Neubau des Hauptgebäudes der Uni Leipzig

  • @ amenophis, die naive "Zeit" ist für Lacher immer gut:

    Zitat

    Mancher schlich damals ans Loch und stahl ein Erinnerungsstück, ein junger Geophysiker barg eine Helmzier. Heute ist Ulrich Stötzner Vorsitzender des Paulinervereins,

    Herr Stötzner, Vorsitzender des Paulinervereins, ist alles andere als heldenhaft. Damals, als die Universitätskirche gesprengt wurde, durfte er in den abgesperrten Bereich hinein und schoss Fotos, wo Polizisten direkt in seine Kamera guckten. In der LVZ schrieb er vorher, dass er die Fotos schoss, um den barbarischen Akt der Sprengung heimlich festzuhalten. Um die Brisanz näher zu erläutern: Fotos von der Sprengung waren damals strengstens verboten. Wer erwischt wurde, wanderte in den Bau, es sei denn, dieser jener wurde von der SED-Administration zum Fotografieren beauftragt. Und da kamen nur sehr wenige, absolut 250prozentige Linientreue in Frage.

    Abgesehen davon, spricht sich Stötzner für den Egeraatschen Entwurf aus. Hier ein Auszug von der Homepage des Paulinervereins:

    Zitat

    Der preisgekrönte Entwurf van Egeraats fand Zustimmung, weil er in äußerer Form und innerer Gestaltung am meisten von allen Entwürfen an die gesprengte Paulinerkirche erinnerte.

    Im übrigen sprach sich auch Gunter Blobel für die Egeraatsche Variante aus. Das aber nur als Info.

  • Zitat von "Lipsia_per_sempre"


    Nicht nur das hier eine völlig aberwitzig Rekonstruktion gefordert wird (man müsste dafür den Uni Riesen abreißen, mittlerweile eines der Wahrzeichen der Stadt und durchaus zu Recht wie ich finde) sondern hier wird auch noch die Strassenraumgestaltung kritisiert obwohl rein gar nichts von dem Neubau zu sehen ist. Im Übrigen nimmt die Uni inkl. Café Felsche exakt die Fluchten der historischen Bauten auf.

    Damit hier keine falschen Behauptungen unkommentiert stehen bleiben, muss ich dir leider widersprechen, Lipsia_per_sempre!
    Den Uni-Riesen bzw. heutiges City-Hochhaus hätte man für eine Rekonstruktion des Augusteums, also der Front hin zum Augustusplatz, überhaupt nicht abreißen müssen; totaler Quatsch! Wo hast du diese Information eigentlich her?
    Wie ich vor kurzem im Buch "Der große Wurf. Vom schwierigen Weg zur neuen Leipziger Universität." von Birk Engman lesen konnte, wäre dies überhaupt nicht notwendig gewesen!

    Zudem nimmt der Uni-Neubau auch nicht "exakt die Fluchten der historischen Bauten auf". Weder in der Grimmaischen Straße, wo das Uni-Gebäude ca. 5m schmaler ist, und erst recht nicht in der Universitätsstraße, die städtebaulich und architektonisch die reinste Katastrophe ist.

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  • Zitat

    Die Pläne sehen einen polymorphen Baukörper vor, der durch vertikale Fensterlisenen gegliedert ist und sich an historischen Fluchten orientiert. In seinem Zentrum wird die ehemalige Kirche in der Fassade abstrakt nachgeformt.

    Quelle:http://www.baunetz.de/meldungen/Meld…_vor_26718.html

    Ansonsten war der Uni-Riese tatsächlich wirklich nicht der Grund - sorry - allerdings bin ich der Meinung, dass sowohl der daneben stehende Anbau als auch die Tatsache, dass das Gelände gar nicht der Universität gehört, stören. Wer es besser weiß, bitte um Berichtigung.

    P.S. Städtebauliche Katastrophe lass ich mal so stehen. Deine Meinung respektier ich aber so einen Superlativ für dieses Bauwerk kann ich einfach nicht ernst nehmen aber Applaus bekommst du hier sicher dafür.

