So abwegig sind die Aussagen von Platz/Solinger nicht. Trüby hat sich im Endeffekt schon in dieser Weise geäußert: Stuttgart sei aufgrund seiner Hässlichkeit eine weltoffenere Stadt als Dresden, weil hier durch die Architektur keine bestimmte Identität vorgegeben werde. Einige der Modernisten denken durchaus in eine solche Richtung.

  • Andreas

    Warum diese Echauffierung?

    Es gibt genug solche Aussagen, etwa vom Architekten des Technischen Rathauses FFM, die in diese Richtung gehen (etwa: wir hassten die überkommene alte Architektur, für uns war das alles faschistisch), sodass die von dir beanstandeten Beiträge als überspitzte Satire durchaus relevant sind. Dass das die (wenn nicht ausgesprochene so doch latent wirksame) Haupttriebfeder des Wiederaufbaus gewesen wäre, würde ich natürlich niemals im Ernst behaupten. Aber heute scheint diese Denke aktueller denn je, untersucht man genau die gegen diverse Rekoprojekte vorgebrachten "Argumente "., die mitunter die Schönheit und ästhetische Überlegenheit der Rekovorlagen einräumen.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Warum diese Echauffierung?

    Weil`s Blödsinn ist.

    Wie Du ja auch selbst schreibst. Triebfeder des Aufbaues nach den Zerstörungen des 2. Weltkriegs war doch nicht der Wunsch möglichst hässliche Städte aufzubauen. Wahrscheinlich empfanden viele Menschen, dass was aufgebaut wurde sogar als schön.

    Selbst wenn einzelne Architekten sich in der von Dir zitierten Weise über historische Architektur geäußert haben, lässt dies doch nicht den Schluss zu, dass "die Obrigkeit" irgendetwas will oder wollte.

    Was die jeweils entscheidenden Personen wollten ist durchaus von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Da waren sicherlich (auch) Ziele maßgeblich, die wir heute nicht mehr als wünschenswert ansehen (z.B. Stichwort. autogerechte Stadt). Mansches noch erhaltene wurde einer allzu Fortschrittsgläubigen einheitliche Wiederaufbau geopfert. Auch ist nicht in Abrede zu stellen, dass bei mancher Entscheidung beschädigte Gebäude nicht mehr aufzubauen ideologische Gründe maßgeblich waren.

    Aber das dies alles nur geschah und geschieht um irgendjemand demütig und gefügig zu halten ist doch absurd.Die Menschen zu Zeiten in denen weitaus schöner gebaut wurden wie im Barock oder auch der Gründerzeit waren doch mit Sicherheit nicht weniger "demütig oder gefügig" gegenüber der damaligen "Obrigkeit". Da wir nun aber sagen, die historische Architektur sei nicht "faschistisch", was ja auch zutrifft, liegt doch der Schluss nahe, dass die Tatsache ob Architektur, mit schön oder hässlich ist, gar nichts damit zu tun hat.

  • Ich weiß gar nicht wieso Andreas sich wieder so künstlich echauffiert. Diese provokanten Thesen, wegen denen er nach der Moderation schreit, sind doch längst durch die Realität belegt. Immerhin wissen wir, dass mit Rekonstruktionen "rechte Räume" entstehen. Jedenfalls stand das in diversen Qualitätsmedien. Damals habe ich von Andreas dazu keine vergleichbare Empörung vernommen.

    In dubio pro reko

  • Damals habe ich von Andreas dazu keine vergleichbare Empörung vernommen.

    Mein guter Königsbau.; wenn ich die Meinung wäre, dass durch Rekonstruktionen "rechte Räume" einstünden, würde ich in diesem Forum nicht schreiben.

    Aus diesem Grund werde ich aber auch den Thesen von rechts entgegen treten, die eben gerade dies, wenn auch aus anderer Blickrichtung, behaupten.

