Angsträume und schlechte Architektur / Stadtplanung

  • Dann willst Du durch die von Dir erhoffte Verengung des Themas die Diskussion bewusst an der Oberfläche halten.

    Es wurde ja gerade festgestellt, dass die Entstehung von Angsträumen nur bedingt etwas mit Architektur und Stadtplanung zu tun hat, sondern eben auch mit sozialer/kultureller Struktur. Darüber etwas tiefgehender zu diskutieren ist interessant, auch wenn Dir das nicht schmeckt.

    Um es mal als Frage zu verpacken. Weshalb ist eine dunkle, enge Gasse in Rothenburg ob der Tauber "romantisch", in einer brasilianischen Favela oder in den Bronx hingegen "bedrohlich", sprich: "ein Angstraum"?

  • Weshalb ist eine dunkle, enge Gasse in Rothenburg ob der Tauber "romantisch", in einer brasilianischen Favela oder in den Bronx hingegen "bedrohlich", sprich: "ein Angstraum"?

    Weil in einer Favela oder in den Bronx nur Ausländer wohnen?

  • Ist das eine Frage gewesen? Oder eine spitze Bemerkung? In beiden Fällen jedenfalls keine sonderlich kluge.

    Du hättest, echtes Interesse vorausgesetzt, z.B. besser fragen können, auf wen die Situation in der Favela bedrohlich wirkt? Ist es ein Angstraum auch für die Bewohner? Für alle Bewohner oder nur die Schwächeren? Oder ist es ein Angstraum vor allem für die anderen, die nicht dort wohnen? Könnte sich die alte Scheidung in "wir" und "die anderen" dort exemplarisch manifestieren, die man in der "offenen Gesellschaft" ohne Angsträume mit viel Geld zu überwinden trachtet bzw. hofft? Wenn Du also unbedingt den linken, und jede ethnische Komponente leugnenden, Ansatz hättest wählen wollen, dann hättest Du fragen können, ob es zumindest etwas mit sozialer Ungleichheit zu tun hat? Würde sich also die Situation ändern, wenn man den dortigen Leuten nur ausreichend Sozialhilfe oder gar bedingungsloses Grundeinkommen zukommen ließe? Würde also der sozialdemokratische Umverteilungsstaat aus dem heutigen Angstraum morgen einen romantischen Winkel machen? Würde beispielsweise aus der verwinkelten Gasse im Irak oder in Kabul, wenn man den Leuten nur genug Geld schenkt, ein romantisches Kleinod werden, durch das hessische oder pfälzer Touristinnen in Shorts und Flipflops dann entzückt mit der Digicam schlendern, um Selfies zu schießen? Oder würden sich sämtliche Probleme mit Angsträumen in Brasilien oder New York oder Afghanistan von selbst lösen, wenn man nur das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner oder Lederer Ragnarsdóttir Oei mit der Neukonzeption der dortigen Stadträume beauftragen würde?

  • Ist das eine Frage gewesen? Oder eine spitze Bemerkung?


    Eine spitze Bemerkung. Ich gehe - ohne dass ich dies selber vor Ort nachgeprüft habe- davon aus, dass die Einwohner der von Dir genannten Wohngebiete weder mehrheitlich deutschstämmig, noch in den betreffenden Ländern Ausländer sind.

    Ich hänge keinen romantischen "MultiKulti" Ideen an, bin auch der Meinung, dass wenn man gegen die aufgezeigten Zustände nichts tut alles kein gutes Ende nimmt und dass mit einer besseren Architektur allein (wenn diese auch nichts Schaden kann), das Problem nicht zu lösen ist.

    Was ich aber auch meine, dass oft - auch bei Dir - die ethnische Komponente überbewertet ist und dieser Fokus bei Manchem die Sicht auf die Problemlösung verstellt.

  • Eben. Kriminalität ist keine Frage der Ethnie, sondern des sozialen Milieus. Ob ich mich nun in einem biodeutschen Block der Hells Angels rumtreibe oder in einem, in dem nur mittellose gewaltbereite Menschen aller Herren Länder wohnen, macht letztlich für die Bedrohung keinen Unterschied. Echte Ghettos oder No-Go-Areas gibts in Deutschland eigentlich nicht wirklich, auch wenn immer mal wieder Meldungen die Runde machen, dass die Polizei in manchen Vierteln nix zu melden haben soll. Sowas gabs aber auch zu allen Zeiten, Clan- und Bandengehabe und derlei.

