Stuttgart in alten Bildern

  • In diesem thread soll Stuttgart in alten Fotografien gezeigt werden. Den Anfang mache ich mal mit einer Postkarte, die ich heute erhalten habe. Zu sehen ist die Partie am Schlossplatz mit dem klassizistischen Königsbau (1856-60, Arch. Christian Friedrich von Leins & Johann Michael Knapp, erhalten) und dem daran anschließenden Kronprinzenpalais (1846-50, Arch. Ludwig Friedrich Gaab, abgebrochen 1963). Am oberen Ende der Königstraße erkennt man als Fixpunkt den Wilhelmsbau, der auch heute noch - wenn auch stark verändert- erhalten ist.
    Die Aufnahme stammt wohl aus dem Jahr 1932. Ich bin beeindruckt von der hohen fotografischen Qualität, man möchte direkt in das städtische Treiben hineinsteigen.

    In dubio pro reko

  • "Jahrhunderte lang Stolz und Zierde" sollte das neue Rathaus (Arch. Heinrich Jassoy & Johannes Vollmer) sein, leider hat sich das nicht bewahrheitet. Der 68 Meter hohe Turm überragte sogar die Stiftskirche um 6 Meter. Er ist heute noch unter der Verkleidung des umstrittenen Nachfolgergebäudes vorhanden.
    Die Aufnahme entstand im Jahr 1906, ein Jahr nach Vollendung des spätgotischen Baus. Im Hintergrund erkennt man die Baustelle der Altstadtsanierung.

    In dubio pro reko

  • Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß auch der Rathausbau von 1905 eine Bausünde war. Für ihn wurden immerhin das Rathaus der Renaissance und mehr als 20 weitere Häuser geopfert. So wurde das bedeutende Ensemble des Marktplatzes stark gestört. Der Bombenkrieg hätte das alles 40 Jahre später sowieso vernichtet, gleichwohl bezeugt das Rathaus von 1905 nicht gerade einen respektvollen Umgang mit dem architektonischen Erbe.

  • Bist du da nicht vielleicht von der hier im Forum gelegentlich anzutreffenden Historismus-Abneigung beeinflußt? Nicht immer ist das Ältere besser, das Renaissance-Rathaus war einer Großstadt wie Stuttgart einfach nicht mehr angemessen. Es brauchte was Erhabenes, Stattliches, einen weithin sichtbaren Turm. Ich denke, das Gebäude von 1905 war das beste, was wir je in der Stadt hatten. Solche "Bausünden" hätte ich heute gerne.

    In dubio pro reko

  • Nicht immer sind die Vorgänger besser, das Renaissance-Rathaus war einer Großstadt wie Stuttgart einfach nicht mehr angemessen.
    Ich denke, das von 1905 war das schönste, was wir je in der Stadt hatten.

    Ich glaube gerne, daß das Renaissance-Rathaus zu klein geworden war. Schönheit freilich ist subjektiv, da wollen wir nicht streiten.


  • Wenn der Denkmalschutz nach solchen Kriterien vorgehen würde, dann gute Nacht!

    Eigentlich ist dieses Vorgehen das korrekte. Ich vertrete ja sowieso die Meinung, dass der Denkmalschutz viel zu viele unwichtige Gebäude unter Schutz stellt. Solange der Nachfolgebau eine eindeutige Verbesserung darstellt, wären meiner Meinung nach sogar Abrisse von sehr hochrangigen Gebäuden völlig legitim.
    Problem ist natürlich derzeitig, dass es keinen Architekten noch Entwickler gibt der so etwas leisten will/kann.

  • Von dem wirklich alten Stuttgart war so zu sehen bereits vor dem Krieg nicht sehr viel mehr übrig. Nicht daß das Stuttgart von etwa 1940 häßlich war - sicher nicht! Aber man kann diesen etwas überproportionierten Historismusbau doch nicht ernsthaft über den schon früher abgegangenen Renaissancebau stellen? Vielen haben schon versucht (allerdings vor etwa 1920), der brüsseler Marktplatz nachzubauen, aber noch nie war das Resultat wirklich überzeugend. So war's mE. auch in dem Stuttgart des frühen 20en Jahrhunderts...

