Liverpool Cathedral und Umgebung (GB) (Galerie)

  • Im Februar war ich für eine Woche bei meiner Tante in England zu Besuch. Sie wohnt in Wolverhampton bei Birmingham. Einer unserer Tagesausflüge führte uns nach Liverpool, wo ich vor allem die Kathedrale vorstellen möchte. Im Anschluss folgen auch noch einige Fotos der Stadt selbst, die jedoch ein ziemlich buntes Architekturkonglomerat darstellt. Zwei weitere Galerien mit Bildern des Whitewick Manor (sprich: "Wittick"), eines historistischen Herrenhauses mit Originalausstattung in ihrer Heimatstadt, und des sehenswerten Kleinstädtchens Bridgnorth folgen in den nächsten Tagen.

    Die Liverpooler Kathedrale ist die größte anglikanische Kirche der Welt und thront wirkungsvoll auf einem Berg über der Stadt. Da es sich um eine neogotische Kirche handelt, befindet sie sich nicht im Zentrum, sondern ein wenig außerhalb, eben dort, wo damals Platz war. Das interessanteste an der Kirche ist nicht nur ihr Architekt Sir Giles Gilbert Scott, der ironischerweise Katholik und bei Baubeginn 1902 erst 22 Jahre alt war, sondern auch die lange Bauzeit. Die Kirche wurde, unterbrochen von zwei Weltkriegen und einer Wirtschaftskrise, erst 1978 vollendet, allerdings weitgehend nach dem ursprünglichen Bauplan. Nun mag man spekulieren, ob das in Deutschland auch so gelaufen wäre oder ob man sich in den Siebzigern nicht lieber für eine Vollendung der Kirche im Stile des Brutalismus entschieden hätte.

    Beginnen möchte ich mit ein paar Außenaufnahmen. Leider habe ich nicht allzu viele, da es regnete und ich das meiner Kamera nicht zumuten wollte. Deshalb sind diese Fotos mit dem Handy aufgenommen. Die Innenaufnahmen der Kathedrale stammen dann von meiner Spiegelreflexkamera.

    Der Grundriss der Kirche weicht vom klassischen gotischen Konzept deutlich ab. So gibt es einen dreischiffigen Westteil, gefolgt vom westlichen Querhaus, in dem sich skurrilerweise neben einem Shop auch ein Café befindet, dann den Central Space genannten Hauptteil des Langhauses, der nur einschiffig ist, ein östliches Querhaus und den dreischiffigen rechteckigen Umgangschor, an dessen Ostende sich mehrere Kapellen befinden, insbesondere die sehr prächtige Lady Chapel, die ich weiter unten noch im Detail vorstellen werde. Der Turm befindet sich, wie schon auf den Außenaufnahmen zu sehen, im Zentrum der Kirche über dem Central Space.

    Man betritt die Kirche durch das Westportal und blickt zuerst auf den dreischiffigen Westabschluss der Kathedrale. Hier liegt das Mittelschiff, The Well genannt, einige Stufen tiefer als die Seitenschiffe, wodurch sich einem ein beeindruckender Blick durch das Langhaus zum Chor bietet, schön gerahmt durch einen Triumphbogen, der den Abschluss von The Well bildet und (was ich leider erst später gelesen habe) von den Besuchern auch begangen werden kann.

    Das Westfenster hat eine Fläche von knapp 150 m² und besteht - laut Reiseführer - aus 200.000 Glasfragmenten. Verantwortlich zeichnet der Künstler Carl Edwards, der seit 1948 einen Großteil der Glasfenster der Kathedrale gestaltete.

    Nun gehen wir weiter zum Central Space im - wer hätte das gedacht - Zentrum der Kirche. Von hier aus hat man einen guten Blick zurück auf den Westteil der Kirche und nach vorne in Richtung Chor. Durch die Einschiffigkeit wirkt der Kirchenraum von hier aus beeindruckend weit und hoch.

    Im Rechteckschor fällt der Blick zuerst auf den Hauptaltar, der an Antwerpener Schnitzaltäre erinnert, nur dass er aus Sandstein besteht. Leider sind die Bilder größtenteils verwackelt, aber er sollte dennoch erkennbar sein. Im Hauptmotiv zeigt er eine Abendmahlsszene, im oberen Bereich die Kreuzigung, umgeben von weiteren Szenen der Passionsgeschichte.

    Beim Blick zurück auf das Langhaus sieht man nicht nur die ganze Dimension der Kathedrale, sondern auch das Chorgestühl und die darüber befindliche Orgel, deren Werk aus Platzgründen auf zwei Orgelprospekte aufgeteilt wurde.

    Im Chorumgang lassen sich weitere Kunstwerke bewundern ...

    ... von hier aus hat man aber auch Zugang zur Lady Chapel, deren fast stilreine englische Gotik mich am meisten beeindruckt hat. Die dreischiffige Kapelle mit 5/8-Chor wirkt wie eine eigenständige Kirche, und wird für Hochzeiten und als Winterkirche auch als solche benutzt. Sie wurde bereits 1910 fertiggestellt. Die bei einem deutschen Luftangriff 1940 zerstörte Verglasung wurde anschließend erneuert, griff dabei jedoch die Thematik der vorigen Verglasung auf.