  • "Andreas", die Äußerungen von "Platz" und "Solinger" sind ihren eher undifferenziert bzw. plakativ vorgetragenen Aussagen sicherlich kritikwürdig. Aber sie berühren schon einen wahren Punkt. Viele Denkabläufe passieren unbewusst. Das heißt aber nicht, dass sie nicht an höherer Stelle vorgedacht wurden und dann nach "unten" in die Köpfe gelangt sind. Was wir als "normal" empfinden, besteht zu nicht unerheblichen Teilen aus Normsetzungen.

    Auf die Architektur übertragen ist das das häufig anzutreffende ungläubige Staunen und Amüsieren, wenn beispielsweise ein Rekonstruktionsvorhaben vorgetragen wird. Ich habe des selbst des öfteren erlebt. "Was willst du denn noch alles wieder herstellen?", wurde gelacht.

    Im Gegenzug aber wird der massenhafte Bau von Schuhschachtel-Siedlungen achselzuckend als "normal" betrachtet und führt kaum zu Reaktionen.

    Was "Platz" geschrieben hat, ist eigentlich nur das, was linke Architekturtheoretiker mehr oder minder denken und geäußert haben. Sie würden natürlich den Begriff "Schönheit" und "Hässlichkeit" relativieren. Und natürlich hat "Platz" das in seiner Aussage extrem simplifiziert. Aber die Attacken gegen den "Heimat"-Begriff und die emotionale Verwurzelung sind bei diesen Leuten zu finden.

    Und abgesehen von dem relativen "Hässlichkeits"-Begriff (manche finden Sichtbeton eben auch "schön") gibt "Solinger" simplifiziert wieder, dass es eben auch eine globalistische Agenda gibt. Also, wir erkennen doch den Druck zur einer globalen Vereinheitlichung. Nicht nur (beginnend) der sozialen Standards, sondern auch hinsichtlich zunehmend global agierender Systemgastronomie, Warenhausketten, produzierender Betriebe. Und diese Globalisierung findet sich auch in der Architektur wieder. Wobei eben eine normierte, glatte, mit industriell hergestellten Gestaltungselementen designte und orts-unspezifische Architektur dieser Globalisierung entgegenkommt. Wo Effizienz und Profitmaximierung global agierender Konzerne im Vordergrund steht, stören lokale und nationale Eigenheiten nur. Insofern besteht auch ein Interesse an einer Bevölkerung, die sich in eine normierte globalistische Waren-, Arbeits- und Wohnwelt reibungslos einpasst, also "fit" dafür gemacht ist. Und Widerstand mag keine Regierung und kein superreicher Akteur auf dem wirtschaftlichen Parkett (Es sei denn, damit ist Profit zu erwirtschaften, z.B. als Kriegsgewinnler). Insofern sind ihnen selbstverständlich "gefügige" (Billig-)Arbeitskräfte am liebsten. Und diese Gefügigkeit beinhaltet, dass sie möglichst flexibel arbeitstechnisch einsetzbar sind und möglichst leicht zugänglich für globale Warenangebote sind, somit also im Gegenzug möglichst wenig orts-verhaftet oder traditions-verhaftet, weil das Störfaktoren sind.

    Städtebau und Architektur können diese Agenda selbstverständlich unterstützen. Wer im Wohnblock lebt und bei KFC isst, zieht leichter in eine andere Region, wenn er dort gebraucht wird, da er auch dort im Wohnblock lebt und bei KFC essen kann.

  • Städtebau und Architektur können diese Agenda selbstverständlich unterstützen. Wer im Wohnblock lebt und bei KFC isst, zieht leichter in eine andere Region, wenn er dort gebraucht wird, da er auch dort im Wohnblock lebt und bei KFC essen kann.

    An dem was Du ausführst ist sicher einiges Wahres dran. Selbstverständlich gibt es in einer global agierenden Wirtschaft auch das Bedürfnis bestimmte Standards zu vereinheitlichen. Das ist auch hinsichtlich bestimmter Produkte auch gut so. Jeder sollte sich in Erinnerung rufen, dass er sich seinen Fernseher, Computer oder Mobiltelefon vielleicht nicht leisten könnte, wenn diese nicht in einer Stückzahl produziert würden, die für den Weltmarkt ausreichend ist. Eher negativ ist dies dann, wenn zB. Essensgewohnheiten vereinheitlicht werden.

