• Wie Ansgar, so auch Rembert…


    So wie Erzbischof Rembert im Jahre 865 A.D. seinem Vorgänger Ansgar auf die Cathedra des Hl. Willehad gefolgt war, so folgte auch in der Nachkriegszeit die Remberti-Gemeinde der Ansgari-Gemeinde in die Schwachhauser Vorstadt und gab - ebenso wie die große Schwester - ihren historischen Kirchenstandort in der östlichen Bahnhofsvorstadt auf, der seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts bestanden hatte. Im Folgenden einige Bilder des 1871 vom Architekten der Neuen Börse, Heinrich Müller, errichteten vierten Gotteshauses gleichen Namens an dieser historischen Stelle. Es war ein neugotischer, dreischiffiger Backsteinbau mit einem markanten Westturm und sechs schmalen Flankentürmchen. Im Juni 1942 von Brandbomben schwer beschädigt, wurde die Kirche noch während des Krieges gesprengt, hatte also das Schicksal, welches St.Ansgarii auch gedroht hätte, wäre deren Turm nicht von selber eingestürzt. Der heute leere historische Kirchenstandort ist Teil der Breitenweg-Trasse und Namensgeber für den Remberti-Kreisel (Rudiment der gescheiterten Mozarttrasse zur nicht verwirklichten Ostbrücke über die Weser). Für das Verschwinden dieses Baus sind somit – ausnahmsweise einmal – ausschließlich die alliierten Bomben und die Nationalsozialisten verantwortlich. Für den unterbliebenen, originalgetreuen Wiederaufbau 'in situ', sind allerdings die Nachkriegsverkehrsplanung und die Gemeinde zuständig…

    Link zum Projekt ‚Rememberti’, welches sich der Erinnerung an die Kirche verschrieben hat:

    http://rememberti.de/projekte/67-meter/#prettyPhoto

    Abbildung 01
    Lage der Rembertikirche auf der Stadtkarte von 1938 (rot markiert).

    Abbildung 02
    Luftbild der Kirche (rot eingekreist), welches ihre Lage im Verhältnis zur Altstadt illustriert.

    Abbildung 03
    Luftbild mit der Kirche in Nahsicht (oben im Bild). Man blickt vom Bischoftor (unten) durch die Rembertistraße (links) und das ‚Fedelhören’ (rechts) zum Rembertikirchhof. Oberhalb der Kirche ist das bis heute erhaltene ‚Remberti-Stift’ zu erkennen.

    Abbildung 04
    Blick von Westen auf Hauptturm und Kirchhof.

    Abbildung 05
    Blick von der Ecke Fedelhören / Rembertikirchhof auf die Südostseite des Gotteshauses.

    Abbildung 06
    Ähnlicher Blick wie in Abbildung 05.

    Abbildung 07
    Innenansicht der Kirche mit Blick auf Kanzel-Altar und Orgel.

    Abbidlung 08
    Vergleichender Blick von Südosten in Richtung Kirche.

    Abbildung 09
    Der gegenwärtig leere ehemalige Kirchenstandort. Links oberhalb desselben das Remberti-Stift.


    Abbildung 10
    Der direkte Luftbildvergleich:

    5 Mal editiert, zuletzt von Pagentorn (3. Januar 2019 um 11:23)

  • Liebe Foristen!

    Wenn ich mir die verschiedenen Beiträge über die "Veränderungen" unserer Innenstadt in den letzten Jahrzehnten so ansehe, nehme ich Erstaunen, Ungläubigkeit, ja Entsetzen, wahr. Hinter all dem scheint die unausgesprochene Frage zu stehen: WER HAT EIGENTLICH SCHULD AN DIESER VERSCHANDELUNG DER BREMER INNENSTADT? Die Beantwortung dieser Frage wird wohl nicht den einen Schuldigen hervorbringen, sondern eine Art Schuldkonzert. Ich versuche mal, hierzu, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, einige Verursacher zu benennen:

    • Da wäre zum einen die Bremer Baubehörde, die die Bebauungsprozesse seit Kriegsende steuert und wie wir wissen, auch ästhetische Vorgaben macht. So wurde der Dudlerbau am Bahnhofsplatz von der Baubehörde auch deshalb favorisiert, weil das Gebäude Klarheit ausdrückt. Gebäude mit "Klarer Kante", mit klaren Linien sind sicherlich von der Baubehörde bevorzugte Objekte - kurz, alles was in Richtung Moderne geht. Dazu habe ich auch ein Beispiel aus der Nachkriegszeit, dass ich noch einstellen werde.
    • Die Denmalschutzbehörde. Es geht erstmal um den Zeitraum der 1940er- bis 1970er Jahre. Die Bauten des Historismus waren nicht angesehen, ja, wurden sogar gehasst. Ab den 1970/80er Jahren wurde es allerdings auch für die Denkmalschutzbehörde immer schwerer, Gebäude unter Schutz zu stellen. Die Gesetze waren erheblich verschärft worden. Auch dazu hätte ich einen Zeitungsartikel.
    • Die Politik. Sie trägt die politische Verantwortung für all die Abrisse seit Kriegsende. Mal hat sie selbst Abrisse entschieden (wie im Beispiel Gästehaus des Senats/Parkalle deutlich wird), mal lässt sie die Baubehörde an der langen Leine agieren. Sie könnte den Bürgern bei der Stadtgestaltung mehr Befugnisse einräumen, sie könnte Gestaltunggesetze, die Innenstadt betreffend, erlassen, sie könnte einen Gestaltungsbeirat ins Leben rufen. Alles leider nicht passiert.
    • Die Architekten. Je mehr Zeit vergeht, desto unfähiger scheinen die Architekten zu werden. Vergleicht man Vorkriegsfotos mit der heutigen Situation, so kann man nur feststellen, dass die Stadt hässlicher geworden ist. Das ist Architektenwerk, deren Ausreden wir hier nicht mal diskutieren sollten. Es geht um Unfähigkeit, Hybris einer sich als Avantgarde definierenden Architektenschaft, fehlende Vorstellungskonzepte zm Thema Schönheit sowie die inzwischen weitverbreitente Unfähigkeit, zu zeichnen (sehen mit der Hand). Dazu kommt, dass sich Architekten aus ökonomischen Erwägungen gegenüber dem Investor prostituieren.
    • Die Investoren. Eigentlich kann man Ihnen den geringsten Vorwurf machen. Sie wollen Kohle verdienen - das weiß jeder - kommen oft gar nicht aus Bremen, haben deshalb keinen Bezug zur Stadt.