    Auf dem 100 m hohen Turm war ich aus Zeitgründen leider nicht mehr, dafür habe ich im Anschluss noch einige abendliche Aufnahmen aus der Umgebung der Kathedrale gemacht. Es handelt sich um ein belebtes Studentenviertel mit reichlich Pubs und Institutionen der Liverpool Hope University.


    Die römisch-katholische Kathedrale (Liverpool Metropolitan Cathedral) liegt mitten im Studenten- und Univiertel in der Hope Street und ist ein bemerkenswerter Rundbau aus den 1960ern, der an eine Mischung aus Brummkreisel, Gasometer und Zirkuszelt erinnert und besonders im Dunkeln seine Wirkung entfaltet. Leider war der Bau schon geschlossen, als wir dort vorbeikamen, darum gibt's nur ein paar Außenaufnahmen.

    Der Hauptbahnhof (Liverpool Lime Street) ...

    Das Hafenareal von Liverpool zählt zum Weltkulturerbe der UNESCO, befindet sich allerdings seit 2012 auf der Roten Liste, da Neubauprojekte und der schlechte Zustand einiger Bauten das Areal gefährden. Im Zentrum stehen die "Drei Grazien" Royal Liver Building, Cunard Building und Port of Liverpool Building, die ich allerdings nur von weitem fotografiert habe. Warum Neubauprojekte deren visuelle Integrität beeinträchtigen sollen, kann ich allerdings üüüüberhaupt nicht nachvollziehen ...



    Und zum Abschluss noch ein paar Impressionen aus der Altstadt, die noch einmal gut das architektonische Sammelsurium zeigen, das Liverpool auszeichnet.


  • Die Kirche wurde, unterbrochen von zwei Weltkriegen und einer Wirtschaftskrise, erst 1978 vollendet, allerdings weitgehend nach dem ursprünglichen Bauplan. Nun mag man spekulieren, ob das in Deutschland auch so gelaufen wäre oder ob man sich in den Siebzigern nicht lieber für eine Vollendung der Kirche im Stile des Brutalismus entschieden hätte.

    Die Liverpool Metropolitan Cathedral, die du ja kurz hier vorgestellt hast, ist übrigens ein Beispiel hierfür. Sie wurde in den 1930er Jahren vom genialen Architekten Edwin Lutyens entworfen und Baubeginn war 1933. Aufgrund des Krieges wurden die Bauarbeiten eingestellt und nach dem Krieg gab es eine Neuauschreibung des Entwurfes, woraufhin das heutige Gebäude entstand. Interessanterweise wurde die Krypta jedoch noch nach Lutyens Entwurf fertiggestellt. Für Interessierte hier der Wikipedia-Artikel (auf Englisch):https://en.wikipedia.org/wiki/Liverpool…litan_Cathedral und eine super Doku (auch auf Englisch) über das Werk Lutyens, in der die Kathedrale auch kurz angeschnitten wird: https://www.youtube.com/watch?v=m0yGLsr1gBA .

  • Auf dem drittletzten Photo sieht man einen Fernsehturm, der aus der Altstadt herauswächst. So ähnlich müsste man sich wohl Berlin mit einem rekonstruierten Marien- und Klosterviertel vorstellen, aus dem dann der Fernsehturm am Alex herauslugt (nur eben noch größer).

    " Dem Wahren, Schönen, Guten "

  • ... von hier aus hat man aber auch Zugang zur Lady Chapel, deren fast stilreine englische Gotik mich am meisten beeindruckt hat.


    Das ist insofern erstaunlich, dass die Lady Chapel nicht im Geringsten stilrein die englische Gotik verkörpert, sondern viel mehr mit dieser fast überhaupt nichts mehr zu tun hat. Die Lady Chapel ist im Wesentlichen eine Mischung aus einer spätgotischen Wandpfeilerkirche, die im 14./15. Jahrhundert in Katalonien bis ins 16. Jahrhundert in Mitteldeutschland (Sachsen) errichtet wurden. In der Tat sind zum Beispiel die Ähnlichkeiten zur Wittenberger Schlosskirche frappierend. Die englische Gotik kennt diesen Bautypus bis auf zwei prominente Ausnahmen nicht (Die Kapelle Heinrichs VII. an der Westminster Abbey und die 'Kapelle' des King's College in Cambridge), und beide kommen als Vorbild nicht in Frage. Der dreiseitig geschlossene Chorraum ist in England zwar nicht so dermaßen unbekannt wie von der baugeschichtlichen Forschung häufig behauptet, aber dennoch eher eine Ausnahme (als Vorbild käme noch am ehesten der Chor der Kathedrale zu Lichfield in Betracht). Die Dekoration ist im Wesentlichen der südfranzösisch-katalonischen Spätgotik entlehnt (Perpignan, Condom, Palma de Mallorca fallen mir spontan als Beispiele ein). Selbst die sonst übliche demonstrative Verwendung von einzelnen eindeutig englischen Elementen wie etwa einem Liernengewölbe fehlt hier; das Gewölbe erinnert wiederum ein wenig an Wittenberg.
    Interessant ist auch ein Vergleich mit der John Rylands Library in Manchester, die zwar deutlich früher errichtet wurde (1892-1900), und auch im Detail der englischen Gotik sehr viel näher steht als die Kathedrale in Liverpool, aber gerade im Bereich der Atmosphäre durchaus Ähnlichkeiten aufweist.