    Und Angsträume kann man definitiv auch über städtebaulich-architektonische und sicherheitstechnische Maßnahmen (zB ausreichende Beleuchtung) stark eindämmen. Es muss mehr Geld dafür in die Hand genommen werden, um prekäre Wohnsituationen wie in Großwohnsiedlungen abzubauen. Dort gibts wenig Durchmischung, viel Tristesse und Depression und kaum Perspektiven für die Bewohner. Sowas darfs eigentlich gar nicht mehr geben.

  • Zitat

    Eben. Kriminalität ist keine Frage der Ethnie, sondern des sozialen Milieus. Ob ich mich nun in einem biodeutschen Block der Hells Angels rumtreibe oder in einem, in dem nur mittellose gewaltbereite Menschen aller Herren Länder wohnen, macht letztlich für die Bedrohung keinen Unterschied. Echte Ghettos oder No-Go-Areas gibts in Deutschland eigentlich nicht wirklich, auch wenn immer mal wieder Meldungen die Runde machen, dass die Polizei in manchen Vierteln nix zu melden haben soll. Sowas gabs aber auch zu allen Zeiten, Clan- und Bandengehabe und derlei.

    Schmarrn.

    Welche "Kriminalität" ist hier gemeint? Was ist denn ein "soziales Milieu"? Und welches bedingt denn "Kriminalität"?
    Selbstverständlich findet nämlich Kriminalität in jedem "sozialen Milieu" statt. Bankdirektoren ermorden ihre Ehefrauen. Beamte entpuppen sich als Kinderschänder usw. Ebenso gibt es "Kriminalität" in jeder Ethnie. Und jetzt?
    Man kann alles dekonstruieren, bis man zu der immer gleichen These kommt, die auch unsere Medien suggerieren: "Ein Mensch begegnete einem Mensch und beging eine Straftat. Zusammenhänge zu anderen Straftaten können/dürfen nicht gezogen werden."

    Hier war von spezifischen Angsträumen und spezifischen kriminellen Strukturen in diesen die Rede. Zu dem oben zitiertenBeispiel: Man könnte schon damit anfangen, eine quantitative Auflistung zu machen, wie viele "biodeutsche Blocks der Hells Angels" und wie viele, in denen "mittellose gewaltbereite Menschen aller Herren Länder wohnen" es gibt? Man wird dann sehr schnell statistisch sehen, wo ein Problem konstruiert und wo es kaschiert werden soll. Ich persönlich bin kein Fan von Motorradclubs, wüsste aber, wo ich im Ernstfall weniger zu befürchten hätte.

    Dann wird gesagt, es gäbe keine echten Ghettos in Deutschland. Im nächsten Satz denn, dass es sowas zu allen Zeiten gegeben habe. Also gab es das zu allen Zeiten, heute aber nicht? Heute ist also anders als "alle Zeiten"? Und in Zukunft? Könnte es sein, dass sich da etwas entwickelt?

    Und all das, z.B. Großfamilien und Clanstrukturen, hat gar nichts mit kulturellen, in Zukunft womöglich sogar wieder rassischen Aspekten zu tun? Ich erzähle nur mal die Geschichte, die mir ein Polizist im UNO-Dienst vor wenigen Jahren von seiner Entwicklungs-Arbeit in Liberia erzählt hat. "Als Weißer solltest Du nach Anbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße gehen. Gerade im Dunkeln fällst Du zusätzlich auf, weil Deine weiße Haut gut zu sehen ist." Ein Kollege von ihm wurde in einer solchen Situation mit Macheten angegriffen, es war ihm aber möglich, zwei der Angreifer zu töten und verletzt zu entkommen. Zu seiner Entwicklungsarbeit in dem westafrikanischen Land sagte er: "Alle Maßnahmen bringen nicht viel, weil die Leute in ihr Land nichts investieren wollen. Die sind nur dabei, ihr Geld für Europa zusammenzukratzen. Das einzige, was die wollen, ist hierher zu kommen." Es wäre wohl blauäugig zu glauben, dass die kühle mitteleuropäische Luft, schlagartig die Denkgewohnten, die kulturellen Gepflogenheiten und den unterschwelligen Hass dieser Leute verfliegen lassen wird. Sie werden ab einer bestimmten Konzentration in bestimmten Vierteln ihre Regeln aufstellen und langsam durchzusetzen versuchen. Mal sehen, wie es dann einem "erbse" geht, wenn er mal nachts durch ein solches Stadtquartier schlendert.

