Rettung deutscher Altstädte - Maßnahmen und Perspektiven - Erfolgsbeispiele

  • Unsere Klein- und Mittelstädte haben eine Perspektive.
    Mindestens jene, die noch über halbwegs attraktives Erbe und eine reizvolle Lage verfügen.
    Aber auch die weniger attraktiven müssen nicht aufgeben, haben (noch!) viele Möglichkeiten.

    Hier sammeln wir Maßnahmen und Perspektiven gegen den demografischen Niedergang, Abrisse und das Vergessen. Für eine strahlende Zukunft!

    Die vorhanenden Themenstränge zu Gentrifizierung, Stadtumbau, Dorfsterben und demografischem Wandel schienen mir allesamt unpassend, da ich hier positive Beispiele sammeln und Erfolgsmethoden diskutieren möchte.

    Da dies eine gesamteuropäische (im Grunde globale) Fragestellung ist, sind hier Beispiele und Ansätze aus aller Welt willkommen.

  • Ein prominenter "Leuchtturm" für die von mir gewünschte Richtung ist die Kleinstadt Wanfried im äußersten Osten von Hessen, an der Grenze zu Thüringen.


    Rathaus von Wanfried und Hotel "Zum Schwan". Quelle: Jürgen Katzer, Wikimedia Commons, CC-BY SA 3.0

    Ich fasse einmal kurz zusammen:

    • Wanfried war kurzzeitig ein Gewinner der Wende, bedingt durch fehlende Arbeitsplätze, Größe und Lage aber schnell auf der Verliererseite
    • engagierte Bürger vor Ort waren der Schlüssel zur Rettung der Altstadt: sie haben die Bürgergruppe Wanfried gegründet und Altbauten auf Immobilienportalen angeboten - und standen mit Rat & Tat für Fachwerksanierungen zur Seite
    • Ausländer wie auch Ruheständler wurden aufmerksam, brachten neues Leben, der Ort blüht auf
    • dadurch angesteckt begannen die "Alteingesessenen" zu sanieren - Domino-Effekt
    • das Gemeinschaftsgefühl wird durch die enge Zusammenarbeit von Verwaltung & Bürgern gestärkt, ein entscheidender Erfolgsfaktor
    • 2011 zogen erstmals wieder mehr Menschen zu als weg
    • „Es ist besser, kleine Schritte zu gehen, anstatt auf einen Investor zu warten, der die große Wende bringen soll, denn dann wartet man im Zweifelsfall ewig“ (Birgit Franz, Denkmalpflegespezialistin)

    Artikel-Exzerpt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

    Stadtflucht
    Plötzlich kommen die Großstädter nach Wanfried

    31.03.2014 · FAZ
    Wanfried ist vielen ein Rätsel. Die Stadt in Osthessen verliert Einwohner, bringt aber mit Erfolg Fachwerkhäuser auf den Markt. Wie schafft sie das?

    Insgesamt 240 schrumpfende Städte und Kreise in Deutschland hat das IW Köln gezählt.
    Auch für Wanfried geht es seit Mitte der neunziger Jahre bergab. Nach einer kurzen Wachstumsphase nach dem Fall der innerdeutschen Grenze zogen die Menschen in Scharen davon. 2006 zählte die Stadt 4366 Einwohner - 600 weniger als elf Jahre zuvor. Damals standen allein in der Altstadt 21 Fachwerkhäuser ohne Aussicht auf neue Bewohner leer. Da beschlossen einige Wanfrieder, eine Bürgergruppe zu gründen und sich auf die Suche nach Käufern zu machen.

    Maßgeblich geholfen haben ihnen zunächst zwei Urlauber aus Holland, die begeistert von der Natur wie von den Fachwerkhäusern waren und anregten, diese auf einem niederländischen Internetportal zum Kauf anzubieten. Die Aktion hatte solchen Erfolg, dass Wanfried damit bald schon für Schlagzeilen sorgte.

    Fünf Jahre später sind es nicht nur Niederländer, sondern auch Käufer aus den westdeutschen Ballungszentren, die im einstigen Zonenrandgebiet auf Haussuche gehen - sei es für die Ferien oder wie die Pagels, weil sie einen Ort suchen, an dem sie alt werden wollen. Am Leben in der Provinz reizen nicht nur die niedrigeren Lebenshaltungskosten. Hier ist das Tempo langsamer, das empfinden sie als wohltuend.
    Die Bürgergruppe hat mittlerweile immerhin 40 Häuser vermittelt. „Den Neubau haben wir hinten angestellt, wir konzentrieren uns auf die Leerstandsbekämpfung“, sagt der Bürgermeister. Das bedeutet in manchen Fällen auch, Erben aufzuspüren und sie vom Verkauf zu überzeugen - oft zu einem Preis weit unter dem Buchwert.