    P.P.S Wieso thematisierst du hier schon wieder die Grimmaische Straße? Wie heißt gleich die Überschrift?

  • ...das liegt vielleicht an deiner Aussage?! Du meintest, die Uni würde die Fluchten der historischen Bauten "exakt" aufnehmen. Dem ist eben nicht so! Logischerweise gehört zu einem Gebäude auch die Lage bzw. das Umfeld.


    Wenn du am WE Zeit hast, dann geh mal durch die Universitätsstraße und sag mir hinterher, ob du dich dabei wohl gefühlt hast. Ich leider nicht. Klar, noch ist da nicht alles komplett fertig, aber es wird trotzdem keine Straße die zum Verweilen einladen wird. Dafür erzeugt der Uni-Neubau (und die Bestandsbauten) ein zu erdrückendes Gefühl.
    Und ob ich Applaus bekomme, ist mir persönlich egal. Aber sollte Architektur nicht auch für ein angenehmes Aufenthaltsgefühl sorgen? Nicht nur im Inneren, sondern auch Außen? Vor allem wenn man die Chance hat etwas neues zu bauen und dies bei der Planung und Gestaltung zu berücksichtigen! Hier hat man versagt = städtebauliche Katastrophe :zwinkern:

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  • Ja ich weiß was du meinst Denk_mal. Aufenthaltsqualität. Harmonie. Augenblickliche Ruhe. Das empfinde ich ebenso wenig wie du an der Stelle. Aber das ist auch unserer Zeit geschuldet. Die Impulse Pro Reko egal wo sind einfach noch viel zu lasch. Vereinzelte Vorstöße bringen halt nichts, wenn die Masse tröge vor sich hinflatuliert. Deshalb bringt es auch nichts jetzt Trübsal zu blasen sondern das Positive zu lesen: Sobald die Bäume stehen könnte die Grimmaische an Qualität gewinnen, ebenso mit dem Wasserspiel. Aber auch da bin ich noch vorsichtig. Schliesslich gibt es viele unpassende Baumarten für solch kalt-korrekte Gebäude wie den Behet-Bondzio-Bau. Ich find es positiv, dass die Traufhöhe wieder original ist. Der Zustand davor war schliesslich auch nicht haltbar und selbst mit Bäumen unattraktiver als jetzt. Durch die moderne Brille gesehen, hat allein die Geschäftsmeile der Strasse eine für unsere Zeit angemessene Bedeutung erhalten. Und ob einem Starbucks gefällt oder nicht. Ich war drin und das Gefühl, dass diese Ecke wieder lebt war mir in dem Moment wichtiger! Setz dich mal im Starbucks an die Fensterscheibe zum zukünftigen Vapiano hin und schau dir in Ruhe mal die Szene an. Alleine die Baustelle jetzt macht schon viel her. Was mich allerdings nachdenklich macht ist, dass man die Spitzbogenfenster von aussen nicht mehr wahrnehmen wird. Gerade die sind an dem besagten Ort herrlich zu bestaunen - auch so roh!

  • ^ Deinem Vorschlag bin ich schon zuvor gekommen! Ich war letztes WE im neuen Uni-Starbucks und saß zufälligerweise sogar auch am Fenster. :zwinkern:
    Also das is schon ganz nett dort! Solange man da nicht unbedingt mit dem Kopf nach oben auf das Institutsgebäude schaut und die brachiale Fassade wahrnimmt, wirkt das alles recht schick. Edle schwarze Glasflächen und eine von Menschen gesäumte Straße. Das hat durchaus etwas! Aber ich meinte vor allem die Universitätsstraße. Und da wird dieses Flair so wohl nicht aufkommen.

    Und in Bezug auf die Front-Fassade der Uni zum Augustusplatz hin bin ich der Meinung, dass der aktuell positive Eindruck, verursacht durch die feingliedrigen Betonflächen, nach Überzug der Glasfassade schnell langweilig werden wird und die einzelnen optischen Anziehspunkte aufgrund der Masse an Glasfläche untergehen werden. Wie bei einem menschlichen Gesicht, welches erst durch Konturen, Poren und gewisse Unproportionalitäten sowie kleine Mängel interessant und anschauenswert und letztlich dadurch erst als schön empfunden wird. Ein noch besseres Bsp. hierfür wäre die Darstellung von menschlichen Gesichtern in Computer-Spielen. Einst klotzig kantige, glatte Flächen. Heutzutage hochaufgelöste und feine detailreiche Formen aus Millionen von unterschiedlichen Pixeln.

