Bremen - Innenstadt

  • Herzlichen Glückwunsch Bremen!

    Anstatt nach dem Krieg alles noch Erhaltene zu retten und restaurieren, hat man auch Jahrzehnte später sein historisches Bauerbe Stück für Stück beseitigt. Wenn die Entscheidungen zum Erhalt der Bauten ausgefallen wären, könnte Bremen auch heute noch ein nettes Erscheinungsbild haben. Stattdessen wirkt die Stadt eher wie ein Flickenteppich mit einigen verteilten Traditionsinseln inmitten der Nachkriegslangeweile.

  • findorffer, die Erinnerungen kommen Stück für Stück zurück. In dem Gebäude links neben dem Jugendstil-Eckgebäude, residierte einst die Dresdner-Bank. Anfang der 1980er Jahre wurde das Gebäude und die Fassade modernisiert, weshalb man auf dem 3. Foto deines Beitrages schon in Struktur die folgende Fassade aus Foto 4 erkennen kann. Etwa ein Jahr nach der Modernisierung, wurde die Dresdner-Bank von der Commerzbank übernommen oder beide Banken fusionierten. Jedenfalls wollte sich der neue Eigentümer nicht mit den Stil der ehemaligen Eigentümer identifizieren, weshalb die Fassade ein knappes Jahr später wieder eingerüstet wurde. Diesen Bautätigkeiten fiel dann auch das Eckgebäude mit dem Erkertürmchen zum Opfer, heraus kam der Bau, den wir heute so am Schüsselkorb in Augenschein neben können (Glasturm? Wurde der nicht sogar noch nachträglich in den 90er eingefügt?). Ich meine mich zu erinnern, dass damals tatsächlich auf die Baubehörde nebst Denkmalpflege starker Druck ausgeübt wurde, weil die Stadt die Commerzbank nicht als Arbeitgeber verlieren wollte bzw. diese drohte nach Hamburg oder Hannover (??) abzuziehen, sollten ihre Vorstellungen nicht von Seiten der Stadt entsprochen werden.

    Ich glaube aber nicht, dass die Dresner auch schon im Eckgebäude saß. Ich meine, dort war etwas anderes eingemietet, die sogar herausgeklagt wurden oder eine Abfindung erhielten, ähnlich wie der Golfclub auf der Galopprennbahn, Sicher bin ich mir aber nicht.

  • Wobei Bremen diese Kunst wirklich zur Perfektion betrieben hat. Trotz der äußerst exponierten Lage hätte bis auf das Stephaniviertel und Teile Utbremens fast alles wieder aufgebaut werden können, Bremen hatte vergleichsweises Glück im Krieg und diesen Standortvorteil dann nach dem Krieg konsequent verspielt.

    In den Schriften des Denkmalamts (Thema 2018: Renaissance) ist ein Foto von der Langenstraße aus dem Herbst 1944, in der bis auf Ausnahmen, darunter natürlich die statisch ohnehin "herausgeforderte" Essighausfassade, eigentlich das meiste noch stand. Man hätte natürlich die Dächer neu machen müssen und auch kleinere und größere Mauerarbeiten, aber es wurde schon 1945/46 alles, was nicht auf der sehr kleinen Liste der zentralen Baudenkmäler (Schütting, Rathaus etc.) stand rigoros abgeräumt. Wilhelm Kaisens Spruch "Erst die Häfen, dann die Stadt" wurde so zur bitteren Realität.

    Beim Cäsarschen Haus dachte ich immer, dass es auf dem Eckgrundstück zur Museumsstraße gegenüber dem Jugendstileckbau, der für die Commerzbank abgerissen wurde stand und der brutalistische Neubau auf den Fotos weiter oben zum Neubau der Commerzbank rechts noch angeschnitten ist, und nicht das gezeigte Haus weiter rechts am Domshof, aber ich kann mich irren. Vielleicht weiß jemand anders Bescheid?

  • Allerdings, lieber Neußer, wie viele andere Städte auch. Bremen ist leider nicht allein.

    Das ist sicher richtig. Ich möchte auch keinen Bremer hier kränken. Ich liebe alle deutschen Städte, ärgere mich über jeden Abriss und freue mich über jede Sanierung/Rekonstruktion.

