Ich war jetzt ein paar Tage in New York, zum ersten Mal seit über 20 Jahren. Ist immer noch eine irre Stadt, sowas gibt es in Europa einfach nicht. Wobei ich sagen muss, dass die Neubauarchitektur praktisch durchgehend in Stahl und Glas ausgeführt ist. Sicherlich gibt es auch Ausnahmen, aber mein Eindruck war, dass sehr modern neu gebaut wird, von irgendeiner Wiederaufnahme frühmoderner Elemente, wie es in Europa gerade tlw. geschieht, war nichts zu sehen (kann aber auch einfach nur sein, dass die Dinger sich so gut einpassten, dass ich sie übersehen habe ;).
Mit großen Bilder aus Manhattan will ich Euch gar nicht langweilen, das ist schon alles wirklich beeindruckend, aber eben auch sehr ikonisch und bekannt. Glaube nicht, dass meine Schnappschüsse vom Straßenniveau hier irgendeinen wesentlichen Erkenntnisgewinn brächten (bei Interesse gerne Bescheid sagen), ABER: Ich habe mir einen halben Nachmittag "frei"genommen und bin nach Harlem gefahren mit der U-Bahn auf der Suche nach "Brownstones" und anderer Architektur der letzten Jahrhundertwende. Harlem ist explosionsartig gewachsen von ca. 1880 bis 1920, dagegen war die Bebauung des Prenzlauer Bergs eine Dorfkirmes. Bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten hier reiche New Yorker ihre Villen und Landsitze, bis der Hunger nach Baugrund so groß wurde und der Zuzug so immens, dass hier in atemberaubender Geschwindigkeit und vergleichbar mit dem westlichen Brooklyn zum richtigen Zeitpunkt massiv Wohnbebauung entstand.
Ich hatte einige Vorurteile gegenüber amerikanischem Städtebau, und viele davon bestätigten sich auch. Auch die relativ lieblose Gestaltung der entstandenen Blocks mit den oft backsteinsichtigen Fassaden mit nur sehr wenig Schmuck und den außenliegenden Feuertreppen muss man mögen. Es ist allerdings auch tatsächlich anscheinend entstuckt worden, so dass der heutige Eindruck nicht unbedingt der erbauten Realität entsprach. Zudem haben alle diese Stadtteile außerhalb der südlichen 2/3 Manhattans mit Architektur der Jahrhundertwende sehr harte Zeiten hinter sich, in den 1950er-1980er Jahren handelte es sich tatsächlich um echte Slums mit extrem hohen Kriminalitätsraten und Verwahrlosung, Leerstand, Bränden, etc.
Ich fange mal an, so sehen die Hauptstraßen (Avenues) aus, die in Nordsüdrichtung verlaufen:
Oder so:
Man sieht schon am Eckladen "Organic Choice", dass hier in den letzten Jahren eine ordentliche Gentrifizierung Einzug gehalten hat. Tlw. durchaus prachtvolle Eckgebäude, dieses hier wie einige andere an eine italienische Neorenaissance gemahnend:
Völlig atypisch für die modernen USA hat sich hier auch ein Straßenleben erhalten. Es ist ja nicht so, dass es das in den USA nie gegeben hätte, es ist nur einfach mit dem totalen Siegeszug der autogerechten Stadt und einer massiven Suburbanisierung praktisch verschwunden gewesen bzw. den ärmsten Stadtteilen, dann erkauft mit sehr hohen Kriminalitätsraten, vorbehalten gewesen. Das ändert sich aber gerade, die Menschen holen sich sozusagen ihre Stadt zurück mit dem Ergebnis, dass Harlem hier an manchen Ecken fast wie eine europäische Großstadt wirkt.
Schon einzigartige Straßenbilder für das europäische Auge:
In den quer verlaufenden Wohnstraßen geht es dann aber richtig los:
Die Ausdehnung dieses Gebiets stellt alles in den Schatten, was ich erwartet hatte. Ich dachte, ja gut, da kommen dann so zwei, drei halbwegs erhaltene Straßen, verbrämt als "Historic District" und der Rest ist Grütze - weit gefehlt. Das hat riesige Ausmaße, das Gebiet, vielleicht nicht immer zu 100% geschlossen an den Hauptstraßen, aber diese Wohnstraßen - davon gibt es alleine in Harlems hunderte so erhaltener Blocks wie hier gezeigt, vollkommen irre.
An den Ecken dann oft höhere Dinger:
Blick zurück in die Straße:
Als absoluter Liebhaber der "gründerzeitlichen" Großstadt und ihrer Architektur kann ich nur sagen, dass ich absolut verzaubert war. Ich hätte 3 Tage nur durch Harlem laufen können und dann nochmal 5 Tage nur durch Brooklyn. Leider waren es nicht einmal 2 Stunden. Geht noch weiter...