Bremen - Altstadt - Baumwollbörse

  • spottet jeder Beschreibung? Nun, ein Bild ist vielleicht zu wenig für mich, um ein qualifiziertes Urteil zu fällen, aber mich schreckt die Visualisierung nicht, im Gegenteil - das verspricht doch einen sehr großstädtischen, an die Geschäftshausarchitetkur der 20er Jahre à la "Metropolis" anknüpfenden Auftritt.

  • So sieht's in groß aus:

    (c) KUEHN MALVEZZI / competition online

    Nicht ganz klar wird aus dem Artikel im Weser-Kurier, wann die Giebel und die Turmhaube verschwanden. War das mit der 1924er Reduzierung nach Witterungsschäden gemeint?
    Dieses Bild dürfte nach den Autos zu urteilen wohl eher aus den 30ern als aus der Nachkriegszeit stammen.

    (c) Archiv Bremer Baumwollbörse

    Oder ist dies der erste Umbauzustand?

    (c) Archiv Bremer Baumwollbörse

  • Danke, Atticus, für die größere Visualisierung. Ich bleibe dabei, das könnte gut werden; eine quasi expressionistische Bekrönung, die das Gebäude besser in den Himmel bringt. Die Setbacks passen gut auf den Bestand. Wenn das auch in Material und Detail ordentlich umgesetzt wird, kann das eine Bereicherung darstellen. Im Übrigen zeigt das größere Bild auch, dass der Bestand nicht unbedingt erstrangig ist - wir haben es hier nicht mit dem Chilehaus zu tun... :daumenoben:

  • Der Bestand mag heute nicht mehr erstrangig sein, er war es aber mal. Bei einem Bau, der schon immer so aussah, könnte ich mit dem Kuehn-Malvezzi-Aufbau leben... Aber da ich weiß, dass dies mal ein wirklicher Prachtbau war, fällt das schwer. Zumal in unmittelbarer Nachbarschaft und einsehbar vom Bremer Marktplatz mit dem Welterbe-Rathaus!


    Quelle & volle Auflösung bremen.de


    http://www.artinlandscape.com/ansichtskarten…02-centrum.html

    Das ist unter keinen Umständen irgendein drittklassiger Billigbau gewesen, die Baumwollbörse gehört ästhetisch wie auch funktional zur Bremer Spitzenliga! Was Leipzig kann, das wird Bremen auch können. Mit wiederhergestellter Fassadenpracht wäre das einer der Top-Gründerzeitbauten der Republik, solch metropolische Kuppeltürme gibts ja sonst kaum noch.

  • Wenn wir die letzten fünf Bilder nehmen, haben wir die zeitliche Folge:
    - Wie es werden soll,
    - wie es aktuell ist,
    - wie es bis zum Krieg war (Untertitel: 1924) und
    - den Originalzustand bis zu ersten Umbau, der phantastisch war, aber wegen eines Unfalles durch herunterfallende Elemente (ich meine, es gab sogar einen Toten) zurückgebaut wurde. Man beachte das Ensemble der beiden Börsengebäude in Verbindung mit den Gebäuden weiter rechts im letzten Bild!!

    Der aktuelle Entwurf wäre als Neubau vielleicht OK, im Vergleich zu den ersten beiden Vorgängerbauten ist er mehr als schwach. Vielleicht soll er das Haus der Bürgerschaft besser zur Geltung bringen.

  • Ich finde den Aufbau unerträglich. Eine Reko des Urspungszustandes wäre angezeigt gewesen.
    Gemeinsam mit dem Schütting wäre das ein wunderbares Ensemble.Vor allem mit dem Rathaus gegenüber.

  • Mir gefällt der Entwurf in toto ganz gut.

    Als Material scheint Kupfer oder Bronze vorgesehen zu sein, was ich sehr begrüßenswert finde. Viele zeitgenössische Entwürfe würden allein von anspruchsvolleren Materialien sehr profitieren (wenn nur nicht immer alles kostengünstig sien müßte …).

    Auch die Grundform gefällt mir. Die Assoziation mit Metropolis find ich gar nicht so schlecht. Es stört mich hingegen, daß der neue Dachaufbau einfach gerade nach oben wächst.

