• Damals war die Situation eine andere als heute, Heinzer. Vor dem Zweiten Weltkrieg war vor dem Zweiten Weltkrieg. Unsere kriegszerstörten Städte brauchen andere Ansätze als die isolierte Architekturbetrachtung. Wenn die Kerne behutsam geheilt und verlorene Identität zurückgewonnen ist, kann man wieder über Solitäre wie damals das Anzeigerhochhaus nachdenken - auf regionaltypischer Basis natürlich, denn genau die hat auch jenes Backsteinraumschiff beachtet (im Gegensatz zu modernistischer Kontrastarchitektur, die bewusst den Ort negiert und unsere Städte nivelliert). Und dann bin ich wahrscheinlich der Letzte, der etwas von "modernem Quatsch" oder "potthässlich" schreibt. Das Urteil über Nachkriegsarchitektur wird bei mir auch in zwanzig Jahren nicht anders ausfallen, denn diese Episode hat einen m.E. inadäquaten Ansatz für die gegebene Problematik gewählt.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • War ja auch nur so ein kleiner Gedanke, der natürlich auch provozieren sollte. Im Prinzip sind wir uns, denke ich, einig, auch über die Freudlosigkeit und mangelnde städtebauliche Qualität des überaus größten Teils der Nachkriegsarchitektur.

    Es ist sicherlich auch richtig, dass die scheinbare Indifferenz, oder sagen wir Schicksalsergebenheit, die die meisten Deutschen der Sache der Stadtbildpflege entgegenbringen, sicherlich nicht ganz die wirkliche Meinung widerspiegelt, wie man an den zahlreichen (negativen) Kommentaren zu den meisten Neubauprojekten und der Sehnsucht nach heilen Altstädten, die sich durch eifriges Bereisen des Auslands manifestiert. Jetzt müssen nur noch der Bogen zu unseren Altstädten geschafft werden und jede Möglichkeit der Narbenheilung, die sich uns bietet, auch konsequent genutzt werden. Nochmal: Mit jedem erfolgreichen Rekoprojekt steigt meiner Meinung die Wahrscheinlichkeit für weitere Projekte in Potenz, also quasi eine virale Ausbreitung der Idee, egal was die Modernisten sagen.

  • Im Herzen des hannoverschen Stadtteils Kleefeld findet man das sogenannte Philosophenviertel, ein von prächtigen Jugendstilvillen geprägtes Stadtquartier. Leider finden sich dort zahlreiche Wohnhäuser, die in den 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts kaputtsaniert - ja, geradezu verunstaltet - wurden.

    Seit einigen Jahren setzt allerdings der Trend ein, diese Oase im sonst so geschundenen Hannover wieder zu heilen und die betroffenen Bauten in einen mindestens historisierenden Zustand zu bringen. Ein Beispiel möchte ich Euch heute zeigen:

    Vorher:
    https://www.google.de/maps/@52.37187…12!8i6656?hl=de

    Nachher:

    Wie sich auf den Bildern erkennen lässt, wurde der Giebel neu aufgemauert, die Eingangstür durch ein historisierendes Pendant ausgetauscht und neuer Putz auf die Fassade aufgetragen.
    Ob es sich gar um eine Rekonstruktion des Urzustands handelt, wage ich nicht zu beantworten, da mir leider nur historische Ansichten der gegenüberliegenden Platzseite bekannt sind.

    2 Mal editiert, zuletzt von Klotzenstein (16. Dezember 2015 um 17:32)

  • Ja, dieser Trend ist auch im ähnlich geschundenen Bremen auszumachen, vorerst (wie anscheinend in Hannover auch) allerdings nur in den "besseren" Stadtteilen, wo derartige Sanierungen schon von vorneherein eher Einzelfälle geblieben sind und sich beim aktuellen Immobilien-/Gründerzeit-/und allgemeinen Städteboom natürlich auch auszahlen in Form von höheren Mieten und/oder höheren Verkaufspreisen.

    Trotzdem fallen auch mir bei meinen Streifzügen immer wieder gut zurückrenovierte Häuser auf. In Hannover dürfte es aber ohnehin nicht so schlimm gewesen sein wie in Bremen, da Ihr vielmehr große Mehrfamilienhäuser habt und diese haben die Sanierungs- und Entstuckungswelle aufgrund der Trägheit von Eigentümergemeinschaften oder städtischen Wohngesellschaften ohnehin viel besser überstanden.

