• Zwar liegt das Zentralkrankenhaus St.-Jürgen-Straße in der Östlichen Vorstadt - genauer gesagt im Hulsberg-Viertel - aber dieser geographische Ausreißer sei mir bitte verziehen, da die Neugestaltung des besagten Gebäudeeingangs sehr schön illustriert, was man hier amtlicherseits unter einer 'die Brüche sichtbar lassenden Ergänzung' versteht:

    Abbildung 01:
    Vorkriegszustand (Originalversion des 1928 - 1930 errichteten Gebäudes)

    Abbildung 02:

    Aktuelle Ergänzung im Zuge des Krankenhaus-Umbaus (seit den 50er Jahren bestand an der Stelle des Rondells eine Hangar-artige Krankenwagen-Unterfahrt.

    Einmal editiert, zuletzt von Pagentorn (28. Dezember 2018 um 15:48)

  • Daß die verantwortlichen Stellen auch anders können, haben Sie ja vor Jahren mit der Rekonstruktion des historischen Kupferdachs des Schüttings - inklusive von dessen Gauben - ja hinlänglich bewiesen (dieses Projekt wurde hier bereits auf einem anderen Bremer Themenstrang vorgestellt).

  • Wahnsinn, was hier jetzt plötzlich alles zu Tage kommt, enorm produktive 3 Brementage hier im Forum! Ein Dank noch einmal an alle Beteiligten.

    Was das Eingangsportal des alten (und neuen) Hauptgebäudes der Medizinischen Klinik angeht, erlaube ich mir allerdings den Hinweis, dass mir das "rekonstruierte" Portal gut gefällt, sehr eleganter frühmoderner Stil, mit seinen goldenen Messingstreifen im Rund und in der Cremefarbe bildet es aus meiner Sicht einen hier mal gelungenen Kontrast (jaja, einen Euro ins Phrasenschwein des Modernismus ;), aber hier ganz subjektiv mal passend) zu der sehr strengen Backsteinarchitektur des restlichen Gebäudes.

    Hier mal das Portal in der Zeitläufte:

    Das Original wurde im Krieg zerstört und zeittypisch/"praktisch" wiederaufgebaut:

    Ich finde den Neubau ehrlich gesagt sehr gelungen, zumal er auch ganz praktisch der neue Haupteingang wird und somit ein originaler Wiederaufbau nicht oder nur schwer möglich gewesen wäre, Thema Kapazität der Türen, Barrierefreiheit etc.:

    Hier bin ich mal ganz zufrieden, kommt ja auch nicht zu häufig vor.

  • Das alte städtische Armenhaus

    Knapp hundertfünfzig Meter westlich der St.Stephani-Kirche endet die Bremer Altstadt gegenwärtig recht unvermittelt am Damm der Bundesstraße 6. Jenseits desselben liegt eine verwunschene Grünanalge, der sog. ‚Focke-‚ oder auch ‚Museums-Garten’. Dieser befindet sich eingezwängt zwischen der B6 und der Eisenbahntrasse in Richtung Oldenburg. Bis zum Zweiten Weltkrieg bildete dieses Areal den westlichsten Zipfel der Altstadt. Hier stand das in der Tat allerletzte Haus Derselben: Das von 1696 bis 1698 an der Großenstraße errichtete städtisches Armenhaus, welches später als Altenheim Verwendung fand und von 1912 bis zum Zweiten Weltkrieg das – nach Katharinenkloster und Dom-Anbau dritte – Domizil des stadthistorischen Museums, des heutigen Focke-Museums, bildete. Bereits Ende der 30er Jahre war dieses durch den Bau der neuen Westbrücke zusammen mit dem Gebäude der Stephani-Schule von den übrigen Teilen der Altstadt isoliert worden. Der weitsichtigten Planung des Museumsdirektors Ernst Grohne (derselbe Ernst Grohne, der der letzte Mensch war, der sich am 1. September 1944 im Turm der Ansgarii-Kirche aufhielt), haben wir es zu verdanken, daß infolge kompletter Auslagerung, die gesamten Bestände des Museums über den Krieg hinweggerettet werden konnten. Das Museumsgebäude selber wurde allerdings – wie auf dem von Jaccu Skum eingestellten Luftbild der westlichen Altstadt zu sehen ist - total zerstört, oder besser pulverisiert, denn vom alten Armenhaus blieb nichts als Staub und Schutt übrig. Die Museumssammlungen fanden nach dem Kriege in der Schwachhauser Vorstadt eine neue Bleibe, an der sie sich bis heute befinden. Das Areal an der Großenstraße wurde als Garten aufgeforstet, der eben jene besagte, leider oft etwas verwahrloste Grünanlage bildet. Falls es einmal darum gehen sollte, das Dreigestirn von St. Ansgarii, Essighaus und Kornhaus zu erweitern, dann wäre dieser Bau mein allererster Wunschkandidat, denn er illustriert mit seiner herben Strenge, den bescheidenen und ernsten Geist des Calvinismus, der Bremen Ende des 17.Jahrhunderts eng mit den Niederlanden und dem Hause Hohenzollern verband…