    Wenn sich diese neue Krone für das Haus vllt. ein wenig verjüngte oder über der Ecke eine überhöhte Spitze ausbildete, würde sie dem Bestandsbau mehr schmeicheln. Es könnte auch nicht schaden, ein paar dekorative Details hinzuzufügen: ein paar Fialen, die die Ecken betonen oder falls das zu martialisch wirkt, eine Bronzeplastik, die den Figurenschmuck im unteren Bereich wieder aufnimmt.

  • Eine Reko des Originalzustandes wäre angezeigt gewesen.So besteht die Gefahr, dass der Marktplatz mit verbaut werden wird.Die Glastürme verderben den Blick vom Schütting in Richtung Dom und Rathaus noch mehr als es schon das Gebäude der Bürgerschaft tut.

  • Der eigenen Frau würde der Archtekt ja auch nicht untenrum Urgrossmutters Rock darüber ein Petitcoat und oben am Kopf eine stylische Undercutfrisur draufsetzen. Verirrungen sondergleichen sind das.

  • Ich lehne jede Störung der Altstadt-Skyline durch nicht-kirchliche Türme und Spitzen ab. Wenn auch das Lloyd-Gebäude und die Baumwollbörse ihre Fangemeinde hatten und haben, so gab es auch immer erheblichen Widerstand dagegen, dem ich mich anschließen möchte. Wilheminischer Gigantismus tat der Bremer Altstadt nicht gut und Neo-Gigantismus wird ihr auch nicht guttun.

    Den "Früher war alles besser"-Zahn möchte ich gezogen wissen! Neue Börse, Baumwollbörse und Lloyd-Gebäude gingen unglaublich rücksichtlos mit ihrer Nachbarschaft um und plätteten ganze Quartiere oder Straßenzüge. - mit herrlich urspünglichen Gebäuden - für ihre Realisation.

    Zudem war die Baumwollbörse als Baukörper in der Vorkriegsaltstadt viel zu groß! Von allen Seiten! Die Turmhaube eine viel zu gewaltige Konkurrenz zu den Türmen am Markt. Das erkennt man auf fast allen Stadt-Totalen der damaligen Zeit.

    Ähnlich verzerrt im Maßstab verhielt sich die Neue Börse, die viel zu sehr in Konkurrenz zu Rathaus und Schütting stand. Das waren einfach architektonische Missgriffe - die, für sich gesehen, der Mehrheit der Menschen gefallen mögen - im Ensemble mit der Umgebung müssen sie aber einfach gruselig gewesen sein.

    Die Silhoutte der Altstadt sollte, meiner Meinung nach, in der Hauptsache durch ihre Kirchtürme und Dachreiter betont werden (Dom, UL Frauen, Martini, Johann, Stephani und hoffentlich irgendwann wieder Ansgarii) und nicht durch profane Geltungswut.

    Und allen, die eine Vermengung von jeweils zeitgenössicher Architektur und Bestandsstil pauschal ablehnen, rate ich, einmal das Bremer Rathaus zu analysieren und zu prüfen, ob sie die Renaissance-Fassade auch zu Gunsten der Rekonstruktion des gotischen Urzustandes abschlagen würden.

  • Widersprichst Du dir nicht selber? Du forderst, nicht die "guten alten Zeiten" zu beschwören, tust aber genau das, indem du die Entwicklung der gründerzeitlichen Veränderung gerne ungeschehen machen würdest und von den "herrlich ursprünglichen Gebäuden" träumst.

    In dubio pro reko

  • Auf der Homepage der Bremer Baumwollbörse gibt es ein Kapitel zur Geschichte der Institution und ihres Gebäudes:

    http://baumwollboerse.de/baumwollboerse/geschichte/

    Von dieser Seite stammen die folgenden Bilder, die - wie ich finde- die ehemalige urbane Qualität des Bauwerkes in seinem Urzustand erkennen lassen.

    Die Gerüste, die entlang beider Seitenflügel das Erdgeschoß verdecken, wurden zum Schutz von Passanten aufgestellt, nachdem kurz vor dem ersten Weltkrieg Teile des Gebäudezierrats als Steinschlag herabstürzten und einen Baumwollkaufmann tödlich verletzten. Ursache waren - leider - Materialmängel des verwendeten Sandsteins. Dieser Mangel und der durch ihn hervorgerufene Unfall war die Ursache für den vereinfachenden Umbau der Fassaden durch Otto Blendermann in den 20er Jahren.