    Zudem ist es angesichts der Situation der gegenwärtig anschwillenden Masseneinwanderung ausgesprochen amüsant, dass man meint, man würde in Zukunft noch das Geld haben, um es für schöne öffentliche Stadtgestaltungen investieren zu können, die dann mögliche Kriminalität verunmöglicht. Großwohnsiedlungen sollen abgebaut werden, wo alle Welt nach neuen Wohnungen für die Kommenden ruft, die Leute gar in Turnhallen und Zeltstädten untergebracht werden. Sorry, das ist so etwas von utopisch oder naiv. Dann kann ich nur noch mit dem Kopf... :kopfschuetteln:

    Aber, ich habe es in "Auerbachs Keller" schon mal geschrieben. Ich höre solche Aussagen ständig. Deshalb bin ich überzeugt, dass die Leute erst die harten Erfahrungen mit Angsträumen selbst machen müssen (und zwar wiederholt), bis die angelernten liberalen Stereotypen hinterfragt werden können. Das dauert noch Jahre, wird aber - vorausgesetzt die Entwicklung hält an - nach meiner Einschätzung garantiert passieren. So lange brauchen wir eigentlich gar nicht mehr darüber diskutieren.

  • Wir sprachen von Gewalt- und Armutskriminalität (etwa Diebstähle), das brauch ich doch nicht nochmal zu wiederholen.
    Ich habe so einige unschöne Erfahrungen gemacht. In meiner Kindheit vor allem in einem ostdeutschen Plattenbauviertel, das praktisch ausschließlich von Deutschen bewohnt wurde - da bin ich aufgewachsen. Auch bin ich genug gereist und nicht immer in schönen Vorzeigevierteln gelandet. Du brauchst mir nichts zu erzählen. Die Dynamiken sind immer dieselben. Bildungsmangel, Beschäftigungslosigkeit, Armut, Langeweile und Gruppendynamiken führen zur Entwicklung solcher Gegenden - die soziale Schwäche ist kein ethnischer Aspekt. Wir machen sie höchstens zu einem, indem wir mit diesem Vorurteil bzw. unter falschen Prämissen an die Herausforderungen rangehen (diesen Fehler machen leider vor allem Linke, während "Rechte" sich gar nicht erst mit ihnen auseinandersetzen und sie alle loswerden wollen). Alle Menschen sind grundsätzlich gleich bzw. gehören gleich behandelt; ein Schwarzer, ein Asiate und ein Latino können genauso Deutsche sein wie ein Ruhrpole der siebten Generation. Warum denn nicht, bloß weil sie nicht wie der "ethnisch Deutsche" aussehen (sowas gibts ohnehin praktisch nicht, wir sind letztlich alle Mischlinge)? Deutsch ist doch, wer sich zu unseren Werten bekennt und sie lebt. Oder seht ihr in Miroslav Klose nur irgendeinen Polen, in Philipp Rösler irgendeinen Vietnamesen und in Roberto Blanco nur irgendeinen Schwarzen? Was soll denn das, was verspricht man sich davon, Lob vom Stammtisch, Likes im Forum, den Eingang ins Paradies? Wo führt das hin, zu den aktuellen Anschlägen auf Asylbewerberheime, was können denn die Flüchtlinge für die Unfähigkeit von manchen Politikern?