    Deiner letzten These möchte ich aber doch widersprechen. Sicher möchten überregional (global muss das noch nicht einmal sein) agierende Unternehmen ein Interesse daran, das Arbeitnehmer auch örtlich flexibel sind. Hier muss aber schon zwischen eher qualifizierten und eher schlechter qualifizierten Beschäftigten unterschieden werden. Bei Letzteren ist es für die Unternehmen in erster Linie maßgebend ist, dass diese so wenig kosten. den hierfür in Betracht kommenden Personen dürfte es aber in der Regel egal sein in welchem Umfeld sie untergebracht sind. Ob sie in eine andere Region deswegen eher ziehen weil sie dort einem Wohnblock untergebracht sind der so aussieht wie in ihrem Heimatland, wage ich dann doch zu bezweifeln. Das ist diesen Menschen (wie überhaupt oftmals offensichtlich die Art der Unterbringung) schlichtweg egal. Hauptsache sie haben überhaupt eine Arbeit. demgegenüber muss eine Arbeitgeber gut qualifizierten Mitarbeitern etwas bieten. Dazu gehört auch ein ansprechendes Umfeld. Da wird es dann sicher welche geben, die sich auf die regionalen Gegebenheiten einlassen (wie wir dies wahrscheinlich machen würden) und manche, die lieber Gewohntes möchten. Am wichtigsten wird den meisten aber sein, dass die Infrastruktur an Schulen, Ärzten, Freizeiteinrichtungen einen guten Standard hat (der dann auch mit gutem Gewohnten vergleichbar sein sollte). das eine Stadt in Südfrankreich anders aussieht als eine in Skandinavien, wird daneben doch als selbstverständlich, wenn nicht gar als positiv angesehen werden.. Dies ist zumindest bei allen Menschen aus meinem Bekanntenkreis, die sich beruflich dauerhaft oder über einige Jahre aufgehalten haben, so gewesen.

  • Sagen wir es mal so. Wenn es den Billigarbeitern egal ist, wo sie wohnen, ist das Ziel der "Fit-Macher" ja dort bereits verwirklicht. Es braucht keine/kaum Rücksicht mehr auf kulturelle Spezifika oder eine Heimat genommen werden. Es geht ums pure Überleben und Schaffen für den Profit anderer. Und bei den qualifizierten Arbeitnehmern hast Du ja auch geschrieben, womit diese bereits zufriedengestellt werden können: "Infrastruktur an Schulen, Ärzten, Freizeiteinrichtungen einen guten Standard." D.h. rein technische Einrichtungen. Deswegen finden es ja viele von diesen Leuten durchaus angenehm z.B. in Retorten-Orten wie Dubai zu arbeiten. Auch hier spielt Heimat und Regionalität keine Rolle mehr, so lange die gehobenen Konsum- und Luxusansprüche gewährleistet werden.

    Dass die Leute trotzdem im Inneren noch ein Bedürfnis nach Schönheit besitzen und - vor allem im Urlaub - einen Ort mit Spezifität suchen, ist natürlich unbestritten. Es wird aber so weit zurückgedrängt, dass es dem Funktionieren des wirtschaftlichen Apparates nicht mehr allzu sehr in die Quere kommt.

  • Billigarbeitern egal ist, wo sie wohnen

    qualifizierten Arbeitnehmern hast Du ja auch geschrieben, womit diese bereits zufriedengestellt werden können

    Das es den Einen egal ist, die Anderen zufriedengestellt sind, liegt aber nicht an der Gestaltung unserer Städte. Einen Grund diese deswegen so zu gestalten wie sie sind, gibt es nicht. Deine Ausgangsthese halte ich daher für unrichtig.