    Abbildung 01
    Stadtkarte von 1938. Das Armenhaus / Focke Museum ist rot markiert. Man erkennt, daß es sich um einen Vierflügelbau rund um einen Innenhof handelte.

    Abbildung 02
    Gezeichnetes Luftbild auf einem Museumkatalog aus den frühen 1920er Jahren. Im Hintergrund – jenseits der Weser - ist die Silhouette der Neustadt zu erkennen (mit den Brautürmen und Schornsteinen der Brauerei Beck’s).

    Abbildung 03
    Blick von den Gleisen der Oldenburger Eisenbahn – also von Nordwesten – auf das noch als ‚Altenheim’ genutzte Gebäude; aufgenommen vor 1912. Man erkennt die Nord- und die Westseite. Ein strenger und bescheidener, ‚gut calvinistisch-reformierter’ Bau…

    Abbildung 04
    Das Hauptportal an der Nordseite.

    Abbildung 05
    Nach Durchschreiten von Portal und Nordflügel, bot sich, wenn man in den Innenhof des Gebäudes trat der folgende Blick auf Garten und Südflügel (Weser-Flügel).

    Abbildung 06
    Blick zurück auf den Nordflügel (Portalflügel) mit seinem pittoresken Dachreiter.

    Abbildung 07
    Luftbild von Nordwest vor dem Bau der Westbrücke. Rechts im Bild das Museum.
    (Quelle: Geschichtskontor / Kulturhaus Walle Brodelpott e.V. [Hrsg.]:Das Stephaniviertel 1860-1960. Ein Photographischer Streifzug. Bremen 2008: Edition Temmen, S.55.)

    Abbildung 08
    Blick vom Turm der St.Stephani-Kirche auf Museum, Eisenbahnbrücke, Weser-Bahnhof und Freihafen I.

    Abbildung 09
    Blick von links der Weser auf die Eisenbahnbrücke, den Weser-Bahnhof, die schon vor dem 1. Weltkrieg abgebrannte Stephanitors-Mühle und den Weserflügel des Armenhauses /Altenheims. Der Giebel des Letzteren ist noch vorhanden. Dieser verschwand erst im Zuge des Umbaus zum Museum. Die Aufnahme läßt sich somit auf vor 1912 datieren.

    Abbildung 10
    Auf diesem Luftbild hat der Weser-Flügel seinen Giebel bereits verloren.

    Abbildung 11
    Plan vom Durchbruch der zur neuen Westbrücke führenden Durchgangsstraße. Für die Letztere wurde das westlichste Drittel des alten Stephani-Viertels – einem von kleinsten Stein- und Fachwerkhäusern geprägtem Quartier, ähnlich dem Schnoor – in den 30er Jahren abgerissen. Dieser Durchbruch war somit ein bereits 1939 abgeschlossener, erster flächenmäßiger Abtrag von historischer Bausubstanz in der Altstadt !

    Abbildung 12
    Blick von Osten auf die neue Westbrücke. Im Hintergrund links ist das Focke Museum zu sehen.

    Abbildung 13
    Blick von Westen auf die neue Brücke im Jahre 1939. Links eben noch angeschnitten: Der Weser-Flügel des Museums. Im Hintergrund erkennt man (von links nach rechts) die im 2. Weltkrieg verbrannte Doventors-Mühle, den Turmhelm der Michaeliskirche, die beiden Türme von St. Stephani und die oberste Hochhausetage des ehemaligen Kaufhauses von Julius Bamberger.

    Abbildung 14
    Blick von Norden in die breite, zur Brücke führenden Schneise. Im Hintergrund rechts sind Stephani-Schule und Focke Museum zu erkennen. (Quelle: Online Kriegsschadens Dokumentation des Staatsarchivs Bremen).

    Abbildung 15
    Erste Kriegsschäden werden sichtbar. (Quelle: Online Kriegsschadens Dokumentation des Staatsarchivs Bremen).

    Abbildung 16
    Das total pulverisierte Areal des ehemaligen Museums (rot eingekreist).

    Abbildung 17
    Eingang von der Flußseite in den heutigen Focke-Garten.