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  • Wollen wir nicht hoffen, dass deine Vorstellungen der endgültigen Realität entsprechen wird. Ich weiß. Zweifel hab ich auch, da ich davon ausgehe, daß der Bau eben vorallem ein Nachtbau sein wird. Dem massiven Glasverbau geschuldet. Naja und Universitätsstraße: Ganz ehrlich. Die ist verloren solange da nicht was ganz neues gebaut wird. Die Erinnerung an das alte Seminargebäude sind so aktuell, dass jegliche Sanierungsarbeit daran die Vergangenheit nicht wegputzt. Ich leide mit dem Städtischen Kaufhaus, dass dort so alleine herum steht. Ein Gebäude, dass seine Umgebung nicht verdient hat!

  • die gebäude von van egeraat entlang des augustusplatzes gehören zum besten, was in deutschland seit der wende gebaut wurde. im gegensatz zu den bauten von behet/bondzio/lin wurde hier purer luxus betrieben. der ist im wesentlichen drei aspekten zu verdanken: der (früheren) bedeutung der uni, der (früheren) stadtbildprägenden architektur an gleicher stelle und dem umstand, dass beides in der ddr vernichtet wurde.
    das alles lässt sich nicht ungeschehen machen.
    auch mit einer reko wäre die bedeutung der uni nicht wieder hergestellt. und sie hätte am neuen augustusplatz auch nicht wieder den ihr angemessenen rang einnehmen können. die überragende leistung van egeraats besteht darin, den genius loci in unsere zeit transformiert zu haben. das neue paulinum wird auf gleicher grundfläche doppelt so hoch wie die alte kirche, nimmt sie auf und wächst über sie hinaus. es verweist auf seine geschichte und verheisst zugleich zukunft. damit leistet es nicht weniger als eine reko, sondern mehr.
    es ist richtig: selbst der damalige paulinervereinschef blobel (kein "modernist", "stalinist", "...") fand diese lösung besser als die variante der rossbach-reko. wenn selbst er zu dieser einsicht gelangt ist, ist es sicher kein frevel, wenn auch andere mal über ihren schatten springen würden.
    wenn das zuviel verlangt sein sollte, liegt es bei diesem thema wohl nicht an der aufgabe.

  • Erstmal danke an spacecowboy für die verschiedenen Zustände von St. Pauli, die er auf der vorherigen Seite dargestellt hat. Die neogotische Schaufassade halte ich persönlich für Kitsch, da sie ein Bild von einer Gotik vermittelt(e), wie es sie so nie gab. Auch wenn jetzt manche einwenden werden, dass sie dadurch natürlich ein eigenständiges Denkmal der Kunstauffassung des 19. Jahrhunderts gewesen ist. Subtrahiert man die dennoch zweifellos pitoreske Anmutung des letzten Zustandes und vergleicht man einmal die weit schlichteren Zustände mit dem jetzt enstehenden Bau, so kann man meines Erachtens doch von einer noch gelungenen Interpretation sprechen.

    Zitat von "rakete"

    [...] auch mit einer reko wäre die bedeutung der uni nicht wieder hergestellt. und sie hätte am neuen augustusplatz auch nicht wieder den ihr angemessenen rang einnehmen können. die überragende leistung van egeraats besteht darin, den genius loci in unsere zeit transformiert zu haben. das neue paulinum wird auf gleicher grundfläche doppelt so hoch wie die alte kirche, nimmt sie auf und wächst über sie hinaus. es verweist auf seine geschichte und verheisst zugleich zukunft. damit leistet es nicht weniger als eine reko, sondern mehr.
    es ist richtig: selbst der damalige paulinervereinschef blobel (kein "modernist", "stalinist", "...") fand diese lösung besser als die variante der rossbach-reko. wenn selbst er zu dieser einsicht gelangt ist, ist es sicher kein frevel, wenn auch andere mal über ihren schatten springen würden.
    wenn das zuviel verlangt sein sollte, liegt es bei diesem thema wohl nicht an der aufgabe.

