• Was ist das Schlimmste in diesem Video???

    Wagner überhaupt?
    Eine Breil - Orgel?
    Wagner auf einer Orgel?
    Der neobarocke Orgelklang zum deutsch - romantischen Klangbrei Wagners?
    Ein Antisemit in einer Kirche???
    :dichter:

    Das ist jetzt schon aber sehr zynisch :D

    Laß ihn menschlich wegen meiner ein Ekel gewesen sein (ich erschein ja auch im Forum als nett... :D ), aber de Musik hat schon was, auch wenn er es überhaupt nicht für Orgel komponiert hat.

  • Die katholische Kirche St. Maria Neudorf war für mich schon immer einfach eine unter den zahlreichen Jugendstilkirchen in St. Gallen. Die regelmässigen Gottsdienstbesuche fanden in unserer Familie nicht nur in der Kirche statt, in der wir getauft wurden oder die am nächsten lag, sondern in allen Kirchen der Stadt und auch der Umgebung. Abwechslung macht das Leben süss :) . So lernte ich schon als Kind ziemlich alle Kirchen der Stadt kennen und schätzen (nicht aber alle ihre Pfarrer; besonders diejenigen nicht, die nicht mehr mit Predigen aufhören wollten). Vielleicht habe ich unbewusst eine besondere Affinität zu dieser Kirche, weil ich in der Klinik direkt gegenüber auf die Welt gekommen bin und meine ersten dreissig Lebensjahre in einem ebenso monumentalen Jugendstilwohnhaus verbracht habe.

    Die Kirchenanlage St. Maria im Neudorf fällt aber durch ihre imposante Grösse und wenig bebauten Umgebung am Anfang der Stadt auf. Sie wurde während dem 1. Weltkrieg 1914-17 erbaut, aber durch die Kriegswirren und anschliessende Weltwirtschaftskrise wuchs damals kein Quartier mehr um sie herum. Durch die hier herrschende Monoindustire der Stickerei machte die Stadt einen besonders tiefen wirtschaftlichen Fall, indem Luxusgüter nicht mehr gefragt waren. So erhielt das Gotteshaus erst 1927 eine Orgel, und mit dem Geläut musste bis 1930 zugewartet werden.

    Hierzu gibt es eine anschauliche Webseite der 'Freunde der Orgel St. Maria Neudorf':
    https://www.orgel-stmaria.ch/index.php

    Es lohnt sich sehr, die Bildergalerien zu beiden Orgelwerken und zur Kirche selbst zu betrachten. Die Jugendstil-Kirche ist in den letzten Jahren innen und aussen wunderbar restauriert worden! Eine Besonderheit sind die bunten Glasmosaikfenster, die nicht mit Bleistegen zusammengehalten werden, sondern in Betonstege eingearbeitet sind!


    Nun aber zur Orgel:

    Über sie gibt es ein wunderbares Video auf YouTube:

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Ich zitiere aus dem Videobeitrag:

    Zitat

    [...] steht eine der bedeutendsten Orgeln der Schweiz. Es handelt es sich um eine Monumentalorgel, die 1927 nach den Grundsätzen der sogenannten Elsässer Orgelreform von Orgelbau Willisau erbaut wurde. Sie ist die grösste Orgel *) der Stadt St. Gallen und gehört mit ihrem Fernwerk zu den grössten erhaltenen Orgeln aus dieser Zeit. Die Orgel besitzt drei Manuale und ein Pedal mit insgesamt 85 Registern.
    [...]
    Einzigartig ist das Fernwerk. Im Zusammenspiel mit der Hauptorgel lassen sich ganz besondere Klangeffekte erzielen. Mit zwei Manualen und 16 Registern ist es das grösste Fernwerk der Schweiz.
    [...]
    über 4000 Pfeifen [...]

    *) Ich bin immer davon ausgegangen, dass die Orgel in der Kathedrale die grösste sei... dem ist offenbar nicht so. > St. Gallen (SG) (Galerie)

    Mich als Technikfreak erfreuen die Zwischeneinblendungen mit den sich bewegenden Ventilen, der Windlade, dem Elektromotor und auch ein Gang durch den Estrich mit den mechanischen Traktionen zum Fernwerk.