    Abbildung 18
    Luftbildvergleich aus Richtung Süden. Links ist jeweils die Eisenbahnbrücke zu sehen.

    Abbildung 19
    Luftbildvergleich aus Richtung Nordwest.

    3 Mal editiert, zuletzt von Pagentorn (28. Dezember 2018 um 23:17)

  • In diesem ganzen Gebiet der westlichen Altstadt sowie der westlichen Bahnhofsvorstadt hat Bremen sein Gesicht wohl wie an kaum an einer anderen Stelle vollkommen verändert. Anders als in anderen Teilen der (Alt)-Stadt ist hier wirklich nichts mehr wie früher, nicht einmal die Straßen und Wegebeziehungen. Auch bei Ihren Berichten über den letzten Pastor der Ansgariikirche und seinen Arbeitsweg aus der Bahnhofsvorstadt zur Kirche fällt das auf - hier habe ich intuitiv nicht einmal mehr den Schimmer einer Ahnung, wo genau das gewesen sein soll und in welcher Beziehung es zu heute steht (auch wenn ich es dann auf Luftaufnahmen oder alten Karten natürlich irgendwie nachvollziehen kann). Dass das da alles mal so aussah wie heute noch in den schöneren Straßen der Östlichen Vorstadt - unvorstellbar aus heutiger Sicht. Das gleiche gilt für den Bereich des Stephanitors, früher elegant unter dem hier als Brücke verlaufenden Wall hindurch, genauso gediegen bebaut, wie die Teile des östlichen Walls und der östlichen Contrescarpe - aber auch hier, es ist alles verschoben, es passt nichts mehr in einen heutigen Stadtplan, der Übergang nach Utbremen in die Nordstraße, die Gegend um die Michaeliskirche - nichts, wirklich gar nichts ist hier mehr wie früher. Ebenso natürlich das alte Stephaniviertel, welches heute wohl ähnlich wie der Schnoor eine beliebte Touristengegend und teure Wohnadresse wäre in den alten, charmanten Häuschen - allerdings stand diese Gegend ja schon vor dem Krieg auf dem Index und wäre wohl auch ohne Krieg spätestens in den 50er/60er Jahren "flächensaniert" worden.

    Und zum ehemaligen Focke Museum/Armenhaus: Ja, das wäre auch ein sehr guter Rekokandidat, wenngleich die Position natürlich heute noch unattraktiver als schon vor dem Krieg wäre, eingepfercht zwischen der Eisenbahnstrecke und der wirklich enorm befahrenen Stephanibrücke. Aber wenn direkt nebenan sogar Wohnbebauung geht, warum dann nicht hier das Armenhaus wiederaufbauen?

  • Die Giebel an der Schlachte


    Bremens ältester Hafen an der Weser, die Schlachte, war bis zum Zweiten Weltkrieg maßgeblich von hohen Giebeln geprägt, die – obschon in der Mehrzahl dem 19. und frühen 20. Jahrhundert entstammend – immer noch den hansischen Geist atmeten.

    Im Bereich zwischen Kaiserbrücke und Martinikirche sind davon heute nur noch die Rückgiebel der Neptun-Reederei und der Dreiergiebel des Gebäudes der Firma J.H.Bachmann erhalten. Es gäbe aber zwei weitere Gebäude, denen man wieder ihre angestammten Giebel aufsetzten könnte: Der ehemalige Verwaltungssitz der Argo-Reederei – erbaut von Johann Georg Poppe – und das Verlagshaus von Carl Schünemann. Die Altstadt würde durch eine derartige Aufstockung viel an Attraktivität gewinnen ! Anbei einige Abbildungen zur Illustrierung dieses Gedankens:

    Abbildung 01
    Die von Giebeln dominierte Weserfront Bremens auf einem Aquarell Willy Stöwers - der sich viel künstlerische Freiheit herausgenommen hat...

    Abbildung 02
    Luftaufnahme aus den 1920er Jahren mit den Gebäuden der Argo-Reederei, von Bachmann und Schünemann.

    Abbildung 03
    Das gegenwärtige Aussehen der drei Gebäude: Bis auf Bachmann eine reine Flach- bzw. Traufendachlandschaft. Nicht sonderlich abwechslungsreich und schon gar nicht attraktiv !

    Abbildung 04
    Das unveränderte Erscheinungsbild des Bachmann-Gebäudes.

    Abbildung 05
    Zwar ist die Front des Argo-Gebäudes zur Weser hin in den oberen Etagen sehr vereinfacht und auch teilweise verändert worden. Dennoch spräche das nicht automatisch gegen die Rekonstruktion der beiden Giebel, zumal man ja auch die Fassade der oberen Etagen wieder mehr dem Original annähern könnte.