    In diesem Strang wird nur die Dummheit im Umgang mit dem kostbaren Bauerbe besonders deutlich. Die Baukultur und Epoche, in der die kunstvoll handwerklichen und qualitativ sehr hochwertigen Schmuckfassaden entworfen und gebaut wurden, kommt NIE wieder. Die banale und äußerst einfach gestrickte Zweck- und Billigarchitektur, wird es aber immer und bis in alle Zeit geben. Da ist es einfach nur dämlich, die wenigen und, aus heutiger Sicht, kostspieligen Fassaden zu beseitigen.

  • Richtig. Allerdings denke ich nicht, dass primär Dämlichkeit die Ursache war. Sie mag natürlich, gepaart mit dem Verlust ästhetischen Empfindens, bei Bauherren auch eine Rolle gespielt haben. Aber vor allem lag den Vorgängen Gier und Hass zugrunde. Gier, da ja manche Leute an Abrissen und Neubauten verdienen. Hass, weil es sich hier um einen Angriff auf das kulturelle Erbe und die bauliche Tradition handelte, einhergehend mit utopischer Fortschrittsgläubigkeit. Nun, vielleicht ist Hass bei den meisten etwas zu hoch gegriffen, aber zumindest völlige Beziehungslosigkeit/Entfremdung zum Bauerbe war auf jeden Fall ausschlaggebend.

  • Die Jacobihalle als weiteres Beispiel für die Abräumwut

    Ich kann Ihnen nur zustimmen Neußer. Ein weiteres Beispiel für diese fast schon pathologisch zu nennende ‚Abräumwut’ ist die sog. ‚Jacobihalle’, ein während der Gründerzeit aus den Resten der mittelalterlichen Jacobi-Kirche hervorgegangenes, renommiertes Speiselokal, welches bis 1914 mehrfach erweitert wurde und letztlich einen ganzen Baublock umfaßte. Es war wegen seiner gediegenen Räumlichkeiten sehr beliebt und nach Ratskeller und Essighaus die beste kulinarische Adresse der Stadt. Gerade der ‚Altbau’ mit dem in diesen integrierten Chorbereich der Jacobi-Kirche hatte den Krieg recht gut überdauert und hätte im Grunde genommen zunächst nur ein Notdach benötigt um fürs erste gesichert zu sein. Der Wille, eine neue Durchfahrtsstraße durch die Altstadt zu schlagen (dazu wurde die historische Martinistraße überdimensioniert verbreitert und verlängert), machte eine Rettung der Jacobihalle jedoch zunichte…

    Abbildung 01
    Lage der Jacobihalle (rot markiert) im Ansgari-Quartier. Stadtkarte aus der Vorkriegszeit.


    Abbildung 02
    Luftbild der Jacobihalle (rot markiert).


    Abbildung 03
    Jugendstil-Litho vom älteren Eckbau der Jacobihalle mit dem südlich an den Chor der mittelalterlichen Kirche in der Gründerzeit angebauten, charaktervollen neugotischen Treppenhausturm.


    Abbildung 04
    Links der westlich an den Altbau anschließende Neubau an der Straße ‚Kurze Wallfahrt’ gelegen. Rechts der Treppenhausturm des Altbaus.


    Abbildung 05
    Der östliche Altbau auf einer Ansichtskarte aus der Zeit der Jahrhundertwende und auf einem Foto aus dem Jahre 1952. Der Chorbereich der St. Jacobi Kirche ist auf dem Letzteren sehr schön und deutlich zu sehen.


    Abbildung 06
    Diese Bausubstanz hätte gerettet werden können. Aber der Wille dafür war nicht vorhanden !

    Einmal editiert, zuletzt von Pagentorn (26. Dezember 2018 um 23:22)

  • Luftbildvergleich

    Dieser offenbart wie geschunden die Altstadt gerade auch in diesem Bereich ist. Als Ausgangspunkt des Vergleichs sei hier der ehemaige südliche Dyckhoff-Anbau an der Ecke 'Kurze Wallfahrt' / Molkenstraße (roter Punkt) verwendet, da dieser fast das einzige bis heute erhaltene Vorkriegsgebäude vor Ort darstellt.