  • Wir sind hier in einem Diskussionsforum. Es funktioniert nicht, abstruse Thesen in verkürzter eigener Formulierung als Tatsachenbehauptung zu verkünden. Und wenn dann Kritik kommt, behauptet ein anderer Forist, es sei nur Ironie gewesen. Was zählt, ist auf dem Platz, wie die Fußballphilosophen wissen. Auf ein Internetforum übetragen: Was zählt, ist das geschriebene Wort. Nicht irgendwelche Hintergedanken, die der Forist mutmaßlich hat.

    Suebicus und Heimdall haben sich in ihren Beiträgen kritisch mit Thesen auseinandergesetzt, die sie sich ausdrücklich nicht zu eigen machen. Das ist der richtige Weg. Da ist jedem Leser klar, was gemeint ist, und es ergeben sich Anknüpfungspunkte für eine Diskussion. Platz und @Solinger haben aber etwas ganz anderes gemacht, und selbst bei Königsbau findet sich eine solche unsinnige Tatsachenbehauptung:

    Immerhin wissen wir, dass mit Rekonstruktionen "rechte Räume" entstehen.

    Immerhin relativiert er das im nachfolgenden Satz, startet dann aber einen Angriff gegen Andreas, der völlig absurd ist:

    Immerhin wissen wir, dass mit Rekonstruktionen "rechte Räume" entstehen. Jedenfalls stand das in diversen Qualitätsmedien. Damals habe ich von Andreas dazu keine vergleichbare Empörung vernommen.

    So kann ein Diskussionsforum nicht gelingen.

    Nachtrag: Ich habe gerade die Diskussion zwischen Heimdall und Andreas gelesen. Da seht ihr, wie es funktioniert. Die beiden kommen ins Gespräch. Es werden Argumente ausgetauscht.

  • Sagen wir es mal so. Wenn es den Billigarbeitern egal ist, wo sie wohnen, ist das Ziel der "Fit-Macher" ja dort bereits verwirklicht. Es braucht keine/kaum Rücksicht mehr auf kulturelle Spezifika oder eine Heimat genommen werden. Es geht ums pure Überleben und Schaffen für den Profit anderer. Und bei den qualifizierten Arbeitnehmern hast Du ja auch geschrieben, womit diese bereits zufriedengestellt werden können: "Infrastruktur an Schulen, Ärzten, Freizeiteinrichtungen einen guten Standard." D.h. rein technische Einrichtungen. Deswegen finden es ja viele von diesen Leuten durchaus angenehm z.B. in Retorten-Orten wie Dubai zu arbeiten. Auch hier spielt Heimat und Regionalität keine Rolle mehr, so lange die gehobenen Konsum- und Luxusansprüche gewährleistet werden.

    Dass die Leute trotzdem im Inneren noch ein Bedürfnis nach Schönheit besitzen und - vor allem im Urlaub - einen Ort mit Spezifität suchen, ist natürlich unbestritten. Es wird aber so weit zurückgedrängt, dass es dem Funktionieren des wirtschaftlichen Apparates nicht mehr allzu sehr in die Quere kommt.

    Wobei ich bei dieser verkappten Kapitalismuskritik doch immer davor warnen möchte, die Alternativen zu romantisieren. Überhaupt erst durch die marktwirtschaftliche Wertschöpfung fällt so viel Wohlstand an, dass schön gebaut werden könnte - es sei denn, man will zurück in absolutistische Zeiten. Zumindest der Sozialismus hat ja nun überall gezeigt, wie es nicht geht. Ich sehe auch kein finsteres Komplott gegen schöne Architektur in der Marktwirtschaft, nach dieser Logik hätte man ganz Ostdeutschland abräumen müssen und neu aufbauen nach der Wende statt mühevoll und mit extrem viel staatlicher Förderung ruinöse Altstädte und Wohnviertel zu sanieren. All das mit dem aus der Marktwirtschaft gezogenen Geld.