    Abbildung 06
    Argo-Gebäude und St. Ansgarii.

    Abbildung 07
    Argo-Gebäude, obere Schlachte und St.Martini (vor dem Bau der Giebelfassade von Schünemann).

    Abbildung 08
    Großansicht der Fassade.

    Abbildung 09
    Die weserseitigen Giebel des Schünemann-Hauses.

    Abbildung 10
    Schünemann-Haus und die Türme von Dom, Baumwollbörse und St.Martini.

    Abbildung 11
    Visualisierung einer Rekonstruktion der genanten Giebel.

  • Was alles in D. (und besonders auch gut zu sehen in Bremen) nach 1945 vernichtet und abgebrochen wurde, ist reiner ästhetischer Horror. Ich verstehe einfach nicht warum so viel schöne historische Bauten verstümmelt worden sind.
    Ob der Teufel loss war um D. weiter zu vernichten.....

    Die Bauherren und Behörden waren total nicht interessiert in Architektur und historischer Städtebau. Sie waren begeistert von Modernisierung, Raum machen für Verkehr (= Abbruch), Funktionalismus (Bauhaus), Billigbauten (er war Mangel an Kapital und Arbeiter) aber waren auch sehr (fast fanatisch) engagiert mit der Beiseitigung historischer (neo-gotischer) Giebel (sehe Polizeibau), Steildächer, Türmchen.

    Das massive beiseitigen neo-historischer Giebel und Fassaden wurde fast in jeder Stadt mit grösster Fanatismus vorangetrieben. In Berlin (sehe Bilder der Bauten rund Rathaus Pankow einmal an) und sonstwo wurden ganze Strassenfluchten von iher Schmuck, Giebel und Dachbrusten, Pinakel, Schornsteine "befreit"'. Das Mittelälterliche Ansehen mancher Bauten (inklusiv ihren Schmuck, Reliefs) sollte unbedingt verschwinden.....alle sollte glatt, modern, schmuckloss aussehen in D. Deswegen wurde auch das Verkehrsministerium in München, Justizpalast in Magdeburg, Ruhrknappgeschellschaft gebäude in Bochum nicht mehr rekonstruiert und Landgericht in Berlin Mitte völlig amputiert....Norddeutcher Lloyd Gebäude in Bremen und vielen schönen Kirchen sogar abgebrochen....

    Die Tabula Rasa aber ist aber noch immer nicht vorbei, denn Städte wie Chemnitz und Hamburg werden noch immer mit "Abbruch Städte" angedeutet und identifiziert. Auch in Magdeburg wurde nicht lange her Sternstrasse 2 abgebrochen und in dem Loch kommt dann bestenfalls ein Glaskasten ......

    Winzige verbesserungen finden platz in Potsdam, Frankfurt und Dresden, aber von richtige historisierende und ästhetischer Städtebau oder Rekonstruktion zur Heilung der riesigen Wunden ist es nirgendwo gekommen. Endloss wird diskutiert über Reko's die aber immer wieder Kompromissbauten sind. In der Berliner Mitte ist noch immer kein Stadtmitte mit schön bebauten Innenstadt und in Frankfurt hat man nicht 10% der Innenstadt rekonstruiert (auch mit Kompromissbauten) und die Dächerlandschaften in ganz D. sehen fast überall noch aus nach der Vereinfachung der Nachkriegszeit.

  • Sehr geehrter Klassiker,

    sie haben vollkommen recht. Bei entsprechendem guten Willen, wäre sehr viel zu retten gewesen.

    Ein Beispiel dafür mag das Eckhaus Am Wall 143/144, Ecke Sögestraße sein:
    Vor dem Krieg war es ein imposanter, kuppelbekrönter Gründerzeitler, der den Zugang des vom Hauptbahnhof kommenden Straßenzuges zur Altstadt repräsentativ flankierte (da Wilhelm II. diesen Straßenzug unzählige Male befuhr, wurde dieser entsprechend großstädtisch ausgebaut, um dem Auge des Monarchen etwas bieten zu können…). 1944 wurde das Gebäue zwar stark getroffen, die Außenmauern hätten aber durchaus ein neues Innenleben erhalten können. Man entschied sich statt dessen - wie konnte es auch anders sein - für einen Neubau, der an Banalität und Hässlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt und bestens ins monotone Bremen unserer Tage paßt…


    Abbildung 01
    Der Gründerzeitler. Er erinnert ein wenig an die, den Durchbruch der Kaiser-Wilhelm-Straße in Alt-Berlin flankierenden, beiden Kuppelbauten gegenüber Dom und Spreeflügel des Stadtschlosses...