    3 Mal editiert, zuletzt von Pagentorn (27. Dezember 2018 um 08:56)

  • Einfach nur traurig, was abseits der "Traditionsinseln" aus der Bremer Innenstadt geworden ist. Den erhaltenen Altbau an der Ecke Kurze Wallfahrt und dem, was wohl die Molkenstraße gewesen sein muss und nun einer dieser typischen Hinterhofparkplätze ist, wie sie die "Altstadt" zuhauf aufweist, kannte ich gar nicht bzw. er war mir noch nie aufgefallen, vielen Dank dafür, Pagentorn, mal wieder, muss man sagen. Diese alten Reste der Vorkriegssiedlungsstruktur faszinieren mich ja immer besonders.

    Aufgrund der dominierenden Steinbauweise hatte es in der Bremer Altstadt weder einen Feuersturm gegeben, noch war es östlich des Brills zu wirklich flächigen Verwüstungen gekommen. Selbst im östlichen Stephaniquartier haben viele alte Gebäude überdauert, nicht zuletzt, weil dort nach dem Krieg weniger investiert wurde als weiter östlich. So weisen ironischerweise sowohl die östliche Faulenstraße (Nordseite) als auch die westliche Langenstraße (Südseite) mehr erhaltene Altbauten auf, als ihre Pendants weiter östlich, obwohl diese nominell weniger zerstört waren. Flächig verwüstet war in der Altstadt wirklich nur der westliche Zipfel um die Kirche St. Stephani worden (der allerdings brutal, gab hier mal ein Foto, die Gegend sah mit ihren Einschlagskratern etwa wie Wesel nach dem Krieg aus), hier standen bis zum Krieg noch viele kleine tlw. mittelalterliche, eher ärmliche Häuschen vielleicht vergleichbar mit dem Schnoorviertel, die den Bomben nichts entgegenzusetzen hatten.

    Etwas polemisch könnte man sagen, dass es in Bremen tatsächlich kein/kaum "Baedeker Bombing" gegeben hat, die schwersten Zerstörungen gab es in den Gebieten mit der größten Nähe zu den Häfen oder zu großen Industrieanlagen (Walle/Utbremen, Alte Neustadt, Westl. Altstadt, Hastedt), den Rest haben die Bremer besorgt.

    Zum Thema Verlust in der Altstadt reicht auch die etwas lakonische Bemerkung der Bremer Denkmalpflege in ihrem neuesten Heft, derzufolge es im damals neu erhobenen Denkmalinventar der 30er Jahre 180 Baudenkmale innerhalb des Walls gab und heute noch 34. Und viele, ich würde sogar sagen die Mehrzahl der 180 Denkmale war alles andere als verloren gewesen.

  • ‚Haus Wätjen’ am Domshof


    Lieber Heinzer, lieber Neußer,

    wenn man dann noch bedenkt, daß es jenseits der 180 in den 1930er Jahren auf die Denkmalsliste gesetzten Gebäude, innerhalb des Walls noch wesentlich mehr an Bausubstanz gab, welche uns heute als schützenswert erscheinen würde, dann kann man eine Ahnung davon bekommen, was Bremen alles verloren hat – und ja, wie schön Bremen einst gewesen sein muß !

    Ein solcher, nicht in der Denkmalsliste enthaltender Bau, war z.B. das Haus ‚Wätjen’ am Domshof. Es wurde erst 1979 zugunsten eines Ereweiterungsbaus der ‚Bremer Bank’ (Filiale der Dresdner Bank) abgebrochen. Zugegeben, der postmodern daherkommende Nachfolgebau ist gar nicht mal so schlecht – man kennt da wirklich Schlimmeres -, aber dennoch, im Vergleich mit dem was für ihn vernichtet wurde, bleibt er blaß und ausdruckslos…

    Abbildung 01
    Haus Wätjen an der Ostseite des Domshofs (rechts im Bild).


    Abbildung 02
    Kolorierte Postkarte. Ob die kräftig rote Farbgebung der Fassade tatsächlich einst so bestand, entzieht sich meiner Kenntnis.


    Abbildung 03
    Blick von Süden auf die Ostseite des Domshofs.

    Abbildung 04
    Blick von Norden auf die Ostseite des Domshofs

    Abbildung 05
    Blick auf den Nachfolgebau des Hauses Wätjen. Vom Nachbarhause zur Linken blieb nur die Fassade erhalten und wurde dem postmodernen Neubau vorgeklebt (das neue Essighaus wirft seine Schatten voraus…). Foto von Rami Tarawneh.

