Neugestaltete Kirchen: Nackter Wahnsinn am Altar

  • Ich darf mal dezent auf den Themenstrang verweisen, um den es hier geht. Und dazu ermahnen, zu ihm zurückzukehren.

    Das Problem der modernistischen Umgestaltung von historischen Sakralgebäuden ist doch ein viel älteres. Das ist kein Auswuchs unserer Zeit und das hat auch nichts mit Gutmenschentum oder Politischer Korrektheit zu tun, zumindest nicht mit der Korrektheit, von der wir heute sprechen. Es gibt auch unter den Multikulti-Grünen durchaus ernstzunehmende Leute mit Sinn für Architektur und Ästhetik. Das mit der Verunstaltung hat schon in den 1930er Jahren angefangen, als man sehr alte Kirchen purifziert und vom Stil des Historismus befreit hat, also zum Beispiel die Ausmalungen des 19. Jahrhunderts weiß überstrichen hat oder die bauliche Form vereinfacht (Beispiel: Kreuzkirche in Bonn vorher und nachher). Damals hieß "politische Korrektheit" noch etwas anderes als heute. Nach dem 2. Weltkrieg hat man mit nahezu allen historischen Kirchen im Inneren das gleiche gemacht wie mit den Stuckfassaden der Bürgerhäuser außerhalb, man hat die historischen Lampen abgehängt, die Ausmalung überstrichen, die Holzschnitzereien entfernt und gedacht, man würde damit vielleicht den neuen Menschen formen und die wilhelminische Gesellschaft überwinden, die ja an allem Schuld war. Das war auch politisch korrekt. Das hat der Historismus mit noch älteren Kirchen ja zuweilen auch gemacht, die nicht prächtig genug waren für das blühende Deutschland.

    Wir dürfen nicht vergessen, dass Sakralbauten keine beliebigen weltlichen Gebäude sind, die man nach Belieben so ausgestaltet, wie es der Kunde gerade wünscht. Kirchen wurden und werden nach bestimmten Ordnungen gebaut, und die können sich ändern. Solche Ordnungen schützen Kirchen normalerweise davor, dass mit Antritt jedes neuen Pfarrers erst mal neu gestrichen wird. Das Problem sind die Menschen, die diese Ordnungen interpretieren und keinen Sinn für Ästhetik oder für größere Zusammenhänge haben. Für die ist eine solche Ordnung bzw. eine Änderung derselben ein gefundenes Fressen. Die greifen in einen intakten, vom Architekten vor hundert Jahren von oben bis unten durchdachten Kirchraum ein und ändern eine Winzigkeit - schon passt nichts mehr zusammen. Ich bin selbst Kirchenältester und habe manchen gestalterischen Fehlgriff mit meiner Stimme nicht verhindern können, ich weiß, wovon ich rede. Solche Leute gab es leider immer schon, in und außerhalb von kirchlichen Gremien. Das sind oft auch Kommunalpolitiker, die in den 1970er Jahren Kulturbarbareien begangen haben. Da gabs noch gar keine Multikultigrünen. Wenn Menschen ohne ästhetischen Verstand über eine Gestaltungsfrage entscheiden, dann ist herzlich egal, welche Epoche wir gerade haben. Das ist Problem Eins.

    Das andere Problem ist die Effekthascherei. Edelstahl in der historischen Kirche, toll, mutig, hinschauen, Neugier wecken... Für die Verunstalter ist unsere Aufregung hier doch der Beweis dafür, dass sie glauben, Recht getan zu haben. Den Effekt, Aufmerksamkeit zu erregen, hätte man sicher auch anders und versöhnlicher haben können, aber sage einer mal was gegen moderne, "demokratische" Kunst (womit ich die Demokratie keinesfalls verunglimpfen möchte, nur diejenigen, die Meinungsfreiheit mit Ausdruckslosigkeit verwechseln). Ich bin ehrlich gesagt ganz froh, dass sich die (evangelische) Kirche dem modernen Leben öffnet. Das hat die Kirche historisch übrigens schon immer getan; schon die Bibel hat bewusst Bilder und Metaphern von vor 2000 Jahren benutzt, weil sie die Menschen erreichen wollte, wie sie nun mal gerade da waren. Bei eben dieser Aufgabe gibt es nur wieder gelungenes und nicht gelungenes Vorgehen, und es gibt Totalversagen wie beim erwähnten nackten Wahnsinn am Altar. Wenn ich in meinem Gemeindekirchenrat meine Stimme für ein historisches Element oder gegen eine modernistische Gestaltung erhebe, dann muss ich das übrigens zumeist gegen die fromme Fraktion tun, die die Kirche am liebsten so puristisch und unablenkend hätte, dass nur noch die "reine Lehre" (oder sollte ich sagen: reine Leere?) herrscht. Dan würden alle Bilder und historischen Elemente rausgeworfen. Auch so viel zum Thema Abkehr von der Frömmigkeit.