    1940 wurde der Spieltisch ersetzt, nachdem derjenige von 1927 einige Mängel aufwies. Von 1938 gibt es eine Expertise eines Paters aus dem Kloster Einsiedeln über diesen Spieltisch. Das Protokoll ist auf der Webseite der Orgelfreunde wiedergegeben. Auch für einen Musiklaien wie mich ist es ein Genuss, dieses zu lesen, ist es doch in perfektem Deutsch verfasst und noch mit einer mechanischen Schreibmaschine ohne durchgedrückte Punkte und anderer Satzzeichen geschrieben, dazu noch fast in Blocksatz (wer von euch hat noch auf einer solchen Schreibmaschine schreiben gelernt?).

    https://www.orgel-stmaria.ch/images/verein/…ertise_1938.pdf

    Auch die Protokolle im Vorfeld zum Bau der Orgel von 1927 sind in der Webseite - allerdings ein bisschen versteckt - zu finden (> Verein > Facts & Figures). Demnach wurde die Orgel für satte 103'400 Franken (95'000 Euro) veranschlagt (nebst baulichen Anpassungsarbeiten) und in Auftrag gegeben. Historiker unter euch können diesen Wert sicher auf die heutige Zeit umrechnen.

    2006-2008 wurde die Orgel revidiert. Für diese aufwändige Arbeit wurde 2006 extra der Verein 'Freunde der Orgel St. Maria Neudorf' gegründet. Aus ihrer Webseite habe ich die Angaben hier zusammengetragen.

    Zuguterletzt: Sowas sieht und vor allem hört man nicht alle Tage:

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    2 Mal editiert, zuletzt von Riegel (11. August 2019 um 23:41)

  • Wenn ich mal wieder in der Schweiz bin, muß ich diese Kirche unbedingt mal besuchen. Die Orgel scheint mir einen herausragenden Klang zu haben.

  • Nur zu, ich kann Dir dann auch Zugang zu weiteren Orgelraritäten in der Gallusstadt verschaffen:
    Übrigens - St. Maria Neudorf hat auch ein fantastisches, sechsteiliges Geläut; siehe Kommentare!

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.


    - Kathedrale: zwei Chororgeln von 1766/67, welche ins Chorgestühl integriert sind und bei denen geplant war, beide von einem Spieltisch aus zu bespielen. Diese Besonderheit konnte damals nicht umgesetzt werden, wurde dann aber beim ersten Umbau 1823/25 realisiert. Weitere Revisionen und Registraturanpassungen, bei denen immer der barocke und klassizistische Zustand im Vordergrund standen: 1939, 1966/67 und 2008.

    - Kathedrale: grosse Domorgel auf der Empore von 1968, deren Gehäuse aus Elementen der 1. Domorgel von 1810 besteht.

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    (mit Standbildern, bei denen man auch die Chororgeln samt Spieltisch sieht)


    - ehemalige Klosterkirche St. Katharinen: Orgel von 1900 mit pneumatischer(!) Traktur im Louis XVI-Gehäuse von 1806, in den 1940er-Jahren klanglich dem Zeitgeist angepasst, 2011/12 Rückführung in den Zustand von 1900, aufwändige Restaurierung des gesamten Orgelprospekts. Die Orgel gilt als die kleine Schwester der Linsebühl-Orgel.