    Der Turmhelm erinnert an den der Kirche St. Cosmae und Damiani in Stade oder auch an den von St. Katharinen in Hamburg und ist insofern 'gut hanseatisch'.
    Da Bremen seit der Reformation und bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Türme der kleinen mittelalterlichen Kirchen von St. Wilhadi, St. Jacobi und St. Nicolai, sowie alle Türme der Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert verloren hatte, stand dem Stadtbild eine 'Aufstockung' der vernachlässigten Vertikalen durchaus gut zu Gesicht. Das ebenfalls von Johann Georg Poppe erbaute Verwaltungsgebäude des Norddeutschen Lloyd trug ein Übriges dazu bei, das sich biedermeierlich duckende Bremen aus seinem baulichen Tiefschlaf zu wecken und es den Anschluß an das sich weltstädtisch entfaltende Hamburg nicht verlieren zu lassen.

    Eine geradezu mondäne Ansicht der Gebäudeseite zur Wachtstraße hin. Zusammen mit dem - links ins Bild kommenden - Dom und dem neo-barocken Giebel des rechts angrenzenden Geschäftshauses ergibt sich ein Bild von bestrickender und harmonischer architektonischer Dichte.


    Ein Blick über die zerklüfteten - fast an eine Burganlage gemahnenden - Dachaufbauten, sowie auf Details eines der hohen Seitengiebel (auf dessen Spitze Gott Merkur als Patron des Handels zu sehen ist). Eine nicht oft photographierte Perspektive !

    3 Mal editiert, zuletzt von Pagentorn (31. März 2015 um 15:01)

  • Findest Du, dass ich mir widerspreche?

    Wenn ich den Wiederaufbau der ursprünglichen Gebäude, anstelle der Gründerzeitpaläste, erträumen würde hättest Du wohl Recht. Das habe ich aber weder gemeint und...wenn ich so nachlese... auch mit keinem Wort so geschrieben. Vielmehr ging es mir in meinem Beitrag um den Umgang mit historischer Bausubstanz und um die stilistische Authentizität der Gebäude. "Herrlich ursprünglich" bedeutet dabei nicht "besser" sondern "stilecht"!

  • Ich bin eigentlich schon der Meinung, dass man die teilerhaltene Gründerzeitungetümer vollrekonstruieren sollte. Nicht, weil ich sie so überalles mag, aber wenn schon, denn schon! Man muss ihnen auch eine ästhetische Konsequenz zubilligen.
    Und besser als das nachfolgende sind sie (in aller Regele) allemal.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Im Folgenden einige Bilder, welche die Rolle der Baumwollbörse im Stadtbild Bremens illustrieren:

    Hier geht der Blick vom Turm der St. Ansgarii Kirche nach Osten auf die ältesten Teile der Stadt. (Von links nach rechts:) Liebfrauenkirche, Dom, Rathaus, Neue Börse, Schütting und Baumwollbörse bilden eine von jedem Blinkwinkel aus imposante Kulisse für das städtische Forum, den Marktplatz. Mit dem Verschwinden der Neuen Börse und dem nur noch rudimentären Zustand der Baumwollbörse, sind dem Markt somit heute seine östlichen und südöstlichen Begrenzungen abhanden gekommen. Dort herrscht heute ausdrucksschwache Vertikale vor ! Ein Wiederaufbau des Turmhelms der Baumwollbörse in der Blendermannschen Version würde daher schon eine erhebliche Verbesserung des Ist-Zustandes bedeuten.


    Ein Blick nach Osten auf die Altstadt vom Dach des Kaufhauses des unvergessenen Julius Bamberger in der Steffenststadt. Hier sieht man sehr schön, daß weder der Turm des Lloydgebäudes (ganz links) den Turm von St. Ansgarii, noch der Turmhelm der Baumwollbörse (zwischen Domtürmen und Turm von St. Martini) die Türme des St. Petri Doms optisch bedrängen. Beide wahren im Gegenteil jeweils respektvollen Abstand und rahmen die imposante Silhouette der inneren Stadt sehr wirkungsvoll.