    Ich halte auch die bei Dir anklingende Diskussion der Ortlosigkeit für größer gemacht, als sie ist. Neudeutsch gilt ja nun die Einteilung "anywheres" vs. "somewheres" - ich halte das für simplistischen Blödsinn und kenne ehrlich gesagt keinen einzigen "Anywhere", obwohl ich mich durchaus in Kreisen bewege, in denen man Kontakt zu dieser Gruppe von Menschen haben könnte. Die meisten wissen sehr genau, wo sie herkommen und wo sie sein wollen. Problematisch ist eher, dass vielen Menschen mit Migrationshintergrund von genau denjenigen, die hier von Heimat v.s Ortlosigkeit reden, dieses Recht auf Heimat in Frage gestellt wird, nach dem Motto, Du bist braun, Du kannst nicht aus (deutsche Stadt Eurer Wahl) kommen. Wenn diese Leute aber in (deutsche Stadt Eurer Wahl) geboren wurden und akzentfrei deutsch sprechen und Deutsche sind - was zum Teufel sollen sie dann sagen? Meine Mutter kommt aus Kenia?

    Insofern werden viele Dinge hier wie immer sehr einfach dargestellt. Hinzu kommt diese von Rastrelli richtig beschriebene Neigung (nicht von Heimdall, das muss man klar sagen) unserer konservativen Kräfte, eigene Meinungen als Fakten hinzustellen, "es ist ja nunmal so", kurz, "isso" und andere Meinungen als lächerlich, vollkommen inferior, nicht mal diskussionswürdig. So kann, auch hierzu völlige Zustimmung, keine anregende oder erhellende Diskussion entstehen, man wirft sich Textbröckchen aus der eigenen Gedankenblase zu.

  • Aber das dies alles nur geschah und geschieht um irgendjemand demütig und gefügig zu halten ist doch absurd.Die Menschen zu Zeiten in denen weitaus schöner gebaut wurden wie im Barock oder auch der Gründerzeit waren doch mit Sicherheit nicht weniger "demütig oder gefügig" gegenüber der damaligen "Obrigkeit". Da wir nun aber sagen, die historische Architektur sei nicht "faschistisch", was ja auch zutrifft, liegt doch der Schluss nahe, dass die Tatsache ob Architektur, mit schön oder hässlich ist, gar nichts damit zu tun hat.

    Damit stimme ich völlig überein.

    Selbst wenn einzelne Architekten sich in der von Dir zitierten Weise über historische Architektur geäußert haben, lässt dies doch nicht den Schluss zu, dass "die Obrigkeit" irgendetwas will oder wollte.

    Völlig richtig! Allerdings gewährt bereits dieser von dir eingeräumte Umstand das Recht, jene Äußerungen in der vorliegenden Weise zu ironisieren, dies umso mehr, als sie nicht bloß als historisch überlebter Nonsens abzutun sind, sondern in der heutigen Debatte durchaus an Bedeutung gewinnen.

    Das ist eben gerade das Wesen an guter Satire: Contrafaktizität (bezogen auf die damaligen Verhältnisse), die in tieferer Hinsicht (gewisse Aspekte der aktuellen Diskussionen) jedoch wieder zutrifft. Der Architekt des technischen Rathaus hat sich gehütet, seine Ansicht ungeschminkt preiszugeben. Bei Trüby ist diese Zurückhaltung nicht mehr zu beobachten.


    Zitat von Rastrelli
    und selbst bei Königsbau findet sich eine solche unsinnige Tatsachenbehauptung:
    Zitat
    668-a384b28b9a81477b8389496b476779334c255916.jpg Zitat von Königsbau Immerhin wissen wir, dass mit Rekonstruktionen "rechte Räume" entstehen

    Aber doch nicht im Ernst! Ist dir klar, was "Ironie" bedeutet? Willst du etwa Königsbau die "Behauptung" eines derartigen Unsinns unterstellen?

    Zitat von Rastrelli rsp. Königsbau
    Damals habe ich von Andreas dazu keine vergleichbare Empörung vernommen.