    Die Bedeutung der Universität wäre nicht wiederhergestellt, das ist richtig. Damit schlägst du aber wieder in die alte Kerbe, Rekos wollten die früheren Verhältnisse wieder herstellen, und das ist schlicht falsch. Ich glaube keiner hier will wieder die Verhältnisse des Kaiserreichs haben, wo man nur mit Anzug und Hut vor die Tür, die Frauen nur mit Anstandsdame und alle am Sonntag brav in die Kirche trotten durften. Geschweige denn dass jemand der Täuschung unterliegt, dass auch eine Totalreko aller deutschen Baudenkmäler, die uns der letzte Krieg genommen hat, die gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit in irgendeiner Weise verändern würde.

    Es geht hier und auch bei Rekos im Allgemeinen schlicht um die ästhetische Wiederherstellung eines natürlich gewachsenen und durch den Krieg, hier die Barbarei weniger ideologisierter Fanatiker zerstörten Stadtbildes, und in dieser Hinsicht kann irgendetwas anderes als eine Totalreko niemals mehr leisten als eben diese Totalreko selbst. Insbesondere in [lexicon='Leipzig'][/lexicon], wo glücklicherweise noch genug Gebäude stehen, dass dieses natürliche Stadtbild noch zu erahnen ist.

  • Zitat von "RMA"

    Die neogotische Schaufassade halte ich persönlich für Kitsch, da sie ein Bild von einer Gotik vermittelt(e), wie es sie so nie gab.

    Aber nur diese Variante der Reko stand zur Debatte. Ich kann mich an keine Stimme erinnern, auch hier im APH-Forum nicht, die die mittelalterliche Variante in Betracht zog. Derweil gibt es auch in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] Beispiele, wo nicht der gewachsene Zustand des Gebäudes rekonstruiert wurde, sondern die kunsthistorisch wertvollere Variante, die irgendwann im Laufe des 19. Jh's zugunsten eines historisierenden Umbaus verloren ging. Bestes Beispiel dafür: Webers Hof (oder aktuell auch Schloss Osterstein in Zwickau). So gesehen wundert's mich auch ein wenig, dass die kunsthistorisch interessierte Seite des APH-Forums (Georg Friedrich, Philon, Oktavian) sich so vehement für die historisierende Variante Rossbachs aussprechen, und dem Egeraatschen Entwurf offensichtlich so rein gar nichts abgewinnen können. (In diesem Zusammenhang möchte ich kurz einschieben, dass Oktavians letzter Beitrag in meinen Augen gleichzeitig auch sein bester war, und das ganz ohne Ironie gemeint).

    Aber zurück zur Unikirche: Den Befürwortern einer Komplettreko geht/ging es weniger um den kunsthistorischen Wert, der schon mit der klassizistischen Variante Geutebrücks äußerlich verloren ging, sondern um den kulturhistorischen. Beispielsweise wurde St. Pauli immer als Wirkungstätte von Gellert, Bach, Luther, Leibniz, Heisenberg oder Bartholdy angeführt, oder dass Goethe, Nietzsche, Kästner oder Lessing als Studenten der Uni [lexicon='Leipzig'][/lexicon] mit der Paulinerkirche natürlich in Berührung kamen. Und es geht/ging den Befürwortern um Wiedergutmachung der durch die Kommunisten gesprengten Kirche. Für die meisten, so auch für den Paulinerverein, ist der Entwurf van Egeraats ein guter Kompromiss. Herr Blobel zieht die Egeraatsche Variante der Rossbach'schen sogar vor. Ein paar Mitglieder des Paulinervereins gründeten vor 2 Jahren den neuen Verein "Pro Reko", wo sie sich noch für die Rossbach'sche Fassade zum Augustusplatz hin einsetzen.