  • Ich habe mal ein wenig gefahndet und dabei dieses doppelseitige Luftbild gefunden, das die Zerstörung Bremens eindrucksvoll-schauderhaft dokumentiert.

    Ich habe es aus einem Buch gescannt, deshalb die teilweise verschwommene Auflösung. Da ich weiterhin keine Bilder hier hochladen kann, muss leider ein PDF-Dokument herhalten. Ich bitte beide Umstände zu entschuldigen.

    Bildquelle: Helmut Müller/Günther Rohdenburg (Hrsg.)
    Kriegsende in Bremen
    Edition Temmen

    luftbild_bremen_1.pdf
    luftbild_bremen_2.pdf

    Das Luftbild zeigt die Innenstadt Bremens ab dem Faulenquartier, der heutigen Brill-Kreuzung/Langemarckstarße mit Blickrichtung gen Westen.
    Deutlich zeichnet sich der breite Zerstörungsgürtel ab, der quasi hinter der Stephani-Kirche (Bildmitte Bild-1) beginnt und an den Hafen heranreicht. Man glaubt die Flugroute der Bomber-Staffel förmlich zu erahnen, die von Südwesten her über die Stadt geflogen kamen: Beginnend mit dem Bombenabwurf linkes Weserufer in Woltmershausen (Bild-1, links oben), über die Hafenquatiere, über Walle – in diesem Stadtteil blieb kaum ein Stein auf den anderen, es wurde quasi pulverisiert; die Verlustquote lag bei annähernd 90% ; rechte Bildseite Bild2, etwas oberhalb der Bildmitte, ragt der Kirchturm der St. Michaelis-Kirche wie ein mahnender Finger aus der Steinwüste heraus - hin zur westlichen Bahnhofsvorstadt.
    Während das nördliche Faulenquartier noch stärkere Beschädigungen durch Flugverbände aufweist, die ihre Fracht über Hafen und Bahnhof abwerfen wollten, dünnte sich das Trefferbild Richtung Weser und Südosten aus, von „Streutreffern“ mal abgesehen. Dieses Trefferbild zeigt sich um so deutlicher, je weiter man in Richtung Altstadt kommt. Da es über Bremen keine weitgehenden, städtischen Flächenbombardements gab (außer den strategischen Punkten Häfen und Hemelingen mit seiner Schwerindustrie) – im Gegensatz zu Hamburg oder Berlin gab es weder in der Innenstadt noch an andere Stelle Bremens vergleichbare, mehrgeschossige Wohnsiedlungen mit Hinterhof-Labyrinthen – blieb neben der Innenstadt auch das Steintor-Viertel und Schwachhausen flächig sehr gut erhalten – von einigen 'Spätabwürfen' oder vom Wind verwehten Flugrouten mal ausgenommen.

    Das Foto deckt auf, dass die großflächige Zerstörung der Innenstadt erst nach Kriegsende stattfand, als mit der verkehrsgerechten Stadt weite Trassen, Umgehungsstraßen und Tangenten in die Altstadt geschlagen wurden: Martinisraße und Balgebrückstraße.

  • Auch hier muss ich leider mit PDF-Dateien arbeiten. Ich bitte abermals die miese Bildqualität zu entschuldigen.

    Bildquelle: Helmut Müller/Günther Rohdenburg (Hrsg.)
    Kriegsende in Bremen
    Edition Temmen

    luftbild_bremen_3.pdf
    luftbild_bremen_4.pdf


    Bild 3 und 4 (Blickrichtung Nord-West) zeigen im Vordergrund die Bahnhofsvorstadt, von der nur nach die Gerippe stehen. Das eigentliche Ziel, der Hauptbahnhof (Bild 4) blieb weitestgehend intakt. Ebenso das wunderbare Bahnhofsgebäude und das Überseemuseum (westlicher Rand des Bahnhofplatzes Bild-4).
    Nördlich des Bahnhofs und der Gleise kann man sehen, das sich die „Trefferquote“ wieder erhöhte.