    3 Mal editiert, zuletzt von Niederländer (22. Februar 2015 um 19:16)

  • Ich finde, dass das Problem weniger der Rathausbau an sich war als seine Stelle. Eine solche Dominanz an so einem sensiblen Ort - ich weiß nicht, ob man das gutheißen kann. Es ist im Grunde ein ähnliches Vorgehen wie das bei jenem heutigen Neubau, der sich anmaßt, einen "spannenden Kontrast" bilden zu müssen. Doch das darf keineswegs sein!
    Die handwerkliche und, viel eher noch, ästhetische Qualität des Rathausbaus verleitet jedoch dazu, von diesem elementaren Grundsatz unbedacht Abstand zu nehmen. Eine vergleichbare Erweiterung an anderer Stelle, wie z.B. einer Schnittstelle von Altstadt zu den Gründerzeitlichen Stadterweiterungen wäre, gegebenfalls mit minimalen Ergänzungen und Instandsetzungen am Bestandsbau, die deutlich bessere Alternative gewesen. Man stelle sich in der Dresdner Vorkriegssituation das Neue Rathaus mit seinem gigantischen Turm und ewig langen Kolossalordnung am Altmarkt vor, oder in Hannover den erhaben über dem Maschsee thronenden Koloss anstelle des feingliedrigen Alten Rathauses! Allesamt exquisite Bauten, die ihre Wirkung jedoch erst im Neuen Gefüge der Jahrhundertwende entfalten - nicht jedoch in dem der Altstädte, die einen völlig anderen, in ihrer Monumentalität stets pitoresk bleibenden Charakter haben. Selbst Schlösser und Kathedralen früherer Epochen haben sich eine Verquickung mit der bürgerlichen Altstadt bewahrt, die vielen Gründerzeitbauten, bei allem Respekt, einfach abgeht.

    Aber na ja, wirklich bedauerlich ist doch letzten Endes nur, dass Bombenkrieg und Neuordnungswahn den Zweck dieser Debatte mittlerweile vollkommen relativiert haben.

    Form is Function.

    "Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von Jahren alt, hat mit uns mehr Zusammenhang als die Lüge, die neben uns schreitet."

    Adolf Loos (Ja, genau der.)

    Einmal editiert, zuletzt von Mattheiser (11. Februar 2015 um 21:57)

  • Wenn der alte Rathausturm von 1905 tatsächlich noch hinter der fiesen 1950er-Jahre-Fassade schlummert, besteht vielleicht die Chance auf eine Freilegung?

    Wohl kaum. Das Rathaus steht in seiner jetzigen Gestalt unter Denkmalschutz. Ein freigelegter Turm sähe wohl auch eher seltsam aus, da ja die restliche Front des alten Rathauses zum Marktplatz hin nicht erhalten ist. Zudem ist der Turm unter der Verkleidung stark verstümmelt worden, was man auf diesem Bild erkennen kann.

  • Ich kann mir das mit dem Turm irgendwie nicht Vorstellen, daß sieht doch nicht einfach nach einer Vorhangfassade aus?
    Mag ja sein, daß da noch ein paar Mauern vom Turm drin enthalten sind, aber hier glaubt doch wohl niemand, daß, wenn man den Turm "pellt"
    darunter der Turm in alter Schönheit schlummert...

    edit: Mein Beitrag ist obsolet, Tübinger hat uns schon die wichtigen Infos geliefert, hab ich gerade erst gesehen.

  • Manchmal wünsche ich mir eine Zeitmaschine. Dann würde ich sofort den Bosnischen Serben Gavrillo Princip umbringen, oder wenigstens einsperren oder fesseln.
    Dann wäre es nicht zum ersten Weltkrieg gekommen, was zur Folge gehabt hätte, dass die Nachkriegsmoderne (nach dem 1. WK) nicht so schnell Einzug gehalten hätte und es auch nicht zur Machtergreifung Hitlers und zum 2. Weltkrieg gekommen wäre. Alle Kriegsopfer des 1. und 2. Weltkrieges hätten überlebt und auch die ganzen wunderschönen Städte! Deutschland sähe heute ganz anders aus.
    Ja, wenn ich eine Zeitmaschine hätte..... :augenrollen:

  • (...) ... aber hier glaubt doch wohl niemand, daß, wenn man den Turm "pellt"
    darunter der Turm in alter Schönheit schlummert... (...)

    :lachentuerkis: Quatsch! Sooo naiv bin ich auch nicht. Klar ist die Turmhaube abgenommen worden. Doch ich dachte an den Turm des Würzburger Domes, der bei der Sanierung wieder teilweise freigelegt wurde. Oder an die Leipziger Höfe am Brühl, bei deren Bau die alte Fassade hinter der Blechbüchse wieder auftauchte.

    Leider hat mir das Bild in Tübingers Link (Beitrag Nr. 13) alle Hoffnungen und Illusionen geraubt. Da ist wirklich nicht viel übrig geblieben. Den Denkmalschutz des Bauwerks hatte ich schon befürchtet. Ganz ehrlich finde ich den Turm des aktuellen Stuttgarter Rathauses auch gar nicht so sehr abschreckend. Viel mehr sind es dessen "Flügel". Für meinen Geschmack und mein Empfinden sind dort viel zu viele Fenster eingebaut.