    Abbildung 02
    Der Neubau aus der Nachkriegszeit

    Abbildung 03
    Wäre diese Fassade nicht zu retten gewesen ?

  • Dieser Themenstrang ist ja wirklich furchtbar.

    Bei dem Polizeihaus waren der rechte und der mittlere Giebel ja sogar noch erhalten. Aber anstatt den einen fehlenden Giebel zu ersetzen, hat man auch noch erhaltene Teile vernichtet und ein langweiliges Dach errichtet. Zu dumm.

    Und zum Dudler-Eckhaus:

    Zitat von Heinzer

    Da wurde ja nicht nur das Eckhaus abgerissen. Der linke Nachbar fehlt auch. Offensichtlich ebenfalls ein historisches Haus mit Erker. Von der Kleinteiligkeit zur Grobschlächtigkeit. - Wird es jemals ein Umdenken geben? Die Städte haben ihre Gestaltung doch in der Hand. Leider scheint sie aber niemanden zu interessieren. Investoren dürfen alles bauen, was sie möchten.

  • Lieber Neußer,

    tja... ganz Ihrer Meinung !

    Da werden Sie sicherlich nachvollziehen können, wie elend man sich manchmal fühlt, wenn man das alte, schöne, bürgerliche Bremen im Herzen und vor dem geistigen Auge hat und dann mit diesem Wissen das 'neue' Bremen durchwander muß, welches uns die Verantwortlichen in den letzten Jahrzehnten so zusammengerührt haben. Weil man ja nicht hinter sein Wissen zurück kann, beneidet man manchmal die 'noch nicht so lange hier Lebenden', die solcherart Pein sicherlich nicht kennen dürften... und im Übrigen ja wohl auch - in der Regel - überhaupt kein Interesse am Stadtbild haben. Diesen gefällt das zusammengerührte ''Gesamtkunstwerk' vielleicht sogar ganz gut und sie passen auch da hinein. Die Alteingesessenen fühlen sich demgegenüber oftmals schon regelrecht fremd, zwischen all der anonymen 'Investorenprosa', die gerade von den Leuten euphemistisch hochgelobt wird , die doch vor genau 50 Jahren unter der Prämisse angetreten waren, niemals dem Mammon zu huldigen.
    Nun ja, die Zeiten werden eben nicht besser und - auf meine geliebte Heimatstadt bezogen - das alte Bremen rückt auf diese Weise in immer weitere Ferne.
    Aber - wie sagt man so schön: die Hoffnung auf eine Trendwende stirbt eben zuletzt !

  • Da wurde ja nicht nur das Eckhaus abgerissen. Der linke Nachbar fehlt auch. Offensichtlich ebenfalls ein historisches Haus mit Erker. Von der Kleinteiligkeit zur Grobschlächtigkeit. - Wird es jemals ein Umdenken geben? Die Städte haben ihre Gestaltung doch in der Hand. Leider scheint sie aber niemanden zu interessieren. Investoren dürfen alles bauen, was sie möchten.

    Das ist mir dann auch erst bei der Recherche für diesen Beitrag aufgefallen! Wobei das Nachbarhaus trotz seiner milde historisierenden Gestalt von den Geschosshöhen her wie ein Nachkriegsbau wirkt und auch dem auf Pagentorns Vorkriegsaufnahmen der Ecke zu erkennenden Nachbarhaus nicht ähnelt.

    Ja, die Selbstverstümmelung vieler westdeutscher Städte ist schon atemberaubend. Auch wenn Flächenabrisse und wirklicher Frevel à la Lloydabriss wohl nicht mehr denkbar wären, wird immer noch zuviel abgerissen und zu schlecht neugebaut. Die zweite Kisten-Moderne scheint sich zwar dem Ende zuzuneigen und ein etwas bekömmlicherer Stil sich häufig durchzusetzen, aber so ähnlich sah es auch schon einmal Ende der 70er Jahre aus, und dann kam die Moderne öder denn je in den 90ern zurück. Immer wenn ich unverbesserlicher Optimist denke, das Schlimmste sei vorbei und sogar Verbesserungen beim Neubaustil zu verorten meine (siehe Landesbank etwa), kommt ein Klopper wie die Erweiterung des Altlantic-Hotels an der Martinistraße oder der Kühne und Nagel-Neubau, der eine Reparatur der Weserfront wieder auf 5 Jahrzehnte unmöglich macht.

