Sanierung von Altstädten in der DDR?

  • Hallo zusammen. Ich möchte mal ein Thema aufgreifen, das mich schon lange interessiert. Die Frage ist. Gab es so etwas wie denkmalgerechte Sanierung von Altstädten in der DDR? Man hört, liest und sieht ja immer die ausgesprochenen Negativbeispiele wie Bernau, Greifswald, Halberstadt oder Gera, wo alte Bausubstanz gnadenlos abgerissen und durch Neubauten ersetzt wurde. Gab und gibt es auch positive Beispiele?
    Als ich 1990 zum ersten mal auf dem Gebiet der ehemaligen DDR unterwegs war, machten die Städte und Dörfer einen sehr inhomogenen Eindruck.
    Manche wie Weißenfels oder Erfurt bestätigten der Eindruck, das da alles dem Verfall preisgegeben und beseitigt wurde. Andere wie Freiberg, Löbau, Pirna, Luckau, Jüterbog oder Wernigerode, machten da einen wesentlich besseren Eindruck, Freiberg sogar vom üblichen Grau abgesehen, sogar eine recht guten.
    Gab es in der DDR Bestrebungen Altstädte gezielt zu erhalten, gab es sogar Verantwortliche in der Politik, die sich dafür einsetzten?
    Wäre schön, wenn der eine oder andere darüber was zu berichten wüßte, vielleicht sogar aus erster Hand.
    Besten Dank vorab.

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Der Denkmalschutz der DDR hatte bis in die 80er Jahre ein ganz anderes Veständnis von Denkmal, als es in der westlichen Welt allgemein der Fall ist (sein sollte).
    Ob ein altes Gebäude erhaltenswert war, hing in erster Linie davon ab, ob man in ihm (irgendwie, auch wenn man die Geschichte total verdrehte) eine Bedeutung für die Entwicklung des Sozialismus erkennen konnte. Ähnlich ging man ja auch mit der Bewertung von Literatur (Goethe wurde als Vorreiter des Sozialismus interpretiert, die Romantik war reaktionärer kranker Schund), bildenen Kunst und Musik um...
    So hatten also i.d.R Gebäude, die ein starkes und damit gegenüber dem Adel freieres unabhängigeres Bürgertum zum Ausdruck brachten (z.B. Rathäuser und Bürgerhäuser) bessere Übelebenschancen als Schlösser und Kirchen (wobei eine Martkirche natürlich besser ist als ein Dom), Stätten der Reformation kamen meist auch gut weg.
    Nun, soweit die Theorie. In der Praxis wurde das ganze wesentlich inkonsequenter durchgesetzt. Das lag zum einen an den Helden in den Denkmalämtern und unter den Bürgern, die sich wider den Anweisungen von oben, auch für den Erhalt von Denkmälern einsetzten, die nicht systemkonform waren. Andererseits mußte man den Mangel verwalten, und mit Minimalmitteln waren riesige Fachwerkaltstädte nunmal nicht zu pflegen. Dann kam auch noch ab und an ein Herr Ulbricht in die Stadt, dem dieses und jenes nicht paßte, und das da enstpricht ja überhaupt nicht seinem Geschmack, und hier könne ja ein schöner Aufmarschplatz und da ein Parkplatz hin, und dann wurde gerne mal mit Bauten kurzen Prozeß gemacht, die eigentlich ohne weiteres als "systemkonform" zu interpretieren wären.
    Und der Gesinnungswandel im Denkmalschutz und Städtebau in den 1980ern ist genauso ein Paradox, wie Ulbrichts "nationale Architektur".
    Man begreift, daß es ein Fehler war, ganze Altstädte zur grünen Wiese zu machen, man will keine alten Stadtstrukturen mehr zerstören.
    Gleichzeitig ist der Zustand vieler Altstädte (und Gründerzeitbebauung) inzwischen so katastrophal schlecht (viele Häuser wurden das letzte mal in den 30ern oder davor renoviert), daß man sie mit den wenigen Mitteln an Material und Mensch, die man hatte, nicht mehr retten konnte. So erfuhren viele Städte nocheinmal tragische Massenabrisse, wobei die neuen Plattenbauten meist in die Stadtsturktur eingefügt wurden (zumindest versuchte man dies), gleichzeit waren zumindest die (meist theoretischen) Möglichkeiten geöffnet, altes, nicht "systemkonformes" sogar zu rekonstruieren (Semperoper, der alte Fritz wurde wieder unter die Linden gestellt, erste Maßnahmen zur Rekonstruktion des Dresdener Schlosses wurden eingeleitet). Wobei es für die meisten Projekte ebenfalls vorne und hinten magelte, weswegen das meiste Utopie blieb.