    In Bremen, wo Hinz und Kunz an seinem kleinen Reihenhäuschen rumpfuschen konnte, gibt es ganze Straßenzüge, in denen der VORzustand des von Dir gezeigten Hauses das am wenigsten veränderte in der Reihe wäre! Es wurde ja weder entstuckt, noch verklinkert, noch aufgestockt, noch wurden die Fensterproportionen durch Horizontalisierung zerstört.

    Nur mal so drei Beispiele, wie man Häuser RICHTIG zerstört:

    Fast mein Lieblingsbeispiel, schon mehrfach gezeigt (das rechts ist KEIN Neubau!):

    oder hier, sogar noch vor anscheinend nicht allzu langer Zeit fassadengedämmt. Man fragt sich wirklich....

    Trotzdem zeigt Dein Post einen schönen Trend, der langsam sogar den Norden und Westen zu erreichen scheint....

  • Das Tröstliche. Diese Leute geben Geld aus für solchen Dämmmist, sie werden aber beim Wiederverkauf garantiert weniger Geld bekommen. Denn ein gut erhaltenes Gründerzeithaus bringt auf dem Markt mit Sicherheit mehr als eines, das wie eine gammelige Styropor-Platte aussieht. Ein schönes Verlustgeschäft also für die Dummköpfe.

  • Noch ein zwei weitere Bilder zur renovierten Jugendstilvilla am Kantplatz in Kleefeld, dieses Mal im städtebaulichen Kontext:

    Die Villa rechts im Bild wurde ebenfalls erst vor wenigen Monaten saniert.

    Die Bilder sollten eigentlich den Auftakt zu einer Galerie über das verschneite Philosophenviertel darstellen, allerdings sind die meisten Fotos unterbelichtet und somit zur Präsentation unbrauchbar.

    Einmal editiert, zuletzt von Klotzenstein (6. Januar 2016 um 17:49)

  • Es tut sich mal wieder etwas in Sachen Rekonstruktion in Hannover, nachdem die Pläne um einen Wiederaufbau der Flusswasserkunst etwas im Sande verlaufen sind. Diesmal geht es um die alte Markthalle, bei ihrer Eröffnung einst der größte Glas- und Stahlbau des Kaiserreichs. Zur Orientierung: Die Markthalle grenzt direkt an die Altstadt und steht gegenüber dem alten Rathaus. Die Hannoveraner haben in der HAZ-Online-Umfrage klar für einen Wiederaufbau gestimmt, leider sind aber wieder die Bedenkenträger da:
    http://www.haz.de/Hannover/Aus-d…stil-Markthalle

    Die alte Markthalle, vollendet im Jahr 1892:

    Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die zerstörte Markthalle durch diesen Klotz ersetzt:


    Dass die neue Markthalle unter Denkmalschutz steht, ist mir ein Rätsel und kann mir das nur deswegen vorstellen, weil das Kellergewölbe noch von der alten Halle stammt. Architektonisch ist die neue jedenfalls nicht erhaltenswert und hat nicht umsonst den Spitznamen "Rattenloch" bekommen. Problematisch ist in Sachen Rekonstruktion allerdings, dass die alte Markthalle etwas größer war und somit heutzutage an die Straße reichen würde. Im Weg ist auch der Zugang zur U-Bahn-Station Markthalle/Landtag. Leider besteht die Gefahr, dass der rot-grün besetzte Rat nicht mitspielt.

    Einmal editiert, zuletzt von Hannoveraner (21. Januar 2016 um 19:41)

  • Neben der Flusswasserkunst und der alten Hauptpost einer der Reko-Kandidaten in Hannover. Dennoch bezweifle ich die Umsetzung aus oben genannten Gründen und warte erst einmal eine offizielle Stellungnahme des Baudezernats ab.

  • Wäre schön, aber verkehrstechnisch besser umsetzbar wäre wohl die Flusswasserkunst. Um diese sollte man sich deshalb derzeit vorrangig kümmern.

  • Leider gibt es keine guten Neuigkeiten zur Rekonstruktion der alten Markthalle zu berichten.


    Zitat

    Der Traum von der Rekonstruktion der historischen Jugendstil-Markthalle scheint schon nach wenigen Tagen zu platzen: Vier Anteilseigner, die zusammen die Mehrheit am derzeitigen Markthallengebäude halten, haben sich bei der HAZ gemeldet und betont, dass sie nicht an Hamburger Investoren verkaufen wollen.


    Quelle: http://www.haz.de/Hannover/Aus-d…u-im-Jugendstil

  • Leider gibt es keine guten Neuigkeiten zur Rekonstruktion der alten Markthalle zu berichten.


