Interesse für "Altes" in der Gesellschaft

  • Wann denkt ihr hat das Interesse an alten Gebäuden, alten Möbeln, etc. in der Gesellschaft begonnen?

    Im 19. Jhd. war es auf jeden Fall schon so. Dazu gibt es jede Menge „Beweise“. Und davor...?

  • @ Sean Apollo

    Man kann die in Deutschland einsetzende Rückbesinnung auf das Mittelalter nicht isoliert nur auf Baukunst und Möbel sehen; diese Bewegung umfasste im Grunde alle Bereiche des Lebens.

    Baukunst:
    Interesse am Mittelalter:
    Nun, Goethe war in seiner Jugend als Studiosus jur. an der Straßburger Universität vom im Wesentlichen gotischen Straßburger Münster hellauf begeistert. Er hatte darüber eine Abhandlung verfasst und das Münster als großes Denkmal deutscher Baukunst gefeiert. In Potsdam war schon um 1750 das Nauener Tor (ein Stadttor) in Formen der Gotik errichtet worden. In Mitteldeutschland hatte der Fürst von Anhalt in Wörlitz den ersten englischen Landschaftspark auf deutschem Boden (wenn ich mich nicht irre um 1770) herstellen lassen. Unter den vielen Gebäuden dieses weitläufigen Parks, mit seinen Inseln und Wasserläufen ließ er ein "gotisches Haus" (also in gotischen Formen) errichten. Das Interesse an der Gotik zeigte sich zuerst in England, wo man z. B. gusseiserne Brücken in gotischen Formen herstellte. Im Zeitalter der Empfindsamkeit erbaute man künstliche, gotische Kirchenruinen z. B. bei Aschaffenburg am Main, vor der damaligen Stadtmauer in der Nähe der Sandkirche in einem Park, auf einer künstlichen Insel. Auch im Park des Schlosses Hohenheim bei Stuttgart wurde eine künstliche Kirchenruine erstellt, welche dann später in den Park von Schloss Mon Repos bei Ludwigsburg transloziert wurde. Auch diese künstliche Kirchenruine wurde im Park von Mon Repos auf einer Insel im See errichtet.

    In der beginnenden Zeit der Romantik schwärmten die Studenten von den alten Zeiten der Ritter und vom Mittelalter. Die Ruine des Heidelberger Schlosses war beliebt und wurde von Charles de Graimberg gerettet. Dieser trat öffentlich gegen den weiteren Abbruch der Schlossruine ein und setzte mit seinen weithin verbreiteten Stahlstichen des Heidelberger Schlosses den Tourismus zum Heidelberger Schloss in Gang. Eine ganz frühe Form des Denkmalschutzes von privater Hand. Die Heidelberger Studenten zogen auch nach Neckarsteinach unweit von Heidelberg, im Neckartal gelegen, das mit seinen 4 Höhenburgen den Inbegriff der Burgenromantik darstellte. Die Ruine des Felsennestes Schadeck, die fast senkrecht über dem Felsen hängt, bekam daraufhin von den Studenten den Namen "Schwalbennest". Die Studenten aus Jena in Thüringen hingegen zogen zur Burgruine Rudelsburg, ebenfalls auf hoch über nahezu senkrecht abfallendem Felsen spektakulär über dem Tal der sächsichen Saale landschaftlich reizvoll gelegen. Auch die Jenaer Studenten waren begeistert von Ritterromantik und dem Mittelalter. Franz Kugler dichtet 1826 das noch heute beliebte Lied: "An der Saale hellem Strande stehen Burgen stolz und kühn...". Es wurde d a s Lied der Jenenser Studenten.

    Viele Studenten, und beileibe nicht nur diese, sehnten sich nach der nationalen deutschen Einigung, da Deutschland in annähernd 40 völlig selbstständige Einzelstaaten zersplittert war. Dabei sei an das Studentenfest auf der Wartburg 1817 und ans Hambacher Fest erinnert (um 1832). Der Sieg über Napoleon hatte nicht die ersehnte nationale Einigung gebracht. Der Deutsche Bund, der ab 1815 bis 1866 in [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon] (im Palais Thurn und Taxis) tagte, war ein loser Fürstenbund von völlig souveränen Staaten, die nur durch die Kultur, die gemeinsame deutsche Sprache und die gemeinsame Vergangenheit im Hl. Röm. Reich miteinander verbunden waren.

    Der Maler Carl Spitzweg zog für etliche Jahre nach Rothenburg ob der Tauber und hat die alte Freie Reichsstadt in vielen seiner Gemälde verewigt. Die Begeisterung fürs Mittelalter war in den sog. "gebildeten Kreisen" weit verbreitet. Viele Historiengemälde künden davon. Die ehedem "freien Reichsstädte des Hl. Röm. Reichs dt. Nation" besannen sich auf ihre große Vergangenheit. Leider hinderte dies viele Städte im Laufe des 19. Jahrhunderts nicht, (oft aus Geldmangel oder weil die Einwohnerzahl so stark gestiegen war, dass man Neubaugebiete außerhalb der alten Ummauerung brauchte und die alten Befestigungen als Hindernis der Stadterweiterung betrachtet wurden), ihre Befestigungen und Stadttore niederzulegen. Dies, während andererseits am Rhein Burgruinen wie etwa Rheinstein oder Stolzenfels wieder errichtet wurden. Hierher gehört auch die Rheinromantik. Ferner sei noch auf den Wiederaufbau der Burg Hohenzollern nach Plänen von August Stühler, etwa in der Mitte des 19. Jh. hingewiesen.