    Man ich kenne einen Philippiner, der spielt seit seiner Jugend in einem Spielzug in Köln und fühlt sich praktisch vollständig als Rheinländer. Einer meiner Fachärzte kommt aus Ghana, ein anderer aus Pakistan (sowas sind längst keine Einzelfälle, auch nicht in MV). Kämen solche Leute nicht, hätten wir sogar in den hiesigen Oberzentren akuten Ärztemangel. Die Menschen, die aktuell herkommen, sind oftmals junge Performer. Nur die schaffens überhaupt hierher (wenn sie keine Zuwanderer mit Visum sind). Studierte bzw. ausgebildete und lernwillige Leute, Leute, die anpacken, mit Aufgaben wachsen, etwas werden, ein besseres Leben beginnen wollen. Wer kanns ihnen verdenken, wenn sie vor Bürgerkriegen, Verfolgung, Diskriminierung, bitterer Armut oder korrupten Staatsapparaten fliehen (so wie Deutsche Generationen lang)? Wir brauchen sie hier im Osten mehr als dringend. Wenn ihr sie im Westen nicht haben wollt, wir nehmen gern noch welche. Auch dank Zuwanderern und Flüchtlingen lassen sich Infrastrukturen wie Schulen, Ärzte, ÖPNV usw. vorhalten; ich will jedenfalls nicht tatenlos zusehen, wie ganze Regionen völlig entvölkert werden (und Kulturdenkmale, Einrichtungen, Gemeinschaften usw. damit reihenweise absterben). Lieber ersetze ich zehn faule Nazi-Dumpfbacken oder geschwätzige (und ebenfalls faule) Antifanten-Weltverbesserer durch einen fleißigen Eritreer oder Burmesen als andersrum. Vor einer Gruppe Schwarzafrikanern hab ich bedeutend weniger Angst als vor einem Antifanten- oder Nazi-Schlägertrupp. "Angsträume" sind vor allem (scheinbar) tote Räume. Und soziale Ghettos oder kriminelle Viertel entstehen vor allem dann, wenn man Mentalitäten wie deine pflegt - Menschen anderer Herkunft nämlich als "die" zu betrachten, die nicht zu uns gehören (können). Helfen wir ihnen, zu Deutschen zu werden, zu einem Teil der Gesellschaft. Das klappt bei den allermeisten, man muss es nur leben. Ich bin Patriot, aber kein Nationalist. Kulturpessimismus, Menschenfeindlichkeit und Schwarzmalerei sind mir fremd; deshalb bin ich noch lange kein naiver Allesgutfinder (doch dahingehend zum Thema "Multikulti" mehr im vorletzten Absatz).

    Du magst vieles was ich sage, für Phrasen halten. Weil du sowas, wie du sagst, oft gehört hast. Weil du mich vielleicht für beeinflusst hältst. Tatsächlich habe ich aber mal ähnlich wie du gedacht, Heimdall. Vielleicht war ich sogar noch ein Stück weit kritischer gegenüber Einwanderung und anderen Ethnien. Meine Erfahrung hat mich aber gelehrt, dass diese Haltung immer nur in Sackgassen führt. Sie blockiert uns unnötig, weil wir das, was wir sehen, mit dem verwechseln, was darunter ist. Wenn du mal nach Kalifornien reisen solltest, besuch das Silicon Valley. Es gibt wahrscheinlich auf der ganzen Welt keinen "ethnisch bunteren" Ort. Diese Region zeigt dir, dass weder die Hautfarbe noch der kulturelle Hintergrund im Allgemeinen Hindernisse für Höchstleistungen und kreative Energien sind, ganz im Gegenteil sogar. Der culture clash ist der fruchtbarste Nährboden überhaupt. Das Potenzial will nur genutzt statt verstoßen werden. Weltoffenheit ist der Schlüssel. Ähnlich gilt dies für New York und London und jede kosmopolitische Weltmetropole; ja selbst Tokio im sonst so homogenen Japan. Und ja, Gewalt gibts immer in Metropolen in konzentrierterem Maße, galt aber für die ethnisch homogene Zeit dieser Städte damals genauso wie für die heutige vielfältigere Zeit (das kriminelle London der englischen Banden und Mörder war/ist weltberühmt).

    Wo Integration (nicht explizit von Ausländern, sondern von "sozial Schwachen" gemeinhin) und Bildung versagen, gibts Probleme, das ist klar. Das passiert zum Beispiel durch den grünen Ansatz, der besagt, dass Zugewanderte bitteschön nur ihre eigene Kultur und auf gar keinen Fall die neue (mit)leben sollen. Dass das falsch ist, hat man in traditionellen Einwanderungsländern wie den USA, Kanada und Australien schon deutlich besser verstanden als hierzulande. Sprich: "Multikulti" ja, aber nicht ausschließlich, so wie von Grünen und Linken gewünscht; sondern explizit ergänzt um deutsche Leitkultur (was schon etwas besser gelingt als noch vor einigen Jahren).
    Ich stimme mit dir überein, wir _werden_ (mehr) ethnische Spannungen in Deutschland haben. So wie überall auf der Welt. Aber diese Spannungen müssen sich entladen. Denn sie schwelen schon seit zu vielen Menschheitsgenerationen und führen dazu, dass die Menschheit unter ihren Möglichkeiten bleibt. Mit "entladen" meine ich keinesfalls Bürgerkriege oder dergleichen; vielmehr statt des Nebenhers ein direktes Aufeinandertreffen, den offenen Austausch, ein Ende des Versteckens. Nur so wird das was. Wer weiter in einer Blase lebt, wird untergehen. (Oder: Berlin und Heidelberg werden leben; Freital wird sterben.)