    So, genug geklugscheißert... :D

  • Nun gegen Liverpool hat ja selbst Hamburg eine mittelalterliche Altsadt...
    Das einzig Sehenswerte dürfte wirklich die anglikanische Kathedrale sein, die in ihrer archaischen Wucht tatsächlich eher an kontinentale Früh- oder Übergangsgotik erinnert.
    Die kathol. Kathedrale ist eine Katastrophe, ein völlig würdeloser Bau, bei dem der vielzitierte "Geist des Konzils" offenbar mächtig geweht hat.
    Gut beschrieben:

    Zitat von maxi

    der an eine Mischung aus Brummkreisel, Gasometer und Zirkuszelt erinnert

    wobei für uns Wiener noch die Assoziation mit diesem da https://de.wikipedia.org/wiki/Rinterzelt
    besteht.
    Kurz und gut: Konzilskirche in Reinkultur!

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Das ist insofern erstaunlich, dass die Lady Chapel nicht im Geringsten stilrein die englische Gotik verkörpert, sondern viel mehr mit dieser fast überhaupt nichts mehr zu tun hat. Die Lady Chapel ist im Wesentlichen eine Mischung aus einer spätgotischen Wandpfeilerkirche, die im 14./15. Jahrhundert in Katalonien bis ins 16. Jahrhundert in Mitteldeutschland (Sachsen) errichtet wurden.

    Danke für die Klugscheißerei... äh, die zusätzlichen Infos. :D

    Ich muss zugeben, dass ich mich mit englischer Gotik nicht wirklich auskenne, also habe ich mich mit der Aussage "stilreine englische Gotik" wahrscheinlich etwas zu sehr aus dem Fenster gelehnt. Aber zumindest wirkt die Lady Chapel von ihrer Anlage her gotischer als die eigentliche Kathedrale, deren Grundriss in Form eines Doppelkreuzes und dem Wechsel von Ein- und Dreischiffigkeit ja eher untypisch für die Gotik ist - was insbesondere durch den mächtigen Zentralturm, der nicht über der Vierung, sondern über dem Langhaus steht, noch unterstützt wird.

    Nun gegen Liverpool hat ja selbst Hamburg eine mittelalterliche Altsadt...
    Das einzig Sehenswerte dürfte wirklich die anglikanische Kathedrale sein, die in ihrer archaischen Wucht tatsächlich eher an kontinentale Früh- oder Übergangsgotik erinnert.
    Die kathol. Kathedrale ist eine Katastrophe, ein völlig würdeloser Bau, bei dem der vielzitierte "Geist des Konzils" offenbar mächtig geweht hat.
    Gut beschrieben:

    wobei für uns Wiener noch die Assoziation mit diesem da https://de.wikipedia.org/wiki/Rinterzeltbesteht.
    Kurz und gut: Konzilskirche in Reinkultur!

    Zur Verteidigung Liverpools muss man sagen, dass die Stadt bis um 1700 eine unbedeutende Kleinstadt war und erst im 18. Jahrhundert durch den (Sklaven-)Handel mit den westindischen Inseln einen schnellen Aufschwung nahm. Dadurch blieb wenig ältere Bausubstanz erhalten.

    Ich finde die katholische Kathedrale durchaus beeindruckend, gerade auch für die Bauzeit, da haben die Sechziger weitaus schlimmere Architektur hervorgebracht. Sie hat halt wenig von einer klassischen Kirche, aber auf jeden Fall gestalterische Qualität.

  • Meinetwegen. Etwa als Müllverbrennungs- oder Zirkuszelt. Aber nie und nimmer als Kirche.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Siehst du Niemeyers Kathedrale von Brasília ähnlich? Die Bauformen sind ja durchaus verwandt.

  • hab ich erst googeln müssen.
    Nun: ungleich formschöner und eleganter, auch spiritueller und w+rdevoller.
    Nein, seh ich definitiv nicht so.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Beginnen möchte ich mit ein paar Außenaufnahmen. Leider habe ich nicht allzu viele [...]

    Ich kann ein paar ergänzen, obwohl das Wetter auch eher novembrig-trüb war. Passt aber eigentlich ganz gut, da meine Bilder auch den St.-James-Friedhof unterhalb des Kathedralen-Felsens zeigen, welcher bereits deutlich vor dem Bau der Kathedrale angelegt worden war.

    Das tempelartige Gebäude ist die alte Friedhofskapelle.

    Hinab; der St.-James-Friedhof wurde bis 1936 benutzt.

    More than six feet under.

    Der Rundbau ist das Mausoleum für William Huskinson.

    Südseite mit der Liebfrauenkapelle (Lady Chapel) vorne links.

    Das war's mit dem Rundgang - noch drei Nachtbilder zum Abschluss.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)