    Auf Grund der Begeisterung für das Mittelalter und die Gotik nahm man die Bauarbeiten am gotischen Kölner Dom, die um 1560 geendet hatten, wieder auf, nachdem man 1812 und um 1820 auf uralten gegerbten Tierhäuten die eingeritzen Pläne des Kölner Doms gefunden hatte. Diese gegerbten Tierhäute hatten Jahrhunderte lang als Verpackung für Waren der Rheinschifffahrt gedient und man sah es fast als ein Wunder an, dass eben diese Tierhäute mit dem Plan des Domes zu Köln die Jahrhunderte überdauert hatten. Da Deutschland nach den Napoleonischen Kriegen finanziell völlig ausgepresst und erschöpft am Boden lag, war es um 1820 noch nicht möglich, mit dem Weiterbau des Kölner Domes zu beginnen. Dies wurde erst, wenn ich mich nicht irre, um 1840 in die Tat umgesetzt, als König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen sich persönlich der Sache annahm und diese unterstützte. Das Rheinland war im Wiener Kongress 1815 als preußische Rheinprovinz zum Königreich Preußen gekommen. Auch die eingeführte Dombaulotterie sorgte mit dafür, dass der Dombau voranschritt. Die Vollendung des Kölner Doms wurde schließlich erst am 15.10.1880 feierlich begangen. Der Kölner Dom galt als deutsches Nationaldenkmal.

    Hatte man zunächst als typisch deutschen Baustil die Gotik angesehen, so trat ab ca. 1870 an deren Stelle mehr und mehr die Renaissance, gegen 1890 schließlich auch zusätzlich der Neobarock.
    In Heidelberg z. B. bezog man sich im Historismus auf die Errichtung von Häusern der sog. "Heidelberger Schlossbaurenaissance". Obwohl die Neo-Renaissance überall in Deutschland einen wahren Siegeszug antrat (vgl. Schloss Schwerin), existierten daneben auch andere Stilrichtungen. So wurden auch weiterhin viele Gebäude wie Rathäuser, Kirchen, Postgebäude, Schulgebäude, Gutshäuser usw. im Stil der Neugotik errichtet. Hierbei fanden landschaftstypische Formen Verwendung wie z. B. im Norden und Osten Deutschlands wo die Backsteingotik sehr beliebt war, die sich an den Vorbildern der Hansestädte oder in Ostpreußen an den Deutschordensburgen orientierte. Selbst in Fachwerk und Zierfachwerk wurden wieder Gebäude errichtet. So hatte z. B. Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (der sog. "Theaterherzog") im Herzogtum Sachsen-Meiningen die Errichtung von Fachwerkhäusern im sog. hennebergischem bzw. fränkischem Fachwerkstil auf vielfältige Weise gefördert.

    Möbel:
    Ab dem späten Biedermeier, etwa ab den 1830er, mehr noch den 1840er Jahren fanden zunehmend geschweifte Formen Eingang in die bisher kastenförmigen Biedermeiermöbel. Zu den ersten und besten Möblierungen dieses Übergangsstils vom Biedermeier zum sog. 2. Barock gehörte die Einrichtung des Hessen-Nassauischen Schlosses zu Wiesbaden. Wenig später wurden dann die Möbel im Stil des sog. 2. Barock hergestellt, auch "Louis Philippe" genannt. Auch hier hatten sich Werkstätten auf die Herstellung sehr hochwertiger Möbel spezialisiert. Stellvertretend für viele sei hier die Fa. Bembé in Mainz genannt. Das in der Gründerzeit nach 1871 rasch reich gewordene Bürgertum verlangte nun mehr und mehr nach "echten" Möbeln der Renaissance. Da diese aber in solcher Menge nicht aufzutreiben waren, stellte man zunächst möglichst genaue Kopien von Renaissancemöbeln in oftmals ausgezeichnet hoher Qualität her, z. B. Ulmer Schränke oder Nürnberger Fassadenschränke. Man spricht insofern vom strengen Historismus, der sich akribisch genau an den originalen Vorbildern der Renaissance orientierte. Alle Gegenstände waren mit Ornamenten reich verziert (lat. ornare = schmücken). War die Gotik in erster Linie als kirchlicher Stil empfunden worden, so sah man in der Inneneinrichtung im Stil der Renaissance den Ausdruck diesseitiger Lebensfreude, von Wohlstand, Gemütlichkeit und Behaglichkeit. So wie diese in den Häusern und Stuben der städtischen selbstbewussten Kaufleute und Patrizier gepflegt worden waren. So diente beispielsweise auch die noch vorhanden Ausstattung des herrlichen Pellerhauses in Nürnberg als Vorbild. Anstelle des strengen Historismus traten später die Gründerzeitmöbel, mit freierer Interpretation der Stilformen, die dann auch schon meist maschinell hergestellt, damit auch für weitere Kreise der Bevölkerung erschwinglich waren.

