Berlin-Mitte - Oranienburger Straße - ehem. Tacheles

  • Danke, Spreetunnel für die beeindruckende Bildergalerie! Der Vernichtungsfuror in der Mitte des 20. Jh.s, von dem der 2. Weltkrieg ja nur ein - wenn auch das schlimmste - Teilphänomen war, hatte in der Tat fürchterliche Dimensionen. Der Hass auf alles Überkommene, vor allem auf das Großartigste, wie es die Weltgeltung der Stadt Berlin begründete, ist unbegreiflich. Derselbe Geist, der die durchaus restaurierfähigen Friedrichstadtpassagen beseitigte, vernichtete sämtliche Berliner Luxushotels, die Bahnhofskathedralen wie Anhalter Bahnhof u.a., den Lesesaal der Staatsbibliothek, die Kaufhauspaläste wie das Wertheim, Luxusetablissements wie Haus Vaterland, Theaterbauten usw.. Die Idee der Stadt wurde bewusst reduziert auf das Einstreuen gleichförmiger Batterien kleinbürgerlich konzipierter Behausungen in eine "Stadtlandschaft", die von Asphaltbändern durchschnitten werden sollte. Der Wahn, der jene Generation geleitet hat, das ideologisch verzerrte Menschenbild und Kulturverständnis ist noch wenig erforscht

  • Deshalb liebe ich Hamburg. Der Großstadtgeist, der die europäischen und deutschen Metropolen einst prägte, ist hier noch am ehesten spürbar. Was die Interieurs solcher Bauten betrifft, hat allerdings [lexicon='Leipzig'][/lexicon] eindeutig die Nase vorn. Die Rekonstruktion, nicht mal die kritische, halte ich für mehr als unwahrscheinlich. Machbar wäre das ohne Mehrkosten bestimmt, denn die Passage war bei aller Pracht sehr geradlinig, stringent und reduziert. allein der Wille fehlt bestimmt und das ist ja auch nicht "modern". Die Monumentalität würde von irgendwelchen Schafen sicher auch postwendendend als "Nazi-Architektur" bezeichnet werden und allgemeines Unwohlsein hervorrufen. Dann lieber Omas Ramschkiste á la "Mall of Berlin".

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Nach zäher Suche habe ich dann doch zumindest ein einziges Bild der Friedrichstraßenpassage (im Jahr 1913 von Süden aus der Friedrichstraße gesehen) aufgetrieben, welches hier nicht vorenthalten werden soll.


    Bildquelle: akg-images, Fotograf P.A. Lebrun, gemeinfrei wg. Alters

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Was für ein tolles Foto! Die Friedrichstraße als Bühne für den technischen Wandel jener Zeit. Eine unglaubliche Verkehrsdichte von vor 102 Jahren. Die Ruine der Passagen kenne ich noch sehr gut. Meist mit der Tram Nr. 22 oder 46 dran vorbeigefahren.

  • Je mehr man sich damit beschäftigt und je mehr man erfährt, wird einem eigentlich folgendes klar: Berlin wurde zwar von den Amerikanern und Briten heftig zugesetzt, aber einen mindestens genauso großen kulturbarbarischen Frevel haben wir dem "Wiederaufbau" von West- und Ostberlin gleichermaßen zuzuschreiben. Wäre der Wiederaufbau damals vorausschauender, sensibler und mit weniger Selbsthass von Statten gegangen, hätten wir mit Berlin heute ein zweites [lexicon='Leipzig'][/lexicon], ja vielleicht sogar Wien. Wo zwar einiges kaputt ging, man aber im Großen und Ganzen noch das alte Stadtbild bewahrt hat.
    Ein kleiner Trost bleibt vielleicht: Die Briten sind in London nicht minder brutal beim Wiederaufbau vorgegangen und sind noch heute dabei, das alte London zu zerstören für gesichtslose, überdimensionale Glaspaläste und Türme. Berlin hingegen muss man da glücklicherweise eher das Gegenteil attestieren. Hier kehrt mehr und mehr altes und schönes zurück trotz heftigem Gegenwind von Lüscher und co. Vielleicht, weil es erst ganz schlimm werden musste, um endlich besser zu werden. :wink:

  • Wobei in London noch einiges mehr an alter Bausubstanz steht als in Berlin. Eine Straße wie die Regent Street oder einen Platz wie Piccadilly Circus sucht man in unserer Hauptstadt heute vergeblich.

    In dubio pro reko

  • Würde nicht sagen, dass in Summe noch mehr Vorkriegssubstanz in London vorhanden ist, das besser erhaltene Zentrum vor allem rund um Westminster fällt aber natürlich ins Auge.

    Jedenfalls ist es besonders schade um einige Leuchttürme wie die Friedrichstraßenpassage. Hier hätte man mit relativ wenig Mühe viel vom alten Charme bewahren können. Ebenso z.B. beim Grand Hotel Adlon. Um solche gebauten Zeitzeugen ist es unendlich schade; das Gefühl der vorübergezogenen Epochen kann im Prinzip auch keine Rekonstruktion so ohne Weiteres wiederbringen.

  • Ja, erbse, das ist der Preis dafür, das eine Generation nicht aufgepasst hat, und die nächste mit der Fehlervergangenheit nichts zu tun haben wollte. Wir haben ein Adlon, dem alten äußerlich ähnlich. Viele wollten den Platz nach der Wende unbebaut lassen - da war dann die Generation der Verweigerer am Zug, die auch das Rathausforum konservieren möchte. - Der Weg ist noch lang!