    Ansonsten noch zwei Vergleichsbilder der kaum stadtbildprägenden, weil "versteckten" Westseite der Universitätskirche:

    Westseite vor dem Rossbach'schen Umbau. Aufnahme um 1890


    Westseite nach dem Rossbach'schen Umbau. Man sieht, hier wurde, im Gegensatz zur Ostfassade, nur wenig modifiziert. Aufnahme um 1950

  • ^ noch eine Ergänzung zur Unversitätsstrasse: gut findet die jetzige Lösung glaube ich niemand, weder hier noch im DAF. Bei der Mensafassade zur Universitätsstrasse haben Behet&Bondzio sich nicht wirklich mit Rum bekleckert, die Fassade ist komplett glatt, im Erdgeschoss ist nichts und über die roten Lamellen wollen wir mal nicht reden. Zumindest in diesem bereich hätte man durchaus auch für eine Belebung der Strasse sorgen können. Definitiv eine verpasste Chance. Liegt m.E. auch daran, dass Behet&Bondzio sich nicht genügend mit dem Umfeld beschäftigt haben und die Strasse durch die Tiefgaragenzufahrt und Liefereingang Kaufhof als reine Zufahrtstrasse verstanden haben.

    Das eigentliche städtebauliche Problem ist aber weiter unten das sanierte alte Seminargebäude. Hier sind Kostenzwänge verantwortlich zu machen - eine Sanierung der noch recht guten Bausubstanz war hier einfach billiger. Im Prinzip muss man hier auf die doch eher geringe Lebensdauer von solchen Sanierungen hoffen - vielleicht wird hier ja in 20 Jahren doch noch ein würdiger Neubau hingesetzt, der die alten Straßenfluchten wieder aufnimmt.

    Grüße,
    *D

  • Zitat von "spacecowboy"


    Aber nur diese Variante der Reko stand zur Debatte. Ich kann mich an keine Stimme erinnern, auch hier im APH-Forum nicht, die die mittelalterliche Variante in Betracht zog. Derweil gibt es auch in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] Beispiele, wo nicht der gewachsene Zustand des Gebäudes rekonstruiert wurde, sondern die kunsthistorisch wertvollere Variante, die irgendwann im Laufe des 19. Jh's zugunsten eines historisierenden Umbaus verloren ging.

    Ansichtssache wie so vieles. Mir gefällt die neogotische Schaufassade und ich hätte auch diese rekonstruiert haben wollen. Entscheidend ist für mich allerdings, daß bei einer Rekonstruktion im Zweifel immer der letzte Zustand vor der Zerstörung hergestellt werden sollte (außer, wenn die letzte Veränderung kurz vor dem Krieg erfolgt war wie bei der Dresdner Sophienkirche). Begründung: Eine Rekonstruktion soll die Barbarei der Zerstörung kompensieren und nicht die einer lange vorher erfolgten Umgestaltung. Wenn die Paulinerkirche bis zur Zerstörung seit langem so aussah, dann war diese Version ein Produkt der Architekturgeschichte, die man nicht zurückzudrehen braucht (deshalb wäre ich auch gegen ein rekonstruiertes Berliner Schloß im Zustand von 1820 ohne Kuppel). Aber das ist nur meine Meinung, jeder kann das sehen wie er will.

  • RMA:
    na da sind wir uns wohl einig: dass in der alten kirche mal luther gepredigt hat, ist kein grund, sie nachzubauen.
    zum stadtbild: (was daran "natürlich gewachsen" ist und was nicht, ist sicher intepretationssache. in den 60 jahren vor dem krieg wurden in der leipziger innenstadt mehr häuser vernichtet, als während des krieges und danach. einen "ursprungs-" oder "idealzusatand", den es wiederherszustellen gäbe, lässt sich da wohl kaum bestimmen.)

    der neubau am augustusplatz musste sich im heutigen stadtbild behaupten. das gelingt mit dem neuen paulinum besser als mit einem nachbau der niedrigen kirche. und er musste zudem den funktionalen anforderungen an eine moderne uni gewachsen sein. auch darin ist das paulinum einem kirchennachbu überlegen.
    diese beiden kriterien hätte so ziemlich jeder wettbewerbsentwurf erfüllt. die leistung van egeraats besteht darin, diese anforderungen mit einer adaption des alten kirchenbaus zu verbinden.
    darum leistet dieser neubau nicht weniger als ein nachbau, sondern mehr.