  • Lieber Neußer und lieber Heinzer

    von der von Ihnen angesprochenen Bahnhofstraße Nr. 2 habe ich leider nur ein Foto der unteren Geschosse aus der Vorkriegszeit:

    Und selbst diese hier an der Fassade zu sehenden, ganz feinen und dezenten Ornamente, wurden in der Nachkriegszeit beseitigt...

  • Katharinenhaus


    Das Gebäude Katharinenstraße 16 / Schüsselkorb 29/31, das sog. 'Katharinenhaus' hatte den Krieg überdauert und wurde erst im Zuge der Verbreiterung des Schüsselkorbs abgerissen. Heute befinden sich auf seinem ehemaligen Areal ein Fahrradweg, eine Sitzbank und ein Ahorn...

    Abbildung 01
    Das rot markierte Katharinenhaus auf der Stadtkarte von 1938

    Abbildung 02
    Das Katharinenhaus - wohl - kurz vor seinem Abriß. Rechts daneben das Renaissance-Giebelhaus der Firma Beckröge, welches sich bis heute erhalten hat. Links im Hintergrund das von findorffer in diesem Strang bereits thematisierte Gebäude Ecke Schüsselkorb / Museumsstraße, welches dem Commerzbank-Neubau weichen mußte.

    Abbildung 03
    Die gegenwärtige Situation mit dem Ahorn neben dem Renaissance-Giebelhaus. Die Bremer Stadtplanung hat wieder einmal zu einem erstaunlichen Gewinn an Urbanität geführt... :kopfschuetteln:

  • Waaas? :schockiert: Als Ersatz für dieses tolle Haus, kam nur ein einfacher Baum? In der Verkehrsführung hätte man auch eine Gleisverschlingung einbauen können. Eine Engstelle hätte schon ihren Charme gehabt.

    Auf dieser Karte sieht es zudem so aus, als wäre eine Verbreiterung gar nicht notwendig gewesen. Etwa für den Fahrradweg?

    Zitat von Pagentorn

    Rechts neben dem erhaltenen Renaissance-Giebelhaus, welches ja auch zwangsläufig umgebaut werden musste, ist offenbar ebenfalls eine deutliche Aufwertung des Stadtbildes erfolgt.

    (...) Heute befinden sich auf seinem ehemaligen Areal ein Fahrradweg, eine Sitzbank und ein Ahorn... (...)

    Außerdem noch eine Litfaßsäule, Straßenschilder und ein orangefarbenes Auto. :P

    Mal im Ernst. Durch diesen Themenstrang, sehe ich Bremen inzwischen mit ganz anderen Augen. - Durchaus nicht mehr so positiv.

  • Da gibt es auch nicht viel positiv zu sehen. In puncto Nachkriegszerstörung können wohl nur wenige Ruhrstädte mithalten. Wie gesagt - die Osthälfte, und damit der Kern der Altstadt - hatte den Krieg mit wirklich nur wenigen Schäden überlebt, welche Stadt dieser Größe konnte das schon von sich sagen? - Und dann wurde trotzdem nochmal 2/3 abgerissen, so dass nun nur noch ganz wenige zentrale Baudenkmäler in einer Nachkriegswüste stehen.

    Die Flächenabrisse am Schüsselkorb gingen auch westlich des Katharinenklosters bis zur Einmündung der Sögestraße weiter, hier stand ebenfalls noch die komplette Straßenfront, mindestens 4 oder 5 eher kleine gründerzeitliche Geschäftshäuser, die um 1960 abgerissen wurden, ich hatte auch mal ein Foto eingestellt hier, finde es aber nicht mehr. Die Idee war damals eine innerstädtische Umfahrung, rechts herum durch die Knochenhauerstraße und links herum durch den Schüsselkorb.... wurde dann schon bald als unterdimensioniert wieder verlassen, hat aber trotzdem zu jeder Menge Abrissen erhaltener Bausubstanz geführt.

    Bremen dürfte in dieser Hinsicht leider fast einzigartig sein.

  • Pagentorn, Heinzer und Neusser,

    Ich verstehe sie allen so gut aber fühle mich entsetzt und machtloss was sich alles in Deutsche Städte seit 1950 vollzogen hat. Denn sind wir uns ganz einig in unsere Gedänke, Bewertungen, Urteilen über alles was uns so stört and Städtebau und Umgang mit der historisch gewachsen Stadt. Aber leider ändert dass nichts an der Wirklichkeit: die ständig weiter verlaufende Abbruch historischer Bauten nach der massiven Verluste der WW2 Bombardieringen in D.

    Offenbar haben Behörden (anders dann Einzelkämpfer wie z.B. Dorothee Dubrau) und Bauherren ein ganze andere Bewertung und werden historische Gebäude ersetzt von einem einfache Baum (wie schön auch).