  • Wobei in London noch einiges mehr an alter Bausubstanz steht als in Berlin. Eine Straße wie die Regent Street oder einen Platz wie Piccadilly Circus sucht man in unserer Hauptstadt heute vergeblich.

    Das liegt aber nicht am pfleglichen Umgang mit dem Alten, sondern ganz einfach daran, weil London nochmal erheblich mehr Bausubstanz besitzt als Berlin. Es ist eine sehr viel ältere und größere Stadt.

  • Jedenfalls ist es besonders schade um einige Leuchttürme wie die Friedrichstraßenpassage. Hier hätte man mit relativ wenig Mühe viel vom alten Charme bewahren können. Ebenso z.B. beim Grand Hotel Adlon.

    Nun ja, dan planwirtschaftlicher Mißwirtschaft der DDR, fehlte es wohl an Geldern und an Material die Ruine zu erhalten geschweige denn sie wieder herzurichten. "So wurde das Gebäude in der Friedrichstraße immer baufälliger (irgendwann kam die Kuppel runter), der Bürgersteig mußte mittels Holztunnel abgesichert werden, bis man es schlußendlich sprengte bevor das Gebäude von allein in sich zusammenfällt." Diese Version wurde mir zumindest in den 80iger Jahren so zugetragen, was ich für durchaus glaubwürdig halte, war man doch in den 80iger Jahren danach bestrebt die Friedrichstraße wieder aufzuhübschen.

  • Das liegt aber nicht am pfleglichen Umgang mit dem Alten, sondern ganz einfach daran, weil London nochmal erheblich mehr Bausubstanz besitzt als Berlin. Es ist eine sehr viel ältere und größere Stadt.


    Das stimmt nicht ganz. Natürlich gab es auch in London die Wiederaufbau-Exzesse im Zuge der verkehrsgerechten Stadt. Und gerade in den letzten Jahren wurde viel Altes für den Immobilienboom in London geopfert. Trotzdem gibt es in London unendlich mehr Altbauten, die in jeder deutschen Stadt längst der Abrissbirne zum Opfer gefallen wäre. Mitten in London gibt es noch kleine gedrückte alte Bauten, die wenig Rendite bringen, unsaniert sind - zwar leicht runtergekommen mit Schmuddelcharme, aber sie stehen noch. Ein Beispiel diese Straße "Strutton Ground" - keine 300 Meter vom Westminster Abbey entfernt: http://www.google.de/maps/@51.49745…v54RAJAIO1A!2e0

    ...

  • Der Abriss der Friedrichstadt-Passagen hing damit zusammen, dass man zusätzlich zur Leipziger Straße eine 2. Tangente zu den "Linden" haben wollte, die den Alexanderplatz mit dem Regierungsviertel verbinden sollte. Eine Verlängerung der Memhardtstraße über Auguststraße, Schumannstraße zur Luisenstraße (damals Hermann-Mater-Straße) war geplant, dazu sollte die Passage abgerissen werden. Daraus wurde dann doch nichts in Gänze, der Teil an der Oranienburger Straße blieb stehen, da konnte man vielleicht nicht so einfach sprengen, wegen der bewohnten Häuser gegenüber.

    Wäre dieser Plan Wirklichkeit geworden, so gäb's heute die Gips- und August-Straße in dieser Form nicht mehr.

    Ein Teil dieser Verbindungsstraße wurde sogar begonnen und zwar von der Friedrichstraße in Richtung Schumannstraße: Sie heißt Claire-Waldoff-Straße. :lehrer:

    Ich war kurz vor dem Abriss der Kuppel noch mal dort drinnen und entdeckte dort im obersten Geschoss ein Modell des Zirkus Busch (Burgstraße). Ich hätte es so gern mitgenommen, aber wie damit über durch den "Tränenpalast" kommen ?! Vielleicht hat es ein anderer gerettet.


    So sah das Modell in etwa aus, dieses steht heute in der Humboldt-Box


    Damals waren alle Etagen offen und es lag jede Menge Gerümpel rum. Als ich das nächste Mal vorbei kam, war dieser Teil der Passagen bereits gesprengt. Weiß zufällig einer das genaue Datum?

  • Ich wünschte ich hätte weiter glauben können daß es nicht mehr zu retten war, die Bilder sprechen allerdings eine andere Sprache.... :crying:

  • "Wäre der Wiederaufbau damals vorausschauender, sensibler und mit weniger Selbsthass von Statten gegangen, hätten wir mit Berlin heute ein zweites Leipzig, ja vielleicht sogar Wien."


    Das mit [lexicon='Leipzig'][/lexicon] kann ich ja glauben, aber Wien ?? Berlin war niemals ein zweites Wien!

  • Die relevante Nachricht zum Thema aus dem letzten Monat, welche auch in der Antarktis und der Äußeren Mongolei rezipiert werden konnte, sollte auch hier Erwähnung finden.
    Jedenfalls werden wohl Herzog & Meuron Architekten aus Basel, welche einen skulpturalen Stil pflegen, mit der Errichtung des Quartiers beauftragt werden. Es ist vorgesehen, dass "die abgerissenen Baukörper der ehemaligen Passage wiederhergestellt und an das Tacheles angebaut sowie weitere Höfe und Baukörper klarer gestaltet werden".

    Lassen wir uns überraschen von den Entwürfen, wenn sie demnächst veröffentlicht werden. Ich bin da recht frohen Mutes.


    Star-Architekten bauen Kulturhaus Tacheles um - Welt online

    Stararchitekten sollen Bebauung am Tacheles planen - Tagesspiegel Berlin

    Vom Tacheles zum Stadtquartier - Berliner Abendblatt

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)