    Na und? Das soll ein "absurder Angriff" sein? Stimmt das etwa nicht? Oder ist Andreas' nicht unoriginelle - und für sich natürlich zu respektierende - Abwandlung des "qui tacet"-Zitats in der Tat so auf der Hand liegend, dass sich Königsbaus Beanstandung bereits a prirori verbieten würde? Wobei es ja eigentlich der Vergleich dieser "rechte-Räume-Unterstellung" mit Platzens und Solingers Dicta andererseits an sich ist, der sich von vornherein verbietet: erstere war - leider! -eindeutig ernstgemeint, zweitere waren lediglich Bons mots, pointierte Formulierungen.

    Diese ewige linke Betroffenheit gegenüber angemessener Ironisierung ihrer Urbefindlichkeiten ist in der Tat ermüdend. Immer nur austeilen, aber bei der geringsten Gegenwehr greinend zur "Mutti" rennen...

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Damit stimme ich völlig überein.

    Völlig richtig!

    Da mache ich mir doch mal den alten Wahlspruch unseres Moderators zu eigen (Satire!):wink:

    Gegen Satire und Ironie ist natürlich nie etwas einzuwenden. Ich fürchte nur, dass die beiden der Diskussion vorausgehenden Beiträge eben keine Satire waren, sondern ernst gemeint (deswegen ja auch meine zunächst gestellte Frage).

  • warum machen Städten keinen Anfang mit Rekonstruktionen die Danzig oder Frankfurt und Dresden mit einer herrliche ansehliche Altstadt?

    Ich bin ein begeisterter Befürworter von Rekonstruktionen, und zwar in fast jedem Fall. ABER, man muß auch realistisch sein. Ohne gewiße Voraussetzungen ist großflächige Stadtreparatur unpraktisch. Normalerweise ist Aufwertung durch einzelne Bauten bzw. kleinere Ensembles die einzige Möglichkeit. Man braucht immer zuerst einen Baugrund, und das Projekt muß sich lohnen.

    Dresden war besonders begünstigt weil die ganze nördliche Altstadt 50 Jahrelang unbebaut blieb. Abgesehen von dem Polizeianbau mußte gar nichts abgerissen werden. Der Wiederaufbau hat auch breite Unterstützung gehabt weil Dresden vor dem Krieg den Ruf als schönste deutsche Großstadt hatte. Die Frauenkirche als Mittelpunkt war eines der schönsten Gebäuden der Welt. Da waren ökonomisch wichtigeTouristenströme schon vorprogrammiert. Ich persönlich habe diesen Wiederaufbau 20 Jahre lang jeden Tag von der Ferne gefolgt. Ich betrachte das Resultat als ein Weltwunder, wohl nur mit Danzig vergleichbar. Übrigens bin ich als Tourist seit 1990 schon sechsmal in Dresden gewesen!

    Frankfurt hatte mal auch eine wunderbare Altstadt und Potsdam hat immer noch eine: in den barocken Stadterweiterungen. Beide Städte besitzen bedeutende Großbauten als Höhepunkte: Dom und Nikolaikirche. Deswegen besitzen beide Städte, wie Dresden, touristisches Potenzial. Es "lohnt sich" also, diese Städte aufzuwerten.

    Frankfurt und Potsdam haben Baugrund nur geschaffen indem sie einzelne großflächige Nachkriegsbausünden direkt in den Stadtzentren abgerissen haben. Das Potsdamer Ringen um das Rechenzentrum zeigt wie schwierig solche Abriße sein können. In Duisburg hat man eine große Schulanlage abgerissen um für das Merkatorviertel Platz zu machen (das allerdings nicht gerade als Rekonstruktion gelten kann). Alle diese Abriße betreffen einzelne öffentliche Bauwerke. Soweit ich weiß ist nur das Lübecker Gründerviertel da anders(?)