    Und schlussendlich noch mal zu den Kosten: Einwanderer bringen dem deutschen Staat Milliarden an Mehreinnahmen, die Beschäftigungsquoten sind hoch. Die ifo-Gegenrechnungen kenne ich, wenn man diese aber mal genauer analysiert, wurden da etliche Einnahmen einfach rausgerechnet. Nicht ohne Grund ist D das performanteste Land Europas. Dass Flüchtlinge hingegen zunächst mehr kosten, ist klar - wenn man klug ist, integriert man sie möglichst schnell in den Arbeitsmarkt, um ihr Potenzial zu nutzen und die Kosten wieder auszugleichen. Und übergibt sie bei guten Leistungen in ein Visumsverfahren (bzw. Blue Card), um einen längeren und sicheren Aufenthalt ohne die Unterstützungszahlungen und ihnen damit ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

  • Was hat all das mit den realen sozioökonomischen Entwicklungen, geschweige denn Angsträumen zu tun?
    Das "Leitkultur"-Konzept, dessen Anhänger ich lange war, ist von den Verantwortlichen lange schon ad acta gelegt worden. Bezüglich der "Beschäftigung" sei nur als Beispiel der Debatte auf "Das Ende der Arbeit" von Jeremy Rifkin verwiesen. Die Rationalisierung fordert ihren Preis. Vor allem Unqualifizierte werden für den Arbeitsmarkt immer weniger benötigt. Aus ihnen wird sich in Zukunft der Angstraum entwickeln. Und wie gesagt, das öffentliche Geld, diesem mit städtebaulichen Maßnahmen entgegen zu wirken, wird zunehmend schwinden. Die Zukunft sieht man in einigen brasilianischen Städten, wozu auch das Stichwort der "Brasilianisierung" passt. Gated Area versus Favela, dazwischen Areale des schwindenden Mittelstandes.

  • Ich antworte mal stichpunktartig, um die Trennung der Einzelaspekte deutlicher zu machen.

    - hat insofern damit zu tun, als dass du hier implizit die Verquickung von ethnischen (statt soziokulturellen) Aspekten mit den "Angsträumen" vorgenommen hast, die ja an sich erstmal als städtebauliche Begebenheiten definiert wurden
    - das Konzept der Leitkultur wird aktuell (v.a. intern) erst richtig aufgenommen, weil man in D erst allmählich beginnt, sich auch als Einwanderungsland zu verstehen und zugleich durch das Volk ein positiver (überwiegend nicht völkisch-nationaler) Patriotismus gelebt wird

    - die Furcht vor der Rationalisierung und dem Wegfall jedweder Arbeit greift seit der Dampfmaschine um sich; ganz schlimm dann mit Aufkommen der Computer - die Geschichte zeigt, dass sie Unsinn ist
    - es stimmt hingegen, dass Qualifikation/Bildung für Erwerbsarbeit wichtiger wird; zugleich ist die Gesellschaft insgesamt leistungsfähiger, um auch Leistungsschwache durchzuschleifen (das sag ich ohne Wertung)
    - daher muss die weltbeste Bildung unser Anspruch sein; statt deutschem Bildungsföderalismus ein bundesweit hohes Niveau, das sich mit den USA, UK und China messen muss (und nicht MV mit Bayern)

    - die Angst vor der immer weiter aufgehenden Arm-Reich-Schere ist älter als der Sozialismus und hat sich ebenfalls als unwahr erwiesen; während sich zwar immer größere Geldmengen in der obersten Schicht akkumulieren, werden die Armen stetig wohlhabender und haben heute Lebensstandards höher als frühere Oberschichten, zugleich wächst die globale Mittelschicht und der HDI weltweit
    --> kleines Zitat von unser aller Kumpel Karl Marx: "Geld ist die wahrhaft schöpferische Kraft" :zwinkern:

  • Du kannst Dein Leitkultur-Konzept ja mal den derzeit heranreisenden Personenkreisen unterbreiten. (z.B. hier, hier oder hier) Wenn es zudem nicht "völkisch-national", also wohl nicht traditionell deutsch, sein soll, müsstest Du auch mich erst mal darin unterweisen. Vielleicht erhalte ich dann ja, wenn ich alles verstanden habe und brav bin, auch die Bürgerrechte der neuen Gesellschaft.