    Dieses Farbphoto vom Spätherbst 1939 aus der mittlerweile schon legendären Sorger-Dia-Serie zeigt die Baumwollbörse von Osten und zwar aus Richtung Weser und Tiefer her gesehen. Es ist bemerkenswert, wie perfekt sich die spitze Laterne des Turmhelms in die Intervallfolge der städtischen Türme einfügt. Das heute so dräuende Aufragen der Rückseite des Gebäudes fällt bei der damaligen Bebauung gar nicht so sehr ins Gewicht. Sehr wahrscheinlich würde die wiedererbaute Spitze auch hier einen heilsamen Effekt auf das Erscheinungsbild haben.


    Der Blick im nächsten Bild geht vom Teerhof über die Weser auf die Wasserseite der Packhäuser an der Martinistraße. Die schlanke Laterne des Turmhelms der Baumwollbörse wirkt wie ein Dachreiter eines der Kaufmannshäuser.


    Zum Abschluß noch eine Ansicht bei dem der Blick vom damaligen Kaiser-Wilhelm-Platz in Richtung Markt gerichtet ist. Die Baumwollbörse erscheint hier als Zielpunkt der Sichtachse. Man sieht, daß sich das Rathaus sehr wohl neben Börse und Baumwollbörse optisch behauten kann ohne Schaden zu nehmen. Die Gebäude verstärken sich vielmehr gegenseitig in ihrer urbanen Wirkung !

    Einmal editiert, zuletzt von Pagentorn (31. März 2015 um 18:28)

  • Danke für die schönen Ansichten von früher.
    Zur Meinungsbildung kann auch der direkte Vergleich der ersten beiden Bilder dieser schönen Reihe dienen, welche ich schon mal verlinkt hatte:
    http://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-…galid,8414.html
    Menschen sind ja unterschiedlich, aber wie man da zwei Meinungen haben kann... huh:)

    Und wenn ich schon dabei bin - diese Bildergruppe verdient Beachtung:
    Bremen Vintage - Flickr

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Ich möchte Ursus carpaticus' Wort von der 'ästhetische Konsequenz' aufgreifen, die ich als Stimmigkeit von Fassade und Innenleben des Gebäudes interpretiere. Durch den Umbau in den 20er Jahren, vor allem aber infolge der Zerstörung im 2. Weltkrieg und dem nachfolgenden nüchternen Wiederaufbau des Äußeren, ist bei der Baumwollbörse leider Einiges aus dem Gleichgewicht geraten.
    Die folgenden Bilder zeigen die - Gott sei Dank - weitestgehend unverändert erhaltene Innenarchitektur Johann Georg Poppes.

    Sie sind der folgenden Webpage entnommen:

    http://www.fotos-bilder.de/Bremen/baumwol…mwollboerse.htm

    Hier drei Fotos des Treppenhauses und der Korridore:


    Und hier Bilder aus der bis in die 20er Jahre offenen Eingangshalle mit ihren farbintensiven Mosaiken der Firma Puhl & Wagner aus Rixdorf (heute Neukölln). Diese Kunstwerke beziehen sich auf die Hauptanbaugebiete von Baumwolle im deutschen Kaiserreich (Preußen und Bayern) sowie auf die wichtigsten verarbeitenden Regionen dieses Rohstoffes (Sachsen und Elsaß-Lothringen).

    Und nun frage ich: Ist der geplante neue Turmaufsatz aus Stahl und Glas dieser gediegenen Pracht würdig ?

  • Ich lehne jede Störung der Altstadt-Skyline durch nicht-kirchliche Türme und Spitzen ab.

    Als säkularer Humanist möchte ich mich klar dagegen aussprechen, daß eine Stadtsilhouette nur von Kirchbauten dominierst sein sollte. Weltliche Bauten haben dasselbe Recht, sich ihrer Bedeutung entsprechend im Stadtbild bemerkbar zu machen. Ich würde sogar sagen, es gibt eine Pflicht, mit Rathaustürmen, Gerichtskuppeln etc. nicht-klerikale Pendants zu setzen.