    - Linsebühlkirche: Orgel von Friedrich Goll, 1897, für die neu erstellte Kirche. Pneumatische(!) Traktur und Registratur. 1933 vollständiger Umbau, 1941 Purifizierung des Prospekts, 1992 weitestgehende Rekonstruktion des gesamten Instruments.
    http://peter-fasler.magix.net/public/SGProfi…sebuehl_neu.htm

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Zum Geläut der Linsebühlkirche: der Zeitschlag ist sehr laaangsam. Weshalb weiss ich auch nicht. Von meiner Wohnung aus höre ich sehr gut die Geläute von vier Kirchen, dann die Glocke eines ehemaligen Stadttors und jene des Waaghauses aus dem ehemaligen Rathaus. Da kann man alle leicht voneinander unterscheiden. Hier noch ein Beitrag zu allen Glockenklängen der Stadt: St. Gallen (SG) (Galerie)

    3 Mal editiert, zuletzt von Riegel (11. August 2019 um 18:25)

  • Auch eine Art Rekonstruktion:
    Demo of the Thuringian-style Bach Organ in Budapest, Hungary | Aeris Orgona

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Zitat von AerisOrgona

    Bach-organ of Budapest for the jubilee of reformation

    Only from clear mountain springs

    The new organ of the church was built under the inspiration of the most beautiful instruments of the Thüringen organbuilding like masterpieces of Wender, Volckland, Trost and Wiegleb, which instruments were appreciated by J. S. Bach also because of their unique sounding features. The most important reference was the Wiegleb-organ of Ansbach and also was the Trost-organ of the Stadtkirche Waltershausen.
    [...]

    http://aerisorgona.hu/en/hold/
    Auch sehr schön: der an sich an historische Orgeln anlehnende Prospekt.


    Leider gibt es keine gescheite Aufnahme der (ebenfalls relativ neuen) Chororgel im Ingolstädter Münster (2016) zum Vergleich, die ja ebenfalls einer Orgel nahe kommen soll, die zu Bachs Zeiten in Mitteldeutschland aktuell war:

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

  • Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

  • Hui 4 Manuale und 64 Register! Wie hat das denn alles Platz in dem unscheinbaren, kubushaften Gehäuse, das dicht gedrängt unter Decke und Wandnische steht? Der Klang dürfte schon überzeugend gut sein, aber so ganz ohne Nachhall, hm!?

  • Hui 4 Manuale und 64 Register! Wie hat das denn alles Platz in dem unscheinbaren, kubushaften Gehäuse, das dicht gedrängt unter Decke und Wandnische steht? Der Klang dürfte schon überzeugend gut sein, aber so ganz ohne Nachhall, hm!?

    https://www.grenzing.com/organosshow.cfm?id=223&ip=223223

    Wenn man sich die Disposition ansieht erkennt man, dass es viele Transmissionen und Extensionen gibt. Also, viele Registerzüge am Spieltisch aber nicht ganz so viele Pfeifen im Gehäuse. Schnitger, Silbermann und Cavailé - Coll würden sich im Grabe umdrehen...

    Sicherlich ist die Qualität des Instrumentes sehr gut und hochwertig, aber die heutigen Organisten können nur noch laut spielen und sich selbst darstellen. Vergleichbar mit heutigen Architekten (Ausnahmen bestätigen die Regel!).

    Auch das Gehäuse ist langweilig. Kubus, Kasten, Klotz... Bestes Beispiel für eine völlig, zumindest optisch misslungene Orgel ist die im Regensburger Dom.

    https://www.orgel-information.de/News/2019/10/20191022_2.html

    Im Gegenteil zu der wirklich komplett neuen Orgel in der Neustädter Hof - und Stadtkirche St. Johannis in Hannover:

    https://www.ndr.de/nachrichten/ni…ckorgel116.html

    In dieser Kirche befindet sich übrigens die Grabstätte des Universal - Gelehrten Gottfried Wilhelm Leipniz (keine Verwandtschaft zur Keks - Fabrik!)

  • Im Gegenteil zu der wirklich komplett neuen Orgel in der Neustädter Hof - und Stadtkirche St. Johannis in Hannover:

    https://www.ndr.de/nachrichten/ni…ckorgel116.html

    Nochmal eine "Bach Orgel"! Das scheint wohl ein Trend zu werden..^^ Sehr schön auch der Prospekt... Im Gegensatz zur Orgel in Iserlohn, die in die Nische gequetschte, kubenförmige Orgel wirkt überdimensioniert und in der modernen Form auch störend.