  • Ich denke man muss auch einmal anmerken, dass der Rekonstruktionsdruck in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] nicht so hoch ist wie in anderen Städten, weil man sich in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] glücklicherweise in einer komfortablen Lage befindet, dass man wohl mehr Altbausubstanz hat als viele andere deutsche Großstädte.

    Mir fällt in der Diskussion immer wieder auf, dass es insbesondere die Leipziger hier im Forum sind (dies soll kein Vorwurf sein, also nicht falsch verstehen) die sich noch am meisten für die Moderne begeistern können. Eine ähnliche Affinität zu modernen Bauten kenne ich sonst nur von Bekannten in München.

    Aber man ist in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] und München natürlich in einer derart komfortablen Situation wie in kaum einer anderen Stadt. Beide Städte haben einen Großteil ihrer historischen Bauten ins 21. Jahrhundert retten können, beide Städte haben ihre Identität weitgehend erhalten können. Dies unterscheidet sie fundamental von Städten wie z.B. Dresden, Köln, Stuttgart oder den Ruhrgebietsmetropolen. Leute, die mit einem mehr oder weniger intakten Stadtbild aufgewachsen sind, denen fällt es wohl leichter der Moderne an der ein oder anderen Stelle eine Chance zu geben bzw. vielleicht auch den Kontrast zu schätzen.

    Wenn man sich aber eine Stadt wie Dresden ansieht, deren Identität fast völlig verloren gegangen ist, dann ist der Rekonstruktionsdruck hier viel höher.
    Daher kann ich die Leipziger verstehen, die den modernen Entwicklungen positiver gegenüberstehen als es vielleicht einige andere hier tun, die die Entwicklung in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] vor den Eindruck der eigenen Stadt sehen.

    APH - am Puls der Zeit

  • Vielleicht lässt es sich auch damit erklären, dass sich in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] wie in kaum einer anderen Stadt - zumindest von denen, die ich kenne - ganz hervorragende Baudenkmäler der frühen Moderne erhalten haben. Die Zahl der Gruselplatten ist selbst im Innenstadtbereich weit niedriger als z. B. in einem typischen kaputtgewirtschafteten Frankfurter Stadtteil wie Sossenheim oder gar solchen städtebaulichen Katastrophen wie der Nordweststadt oder Frankfurter Berg. Wenn man in einer Stadt wie [lexicon='Leipzig'][/lexicon] groß geworden ist, kennt man es wahrscheinlich gar nicht anders, als dass z. B. die Fußböden eines Hauses fast immer knarzen oder die Fassade des Gebäudes mit Stuck zugekleistert ist, mal überspitzt dargestellt. ;) Insofern mag die Toleranz für wirklich neues Bauen dort größer sein als "hier im Westen", wo im Gegensatz zum Realsozialismus leider das Geld da war, die Städte in den 60er und 70er Jahren großflächig zu entstellen. Und tatsächlich verträgt ein Stadtbild wie [lexicon='Leipzig'][/lexicon] das moderne Bauen ja auch wesentlich besser, da diese modernen Bauten wohl selbst in ein paar hundert Jahren noch gegenüber den Jahrhundertwende-Prachtbauten in der Minderheit sein werden.

  • @ RMA

    danke für deine Ergänzungen, genau so sehe ich das auch! Wenn man in einer weitgehend intakten Stadt aufgewachsen ist, die eine großflächige und geschlosse Altbaudichte aufweist, dann ist man modernen "Experimenten" weitaus aufgeschlosser. Daher rührt dann auch die Einstellung mancher Leipziger, die manchmal den fast pedantischen Kampf z.B. der Dresdner um jedes Bürgerhaus nicht ganz nachvollziehen können. Aber in Dresden ist eben kaum etwas übrig geblieben, ganz im Unterschied zu [lexicon='Leipzig'][/lexicon].