    Dies alles wird gerne von der flankierenden "Erkenntnis" des Zeitgeistes eingefasst. Aber der Zeitgeist verkommt heute ähnlich wie die Lieblingsbehauptung der Modernisten, "Schönheit liegt im Auge des Betrachters", zur abgedroschenen Phrase und dadurch zur Ausrede und Begründung für die scheußlichen Gebäude, die in den letzten Jahrzehnten unsere einst so schöne Stadt heimgesucht haben. Wenn alles nur noch im Auge des Betrachters liegt, dann gibt es ja keine Bausünden, keine Kritik mehr.

    Ich möchte zu dem Schuldthema gerne einen neuen Strang eröffen, weiß aber nicht, ob zu jeder der oben aufgeführten Gruppe (Material gäbe es wohl genug) oder als Gesamtheit (Wie sollte man dann diesen Strang nennen, Schuld?). Um nur mal eine Gruppe herauszunehme: Ein Themenstrang könnte heißen: Denkmapflege in Bremen. Ich könnte mir vorstellen, dass dazu erquickende Beiträge kommen.

    Deshalb die Frage an die Foristengemeinde: Was meint Ihr? Einen einzigen, großen Strang oder mehrere?



    So, ich hoffe, ich habe diesen Text jetzt einigermaßen fehlerfrei geschrieben.......

  • Sehr geehrter findorffer,

    so sehr ich - weiß Gott - ihre Motivation nachvollziehen kann, die Verantwortlichkeiten für den ästhetischen Absturz unseres lieben Bremens aufzuarbeiten, möchte ich doch davor warnen, dies in einer Art zu tun, die Menschen, die bereits erste Anzeichen eines Umdenkens erkennen lassen, verprellen könnte. Treiben wir Niemanden ins gegnerische Lager zurück, der gerade dabei ist, sich unseren Gedanken zu öffnen, nur weil er sich aufgrund unserer - nur zu berechtigten - harschen und anprangernden Kritik bemüßigt fühlt, sich mit seinen Altvorderen zu solidarisieren, von denen er sich vielleicht innerlich schon längst distanziert hatte.
    Bleiben wir also lieber bei der ‚Tatbestandsmäßigkeit’: Gehen wir weiter den Einzelschicksalen von Gebäuden im Innenstadtbereich nach, die - wegen ihrer Rolle für die Stadtgeschichte und / oder ihrer baulichen Schönheit - essentiell für die Wiedererkennbarkeit der Stadt waren und sind. Seien wir die Dokumentatoren ihres Verschwindens und Mahner ihrer Rückkehr. Überlassen wir die Thematisierung von historischer ‚Schuld’ lieber den nach uns kommenden Generationen, die dann hoffentlich wieder in einer Stadt leben werden können, die durch zahlreiche Rekonstruktionen zu sich selber zurückgefunden haben wird.

  • Treiben wir Niemanden ins gegnerische Lager zurück, der gerade dabei ist, sich unseren Gedanken zu öffnen

    Lieber "Pagentorn",
    ist denn eine solche öffnende Entwicklung derzeit verifizierbar? Gibt es benennbare Personen in der Architektenschaft und den Baubehörden, die aktuell aktive Stadtreparatur in Bremen betreiben möchten?

  • Lieber Heimdall,


    vor einigen Jahren nahm ich an einer Vortragsveranstaltung des Landesdenkmalpflegers teil, welche vom Bremer ‚Zentrum für Baukultur’ im Speicher XI organisiert worden war. Während der anschließenden Diskussion, erlaubte ich mir den Fauxpas, das Wort ‚Rekonstruktion’ positiv konnotiert in den Mund zu nehmen. Referent, Gastgeber und ein Großteil des Publikums waren sichtlich peinlich davon berührt, daß es in den ‚heiligen Hallen’ der reinen Lehre jemand doch tatsächlich wagte, dieses Unwort auszusprechen.
    Nun, der Gastgeber vom ‚Zentrum für Baukultur’, war kein anderer als jener Prof. Eberhard Syring, der im letzten Herbst im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Essighaus-Pläne von Dr. Christian Jacobs tatsächlich doch selber den folgenden bemerkenswerten Satz verlautbaren ließ:


    „Es scheint eine Zeit mit einem Bedürfnis nach Rekonstruktionen zu kommen“


    (siehe dazu: Themenstrang Bremen – Essighaus, Seite 6, Laufende Nummer: 114).
    Meine Wenigkeit ist wahrlich kein Freund von Leisetreterei gegenüber den Protagonisten und ‚Organisationen’ die unser liebes Bremen von der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute verunstaltet haben und dies auch weiterhin eifrig tun. Und wenn Sie den oben genannten Beitrag nachlesen, werden Sie feststellen, daß ich auch Herrn Prof. Syring mit der gebotenen, unverblümten Skepsis begegne.
    Und dennoch scheint mir seine Aussage vom Herbst 2018 einen Umdenkprozeß anzudeuten, der gewiß nicht zur Euphorie, aber zumindest zu einem pragmatischen Optimismus Anlaß gibt. Denn wenn mit ihm einer der ‚Gralshüter’ das ‚böse Wort’ zur Benutzung freigibt, dann fühlen sich vielleicht auch viele Andere, die es bisher aus – wie auch immer begründeter – Furcht nicht wagten, sich zum Rekonstruktionsgedanken positiv zu äußern, nun auch frei, sich zu ihrer Sehnsucht nach einem durch Rekonstruktionen geheilten Stadtbild zu bekennen.
    Ein gesonderter Themenstrang zur ‚Schuld in Bremen’ wäre daher in meinen Augen – momentan (!) – noch kontraproduktiv. Wenn die Reko-Welle aber erst einmal läuft, kann man sich dann gerne noch einmal mit dieser Frage auseinandersetzten und sie auch öffentlich thematisieren. Denn aufgearbeitet werden muß diese Frage; da stimme ich findorffer vollkommen zu. Wir unterscheiden uns somit nur hinsichtlich des richtigen Zeitpunktes, zu dem diese Aufarbeitung sinnvoller Weise geschehen sollte.

  • findorffer,

    gestatte mir vorweg bitte eine schmunzelhafte Feststellung: Es beruhigt mich, dass du ebenfalls gewisse Probleme mit dem „Tastatur-Teufel“ hast!

    Ich wäre eigentlich schon für einen eigenen Strang – nur wüsste ich nicht, in welche Kategorie man ihn packen könnte. Ich persönlich würde einen Themenbereich vorschlagen, indem die „Verluste“ von Beginn der Luftangriffe bis in unsere Zeit dokumentiert werden sollten. Dies ist zwar im Themenbereich „Bremen – Innenstadt“ schon begonnen worden, doch würde ich es vorziehen, dieses gesondert darzustellen und zu kommentieren.