    Wir leben leider in einen Welt, wo niemand sich breit engagiert für schönere Städtebau. Wo millionen Leuten aus andere Staaten einfach aufgenommen werden. Menschen die weit anders, dann wir, über Städtebau und Architektur denken...
    Kleinteiligkeit?? Herrliche historische Fassaden?? Schöne Blickwinkel? Ludwig Hoffmann?? Schinkel? Es ist sie Wurst....

    Das Klima unserere Welt wird auch nicht gerettet von der Elite, auch nicht wann die zugesprochen werden von ein kleines Mädchen, dass sich beklagt über ihrer Zukunft und angibt dass sie sich schämen sollen.....

    Die Ozeanen sind voll mit Plastik, Plastik was von Fischen aufgenommen wird und dann von uns gegeessen wird.

    Assad und Elite, Saudia Arabia (Kronprinz und Elite), Rusland (Putin und Elite) bombardieren einfache Bürger, die nur ein Verbesserung ihren Lebensumstände wollen. Sie benützen Giftgas, vernichten Krankenhäuser und verneinen einfach Alles was ihren Schuld unterbaut. Der Welt schaut nur zu und sogar Assad wird wieder begrüsst, wie wäre er ein richtiger Sieger.

    Rusland versucht die Staaten der EU zu destabilisieren....und scheut kein Mittel um uns zu erpressen. Aber es gibt mancher Politiker, die dann froh ist billiges Erdöll von Rusland zu kaufen.......

    Aber leider sind wir nur Ästetiker, die nur eine schöne und ansehbare Stadt lieben.....und darüber eine gewisse Meinung vertreten .....

  • Lieber Klassiker,

    oft teile ich Ihre Zweifel, ob das, was wir hier im Forum anstreben, überhaupt noch einen Sinn ergibt, denn wenn man sich die aktuelle düstere Weltlage betrachtet und aufgrund dessen befürchten muß, daß unser liebes Europa mit seinen gegenwärtig noch traumhaft vielfältigen historischen Stadtbildern in hundert Jahren möglicherweise genauso öde und versteppt daliegen wird, wie das Tal von Bamiyan oder Palmyra, etc. (die Demographie weist leider in diese eintönige Richtung...) kommt man wirklich schon ins Grübeln. In solchen Momenten denke ich dann aber immer auch an den motivierenden Satz Dr. Martin Luthers: "Und wenn die Welt morgen zugrunde gehen sollte, würde ich trotzdem heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen". Gerne möchte ich Sie auch an den Ausruf des Psalmisten (Psalm 73,23) vom 'Dennoch' erinnern; vom 'Mirakel des Hauses Brandenburg' ganz zu schweigen, welches ja dem alten Fritzen in letzter Stunde, die schon nicht mehr für möglich gehaltene Rettung brachte.
    Mit anderen Worten: Noch sind Europa, Deutschland und unsere schönen - bzw. wieder schön zu machenden - Städte nicht ganz verloren !

    Lieber Neußer und lieber Heinzer,

    hier ein wenig 'Nachschub' aus meinem 'Giftschrank'. Es tut mir Leid, Sie beide mit dieser 'Schocktherapie' zu quälen, aber wie sagte doch der unvergessene Erich Ponto - alias Professor Krey - in der Feuerzangenbowle: " Die Medizän moß bötter schmöcken, sonst wörkt sie nicht !" :opa:

    Gebäude der Bremer Schleppschiffahrts-Gesellschaft ./. Rhenus-Haus

    Dieses Gebäude an der Tiefer Nr. 2 (ursprüngliche Adresse vor Straßenteilzusammenlegung: Hinter der Holzpforte 9/10) hatte, als Teil der den Schnoor zu Weser hin abschirmenden Randbebauung, den Krieg vollkommen unbeschadet überlebt und wurde erst 1971 (!) durch einen Neubau von Architekt Gerhard Müller-Menckens (ja, leider derselbe Architekt, der sich gegen den Abriß der Ansgarii-Ruine ausgesprochen hatte - man sieht, daß sich die 'Fronten' auch in unseren Kreisen projektbezogen jeweils ändern) ersetzt. Das Gebäude trägt den Namen der Müller-Menckens beauftragenden Firma: Rhenus-Haus.

    Abbildung 01
    Das Schleppschiffahrts-Gebäude auf der Stadtkarte von 1938 (wie immer: rot markiert).