    Nun was bedeutet dies für die denkmalgerechte Sanierung von Alstädten in der DDR?: Mir fallen immer nur denkmalgerechte Sanierungen von Einzelgebäuden ein, für mehr fehlte es einfach an Mitteln, selbst wenn der Wille in Einzelfällen da war. Man schaue sich nur mal [lexicon='Leipzig'][/lexicon] an, als Messestadt war sie Aushängeschild der DDR, [lexicon='Leipzig'][/lexicon] war die Stadt, der (wenn auch mit deutlichem Abstand) nach Berlin am meisten Mittel und Arbeiter zur Verfügung gestellt wurden. Und was hat man bezüglich Sanierungen geschafft, mit Müh und Not? In den 80ern war gerade mal das alte Rathaus saniert, die Marktnordseite sah ganz hübsch aus und in der Kolonnadenstraße hatte man es geschafft auf 200 Metern Gründerzeitler zu sanieren. Das war fast alles! Der überwiegende Rest der Stadt waren Kriegsruinen oder gerade im Begriff Ruine zu werden.

    Auch in den meisten anderen Alstädten war es schon das höchse der Gefühle wenn wenigstens der Marktplatz einigermaßen saniert war, meist beschränkte es sich dann doch auf die Erhaltung bedeutender Einzeldenkmäler.

    Man kann wirklich froh sein, daß die DDR nicht bis 95 durchgehalten hat, ansonsten hätte der Verfall den Osten um einiges ärmer an schönen Städten gemacht.

    4 Mal editiert, zuletzt von Kaoru (11. Februar 2015 um 22:36)

  • Das mit den Marktplätzen deckt sich mit meinen Beobachtungen. Die sahen in den meisten Städten, selbst in Weißenfels, Erfurt, Gera, Gotha, Meißen ganz nett aus. War dann Freiberg die berühmte Ausnahme? die Stadt ist mir damals als gut erhalten in Erinnerung oder vielleicht war ich einfach schon abgestumpft. Diesen absolut brutalen Verfall wie in Halberstadt konnte ich in Sachsen ohnehin weniger feststellen.

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Die Markplätze im besseren Zustand beschränkten sich aber auch auf größere oder bekanntere Städte. Beim Rest sah es nicht besser aus als überall sonst. Den professionellen Denkmalschützern kann man aber kaum Vorwürfe machen. Die haben sich wirklich reingehangen und Engagement bzw. Improvisationstalent gezeigt, wie es bei ihren Westkollegen selten anzutreffen war. Das mussten die ja auch nicht denn Baumaterial gab es anders als in der Zone genug. Ich erinner nur an die Pilzzucht im Dresdner Residenzschloss oder die zahlreichen aus der Not geborenen Nutzungskonzepte für seit 1945 ruinöse Kirchen.

  • Das Thema kam neulich auch im Wolkenkratzer-Forum auf.

    Man hat in der Spätphase drei Modellstädte hinsichtlich der Stadterneuerung ernannt, sozusagen als ein "psychologisches Experiment":
    - Bernau als "Neubaustadt", fast alles Alte musste Plattenbauten weichen
    - Quedlingburg als mustergültiges Altstadt-Sanierungsprojekt
    - Greifswald als Mischung aus Sanierung von Altbauten und Abriss mit anschließender Neubebauung

    Zitat

    Der Umbau Bernaus war Teil eines Modellversuchs, in dessen Verlauf drei verschiedene Städte in unterschiedlicher Weise saniert und modernisiert wurden. Ein Ziel dieses Versuches bestand auch darin, die unterschiedlichen Modelle auf ihre Akzeptanz in der Bevölkerung hin zu prüfen.
    Für das Projekt wählte die Bauakademie die drei Städte Bernau, Greifswald und Quedlinburg aus. In Bernau schufen die Abrißbirnen rigoros Baufreiheit für die Plattenbauweise. In Greifswald kombinierten die Planer die Sanierung alter Bauten mit der Errichtung von neuen. In Quedlinburg restaurierte man die bestehenden Gebäude.


    http://www.zum.de/wettbewerbe/sd…ation6_lang.htm

    Die Abrisse in Greifswald werden im Buch "Zerfall & Abriss" von Robert Conrad sehr eindrücklich dokumentiert, siehe. Immerhin haben die innenstädtischen Plattenbauten meist richtige Dächer, Gauben und ermöglichen gewerbliche Erdgeschossnutzungen (hier ein Foto), häufig bewirkt ein Verputzen der Fassaden schon einen enormen Fortschritt (oder wenigstens etwas Farbe wie hier).

    Quedlinburg jedenfalls ist eine hervorragend sanierte Altstadt, auch wenn da nach der Wende noch immer viel gemacht werden musste. Ist ja auch völlig zurecht UNESCO-Weltkulturerbe.