  • Diese Luftbilder zeigen, dass Bremen angesichts der Lage ziemliches Glück gehabt hat, auch wenn es in den typischen Kriegsschadensauswertungen ebenfalls immer zu den am stärksten zerstörten Städten gehört hat. Aber in Bremen betrafen die Bombardierungen eben tatsächlich hauptsächlich die industrielle und Hafeninfrastruktur mit natürlich massiven Kollateralschäden und nicht so sehr das kulturelle Herz der Stadt wie etwa in Dresden, Braunschweig oder Frankfurt - Bremen hat aber aus diesem vergleichsweisen (!, ich möchte keinesfalls die schweren Zerstörungen und auch die vielen Toten der Bombardierung des Bremer Westens kleinreden) "Vorteil" oder "Glück" wenig gemacht. Klar, für eine Stadt mit 500.000 Einwohnern ist die östliche Altstadt tatsächlich noch vergleichsweise geschlossen und auch der Übergang in die östliche Vorstadt von einer geradezu vorkriegshaften Idylle geprägt, wie es sie sonst wohl kaum noch in vergleichbar großen Städten gibt. Man merkt also durchaus noch etwas vom Glück der Stadt, einen so zentrumsnahen und de facto fast unzerstörten Stadtteil wie die östliche Vorstadt gibt es in Westdeutschland auch nicht so häufig.

    Auch zugute gekommen ist Bremen natürlich die Bauweise in der Innenstadt, die einen Feuersturm erschwert hat und -wie Du richtig sagst, Jakku Scum- die Tatsache, dass Bremen nur eine 1.000-Bomber Raid erleben musste, diese wirklich hauptsächlich die Hafeninfrastruktur zum Ziel hatte (zynisch gesagt - wie es eigentlich sein sollte) und aufgrund der einzigartigen Bremer Siedlungsstruktur nicht zu so flächigen Zerstörungen geführt hat wie etwa in Hamburg.

    Auch in der Bahnhofsvorstadt hätte man noch einiges mehr erhalten können, das Hillmann-Hotel z.B. wirkt auf mich immer überraschend gut erhalten auf diesen Nachkriegsbildern, wenngleich es nach Westen dann auch dort ziemlich übel wurde. Bei dem Bau neben dem Hillmannhotel, der jetzt das City-Kino beherbergt und sich um die Kurve in die Bahnhofsstraße zieht, frage ich mich immer, ob das nicht im Kern sogar noch der Vorkriegsbau ist, der nur "modernisiert" wurde. Weiß jemand darüber etwas? Den könnte man ja auch recht gut wiederherstellen, wenn dem so wäre. Auf mich wirken immer die Geschosshöhen dieses Gebäudes so gründerzeitlich.

  • Lieber Heinzer,

    Sie vermuten schon richtig. Das alte Grandhotel de l'Europe hatte den Krieg leidlich überdauert (wenn auch das südliche Drittel Zerstört wurde). Anbei ein Bild von der Jahrhundertwende und eins aus der Nachkriegszeit:


    (Bildquelle für das Nachkriegsfoto: Aschenbeck, Nils [Hrsg.]: Bremen. Der Wiederaufbau 1945 - 1960. Bremen 1997: Edition Temmen, S.58.)

    Die heute noch vorhandene Rundung an der Ecke Herdentorsteinweg / Bahnhofstraße beweist, daß das Gebäude in den Wiederaufbaujahren 'fassaden-bereinigt' wurde - ergo, man hat die Fassade brutal entdekoriert !

    Zum Vergleich: Die traurige Gegenwart...

  • Unter dem Link kann man quasi einen „realen“ Anflug auf das zerstörte Bremen machen. Die Aufnahmen sind auf den 12.Mai 1945 datiert, also knapp zwei Wochen nach Einnahme Bremens durch alliierten Truppen und vier Tage nach der Kapitulation des Dritten Reiches. Da die Fotos aus dem Buch „Kriegsende in Bremen“ nicht datiert sind, lässt sich die Zerstörung der Hansestadt hier besser aufzeigen – vor allem, was die Bildqualität betrifft!!!

    http://www.luftfahrt-bibliothek.de/luftbildarchiv…rieg-bremen.htm

    Bild 1
    Anflug auf Bremen von Westen her; zu sehen sind ländliche Bebauungen; vermutlich Delmenhorst-Scharfkoven; interessant, dass zwei Flugzeuge als Schattensilhouetten zu sehen sind.

    Bild 2
    Flug über Huchtung; die Huchtinger Heerstraße ist als Alleen-Band deutlich zu erkennen. Bombentrichter auf den Feldern zeigen, dass nervöse Besetzungen bereits hier ihre „Fracht“ abwarfen; das eigentliche Ziel dürfte ein paar Kilometer weiter östlich im Hohentorshafen gewesen sein.