  • In der Welt des Orgelbaus tut sich gerade sehr viel. Etliche Instrumente der Nachkriegszeit verschwinden und werden durch hochwertige Neubauten ersetzt. Allerdings werden auch schon wieder viele hochwertige Neubauten der vergangenen 20 Jahre durch geschmacklich - bedingte Veränderungen ersetzt...

    Was kostet die Welt, wenn man bei einem Orgelneubau von einem Registerpreis von circa 20.000 Euro ausgehen kann!

  • Die "spanische" Orgelbaufirma, die offensichtlich von einem Deutschen in Spanien gegründet wurde (!?) kann ja sehr hochwertige und bedeutende Referenzen ausweisen. Wo die schon überall und in welch anspruchsvollen Dimensionen gebaut haben (siehe Kathedrale Brüssel, https://www.grenzing.com/organosshow.cfm?id=23&ip=23000) und auch spanische historische Intrumente neu historisierend oder wesentlich ergänzt neu gebaut bzw. restauriert haben (da sind einige der wohlklingendsten spanischen Kathedralorte dabei!). Habe von der Firma noch nie was gehört, obschon sie sehr bekannt sein muß!

  • https://neueorgelsanktreinoldi.de/start.html

    Leider sind die heutigen Entwürfe von neuen Instrumenten so langweilig wie die hier oft zitierten Rasterfassaden. Quadratisch, kistig und monoton...

    Dabei hätte St. Reinoldi doch eigentlich ein optisch ansprechendes Instrument verdient...

    Ein weiteres negativ 'Highlight' wäre hier die Orgel im Regensburger Dom zu nennen. Selten hässlich und optisch ermüdend!

    Schade auch hier!

  • Die kleinere Querschifforgel? ist ja noch einigermaßen annehmbar und nach dem Werkprinzip klar entworfen. Aber die große, na ja, in der Tat langweiligst, eine Pfeifenwand. Beiden scheint aber die Minimierung eines Gehäuses bis zurUnsichtbarkeit gemeinsam zu sein. Nur noch Freipfeifenprospekte (mit verstecktem Gehäuse dahinter?). Das ist ja total retro, aber nicht im klassischen Sinne. Können wir froh sein, daß bereits von den späten 70igern und 80igern bis vor wenigen Jahren wunderbare Großinstrumente geschaffen worden sind, die sicher noch lange ihren Dienst tun werden, ohne in Erneuerungsnot zu kommen. Aber wie Du schon mal geschrieben hast, sind zur Zeit die unmittelbaren Nachkriegsorgel, bzw. jene aus den 60igern zum Auswechseln angesagt. Hat das reduzierte Designverständnis mit dem Wechsel der Generationen in den Orgelbaufirmen zu tun!?

  • Das ist ein schönes Thema. Und wer sich hier so alles trifft! Ein Orgelbauer, ein Hobby-Organist, ein Klavierstimmer ... Ich bin nur der Neffe eines Organisten.

    SchortschiBähr

    Die Orgeln in Neresheim und Luxeuil-les-Bains sind wirklich wunderbare Instrumente! Das betrifft die Gestaltung des Instrumentes und den Klang gleichermaßen. Diese historischen Kirchen und Orgeln und Komponisten wie Bach und Krebs setzen Maßstäbe.

    Mit der Klais-Orgel in der Elbphilharmonie kann ich mich nicht anfreunden. Da halte ich es mit @Kaoru . Das Auge hört mit, und ein Instrument, das Orgelmusik macht, sollte auch wie eine Orgel aussehen.

    Ein Orgelneubau der letzten Jahrzehnte, der mir außerordentlich gut gefällt, ist die Bach-Orgel der Thomaskirche zu Leipzig. Das Instrument wurde im Jahr 2000 von dem Marburger Gerald Woehl geschaffen. Die Gestaltung des Prospektes orientiert sich an der Barockorgel der 1968 zerstörten Paulinerkirche. Diese Orgel hatte Bach als Orgelsachverständiger einst abgenommen. Mein Onkel hat das gern betont, dass Bach Orgelsachverständiger war. Mein Onkel war nämlich auch Orgelsachverständiger.