    Neben der Dokumentation ist sicherlich die Frage nach dem „Warum“ entscheidend – ja, wenn nicht sogar die wichtigste Frage überhaupt. Wie soll man sonst für sich selbst vergegenwärtigen, weshalb diese Gebäude nicht mehr das Erscheinungsbild der Stadt bereichern? Und wenn man dieser Frage nachgeht, dann fällt ganz zwangsläufig das Licht auf jene Personen, die den Abbruch der Bausubstanz vorangetrieben haben – und auf ihre Motive.
    In Bezug auf das Eckgebäude Schüsselkorb/Museumsstraße war es gleich eine Kette von Personen, die nach und nach eingeknickt sind. Da war zunächst die Bank, die neue Räumlichkeiten wollte und einem zögerlichen Senat oder einer zögerlichen Baubehörde damit drohte, aus der Stadt abzuwandern. Und somit musste unter dem Druck der legislativen Organe der Denkmalschutz seine Bedenken gegen den Abbruch ebenfalls negieren.
    Wenn man sich dann als nachfolgende Generation solch ein Wissen über das „Warum“ angeeignet hat, warum sollte es nicht völlig legitim sein, wenn man auf Grund diesen Wissens Kritik an den damals Verantwortlichen übt?

    Ich kann deine Sorge, die du in deinem Beitrag geäußert hast, mein lieber Pagentorn, durchaus nachvollziehen. Aber warum sollten wir das „Wissen“, welches wir jetzt bereits in der Gegenwart als „Falsch“ sehen und dokumentieren, nicht öffentlich kommentieren und kritisieren? Wenn wir das jetzt nicht tun, dann werden die folgenden Generation in der Zukunft vor uns stehen und die Fragen, die wir eigentlich jetzt stellen müssten, an uns richten. Sie würden uns dann etwa solches Fragen: „Hey, du! Du hast es doch gewusst! Du hast es gesehen! Du hast darüber sogar Berichte geschrieben! - Warum hast du nichts dagegen unternommen? Du hast es ja nicht einmal fertig gebracht, Kritik zu äußern! - Hat deine Mutter dich als Kind immer in Lenor gebadet oder was?“
    Die Aufarbeitung der Vergangenheit kann nicht ohne Kritik oder die Frage nach der Schuld erfolgen. Im Gegenteil. Die Aufarbeitung legt gerade die Mechanismen frei, die für den Lauf der Dinge verantwortlich waren oder in der Gegenwart noch verantwortlich sind. Und nur die wenigsten Mechanismen taugen dazu, Beifall zu klatschen. Und wenn man Lob spenden kann, so kann man zweifelsfrei auch Kritik anbringen, wenn sie, ebenso wie das Lob, berechtigt ist.

    Es geht nicht darum, eine Person auf den Marktplatz zu zerren, sie an den Pranger zu stellen und anschließend mit faulen Eier und Tomaten zu bewerfen. Aber wenn für mich persönlich ersichtlich ist, dass Investor A bis Z, der Senator XY oder der Denkmalschützer 123 für den Abbruch eines historischen Gebäudes verantwortlich ist, dann werde ich dies auch benennen und gegebenenfalls auch kritisieren. Und wenn es für mich anhand der Dokumentation ein Skandal ist, dann werde ich es auch als Skandal bezeichnen, wie etwa den Abbruch des Stadttheaters am Wall, an dessen Stelle nun Bäume wachsen (??!!??) oder das Focke-Museum, das nicht wieder aufgebaut wurde, weil man der Ansicht war, den Grüngürtel des Walls so besser zu repräsentieren und zu einem grünen Abschluss zu bringen (??!!??). Ein Rekonstruktion des Focke-Museums als Trutzburg zwischen dem Moloch „Individualverkehr“, „Zeitdruck“ und „Schnelllebigkeit“ könnte ich mir dort sehr gut vorstellen.

    Einmal editiert, zuletzt von Jakku Scum (3. Januar 2019 um 10:55)

  • Lieber Pagentorn,

    bisher habe ich Herrn Prof. Eberhard Syring als Fürsprecher für historische Qualität in Innenstädten wahrgenommen, der den großen Abbruch in Bremen negativ beurteilt - so in diversen Beiträgen von Susanne Brahms geschehen.
    Doch selbst wenn er vorher eine andere Meinung verfolgt hat - Kaiser Konstantin ist auch nicht als Christ geboren worden. Natürlich wäre es interessant, was Herrn Prof. Syring zur Meinungsänderung bewogen hat (ebenso die Meinungsänderung von Herrn Konstantin). Aber letztendlich begrüße ich jeden, der sich auf die Seite Pro-Reko stellt.

  • Lieber Jakku Scum,

    Ihr letzter Satz ist genau das, worum es mir primär geht !

    Es kommt nämlich viel mehr darauf an, wer sich auf die Seite von Pro-Reko stellt, als darauf wer bloß die seinerzeitigen Abrisse verurteilt. Letzteres tut die gegenwärtige ‚Belegschaft’ der Bremer Denkmalpflege durchaus in großem Umfang. Aber ist sie auch bereit, einen Schritt weiter zu gehen und unserer Altstadt die einzige Medizin zu verordnen, die diese heilen könnte ? Bisher leider nein ! Mit anderen Worten: Uns helfen die mittlerweile recht zahlreichen Trauernden um das Verflossene nicht wirklich weiter, sofern sie nicht gleichzeitig auch willens sind, sich bei uns einzureihen und das Verflossen aktiv zurückzuholen !
    Wenn ich einmal - in Ergänzung der von Ihnen herangezogenen Kirchengeschichte - eine Analogie aus dem Christentum heranziehen darf: Jesus Christus hat sich auch mit den Sündern an einen Tisch gesetzt, wenn diese bereit waren, ihrem bisherigen Lebenswandel abzuschwören und sich aktiv in die Gemeinschaft einzubringen. Hätte er demgegenüber diesen ihre früheren Verfehlungen ständig ‚unter die Nase gerieben’, hätten Viele sicherlich Abstand davon genommen, sich ihm anzuschließen.