    Bild 3
    Weiter über Huchtung. Die Ochtum schlängelt sich in der oberen Hälfte durchs Bild.

    Bild 4
    Anflug auf Grolland. Am linken Bildrand kann man als Straßenband den Wardamm erkennen. Ebenfalls bereits zu erkennen das Gaswerk in Woltmershausen am oberen Bildrand.

    Bild 5
    Fast über Woltmershausen. Das langgestreckte Backsteingebäude des Gaswerkes mit den Kohlebunkern und den drei Gasometern ist deutlich zu erkennen.

    Bild 6
    Deutlich sind die Gerippe der drei Gasometer zu erkennen. Davor die Lagerstätten der Kohle. Am oberen Bildrand taucht die Weser und darunter der Hohentorshafen auf.

    Bild 7
    Hohentorshafen. Unschwer auszumachen, dass im Umkreis der Hafenbecken kein Stein mehr auf dem anderen steht. Das obere Hafenbecken, das beinahe im rechten Winkel auf die Weser zuläuft, muss nach dem Krieg zugeschüttet worden sein. Es existiert schon lange nicht mehr. Im Hintergrund sind die zerstörten Weserbrücken zu sehen. Während um ihn herum kaum nach ein Stein auf dem anderen steht, harrte der Neusatdts-Bahnhof den Bomben, als wollte er bis zuletzt den Bremern eine Flucht aus der zerstörten Stadt anbieten

    Bild 8
    Flug über die Weser mit seinen zerstörten Brücken. Darunter die Steinwüste des Hohentorshafen, in dessen Trostlosigkeit Eisenbahnwagons stehen. Auf der anderen Flussseite ist zu sehen, wie sich dort die Steinwüste fortzusetzen scheint.

    Bild 9
    Über dem Stephani-Viertel. Fast einsam steht die Kirche an ihrem Platz, der Kirchturm wirft auf dem Foto einen deutlichen Schatten. Das zur Kirche gehörende Kirchspiel ist so gut wie nicht mehr existent, nur noch Stein und Staub.

    Bild 10
    Anflug auf den Bahnhof und die Bahnhofsvorstadt. Hinter dem Stadtgraben frisst sich die Trümmerschneise weiter in Richtung Bahnhof. Intakte Dächer sind hier kaum zu sehen. Unschwer zu erahnen, welche Route die Flugverbände nahmen.

    Bild 11
    Über der westlichen Bahnhofsvorstadt. Am oberen, rechten Fotorand ist das Überseemuseum zu erkennen, auf der anderen Seite der Gleise der Schlachthof mit seinem Turm. Als schwarzes Band zeichnet sich der Bürgerpark ab.

  • Das ‚Hillmann’


    Und hier noch Bilder, des von Heinzer angesprochenen Nachbarn des Europas, des Hotels ‚Hillmann’. Es war seinerzeit das beste Haus vor Ort und sein hoher Ruf reichte bis nach New York, zumal viele amerikanische Reisende vor dem Ersten Weltkrieg nach oder vor ihrer Schiffspassage ab Bremerhaven, im Hillmann logierten. Ebenso quartierten sich Damen und Herren des kaiserlichen Gefolges dort ein, wenn S.M. am Folgetag einen Staatsbesuch in Bremen absolvierte. Und auch sein in Bremen-Borgfeld auf dem Wümmehof lebende Enkel, SKH Prinz Louis Ferdinand, hatte noch persönliche positive Erinnerungen an das alte Hillmann der Zeit vor 1939.

    Und für die Bremer unter den Lesern: Im großen Saal des Hillmann fand der Sommerball statt, auf dem die frisch verliebten Marga und Percy (Sommer in Lesmona) ihre rauschende Ballnacht verlebten…

    Postkarte der Jahrhundertwende:

    Litho um 1900:

    Blick über den Wallgraben auf die Längsseite des Hotels:

    Letzte Baufassung vor der Zerstörung:

    Nach Ende des 2. Weltkriegs: Der Moment der Sprengung der noch größtenteils schneeweißen Fassade am 09. Oktober 1945….

    (Quelle: Online Bildsammlung der SPKB).