    Leipzig, Thomaskirche, die Bach-Orgel auf der Nordempore (Foto: DerHHO, August 2011, CC-BY-SA-3.0)

    Die Hauptorgel der Thomaskirche ist eine romantische Sauer-Orgel mit neugotischem Prospekt. Für Bach denkbar ungeeignet. Bereits zu DDR-Zeiten war eine Bach-Orgel auf der Nordempore aufgestellt worden. Sie hatte ein schlichtes und kantiges Gehäuse. Mit der neuen Bach-Orgel von Woehl wurde ein wunderbares Instrument geschaffen, das klanglich den höchsten Ansprüchen im Zentrum der Bach-Pflege gerecht wird.

    Hier eine Vorführung der Bach-Orgel. Der ungarische Organist Bálint Karosi zieht hier wortwörtlich alle Register. Er gewann 2008 den Leipziger Bach-Wettbewerb.

    Leipzig, Thomaskirche, Bach-Orgel (Foto: Andreas Praefcke, Juni 2012, CC-BY-3.0)

    Der Orgelprospekt fügt sich sehr gut in den Kirchenraum ein. Hier zeigt sich, wie schön man auch heute noch eine Orgel gestalten kann, wenn man die Tradition nicht verleugnet.

    Das folgende Foto wurde von einem Besucher aus Chicago (Illinois) aufgenommen. Die Thomaskirche ist eine Pilgerstätte für Bach-Fans aus aller Welt. Japaner trifft man dort ebenso wie Besucher aus Brasilien.

    Leipzig, Thomaskirche, Bach-Orgel (Foto: vxla, November 2009, CC-BY-2.0)

    Leipzig, Thomaskirche, Bach-Orgel (Foto: DerHHO, August 2011, CC-BY-SA-3.0)

    Da inzwischen die Paulinerkirche in moderner Adaption wiederaufgebaut wurde, finden wir dort eine Orgel mit einem ähnlichen Prospekt (von der Firma Jehmlich aus Dresden). Eine brauchbare Klangprobe kann ich nicht verlinken. Ich teile aber Schortschis Eindruck, dass die Akustik etwas trocken ist. Ich kenne das Kircheninnere aus eigener Anschauung. Mir gefällt der Raum. Es ist wie ein moderner Traum von Neugotik. Der Orgelprospekt fügt sich sehr gut in die Gesamtgestaltung ein. Der Prospekt der Bach-Orgel in der Thomaskirche gefällt mir allerdings noch besser.

    Leipzig, Paulinerkirche, Blick nach Westen zur Hauptorgel (Foto: Stb-le, Februar 2018, CC-BY-SA-4.0)

  • Da halte ich es mit @Kaoru . Das Auge hört mit,

    Das stimmt - wenn ich zum Beispiel die arg verdreckten Tasten eines Klavieres beim Kunden reinige, hat jener den Eindruck, das Klavier klänge jetzt schon wesentlich heller (obwohl ich es noch gar nicht gestimmt habe) :biggrin:

    Bei einer modernistisch gestalteten Orgel gehe ich da von aus, daß da kein gescheiter Klang rauskommt und dieses Vorurteil läßt sich auch nicht besiegen wenn die Orgel trotz alledem recht passabel klingen mag - die alte klassische Orgel (auch wenn sie verstimmt ist) in der Nachbargemeinde klingt schöner - auch wenn dem objektiv nicht so ist.

  • Ich würde gerne mit ein paar Sätzen auf die Frage von SchortschiBähr eingehen.

    Der Grund für diese modernistischen Instrumente hat sicherlich viele Ursprünge und Ursachen. Einerseits hat es etwas mit den Kosten zu tun. Ein komplett geschlossenes Orgelgehäuse benötigt natürlich mehr Materialien wie Holz etc und ist deshalb schon mal teurer als nur ein "Lattenzaun" aus Prospektpfeifen.