    Hier fühlen wir uns nicht nur willkommen, wir bekommen auch die Unterstützung, ohne die wir als Laien so ein Vorhaben (die Sanierung eines historischen Fachwerkhauses) gar nicht gewagt hätten.“ Die Mitglieder der Bürgergruppe erklären Interessenten, wie man ein Fachwerkhaus modernisiert und behutsam, aber effizient energetisch saniert, welche Baustoffe in Frage kommen, welche Schwierigkeiten es gibt und welche Lösungen.

    Weiter/kompletter Artikel der FAZ: http://www.faz.net/aktuell/wirtsc…r-12870377.html


    Altstadtkern von Wanfried, weitgehend saniert, 2012. Quelle: Jürgen Katzer, Wikimedia Commons, CC-BY SA 3.0

  • Ich hab das für einen Witz gehalten. Aber tatsächlich gibt es dieses Wanfried.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Von Wanfried habe ich bisher auch noch nichts gehört. Es ist aber ein sehr schönes Beispiel!
    Hinzufügen möchte ich die Altstadt Idstein. Für Bewegung sorgt dort die Bürgerinitiative Idstein "Meine Altstadt".
    Vielleicht hat die Stadt ähnliche Chancen wie Wanfried:)

  • Ergänzend sei noch die clevere Idee beigefügt, dass die Initiatoren in Wanfried renovierungsbedürftige Altbauten auf niederländischen Immobilienplattformen angeboten haben und so eine Reihe von niederländischen Ruheständlern angelockt haben, die kräftig in die Sanierung der Altbauten investiert haben.

    ...

  • Bericht über ein Unternehmen, dass sich mit der Sanierung von Fachwerkhäusern, insbesondere auch historischer Mühlen, beschäftigt:

    http://www.mittelhessen.de/hessen-welt/wi…rid,599973.html

    Ich konnte mal eines der sanierten Gebäude bei einem Tag der offenen Tür besichtigen. Bei diesem war sehr viel Wert auf die Erhaltung der Substanz, gerade auch in den Details, wie Fenster, Türen und Ähnlichem gelegt worden. :daumenoben:

    Einmal editiert, zuletzt von Andreas (2. Dezember 2015 um 15:27)

  • Solche Fachbetriebe gibt es viel zu selten, sonst würde es nicht so oft passieren, dass dem Hauseigentümer eine denkmalgerechte Sanierung nicht mehr zugemutet werden kann. Aber kreative Ideen abseits der einfachen Lösungen scheinen in der heutigen Zeit einfach nicht mehr so populär zu sein, umso schöner, wenn es Personen gibt, die damit dennoch Erfolg haben.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Gibt es außerhalb von bürgerlichen Initiativen auch bekannte öffentliche Projekte, bei denen die jeweilige Stadt beschlossen hat im großen Stil Fachwerkhäuser zu fördern ? Bzw. wo die Freilegung von Fachwerk finanziell gefördert wurde und dies auch sehr gut angenommen worden ist ?

  • Wanfried zeigt ja exemplarisch, dass es ausgesprochen hilfreich sein kann, die eigenen Stärken einfach gut auf Immobilienportalen zu verkaufen. Vielleicht gibt es weitere solcher Beispiele?

    Kampf gegen den Leerstand: Wie Wanfried Niederländer und Stadtmenschen für sich gewinnt


    Hier gibt es übrigens ein Immobilienportal nur für Kleinstädte, richtig klasse:

    Spezialportal für Immobilien in Kleinstädten: kleinstadt-immo.de

  • Anklam, die historische kleine Hansestadt in Vorpommern südöstlich vor der Insel Usedom, ist in vielerlei Hinsicht ein Vorbild für erfolgreichen Stadtumbau im Sinne eines attraktiveren Stadtbildes.

    Dort hat man in den vergangenen Jahren mehrere Plattenbauten im Zentrum abgerissen und durch kleinteiligere, altstadtgerechte Bauten ersetzt. Und das mit sehr begrenzten Mitteln. Die Aufwertung hat eine Aufwärtsspirale für den Ort ausgelöst!

    Hier eine tolle übersichtliche Seite dazu: https://anklam-baut.de/