    Der gegenwärtige Backsteinbau. Darin befindet sich wieder ein Hotel, welches aber an den alten Ruhm nicht anknüpfen kann und noch nicht einmal mehr das erste Haus am Platze ist. Selbstredend trägt es im selbstvergessenen Bremen der Gegenwart einen vollkommen anderen Namen !

    Tempi passati !


    2 Mal editiert, zuletzt von Pagentorn (30. Dezember 2018 um 14:34)

  • Lieber Pagentorn,

    dass das „alte“ Hillman-Hotel nicht mehr seinen eigentlichen Namen trägst, darfst du bitte nicht einer selbstvergessenen Bremer Bürgerschaft in die Schuhe schieben.

    Die „Selbstvergessenen“ sind da die neuen Eigentümer, die „Swissôtel Hotels & Resorts“. Eine internationale Hotelkette, die 31 Häuser in 17 Ländern ihr Eigen nennt und aus dem beschaulich (mir unbekannten) Kloten aus der Schweiz operiert. Solch ein Branchen-Schwergewicht kann wohl kaum an örtlicher Tradition interessiert sein, Hauptsache, das eigene Logo prangt und leuchtet weit sichtbar vom Dach. Lokalkolorit wird da selbstverständlich mit Füßen getreten – man will sich die Luxuskundschaft nicht mit „Wilden“ verprellen, die Damen und Herren der Gesellschaft finden doch sonst den Weg nicht in die Herberge und landen womöglich noch in der Behausung einer prähistorischen Höhlenfamilie vor Ort...

  • Lieber Jakku Scum,

    was Sie hinsichtlich der Firmen-Philosophie des gegenwärtigen Hoteleigners schreiben stimmt natürlich.

    Aber die ortsansässige Höhlenfamilie bedarf einer näheren Erläuterung... ;)

  • St. Michaelis Kirche


    Ein weiteres – sprachlos machendes - Beispiel für den Umgang mit dem baulichen Erbe stellt die 1898 bis 1900 auf Betreiben von Pastor Otto Veeck in der westlichen Bahnhofsvorstadt errichtete, neugotische Michaeliskirche dar. Auch sie hätte nach Kriegsbeschädigungen zunächst nur eines Notdaches bedurft, um für die Zukunft gesichert zu werden. Statt dessen waren ihre – an sich noch gesunden – Außenmauern über Jahre Wind und Wetter ausgesetzt. Schließlich wurde das Gotteshaus abgebrochen und an selber Stelle ein zeltförmiger Neubau errichtet. Vom neugotischen Gotteshaus haben sich einzig die beiden steinernen Luther und Calvin Statuen, sowie – im Park der Egestorff Stiftung in Bremenn-Tenever - die Kufpertreibfigur des Kirchenpatrons, Erzengel Michael, erhalten.

    Abbildung 01
    Lage der Kirche in der westlichen Bahnhofsvorstadt (rot markiert). Stadtkarte aus der Vorkriegszeit.


    Abbildung 02
    Ausgeführter Entwurf und Foto-Ansichtskarte der Kirche.

    Abbildung 03
    Der in Bremen in dieser Form einzigartige Kanzel-Altar mit darüberliegender Orgel. Von der Struktur her ließ hier die Garnisonkirche Potsdam grüßen…

    Abbildung 04
    Die Kirche aus südlicher Richtung von der Ecke Contrescarpe / Büren-Straße aus gesehen.

    Abbildung 05
    Nachkriegsfarbfoto der Kirche aus westlicher Richtung (im Vordergrund die unterbrochene Bahnlinie nach Oldenburg). Man sieht, daß das Gebäude – bis auf Dach und Gewölbe – intakt war !

    Abbildung 06
    Der unscheinbare und im Verhältnis zum Vorgänger sich nieder-duckende Neubau.

    Abbildung 07
    Büren-Straße vor 1914 und in der Gegenwart. Fast identischer Blickwinkel.


    Abbildung 08
    Die Statue des Heiligen Michael an ihrem ursprünglichen Standort am Kirchturm (roter Kreis) und am heutigen, vor dem Hauptgebäude der Egestorff-Stiftung in Osterholz-Tenever am östlichen Bremer Stadtrand – hart an der Grenze zu Niedersachsen. Michael ist der ‚Ersatzmann’ für die beiden Rathaus-Herolde, die bis 2003 an dieser Stelle aufgestellt waren.

    Einmal editiert, zuletzt von Pagentorn (27. Dezember 2018 um 22:30)