    Ein weiterer Grund ist die klangliche Komponente. Das traditionelle "Werke" - Prinzip wird durch ein fehlendes Orgelgehäuse aufgelöst. Hierdurch kommt es zwischen den einzelnen Teilwerken der gesamten Orgel zu einer vermeindlich besseren Verschmelzung. Gerade bei großen Instrumenten in riesigen Kirchen und Kathedralen "verschwimmt" der Klang dann eher zu einem "Klangbrei", als dass die einzelnen Teilwerke entsprechend wahrzunehmen sind.

    Ein weiterer Punkt ist natürlich auch, dass man im traditionellen Orgelbau "modern" sein möchte. Modern bedeutet ja immer, etwas neues darstellen zu wollen. Und gerade in alt - ehrwürdigen Kirchen einen harten Stilbruch direkt erzwingen zu wollen. Diese Denkweise fing im deutschen Orgelbau aber schon nach 1945 an. Bis in die 1920iger Jahre baute man überwiegend historisierende Orgelgehäuse. Neogotisch, neobarock etc... Da auch die Orgeln in dieser Zeit dem romantischen Musikgeschmack verbunden waren, wollte man nach dem zweiten Weltkrieg wieder zurück zu den Ursprüngen, nämlich zur Hochblüte des Orgelbaus, dem Barock mit Silbermann, Schnitger und und und... Hauptsache man konnte auf den Orgeln wieder Bach anstatt Reger spielen. Allerdings dieser Trend nur in die klangliche Richtung. Der optische Weg ging eher zum reduzierten, kastenförmigen Orgelgehäuse. Gerade Linien, wenig Zierrat und zum Teil billigste Materialien wie Spanplatten und Sperrhölzer. Sofern überhaupt ein Orgelgehäuse vorhanden sein musste. Man hatte ja (noch) kein Geld.

    Hiervon möchten sich einige heutige Orgelbauer wieder lösen und schießen dabei vielleicht ein wenig über das Ziel hinaus. Man möchte halt "modern 2.0" sein, wie zum Beispiel in der Architektur für Städtebau. Quadratisch, praktisch, hässlich bzw für das menschliche Auge ermüdend.

    Sicherlich könnte man an dieser Stelle inzwischen etliche Bilder von solchen Instrumenten einfügen, da hier im Forum aber überwiegend Kunstliebhaber und Ästhetiker zu finden sind, sollten die meisten hier die nun folgenden Gotteshäuser und ihre "XXL- Möbel" kennen:

    Speyer Dom, Regensburg Dom, München Herz - Jesu - Kirche, Kassel Martinskirche, Mainz St. Stephan, Stuttgart Stftskirche, Trier Konstantin - Basilika, ...

    Auch im Ausland gibt es einige, für meinen Geschmack unpassende Instrumente: Basel Münster, ...

    Sicherlich sind hier die Geschmäcker verschieden und es gibt auch sicherlich gute, moderne Instrumente in alten Kirchen: Marburg Elisabethkirche, Alpirsbach Stiftskirche. Aber der allgemeine Wunsch geht sicherlich in die Richtung "klassisch" und "Rekonstruktion" wie zum Beispiel in Dresden Frauenkirche, Hamburg Jakobikirche und Katharinenkirche.

    Und somit gibt es im nationalen und auch internationalen Orgelbau die Traditionalisten und die Modernisten. Und jeder sollte den anderen Mitbewerber respektieren.

    :harfe:

  • Und auch dem Klavier - Kollegen aus Bayern gebe an dieser Stelle recht. Manchmal reicht es aus, wenn die optische Erscheinung des Arbeitsplatzes eines Organisten schon gereinigt ist, aber die Orgel an sich noch nicht gestimmt wurde. Da hört das Auge quasi mit. Wir erfreuen uns eher an etwas schönem, geordnetem, sauberen als als monotonem, schmutzigen Chaos.

    Beim durchsehen der Galerie blieb mit ein Bild eines Rasterfassaden - Neubaus aus Bremen (?) in Erinnerung. Die Balkone hingen an der Fassade wie lauter offene Schubladen, die geöffnet wurden um etwas heraus zu holen oder aber es vergessen wurde, diese nach einer Entnahme wieder zu schließen...