    Der Trend geht inzwischen leicht wieder in die andere Richtung. Es gibt durchaus Beispiele, wo man zumindest historische Einrichtungsgegenstände wieder aufstellt oder bei der Ausmalung zumindest wieder Mut zur historischen Farbe gefunden hat. Vielleicht gibts ja einen Mentalitätswechsel in der Zukunft.

    So, das war jetzt viel Text. Noch eine Anmerkung: die Evangelische Kirche sieht genauso wie die katholische einen würdigen, liturgisch gewidmeten Raum als Regelort für den Gottesdienst vor (siehe Ordnung des kirchlichen Lebens der Union evangelischer Kirchen). Das Problem sind auch hier Menschen, denen die Reife fehlt, den Begriff richtig zu interpretieren. Oder das Verständnis. Oder der Mut. :kopfschuetteln:

    "Die Qualität städtischen Bauens resultiert aus einer Generationen währenden, kollektiven Leistung." Hans Kollhoff

  • Zitat

    So, das war jetzt viel Text.

    Das macht grundsätzlich nichts. Auch dass es am Thema vorbeiging, stört nicht, das bringen derartige Stränge mit sich. Mitunter ist es nötig, alles in einem größeren Rahmen zu sehen.
    Nur muss man dann vorhin nicht großmundig ein Zurück zum Thema anmahnen.
    Von Begriffen wie Politischer Korrektheit und Multikulti, von Grünen und anderen Zeitgenossen war hier nicht die Rede (auch hier würde etwas Befassung nicht schaden, ehe man mit gewissen eindeutig definierten Begriffen um sich wirft). Der Verweise auf Purifikations- und Simplifizerungstendenzen ist interessant und wohl zutreffend, allein hier geht es um etwas ganz anderes - der Eichstätter Dom ist ja schließlich nicht entstuckt, übermalt oder vereinfacht worden - nämlich um etwas spezifisch Katholisches: um die Heilige Kuh des Zweiten Vatikanischen Konzils, den Volksaltar. Die damit verbundene Hysterie, die letztlich in diese Scheußlichkeit mündet, kann man nur verstehen, wenn man sich mit den Befindlichkeiten dieser Kirche befasst hat.
    Eine tiefe Unsicherheit hat die Konzilsanbeter erfasst: Benedikt hat die tridentische Messe wieder ermöglicht, und wo sie (selten genug) angeboten wird, sprechen die Besucherzahlen Bände, während der Konzilskirche nach die vor die Leute in Scharen davonlaufen. Das verhärtet und führt dazu, dass man es den Leuten noch einmal so richtig zeigen will.
    Das hier erörterte architektonische Problem liegt im Wesen des Volksaltares an sich, der die alten Hochaltäre mehr oder weniger obsolet erscheinen lässt und die überkommene Kirchenarchitektur als Ganzes in Frage stellt. Die Frage des Standorts der Kult-oder Opferstätte ist schließlich keine belanglose. Diesem Problem zu begegnen wurde auf verschiedene Art versucht. In der Diözese Linz wurden ganze gotische Kirchenräume sozusagen auf "Zentralraum" umgekrempelt, also verhunzt, entstellt, zerstört. In den Sakralräumen der großen, bedeutenden Dome hat man derartiges bisher nicht gewagt, hier versuchte man, das problem dezent zu kaschieren. Davon ist man jetzt zu Eichstätt abgewichen. Man wird sehen, ob das ein Einzelfall bleibt.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.