  • Lieber "Pagentorn",
    ich verstehe Ihre Bedenken und kann sie gut nachvollziehen. Vermutlich haben Sie Recht.
    Gleichwohl möchte ich trotzdem darauf hinweisen, dass die Kritik an der Abrisspolitik Personennamen an das Licht der Geschichte ziehen würde, die zumeist vor 50 Jahren wirkten, also oft bereits verstorben sind. Ein Beispiel, das einen ganz offenen Umgang mit der Kritik an einem Verantwortlichen der einstigen Baupolitik zeigt, verlinke ich unten. Es handelt sich um den Bauunternehmer Karl-Heinz Reese, der in den 60er und 70er Jahren Teile der Offenbacher Innenstadt in eine Betonwüste verwandelte. Erst jetzt werden die letzten Schäden halbwegs revidiert. Der Name ist bekannt, seine dubiosen Verbindungen zur Politik auch. Es schadet heute dem Stadtumbau nicht mehr, da niemand mit Reeses Folgen zufrieden ist.
    https://www.op-online.de/offenbach/offe…t-10925630.html

  • Mein lieber Pagentorn,

    wenn sich Herr Syring zu uns an den Tisch setzt, dann würde ich ihn wegen einer früheren Gesinnung nicht kritisieren oder ihm diese alte Gesinnung unter die Nase reiben, sondern mich daran erfreuen, wenn er bei uns am Tisch sitzt.
    Gleiches würde Herr Dr. Skalecki von mir erhalten, wenn er sich zu uns an den Tisch gesellt.

    Noch "sitzt" er aber nicht und sein Verhalten oder seine Entscheidungen in Bezug auf einige Objekte erscheinen fragwüdig, möglicherweise durch Gesetze gebunden - aber dennoch kritikwürdig, denn über die Gesetze und die damit verbundenen Handlungsfähigkeiten hinaus verfügt jeder Mensch über eine eigene Meinung, die er - wie etwa beim Medienhaus - durchaus lauter und markanter in der Öffentlichkeit verteten könnte.

    Was die Daten der Abbruchwut belegen, ist, dass mögliche Entscheider von damals nicht mehr leben - wie etwa der Pastor der Ansgari-Gemeinde von 1959. Selbst bei aller Kritik kann er sich nicht mehr zu uns an den Tisch setzen. Ob wir es bei unserer Baudirektorin jemals schaffen, steht in den Sternen. Dennoch sei Kritik an ihre Position bei entsprechenden Bauprojekten (Bahnhofsvorplatz, Busbahnhof etc) durchaus erlaubt - wenn sie berechtigt ist. Gleiches gilt für andere involvierte Behörden und Senatoren oder gar Bürgermeister. Und wer weiß, vielleicht ist es gerade die Masse der geäußerten Kritik, die so manchen in den Schaltzentralen der Macht zum Umdenken bewegt. In Anlehnung an Konstantin wird es nicht immer die eigene Mutter sein, die zum Umdenken anstiftet.

    Einmal editiert, zuletzt von Jakku Scum (3. Januar 2019 um 14:22)

  • Widersprüchlichkeiten

    Viele Protagonisten des seinerzeitigen Geschehens in der Bremer Innenstadt hatten oft zwei Seelen in ihrer Brust, waren gleichzeitig Mitverantwortliche für den Abbruch an einer und Retter von Bausubstanz an einer anderen Stelle. So war etwa Wilhelm Wortmann zwar der maßgebliche Kopf hinter der grauenhaften Mozarttrassen-Planung, aber ebenso vehementer Forderer des Erhalts der Ansgarii-Ruine. Ein anderes Beispiel ist der Landesdenkmalpfleger Karl Dillschneider, der sich um den Erhalt des Schnoors große Verdienste erworben hat (siehe das angefügte Video), andererseits aber die den Bremer Bürgern gehörenden beiden Rathaus-Herolde leichterhand an den Berliner Reichstag verschenken wollte (er war gebürtiger Berliner) und generell Bauten des Historismus für nicht schützenswert hielt (was fatale Konsequenzen für das Bremer Stadtbild hatte). Solche Personen haben somit Schuld auf sich geladen, sind aber andererseits für ihre jeweiligen Verdienste auch zu ehren. Die Suche nach den Schuldigen wird viele solche 'Graustufen' zutage fördern...

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  • Mein lieber Pagentorn,

    du hast es schon richtig umrissen. Bei aller berechtigter Kritik soll es nicht so weit kommen, dass hier eine Person in den Sack gesteckt und anschließend mit dem Knüppel draufgehauen werden soll.
    Und gegen eine überzeichnete Schwarz-Weiß-Malerei wehre und verweigere ich mich ebenso.
    Es wird – wie du schon richtig gesagt hast – viele Graustufen geben. Aber es ist ebenfalls wichtig, diese Graustufen zu benennen, als sich in Schweigen zu hüllen und der Nachwelt das Reden zu überlassen.
    Und wenn Herr Dillschneider generell Bauten des Historismus für nicht schützenswert hielt, so ist er dafür zu verurteilen – und wir Bremer können uns dafür um so glücklicher schätzen, dass Herr Dillschneider bei all seiner vorgebrachten Ablehnung beim Thema Schnoor ein goldenen Händchen bewiesen hat und ihm dafür Lob gebührt.
    Auch Paulus war mein ein Saulus – wofür man ihn loben und tadeln kann. Aber es wäre grundsätzlich falsch, den Tadel oder aber das Lob einseitig unter den Teppich zu kehren.

    Und wäre ich Dillschneider gewesen, dann ich hätte meiner Heimatstadt bestimmt auch die Herolde im Handstreich schenken wollen. Das zeigt einmal mehr, was geschehen kann, wenn ein Auswärtiger auf dem Spitzenposten einer wichtigen Behörde sitzt – und von dem möglicherweise bekannt ist, dass er generell Bauten und Objekte des Historismus für nicht schützenswert hält.

  • Liebe Moderation!

    Ab der Nummer 122 wäre ein neuer Themenstrang fällig. Könnten Sie die Beträge ab da in den Themenstrang "Ursachenforschung der Abrißwut" verschieben, den ich jetzt gleich einrichten werde. Vielen Dank!