    Literatur:
    Das Interesse am Mittelalter war im Zeitalter der Romantik enorm groß. Achim von Arnim und Clemens von Brentano sammelten als Heidelberger Studenten bei Wanderungen z. B. im Odenwald, alte Volkslieder und brachten diese in "Des Knaben Wunderhorn" heraus. Die Gebrüder Grimm zogen durchs Land und sammelten alte Volksmärchen, die in "Grimms Märchen" ein breites Publikum fanden. Ähnliches tat August Stöber aus Mülhausen im Elsass, der Ober- und Unterelsass durchwanderte und hunderte von alten Sagen aufschrieb, die er im Buch "Die Sagen des Elsaß" in deutscher Sprache (mit Widmung an die Gebrüder Grimm) veröffentlichte. Balladen- und Romanzendichter griffen in ihren Gedichten gerne mittelalterliche Themen auf (z. B. Ludwig Uhland, Gustav Schwab und Justinus Kerner).

    Lieber Sean Apollo, ich hoffe mit diesen Ausführungen zum Entstehen des Interesses an alten Gebäuden, alten Möbeln etc. einen für Dich interessanten Beitrag geleistet und niemanden damit "erschlagen" zu haben zu haben.


    7 Mal editiert, zuletzt von Villa1895 (4. Februar 2016 um 14:27)

  • Danke für diesen tollen Beitrag – keine Sorge, du hast niemanden erschlagen ;)

    Wäre nun interessant zu wissen, wie es im alten Rom oder im antiken Griechenland war… woran haben die sich festgehalten? Was waren deren „Vorbilder“?

  • Hallo Sean Apollo,

    es freut mich, dass dir meine Ausführungen offenbar gefallen haben. Zu der aufgeworfenen Frage nach den Vorbildern der Griechen und Römer kann ich leider nicht viel zur Klärung beitragen. Mir dünkt aber, dass es in der uns bekannten antiken Welt eine kontinuierliche Weiterentwicklung gab, wozu die Gedanken und Werke der griechischen Philosophen wesentlich beigetragen haben. Die Römer haben von den Griechen viele Dinge übernommen, aber auf eine eigene Weise umgeformt. Als Beispiel sei der ganze Götterhimmel der griechischen Mythologie genannt, der von den Römern zwar übernommen wurde, wobei die Götter allerdings bei den Römern neue Namen bekamen. Aus Aphrodithe, der Göttin der Liebe, wurde Venus usw. Aus Hermes, dem Gott der Kaufleute und der Diebe, wurde bei den Römern der Gott Merkur (der mit dem Flügelhut). Da aber das antike römische Reich ein Weltreich war, kamen darin auch viele andere Einflüsse zum tragen. So übernahmen die Römer, wenn ich mich nicht irre, z. B. von den Kelten den Mithraskult.


    Baukunst:

    Was die Baukunst anbelangt, ist es ganz ähnlich. Die Bauprinzipien der Griechen wurden von den Römern zunächst übernommen aber darüber hinaus durch Neues erweitert und ergänzt. Während die Griechen nur Wände und Säulen als wesentlich tragende Elemente hatten (viele Tempel glichen einem Säulenwald), erfanden die Römer den steinernen Bogen, der die auf ihm ruhrende Last und Schubkraft ableitet. Aus dem korinthischen Kapitell der Griechen entwickelte sich bei den Römern das römische Kompositkapitell. Ein ganz großer Schritt in der Entwicklung von Kunst und Kultur gelang den Römern aber in dem zuvor unbekannten gemauerten Gewölbebau, dem Bau steinerner Kuppeln über Rotunden und Absiden, etwas spektakulär Neues. Als Erbe des antiken Rom prägten diese "Entdeckungen" die europäische Baukunst maßgeblich mit und eröffneten in der Folge ungeahnte Möglichkeiten der Baukunst. So wären etwa die Gewölbe in europäischen Kirchen nicht möglich gewesen, hätten nicht die Römer den Bogenbau und den Gewölbebau "erfunden". Wer selbst einmal in Rom im früheren Pantheon, einem großen runden Bau mit Gewölbe stand, welches unzerstört die Zeitläufte überdauert hat (heute eine christliche Kirche) und dieses riesige Gewölbe über dem Rundbau betrachtet, der kommt unwillkürlich ins Staunen. Er ahnt, was für ein großartiges Erbe das antike Rom der Welt hinterlassen hat. Zum Schluss sei noch darauf hingewiesen, dass die Römer mit den von ihnen errichteten römischen Bädern, wo es möglich war unter Nutzung von Heilquellen zur Gesundung (z. B. in Baden-Baden, wo man direkt unter dem Friedrichsbad von 1877 noch die Ruinen des römischen Bades sehen kann) und der von den Römern entwickelten Fußbodenheizung, insbesondere in den Badeanstalten, wirklich Großartiges geleistet haben.

    5 Mal editiert, zuletzt von Villa1895 (5. Februar 2016 um 23:33)