    Quelle: http://www.haz.de/Hannover/Aus-d…u-im-Jugendstil

    "Die Nachkriegsimmobilie steht als besonderes Zeugnis der Wiederaufbauarchitektur unter Denkmalschutz"

    Typisch Hannover. Da wird eine Bruchbude, die ein 08/15-Nachkriegszweckbau ist, erhalten. Beim Landtagsplenarsaal ist der Denkmalschutz kein Problem gewesen, obwohl es ein genauso hässlicher Klotz ist, hier wird aber wieder blockiert. Es erweckt den Eindruck von Willkür, was dort geschieht, mehr kann ich dazu nicht sagen. Hauptsache, die Stadtverwaltung kann Hannover weiterhin mit Beton- und Glaswüsten zuklatschen.

  • Beim Landtag muss ich widersprechen. Da hat sich ein vielstimmiger Protest erhoben, am Ende blieb er stehen. Die Abbruchentscheidung ist nicht auf dem Mist der Denkmalbehörden gewachsen. Zuständig für die landeseigenen Denkmale sind die Staatshochbauämter, wenn ich mich recht erinnere. Der Gesetzgeber geht nach meiner Erinnerung davon aus, dass diese Dienststellen über ausreichenden denkmalpflegerischen Sachverstand (quasi kraft Amtes) verfügen, deswegen müssen die sich auch nicht mit den Denkmalbehörden abstimmen. Und wenn das zugehörige Ministerium entscheidet, dass ein Denkmal im Landeseigentum weg kann, setzt die Behörde das um.

    Dass hier der Landtag als Legislative eine Entscheidung der Exekutive "beschließt", und die Exekutive das dann umsetzt, finde ich rechtlich fragwürdig. Hier liegt die Crux in dieser Angelegenheit: Der Landtag meinte, sich über geltende Gesetze hinwegsetzen zu dürfen, weil sie ja die Legislative sind. Diese Haltung fand ich seinerzeit sehr arrogant. Wer ein Lehrbeispiel für die Entstehung von Politikverdruss sucht, wird hier fündig.

    Das alles wurde von anderen Denkmaleigentümern sehr genau beobachtet. Dazu kam dann der Kostenrahmen, der schon nach ersten Schätzungen für Abbruch und Neubau von wenigstens den doppelten Kosten im Vergleich zur Sanierung ausging. Vor allem die Kostenfrage hat dann zu deutlichen Protesten geführt, die letztlich die Abbruchentscheidung gekippt haben. (Disclaimer: ist ja alles ein paar Jahre her, da mag mich die Erinnerung in einzelnen Details täuschen)

    Als das gerade aktuell diskutiert wurde, und die Rede davon war, der Landtag sei "baufällig", was ja als Abbruchargument herhalten musste, habe ich mal die Gelegenheit zu einer Besichtigung genutzt. Sanierungsstau ja, das war offensichtlich. Aber von baufällig war das Gebäude weit entfernt. Wer das sehen will, kann sich mal die eine oder andere Schule oder Uni im Lande ansehen, die sind baufällig. Ich habe im Landtag viele Details wiederentdeckt, die ich von meiner alten Schule, dem Andreanum in Hildesheim, kannte - kein Wunder, gleicher Architekt, fast gleiches Baujahr. Mir gefallen beide Gebäude, aber das ist bekanntlich Geschmackssache.

  • Die rekonstruierte Markthalle würde den Altstadtrest und das Neue Rathaus wieder zu einem kleinen Ensemble machen. Sie war architektonisch m. E. auch hochwertiger als die Flußwasserkunst, die mehr eine historistische Spielerei war. Wenn die Markthalle nicht rekonstruiert wird, verpaßt Hannover die Chance auf ein deutschlandweit einzigartiges und städtebaulich bestens passendes Gebäude.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Eine weitere Meldung aus Hannover.

    Der Welfengarten wird umgestaltet.


    (...) Die umfangreiche Neugestaltung der historischen Anlage soll den Campus-Charakter des Parks an der Leibniz-Uni verstärken und zugleich Bezug auf eine frühe Phase des Welfengartens nehmen. (...)


    Leider geht das Welfenschloss wieder leer aus. Eine Rekonstruktion der fehlenden vier Turmhauben wäre eine schöne Maßnahme gewesen, und ist schon längst überfällig.

  • Vor allem fand ich das Welfenschloss, als ich dort vor Jahren mal war, im Inneren sehr unattraktiv und heruntergekommen. Hier wäre dringend eine aufwertende Neugestaltung geboten.

  • Schon das Auditorium maximum gesehen? Das ist echt eine Katastrophe. Der Universität fehlt aber leider das Geld dafür, denn momentan wird in Garbsen ein komplett neues Maschinenbaucampus hochgezogen.