    Einmal editiert, zuletzt von findorffer (4. Januar 2019 um 12:07)

  • Da wir uns gestern mit der Kritikfähigkeit und Kritikwürdigkeit der Vergangenheit beschäftigt haben, kehre ich mit diesem Beitrag in die Gegenwart zurück, bleibe aber dem Thema Kritik treu.
    Anbei zitiere ich einen Leserbrief eines Bürgers aus dem Weser-Kurier vom 02.01.2019, der sich mit dem von uns so "geliebten" und "verehrten" Neubau am Bahnhofsplatz beschäftigt, dem dudlerischen City-Gate:

    Erinnert an Speer
    Das Essen und die Zigarre danach müssen
    geschmeckt haben, denn, oh Jubel, in den Bau am Bahnhofsplatz – der in der Wucht und
    Monumentalität seiner Bauoptik stark an die Ideen Speers und seiner Nachahmer und Schülern erinnert, die im Wirtschaftswunder schonungslos Licht und Luft den Städten brachten oder wollten (Mozarttrasse) – ziehen gleich noch ein paar deutschlandweit operierende Filial-Ketten ein, während unverwechselbare Fachgeschäfte wie Roland-Kleidung aus der Innenstadt verschwinden. Somit wird der Bau beliebig austauschbar, Großstadt-Klone, wohin man schaut. Bravo!
    Wo sind die Architekten mit Mut und Sinn für Traditionen und kulturellem Erbe, das sich im Neubau der Landesbank widerspiegelt – auch wenn der Klinkerstein vielleicht Nuancen zu dunkel geraten ist. Wunderbar passt der Neubau in das vorhandene Baugefüge am Domshof. Die Wellenführung der Fassade erinnert an eine florierende Hafenstadt am Fluss. Wie aber korrespondiert de rDudler-„Geniestreich“ am Bahnhof? Warum spiegelt sich darin nur der pure, egoistische Individualismus der amtierenden Architektenschaft und nicht die gewachsene, historische Emotionalität des Platzes? Warum kein niederdeutscher Klinker mit Ornamentik? Oder wenigstens ein Stein in der Farbe, wie am Überseemuseum verbaut? Und was die hässliche Tangente auf Stelzen betrifft, wie wird es wohl werden, wenn die Hässlichkeit abgerissen und die Hässlichkeit des täglichen Durchgangsverkehr sich über die vier Kreuzungen quälen muss? Wer solche hässlichen Vorschläge macht, sollte tragbare Konzepte vorlegen, wie der hässliche Individualverkehr vom Nordwestknoten zum Rembertikreisel gelangt. Mein Vorschlag: Fahrradstationen an den Endpunkten, damit dort vom Auto auf den Drahtesel umgesattelt werden kann. Dann mal Prost! Eric Kammüller,Bremen


    In einem weiteren Leserbrief vom gleichen Tag aus dem Weser-Kurier, äußert sich ein weiterer Bremer Bürger allgemein über Politik und Investoren hinsichtlich der verkorksten Innenstadtplanungen:

    Grundstücke verscherbelt
    Was die Bremer Spatzen schon längst von den Dächern flöten, fällt erst jetzt der CDU auf. Es gibt für die erheblichen Innenstadt-Umwälzungen keinen vernünftigen Verkehrswegeplan. Die Grundstücke werden von der WFB (Wirtschaftsförderung Bremen) ohne Einhaltung der Vergaberegeln verscherbelt.
    Den freundlichen Investoren werden ohne Not Zugeständnisse offeriert. Haarsträubende Kompositionsgeschäfte werden lanciert, dass selbst Jens Eckhoff der Kragen platzt. Beispie lLloydhof: Wird die Fassade erhalten, darf der Investor zwei Geschosse auf das Gebäude setzen. Die damit entstehenden Büroflächen werden langfristig von der Stadt Bremen angemietet.
    Das gleiche Thema bei den Aktivitäten des Herrn Jacobs. Wird die Fassade mit Lob des Denkmalschützers zur Langenstraße erhalten, dürfen dafür ein paar Geschosse Büroflächen gebaut werden.
    Einmütig wird das Parkhaus Mitte Kurt Zech ohne Bieterverfahren angeboten, und im gleichen Atemzug wird ihm das Edelgrundstück am Hafenkopf für seine Zentrale von der WFB verkauft. Nachdem Galeria Kaufhof an den Karstadt-Eigner übergegangen ist, wird der Unternehmer wieder lauter, schiebt den Schwarzen Peterder immer noch konzeptlosen Stadt zu. Die Ideenmeisterschaft war jawohl auch nicht der große Wurf.
    Die einzige Partei, die hier reinen Wein einschenkt, ist „Die Linke“. Die Partei erkennt, wie hier Handlungsfähigkeit und das Tafelsilber der Stadt verkauft werden. Die Vorgaben der Stadt fehlen, sodass die Investoren wieder einmal den Rahm abschöpfen. Öffentliche Flächen sollten nur noch in Erbpacht vergeben werden. Aufgrund der anstehenden Investoren-Planungen, die den Rest vom hanseatischen Bremen tilgen, wird der Bremer Bürger ein Fremder in der eigenen Stadt. Gerd Kutscher, Bremen


    An die Moderation:
    Ich würde meine Beiträge 126, 127, 130 und 132 gerne weiter hier in diesem Strang sehen, weil ich bisher nicht sehen kann, welchen Bezug der neue Strang "Ursachenforschung der Abrißwut" mit der Freien Hansestadt Bremen aufweist.

  • Um endlich einmal die Pfade dauerhafter Kritik zu verlassen, möchte ich hier gerne einen weiteren Leserbrief aus dem Weser-Kurier vom 04.01.2019 zitieren, in dem - oh Wunder! - der Vorschlag gemacht wird, die Neue Börse wieder aufzubauen. Der in dem Leserbrief erwähnte Beitrag von Renate Eilenberger hat Pagentorn bereits in dem Beitrag 430 im Strang St. Ansgarii vorgestellt. Den ebenfalls im Leserbrief erwähnten Beitrag von Kristian Nürnberg folgt in diesem Beirtag weiter unten. Beide Leserbriefe, der von Herrn Klein und von Herrn Nürnberg, verdeutlichen uns, dass es abseits des Forums ein Interesse in der Bevölkerung gibt, die sich mehr Historismus in Bremen und speziell in der Innenstadt wünscht.
    Nun zunächst den Leserbrief von Werner Klein vom heutigen Tag:

    Mutig und kreativ


    Die Ansichten von Renate Eilenberger und Kristian Nürnberg, die in den beiden Leserbriefen zum Ausdruck gebracht wurden, finde ich mutig und kreativ. Dazu würde auch der Wiederaufbau der Bremer Börse passen, ein weiteres Glanzstück alter Bremer Baukultur. In meiner Kinderzeit bin ich sehr oft an der Ruine vorbeigekommen und fand die Löwenstatuen am Treppenportal immer so faszinierend. Dann wurde, wie bekannt, nach langer Diskussion die Ruine abgerissen, und das Haus der Bürgerschaft entstand an gleicher Stelle. Wenn man sich die Fassade anschaut, so hätte man ebenso den Plenarsaal der Bürgerschaft und die dazu gehörigen Nutzungseinheiten als Neubau hinter der Fassade entstehen lassen können. Ebenso wäre die Anbindung des Gebäudetraktes hinter dem Börsenhof optimal gewesen. Mit den bestehenden Gebäuden am alten Bremer Marktplatz würde ein wunderbares architektonisches Ensemble entstehen. Es ist nie zu spät, wie man an den Umbauplanungen der Innenstadt erkennen kann. Vielleicht gibt es ja noch für die Umsetzung mutige Politiker und weitsichtige Investoren? ⇒Werner Klein, Bremen