    Auf der Luftaufnahme von Königsbau sieht man oben rechts den Mittnachtbau . Ausgerechnet diese frühe "Kiste" hat den Krieg überstanden (nicht falsch verstehen. Das Haus gefällt mir eigentlich recht gut, für eine Kiste). Auf dem Bild sieht man oben links eine weitere Kiste. Man konnte den anstehenden Architekturstil schon erahnen. Leider fiel der Wiederaufbau genau in diesen Architekturgeschmack. Hätte der Weltkrieg 100 Jahre früher stattgefunden, wäre der Wiederaufbau sicher um ein Vielfaches ästhetischer ausgefallen.

  • Ausgerechnet diese frühe "Kiste" hat den Krieg überstanden (nicht falsch verstehen. Das Haus gefällt mir eigentlich recht gut, für eine Kiste).

    Und das ist es was den Bau eben nicht zu einer Kiste macht. Das fängt bei den Proportionen an, edelster Goldener Schnitt, Das Verhältnis von Fensterflächen zu Wand, die pointierte Akzentsetzung wie die schwarzen Steinbänder am "Turm", Das Fenster mit dem Messingrahmen, das edle Fassadenmaterial Travertin, das selbstverständlich fugenlos erscheint bis hin zum Schriftzug "Mittnachtbau" und der dafür gewählten Schrifttype...
    alles stimmig und edel. Man merkt den Architekten von damals ihre klassische Ausbildung und das Wissen um Proportionen an.

    Wenn man sich dagegen den "modernen" Kronprinzenbau anschaut:
    http://crmkanzlei.wolffundmueller.de/wp-content/upl…Q0811_bearb.jpg

    gewollt aber leider nicht gekonnt. aAllein dieser sinnlose Fassadenknick auf der linken Seite macht alles kaputt :kopfschuetteln:

    Dieses Bild bringt die Qualitäten des Mittnachtnachtbaus noch besser zur Geltung:
    http://www.rutsch.de/cms/cache/ecfc…08bf07792c3.jpg

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

    Einmal editiert, zuletzt von Pfälzer Bub (12. Februar 2015 um 13:36)

  • Ein Frevel ersten Ranges war auch die Beseitigung der traditionsreichen Hohen Karlsschule, welche u.a. Schiller besuchte, zugunsten der autogerechten Stadt in den 50er Jahren.

    Dazu noch zwei Aufnahmen des alten Stuttgarter Rathauses (Ende des 19. Jahrhunderts)

    Quelle: Bildindex.de

    In der Altstadt die Macht, im Kneiphof die Pracht, im Löbenicht der Acker, auf dem Sackheim der Racker.

    Hätt' ich Venedigs Macht und Augsburgs Pracht, Nürnberger Witz und Straßburger G'schütz und Ulmer Geld, so wär ich der Reichste in der Welt.

  • Das letzte Bild zeigt deutlich, dass es auch in der Gründerzeit Bausünden gab. :wink: Die alte Zeile mit dem alten Rathaus für das Gründerzeit-Ungetüm zu opfern würden wir ohne die Kriegszerstörungen heute bestimmt genauso negativ beurteilen.

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Sehe ich nicht so, ich finde das letzte gezeigte Bild wenig stimmig, erst mit dem Rathausneubau kam hier eine schöne, symmetrische Platzkante.
    Vor allem war das alte Rathaus viel zu kleinstädtisch, die Größenordnung zum Ende des 19. Jahrhunderts nur noch für Städtchen wie Esslingen oder Tübingen angemessen. Die daran anschließenden Häuser auch nicht wirklich wertvoll, bedeutend war vor allem die nordwestliche Platzseite. Das neue Rathaus dagegen war ein Symbol der aufstrebenden Großstadt, das Stuttgart gut zu Gesicht stand. Nicht umsonst trauern die meisten Stuttgarter gerade diesem gründerzeitlichen Rathaus heute hinterher, und nicht etwa dem Vorgänger. Auch ich würde den imposanten Turm im Stadtbild nicht gegen das alte Rathaus tauschen wollen. Aber das ist sowieso müßig, denn es existiert ja keines von beiden mehr.

    In dubio pro reko

    5 Mal editiert, zuletzt von reklov2708 (12. Februar 2015 um 15:27)

  • Naja, andere Städte haben auch ihre alten Renaissance-Rathäuser stehenlassen und das neue woanders errichtet, wie z.B. [lexicon='Leipzig'][/lexicon], Hannover oder Braunschweig. Hat Stuttgart (wie auch andere) eben anders "gelöst"...Ich finde das neue auch nicht grad dolle. Aber ich bin auch kein (Neo-)Gothik-Fan. Tja, nun sind eben beide (mal mehr, mal weniger) weg. Was soll man machen?