    Armes Kassel: wo könnte man anfangen abzureissen? Gibt es dort in einer zentralen Lage eine baufällige Riesenbausünde in öffentlicher Hand? Gibt es eine große Brache? (Und, wie die Gegner gleich schreien würden, gibt es nicht gerade in Hessen jede Menge erhaltene echte Fachwerkstädte?) Außerdem sind Fachwerkstädte fast unmöglich wiederaufzubauen, weil die Baukosten besonders hoch sind, und die Häuser nicht für eine moderne Großstadt geeignet sind. Da war Hildesheim allerdings eine Ausnahme: der Marktplatz war von bescheidener Größe, und besass einst "das schönste Holzhaus der Welt", also Tourismuspotenzial!

    Nein, leider müßen wir meistens bei kleineren Projekten bleiben. Diese können aber durchaus erfolgreich sein! Der Braunschweiger Andreasplatz konnte z. B. mit einem einzelnen Meisterwerk, die alte Waage, wunderbar aufgewertet werden. Man denkt auch an die Alte Apotheke in Aschaffenburg oder das Weseler Rathaus. Meine Wunschliste geht ins unendliche: Pellerhausfassade; Topplerhaus in Nürnberg; Pfeilerhaus in Hildesheim; Alte Schule in Wismar; Rathaus in Halle; das Salzhaus; die Nordzeile in Rostock; und als Einzelgänger in einer sonst häßlichen Stadt, das Dortmunder alte Rathaus.

    Meine Frage: gibt es in Kassel ein vergleichlich realisierbares kunsthistorisch wichtiges Projekt?

  • Kassel würde in der Tat das aussichtsloseste Projekt abgeben, das man sich vorstellen könnte. Kein Ansatz einer erweiterbaren erhaltenen Zelle, keine Brachflächen, keine herausragenden Monumentalbauten... Dazu kommt, dass die Altstadt aus besonders aufwändigem Fachwerk bestand. Das Wunder des Hildesheimer Marktplatzes wird sich da nicht wiederholen. Aber dort waren ja sogar zwei Bauten erhalten geblieben.

    Dass Kassel in Diskussionen wie dieser immer wieder aufscheint, stellt letztlich eine Vergeudung an Zeit und "Illusionskapazitäten" dar. Das resultiert aus einem wohl berechtigten Unbehagen, ist es wohl die bedeutendste deutsche Staat. die derart spurlos untergangen ist, zumindest was die inneren Stadtteile betrifft.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Kassel würde in der Tat das aussichtsloseste Projekt abgeben, das man sich vorstellen könnte. Kein Ansatz einer erweiterbaren erhaltenen Zelle, keine Brachflächen, keine herausragenden Monumentalbauten

    Es ist ja nicht so, das im Bereich der Kasseler Altstadt überhaupt keine alten Gebäude wären. So sind Marstall, Elisabethenhospital und Brüderkirche, nebst ehemaligen Klosterbauten und nicht zu Letzt die Martinskirche zumindest als Baukörper erhalten. Was fehlt ist halt ein dem Römerberg vergleichbares Zentrum um dass herum die Altstadt zumindest im Grundriss wieder entstehen kann.

    Wesentlicher ist es aber, dass sich Kassel zum einen im kulturellen Bereich über die barocken Schlösser und Gärten und zum anderen über die Dokumenta definiert. Erstere (Wilhelmshöhe und Karlsaue) sind ja bestens erhalten und zu Zweiterem passt halt besser ein Stadtbild der Nachkriegsmoderne. Dementsprechend werden auch -viel mehr als in vergleichbar zerstörten Städte- Gebäude der 50iger Jahre des 20igsten Jahrhunderts in Szene gesetzt.

    Ein Interesse des Tourismus an Rekonstruktionen entsteht da nicht, zumal gerade in Nordhessen eine Vielzahl von Fachwerkstädten im "Original" liegen, die an Qualität des Fachwerkes dem alten Kassel um nichts nachstehen.

  • wohl die bedeutendste deutsche Staat. die derart spurlos untergangen ist

    Genau. Und ausgerechnet ich habe vor nächstes Jahr eine ganze Woche dort zu verbringen (wegen einem Wagner Ringzyklus)! Immerhin gibt's wunderschöne Städte wie Fritzlar, Melsungen und Warburg in der Gegend....