    Hier nun den Leserbrief von Kristian Nürnberg aus dem Weser-Kurier vom 19.12.2018:

    Lloyd-Fassade herrichten


    Ich stimme Leser Ingo Hauser besonders im Punkt „Remmer Keller“ zu. Aber warum nicht einen Schritt weitergehen und im Falle eines Abrisses des Gebäudes Galeria Kaufhof die alte Lloyd-Gebäudefassade wieder errichten? Die Horten-Sünde von 1969 – NDL-Abriss (Anmerkung: NDL steht für den Norddeutschen Lloyd) – ist zwar nicht rückgängig zu machen, zumindest könnte Bremen aber ein Stück Bürgertum aufleben lassen. Bekanntlich steht das Karstadt-Haus unter Denkmalschutz, eine NDL-Fassade wäre eine tolle Ergänzung. Architekt Poppe würde auferstehen und unserem Bürgermeister gratulieren. Und schon heute: Hände weg vom Schmuckstück Baumwollbörse. Kristian Nürnberg, Bremen

  • Wir behandeln hier in diesem Themenkomplex zwar die Innenstadt, dennoch möchte ich hier einmal kurz "fachfremdes" Terrain betreten und die Bremer Galopprennbahn hier thematisieren.
    Besonders bemerkenswert an dem Thema finde ich, neben dem uns vorgelebten Aktivismus, die breite Unterstützung aus der Bevölkerung für die Bürgerinitiative, die sich gegen den Abriss und die Bebauung der Galopprenbahn wendet, und die gänzlich ohne große finanzielle Mittel auskommen musste. "Wir haben alle unterschätzt, was es für eine Resonanz gibt", so Andreas Sponbiel, der Sprecher der Bürgerinitiative. 27.000 Stimmen wurden im ganzen Stadtgebiet für den Erhalt der Rennbahn und gegen eine flächige Bebauung gesammelt, 21.237 Stimmen waren gefordert, um einen Volksentscheid zu erzwingen. Kaum einer hat der Initiative zu Beginn des Volksbegehrens eine Chance eingeräumt, die dafür nötigen Stimmen einzusammeln - besonders die Politik nicht. Die tatsächlich gesammelte Stimmenanzahl spricht für sich.

    Für mich ist die Galopprennbahn ein markantes Beispiel, wie sensibilisiert die Bremer Bevölkerung mittlerweile ist, wenn es um Verdichtung, Versiegelung und Bauexesse in der Stadt geht, und dass sie es nicht mehr wortlos hinnehmen will, wenn traditionsreiches Kulturgut und historische Bausubstanz von der Bremer Bildfäche verschwindet.
    Würde wir endlich mit den Wunsch nach Wiederaufbau und Rekonstruktion der Bremer Innenstadt und dem Erhalt von historischer Bausubstanz in den Bremer Stadtvierteln an die Öffentlichkeit herantreten, so würde wir in der Bevölkerung auf eine breite Unterstützung hoffen können.
    Mir macht das Beispiel Galopprennbahn Mut, den Schatten der Diskussion in Hinterzimmern zu verlassen und z.B. mit Ständen die Plätze und Einkaufspassagen der Stadt zu füllen.

    Hier noch der Link zu dem Artikel zur Galopprennbahn aus dem Weser-Kurier vom 04.01.2019:

    https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-…id,1796105.html

  • Hallo! Mal etwas nebenbei. - Den Umbau/Aufstockung der Baumwollbörse betreffend, habe ich mich direkt an die Börse selber gewandt. Nun erhielt ich folgende Antwort:

    Zitat von Baumwollbörse Bremen

    (...) vielen Dank für Ihr Interesse an unserem Gebäude. Die Umbaupläne sind noch nicht vom Tisch, aber es gibt einige Punkte die noch geklärt werden müssen. Eine Realisierung sehen wir in den nächsten drei bis fünf Jahren allerdings nicht.(...)

    In fünf Jahren kann viel passieren. Vielleicht ist dann sogar eine Teilrekonstruktion drin? :whistling:

  • Jakku Scum

    In der Tat - das Exempel Galopprennbahn könnte zum Vorbild für weitere Aktivitäten werden. Wir hier im Forum setzten ja nicht so sehr auf die selbsterklärten Experten, sondern auf das, was den Bürgern vorschwebt, sprich, mehr Bürgerbeteiligung an der Gestaltung der Innenstadt und keine - wie gehabt - Experten- oder Investorenrunde. Zwischen Architekten, Investoren, Politikern und Baubehördenmitarbeitern auf der einen sowie Bürgern auf der anderen Seite gibt es höchst unterschiedliche Vorstellungen zur Gestaltung der Innenstadt, besonders in ästhetischer Hinsicht, wie die von Dir hier eingestellten Leserbriefe zeigen.


    Neußer


    Für Deine Anfrage bei der Baumwollbörse bin ich dankbar. Ich hatte schon stellenweise unruhige Nächte verbracht angesichts dieser hässlichen Neugestaltung. Jetzt kann ich einige Jahre wieder besser schlafen.

  • Die Katharinenkirche


    Die Katharinenkirche der Dominikaner entstand auf einem Areal, welches dem Orden 1253 geschenkt worden war. Sie wurde 1284 geweiht. Nachdem im November 1522 mit dem Luther-Freund Heinrich von Zütphen die Reformation in Bremen Einzug gehalten hatte, wurden hier von den ‚Domini Canes’ (den ‚Spürhunden des Herrn’) die flammendsten und – da die Ordensbrüder theologisch, rhetorisch und (heute würde man sagen) pädagogisch bestens ausgebildet waren - mitreißensten Reden gegen von Zütphen gehalten. Somit drohte der neuen Lehre aus Richtung von St. Katharinen erhebliche Gefahr. Aus Sicht des Rates bestand durchaus die Möglichkeit, daß die Bürger schwankend in ihrer Hinwendung zum Luthertum hätten werden und möglicherweise in den Schoß der ‚Heiligen Mutter Kirche’ hätten zurückkehren können. Deshalb entschloß man sich im Jahre 1524 die fähigsten Prediger, u.a. den Lesemeister und den Prior selbst, auszuweisen. 1528 wurde das Kloster aufgelöst. Die Kirche wurde ab 1597 für mehrere Jahrhunderte als städtisches Zeughaus zweckentfremdet verwendet. 1826 wurde der Bau von Kaufleuten erworben, die Packböden einzogen. 1888 wurde das ehemalige Kirchenschiff abgebrochen. Lediglich der Chorbereich blieb noch erhalten. Nach dem 2. Weltkrieg plante die US-Amerikanische Militärverwaltung auf dem Areal des alten Klosters eine Art amerikanisch-deutscher Hochschule einzurichten. Der hohe Chor wäre dann wohl zur Aula geworden. Diese Chance der Revitalisierung dieses uralten akademischen Standortes wurde allerdings vertan. Im Zuge der Verbreiterung des Schüsselkorbes für den sog. Innenstadt-Ring wurde der – nun in die neue, um drei Meter zurückverlegte Bauflucht hineinragende – Chor in Jahren 1960 und 1961 abgerissen.