    APH - am Puls der Zeit

  • Ich fürchte, Sie haben die Leipziger durchschaut! Mein Alltag ist dadurch geprägt, daß meine täglichen Wege größtenteils durch nahezu komplett erhaltene und inzwischen auch sanierte Altbauviertel gehen.
    Bezüglich Uni Hauptgebäude: vor diesem Kontext staune ich einfach über diesen sehr spannenden, riesigen und, ja auch: anachronistischen Bau, der da gerade wächst. Anachronistisch, weil das Markanteste eben doch eher die Westfront einer Kirche ist.
    Noch ein Erklärungsversuch: die jüngere Generation kennt die vernichteten Bauten nicht. Die ältere Generation ist auf eigenartige Weise in der DDR so sozialisiert, daß sie modernen Bauten gegenüber sehr aufgeschlossen ist.

  • Zitat von "DrZott"

    Die ältere Generation ist auf eigenartige Weise in der DDR so sozialisiert, daß sie modernen Bauten gegenüber sehr aufgeschlossen ist.

    Vielleicht ist der älteren Generation auch einfach alles wurscht; während es in Dresden breite Bevölkerungsschichten gibt, denen ihre Stadt am Herzen liegt und die stolz auf ihr Elbflorenz sind, ist in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] das bürgerliche Selbstverständnis weitgehend weggebrochen.

  • pixelfritz, das glaube ich nicht.
    ein wesentlicher grund dafür, dass die wende damals in [lexicon='leipzig'][/lexicon] ihren ausgangspunkt hatte, lag wohl auch darin, dass die leute in einstmals prächtigen gründerzeitlern hausten und nicht mehr mitmachen wollten, dass die ehemals schöne stadt zugrunde gerichtet wurde und die menschen in plattenbauten an den stadtrand umgesiedelt wurden. ganz einfach, weil sie darin keine verbesserung sahen.
    wenn es irgend eine konstante der leipziger in bezug auf ihre stadt und deren bauten ist, dann ist es wohl pragmatismus.
    vor hundert jahren wurde die innenstadt den neuen anforderungen entsprechend umgestaltet (messepaläste, neues rathaus, ...). vor fünfzehn jahren wurde beschlossen, ein völlig neues messegelände zu errichten, um mit der entwicklung schritt halten zu können. und auch die uni wurde immer und immer wieder umgestaltet. bei aller diskussion um den neubau sollte man ja nicht vergessen zu würdigen, dass die ddr-uni überhaupt schon wieder abgerissen wurde. genau wie die brühlbauten, das messeamt, das hotel stadt [lexicon='leipzig'][/lexicon], das interpelz-gebäude, die [lexicon='leipzig'][/lexicon]-information, ...

    mir geht es wohl wie dr. zott: ich wohne und arbeite in altbauten. ich hoffe, dass viele der noch unsanierten altbauten gerettet werden können. das wäre eine echte (und dringende) verbesserung für das stadtbild. darüber hinaus künstlich neue "altbauten" herzustellen, halte ich weder für dringlich, noch für erforderlich. vor allem, wenn auch die neubauten eigene, interessante akzente setzen. das ist für mich der massstab guter architektur, nicht das entstehungsjahr der entwürfe.

  • rakete

    Es ist wie mit Kaisers Bart...

    Ich erinnere mich nur an ein ungutes Jahr in [lexicon='Leipzig'][/lexicon], wo ich den vorerwähnten Bürgersinn eher in Herten oder Lüdenscheid ausgemacht hätte als an der Pleiße.
    Egal, mit wem man gesprochen hat, niemand hat sich für die Stadtentwicklung, Rekonstruktionen o.ä. interessiert.
    Besonders beeindruckt hat mich mal eine Ausstellung im HBF, wo ein Abglanz der ehemaligen Bürgergärten (Apels Garten u.a.) zu erahnen war.
    Ich habe es so empfunden:
    Dresden wird geliebt, [lexicon='Leipzig'][/lexicon] wird benutzt.