    Zum Angstraum-Konzept im Bezug zu Städtebau und Architektur aber mal zwei aktuelle Links, die exemplarisch am Beispiel Offenbach zeigen, wohin die Reise gehen kann...

    Das vergessene Viertel
    Rund um den Alten Friedhof macht sich Resignation breit
    http://www.op-online.de/offenbach/offe…on-5305385.html

    Der Verwahrlosung begegnet die zunehmend überforderte Stadt mit punktuellen Aktionen und Beschönigungsversuchen. Ein Angstraum ist das noch nicht, aber es ist möglich, dass es ein solcher in Zukunft einmal wird. Die Kommune setzt auf die Selbstheilungskräfte durch das Engagement von Privatinvestoren und solvente Neuzuzüge. Dass man kaum noch finanzielle Mittel zur öffentlichen Stadtraumgestaltung hat, wird mittlerweile zugegeben.

    Müll, Ratten und viel Alkohol
    Polizei räumt großes Obdachlosenlager am Kaiserlei
    http://www.op-online.de/region/frankfu…ch-5307598.html

    Noch wird punktuell gegen Ansätze zu illegalen Lagern an den Rand- und Brachgebieten der Metropolen vorgegangen. In diesem Fall dürfte es sich um dort hausende Zigeuner handeln, worauf der Handel mit höchstwahrscheinlich gestohlenem Kupfer schließen lässt. Wenn irgendwann die Ordnungskräfte durch Personaleinsparungen zu solchen Maßnahmen nicht mehr in der Lage sind, werden sich Favela-Siedlungen verstetigen.

  • Was auch zu Angsträumen beiträgt, sind natürlich sogenannte "offene Drogenszenen", wie hier in Dresden am Bahnhof:
    http://www.sz-online.de/nachrichten/dr…of-2874047.html
    Ich denke, solchen Entwicklungen kann man nur mit verstärkter Kontrolle begegnen. Aber leider wird in Sachsen (und wohl auch anderswo) Personal bei der Polizei eher abgebaut, so dass die verbleibenden Beamten permanent überfordert sind, wozu auch die dramatische Zunahme politischer Demonstrationen gerade in Dresden beiträgt. Hier setzt die Politik meines Erachtens aufs falsche Pferd, bzw. hier kriegt die Gesellschaft die Quittung für die unsägliche Sparpolitik auf allen Ebenen.

    Nebenbei gefragt, Heimdall: was ist denn "traditionell deutsch", wenn es um Kultur und Gesellschaft geht? Ich tu mich sehr schwer, das zu definieren. Deutschland ist für mich ein sehr inhomogenes Land, in dem sich vielerlei Traditionen und Eigenheiten finden, was sich ja auch nicht zuletzt in der Architektur - mindestens in der historischen - niederschlägt.

  • So furchtbar sieht Hannover am Tag nach der „Nacht des Terrors“ aus


    Das ist in der Tat wesentlich grausamer als ich mir vorgestellt habe. In den Nachrichten der Öffentlich Rechtlichen war dies so schlimm nicht dargestellt. Was wird werden, wenn unter den Flüchtlingen versteckt noch mehr Architekten die so etwas zu verantworten haben kommen?

  • Könnte auch Stuttgart sein, wobei diese Beispiele aus Hannover noch um einiges gruseliger sind. Ich glaube die beiden Städte verbindet ein ähnliches Schicksal, nämlich rücksichtsloser architektonischer Nachkriegs-Furor. In Stuttgart wird die Hässlichkeit der City immerhin durch die einmalige topographische Lage abgemildert. Hannover kann sich nicht mal darauf berufen.

    In dubio pro reko

  • Witzige Satire-Idee. Ich wette jedoch, dass sich solche Beispiele auch in München, Dresden, [lexicon='Leipzig'][/lexicon] oder Heidelberg finden, man muss sie dann nur noch zusammenstellen und den Rest ausblenden. Zugegeben, Hannover steht nicht auf einer Ebene mit diesen Städten, aber auch in Hannover gibt es etliche sehr schöne Ecken - zudem hat die Rekonstruktion des Schloss Herrenhausen sowie die Diskussion um die Wasserkunst gezeigt, dass durchaus der Wille besteht, die Stadt wieder schöner zu machen.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)