    Abbildung 01
    Lage der ehemaligen Katharinenkirche auf der Stadtkarte von 1938.

    Abbildung 02
    Gedrehter Ausschnitt aus der Stadtkarte mit darübergelegtem Grundriß von Katharinen-Kloster und Kirche.

    Abbildung 03
    Etwas grobe Collage, die illustriert, wie ein bis in die Gegenwart erhaltener Klosterkomplex im gegenwärtigen Stadtbild wirken würde.

    Abbildung 04
    Collage mit etwas anderem Blickwinkel. Die hohe Giebelwand stand etwas angeschrägt direkt an der Sögestraße.

    Abbildung 05
    Das zur Halle ausgebaute Kirchenschiff der Katharinenkirche in seiner Nutzung als städtisches Zeughaus. Ansicht aus dem 18. Jahrhundert.


    Abbildung 06

    Karten und Luftbilder zur Verdeutlichung der Lage der Klosterkirche:

    Von Links nach Rechts: Stadtkarte von 1938 mit überlagertem Kirchen- und Klostergrundriß. Dieselbe Collage ihrerseits überlagert mit einer aktuellen Stadtkarte. Senkrecht-Luftaufnahme des Klosterareals. Schrägluftansicht des engeren Kirchenstandorts.

    Es wird deutlich, daß das heutige Parkhaus nur Teile der Konventsgebäude, aber nicht die Grundfläche der Kirche überbaut. Diese erstreckt sich ausgehend vom Gebäude des ehemaligen Kaufhauses Cords (an der Ecke Sögestraße / Obernstraße ; für die Bremer Leser: das Haus mit der Uhr an der Fassade) bis unter das ehemalige‚Barlage-Gebäude’. Aus diesem würde der hohe Chor mit seiner Nordostkante in den Schüsselkorb hineinragen.

    Abbildung 07
    Vergleichende Ansicht des Schüsselkorbes: Links vor 1914. Rechts Gegenwart.

    Abbildung 08
    Der Vergleich – ausgehend von einem der wenigen erhaltenen historistischen Giebelhäuser vor Ort (mit rotem Punkt markiert) – offenbart wie weit der Schüsselkorb durch die Verbreiterung förmlich ‚aufgerissen’ wurde. Früher bildete das von findorffer thematisierte Eckhaus an der Museumsstraße den Zielpunkt und den Abschluß der Sichtachse des Betrachters. Heute blickt man infolge der Verbreiterung weit in den Domshof hinein.

    Abbildung 09
    Dieses Bild des Schüsselkorbs von 1959 illustriert die alte und die neue Baukante. Das neue Kaufhaus von Gustav Cords ist bereits um drei Meter hinter die vom Hause Grashoff repräsentierte, alte Fluchtlinie zurückversetzt worden. Wenn man sieht, was zu diesemZeitpunkt noch an alter Bausubstanz vorhanden war, ist man regelrecht konsterniert ! Allerdings kann man links von dem übernächsten Nachbarhaus von Grashoff noch so eben eine Baulücke erkennen.

    Abbildung 10
    Modell von Kloster und Kirche, welches den langgestreckten Chor des Gotteshauses zeigt.

    Abbildung 11
    Blick vom Schüsselkorb auf die Außenwände des hohen Chores um 1950. Diese freie Sicht wird von der in Abbildung 09 angesprochenen Baulücke ermöglicht, die wohl durch Bombentreffer entstanden sein mag. Das Chorhaupt ist jedoch noch durch das Eckgebäude zur Katharinenstraße hin abgeschirmt. Ganz links ist das von findorffer angesprochene Gebäude Ecke Museumsstraße zu erkennen.

    Abbildung 12
    Blick in den – ehemaligen – Innenraum des Chores. Links imHintergrund sind die beiden einzigen, bis heute am Schüsselkorb erhaltenen historistischen Fassaden zu sehen, sowie ganz links eine später modern interpretiert neu aufgebaute.

    Abbildung 13
    Blick – wohl vom Dach eines der Neubauten auf den Chor-Rest. Im Hintergrund sieht man (von links nach rechts) : Commerzbank-Gebäude (ehemals Cafe Central), Eckgebäude zur Museumsstraße, Katharinenhaus, Haus der Firma Beckröge (heute Knurrhahn) und das schlichte, klassizistische Gebäude Katharinenstraße Nr.14.

    Abbildung 14
    Blick auf das Haus Katharinenstraße 21, welches mit seinem Nachbarn zur Rechten (an der Ecke zum Schüsselkorb) das Chor-Haupt abschirmte. Das Gebäude wurde 1966 abgerissen. Links im Bild ist das Katharinenhaus zu sehen (das dort stand, wo heute der Ahorn wächst…).

    Abbildung 15
    Aus dem rechten Gebäude mit dem Glasvorbau im ersten Obergeschoß (dem ehemaligen Barlage-Haus) würde die Nordostkante des Chores drei Meter in den Fußweg hineinragen.
    Abriß wegen drei Metern Gehsteig. Man möchte es nicht glauben !