    Abbildung 02
    Farbfoto der Tiefer aus den 1950er Jahren im Vergleich mit einem Bild aus der Gegenwart

    Abbildung 03
    Schleppschiffahrts- und Rhenus-Gebäude im direkten Vergleich

    Abbildungen 04 und 05
    Schleppschiffahrts- und Rhenus Gebäude im Luftbildvergleich

  • Ironie der Geschichte: In das Rhenus-Haus zog später die "Bremische", eine Baugesellschaft im Besitz der Stadtgemeinde Bremen. Die "Bremische" hatte wohnungsbaupolitisch eine soziale Ausrichtung, ronovierte aber auch behutsam Altbremer Häuser, d. h., die äußere Gestalt der Gebäude wurde erhalten, ich wohnte schon mal in einem dieser erhaltenen Gebäude im Ostertor. Und worin besteht nun die Ironie: wenn eine Baugesellschaft alte Gebäude erhält und renoviert, aber selbst in einem dieser häßlichen Neubauten residiert, nur weil vorher abgerissen wurde, dann kann man schon von einer gewissen Ironie der Geschichte sprechen. Das wäre in etwa so, als hätte das Denkmalschutzamt seinen Standort im aktuellen Nachfolgebau auf dem Ansgariigrundstück.

    Die "Bremische" wurde dann auf Betreiben der CDU, als damaliger Koalitionspartner der SPD, verkauft und gehört inzwischen einem dieser eher als unsozial wahrgenommenen nationalen Wohnungsbaukonzerne. Der Stammsitz ist jetzt nicht mehr in Bremen und eine Steuerung der Wohnungspolitik dadurch nicht mehr möglich. Tja, wer hätte das gedacht, dass man die Partei, die die politische Verantwortung für die vielen Nachkriegszertörungen in unserer einst so schönen Stadt trägt, auch mal loben muss: Die SPD hatte an der "Vertreibung" der "Bremischen" keine Schuld - aber der Abriss des Schleppschifffahrtsgebäudes geht wieder auf das SPD-Konto.

  • Das ‚Haus der Weserschiffahrt’


    Manch ein Bremer der jüngeren Genration wird sich vielleicht schon einmal darüber gewundert haben, weshalb bei den Arkaden an der Tiefer die östlichsten vier Bögen ein stabileres Escheinungsbild haben. Die Ursache dafür war die Tatsache, daß diese – anders als die westlich anschließende Bogenreihe, die bloß Zollschuppen zu tragen hatte – ein ganzes Gebäude abstützen mußten und zwar das sog. ‚Haus der Weserschiffahrt’, die Anlaufstelle für den flussaufwärts, Richtung Minden, Hameln, Hannover’sch Münden und Wanfried führenden Binnenschiffsverkehr. Das Gebäude, welches nach dem Kriege schon seine beiden kleinen Giebel auf den Schmalseiten verloren hatte ,wurde 1959 zugunsten der Verbreiterung der Tiefer niedergelegt.

    Abbildung 01
    Die Tieferarkaden. Deutlich erkennbar die etwas andere ‚Machart’ der vier östlichen Bögen.

    Abbildung 02
    Das Haus der Weserschiffahrt auf der Stadtkarte von 1938 rot markiert.

    Abbildung 03
    Das Gebäude auf einem Farbfoto der 1950er Jahre – rot eingekreist.

    Abbildung 04
    Blick flussaufwärts auf die Gebäude an der Tiefer (1920er Jahre). Das Haus der Weserschiffahrt ist eingekreist.

    Abbildungen 05 und 06
    Vergleichender Blick von der Großen-Weser-Brücke / Wilhelm-Kaisen-Brücke auf die Arkadenanlage.
    Auf dem Bild aus der Zeit vor 1914 ist im Hintergrund links das Gebäude der Weserschiffahrt zu erkennen. Rechts, auf dem Stadtwerder, erblickt man die ‚Wasserkunst’ einen Wasserturm der für den nötigen Leitungswasserdruck in den höhern Etagen der Stadt sorgte. Unverkennbares Vorbild desselben war die Fassade des Hochmeisterpalastes der Marienburg in Westpreußen (allerrdings wurde diese hier verfierfacht).
    Das Bild aus der Gegenwart offenbart wie unglaublich breit die Aufschüttung des Tiefer – und Schlachte Boulevards in die Weser hineinragt. Das allererste Material dieser Aufschüttung bestand aus Kriegstrümmern der Altstadt.

    Abbildung 07
    Das Gebäude der Weserschiffahrt auf einem Vorkriegsfoto (von Südosten her gesehen).

    Abbildung 08
    Der Abbruch des Hauses im Jahre 1959 (selber Blickwinkel wie in Abbildung 07).

    Abbildung 09
    Die Tiefer in der Gegenwart (Blickwinkel wie in den obigen beiden Abbildungen).