  • Ein doppelter Aufruf zur Bedachtsamkeit


    Der in diesem Themenstrang unter der laufenden Nummer 135 eingestellte Leserbrief vom gestrigen Tage (04.01.2019), in dem der Wunsch eines Wiederaufbaus der Fassade der Neuen Börse formuliert wird, veranlaßt mich zu den folgenden Stellungnahmen (dabei mache ich zunächst einen – nur scheinbaren – Umweg, also bitte nicht wundern):

    Schon lange bevor das hochoffizielle, von Adolf von Hildebrand geschaffene Bismarck-Denkmal 1910 in der Altstadt enthüllt werden konnte (siehe zu diesem den Themenstrang ‚Bremen-Bismarckdenkmal am Dom'), war unter den Bremer Bürgern das starke Bedürfnis verbreitet, dem Fürsten in der Hansestadt ein Denkmal zu setzen. Besonders rührig waren in dieser Hinsicht die Anwohner des heutigen ‚Fesenfeld-Viertels’ in der Östlichen Vorstadt, die es nicht nur bewirkten, daß die alte Wegeverbindung ‚Auf der Tafel’ im Zuge der fortschreitenden Bebauung in ‚Bismarckstraße’ umbenannt wurde, sondern die auch Pläne eines privat finanzierten Bismarck-Denkmals daselbst forcierten. Da das Vorhaben, dieses Denkmal gleich am westlichen Beginn der neuen ‚Bismarckstraße’ zu platzieren, jedoch von der dänischen Ehefrau des dort in einer Villa ansässigen Konsuls Gildemeister verhindert wurde (diese war immer noch wegen 1864 erzürnt und wollte nicht ständig bei dem Blick aus ihren Fenstern auf den ‚Böserwicht’ schauen müssen; siehe hierzu den Themenstrang Bremen-Zentaurenbrunnen, Beitrag mit der laufenden Nr. 2), verlegte man sich darauf, dem eisernen Kanzler gemeinsam mit Generalfeldmarschall von Moltke ungefähr in der Mitte der damals schon bebauten Nordseite der Straße, am Gebäude mit der heutigen Nr. 58, ein Doppeldenkmal zu setzen. So wurden denn zwei vollplastische Figuren aus bronziertem Marmormehl geschaffen und in zwei Konchen im ersten Obergeschoß des Gebäudes aufgestellt.
    Dieses Gebäude wurde im Oktober 1944 total ausgebombt. Es blieb lediglich die Fassade erhalten. Ob es daran lag, daß dieses Haus – im Rahmen der lückenlosen Reihenhausbebauung der Nordseite der Bismarckstraße - das Herzstück eines engeren Ensembles aus fünf Gebäuden war, welches ohne dieses Kernelement optisch auseinandergefallen wäre, ob es die Anhänglichkeit der Eigentümer dem alten Gebäude gegenüber war oder rein wirtschaftliche Faktoren die entscheidende Rolle spielten,mag hier dahinstehen. Wichtig ist nur: Man riß die Fassade eben nicht ab, sondern errichtete hinter ihr ein neues Gebäude !
    Dieses bedächtige Vorgehen hätte man sich andernorts in der Stadt ebenfalls gewünscht, sei es bei der Realschule in der Altstadt, beim Hotel Hillmann am Herdentor, dem Fassadenrest des Staatsarchivs und, jawohl, auch bei Heinrich Müllers Neuer Börse am Markt ! Dieser Aufruf zur Bedachtsamkeit ist somit ein nachträglich an die damaligen Bauverantwortlichen gerichteter, der natürlich keine Auswirkungen mehr haben kann.

    Der andere einschlägige Aufruf richtet sich an die Gegenwart:

    Der Wunsch des Leserbriefschreibers hat mir schon gefallen – wer meinen Beitrag mit der laufenden Nummer 61 auf der Seite 4 dieses Themenstrangs liest, wird verstehen warum.
    Auch ich habe so meine Wünsche: Wenn es nach mir ginge, würde ich – lieber heute als morgen - gerne in einer Welt leben, in die nicht der 1. Weltkrieg hereingebrochen, in der man pfleglicher mit dem baulichen Erbe umgegangen und in der man demzufolge genauso wie heute noch in Bamberg, Regensburg oder Celle, auch in Bremen, Berlin und Königsberg in Stadtbildern – regelrecht – ‚lustwandeln’ könnte, die sich von denen von 1914 nicht wesentlich unterscheiden würden.
    Aber, wir alle wissen leider, daß derartige Wünsche irreale Träume sind. So gut der Wunsch nach einem Wiederaufbau der Börsen-Fassaden auch sicher gemeint war – ich denke nicht, daß der Schreiber ein ‚Troll’ war, der unsere Reko-Anliegen durch irreale Forderungen öffentlich diskreditieren und lächerlich machen wollte – so hat er doch den unangenehmen Nebeneffekt, daß unsere Gegner nun sagen können:

    Nun sind die Reko-Freudne vollends übergeschnappt, nun wollen sie sogar das denkmalgeschützte Bürgerschaftsgebäude abreißen, um die arg umstrittene Neue Börse zu rekonstruieren. Es war ein Fehler, ihnen mit der Essighaus-Fassade den kleinen Finger zu reichen. Denn das hat sie maßlos werden lassen: Nun wollen sie nicht nur bloß St. Ansgarii, sondern auch noch die Börse. Darum: Wehret den Anfängen und gestattet ihnen am besten gar keine Rekos mehr !!!“

    Man kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, daß derartige Reaktionen – auch in den Leserbriefspalten – kommen werden. Und das ist sehr bedauerlich.
    Wenn wir eines Tages das von Nils Aschenbeck postulierte Dreigestirn von St. Ansgarii, Essighaus und Kornhaus in ‚trockenen Tüchern’ haben werden und die Bürger sehen können, wie sehr diese das Stadtbild heben, dann wird man sich über weitere Rekos gerne Gedanken machen können. Alles andere hieße jetzt bloß den zehnten vor dem ersten Schritt zu tun, was – zumal im bisher Reko-abweisenden Bremen – ein gravierender taktischer Fehler wäre !


    Anbei noch einige Bilder zur Bismarckstraße Nr. 58:

    Abbildung 01
    Luftbild der Nordseite der Bismarckstraße, zwischen Herderstraße (links) und Graf-Moltke-Straße (rechts). Die Nr. 58 ist rot eingekreist.

    Abbildung 02
    Luftbild des engeren Ensembles. Man erkennt deutlich, daß die Nr. 58 das Herzstück einer fünfteiligen Häusergruppe ist.

    Abbildung 03
    Ansicht des Hauses von Nordwest. Im ersten Obergeschoß sind die beiden Konchen mit Bismarck (links) und Moltke (rechts) erkennbar.

    Abbildung 04
    Bismarck ‚en Detail’.

    Abbildung 05
    Moltke ‚en Detail’.

    Abbildung 06
    Die ausgebombte Ruine, mit der völlig intakten Fassade.

    Abbildung 07
    Das wiederaufgebaute Haus. Lediglich der kleine Miniatur-Dreiecksgiebel über der Mittelachse des Hauses, hat dem Ausbau des Dachgeschosses weichen müssen.

    Einmal editiert, zuletzt von Pagentorn (5. Januar 2019 um 12:08)