Istanbul - Konstantinopel

  • Hier muss ich Dir Unrecht geben, lieber tegula : jeder wahrhaft Gläubige ist davon überzeugt, dass sein Glaube der wahre und die anderen falsch sind. Paradoxerweise sind aber die wahren Gläubigen die tolerantesten: denn sie wissen ja, dass die Wahrheit sich schließlich durchsetzen wird. Während die im Herzen Zweifelnden, um ihre Zweifel zu übertönen, besonders intolerant gegenüber anderen sind. Eben deswegen fällt es mir überhaupt nicht schwer, mit Gläubigen anderer Religionen Freundschaft zu pflegen...

  • Mir ist das völlig wurscht mit wem ich Freundschaften pflege - das hängt weder vom Glauben noch von politischer Einstellung ab. Nur wenn man mir mittels anderer Einstellungen persönlich in die Suppe spuckt, werd ich verdammt grantig. Wenn ein Muselmann beschließt meine Kirche in eine Moschee umzuverwandeln, ist das ein Eingriff in meine Privatsphäre und meiner Kultur und da werd ich krötig.

    Die Hagia Sophia als historischen Ort und Museum - ja, da konnten alle Seiten mit klarkommen. Nun wird sie politisch islamisiert, was für alle Christen dieser Welt einen gewaltigen Schlag ins Gesicht bedeutet.

    Ich hoffe und bete, daß sich die Orthodoxen der Welt hier zur Wehr setzen können.

  • Nur wenn man mir mittels anderer Einstellungen persönlich in die Suppe spuckt, werd ich verdammt grantig. Wenn ein Muselmann beschließt meine Kirche in eine Moschee umzuverwandeln, ist das ein Eingriff in meine Privatsphäre und meiner Kultur und da werd ich krötig.

    Es ist nicht deine Kirche und es ist schon gar nicht ein Eingriff in deine Privatsphäre. Die Hagia Sophia beherbergt nicht deine Privatgemächer. Vielleicht sollte man mal die Kirche im Dorf lassen. Etwas mehr Abstand und etwas weniger Erregung würde der Sache gut tun. Persönlich können wir es nehmen, wenn Erdogan die Kirche in unserem Dorf sprengt.

    Gleichwohl ist die Umwandlung von Museen in islamische Gotteshäuser ein besorgniserregender Akt und man darf zurecht besorgt sein um die dortigen Kulturschätze.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • jeder wahrhaft Gläubige ist davon überzeugt, dass sein Glaube der wahre und die anderen falsch sind. Paradoxerweise sind aber die wahren Gläubigen die tolerantesten: denn sie wissen ja, dass die Wahrheit sich schließlich durchsetzen wird.

    Das mag für die per se intoleranten monotheistischen Religionen so sein. Im Heidentum konnte jeder den Gott verehren, der ihm zusagte. Er konnte jedem Kult nachgehen, ohne dass er eine Wahr-Falsch-Hierarchie aufstellte. Erwies sich ein Gott für sein Vorhaben als untauglich, dann stand es einem frei, es mit der Verehrung eines anderen Gottes zu versuchen. Selbst dem Christentum gegenüber war man an sich tolerant. Der Konflikt entstand nur dadurch, dass das Christentum nicht die kaiserlichen Staatsrituale mitzutragen bereit war, was unmittelbar die Staatsräson betraf (etwa so, als wenn man heute das Grundgesetz ablehnen würde. Oder - vermutlich noch treffender - bestimmte Vorgänge der jüngeren Historie leugnen und sich deren Ritualen verweigern würde).

    Insofern sind eben eigentlich jene die Tolerantesten, die nicht in solchen Kategorien der letzten Wahrheit denken, sondern sich bewusst sind, dass viele Wege den Zugang zur spirituellen Welt ermöglichen.

  • Das mag für die per se intoleranten monotheistischen Religionen so sein

    Von der Richtigkeit eines Glaubens oder einer Auffassung überzeugt zu sein, heißt ja nicht intolerant gegenüber anderen Meinungen zu sein.

    Im Heidentum konnte jeder den Gott verehren, der ihm zusagte. Er konnte jedem Kult nachgehen, ohne dass er eine Wahr-Falsch-Hierarchie aufstellte.

    Aber eben nur solange man sich innerhalb dieser Religion bewegte, nämlich der Auffassung das es ohnehin eine Vielzahl von Göttern gebe, von denen man eben irgendeiner, je ach belieben verehren können. Dies steht aber dem christlichen Gottesbegriff entgegen und die damit einhergehende Verweigerung bestimmter Rituale, war es die dann von den Anhängern der römischen Religion doch nicht akzeptiert wurde.

    Oder - vermutlich noch treffender - bestimmte Vorgänge der jüngeren Historie leugnen

    Die Christen im römischen haben keine Vorgänge der seinerzeit jüngeren Geschichte geleugnet. Der Vergleich ist einfach Unsinn.

  • Mir ist schon klar, dass bei dem Thema sofort die verinnerlichten Abwehrreflexe kommen. Dennoch ist der Vergleich, der keine Gleichsetzung ist, kein Unsinn. Staaten haben bisweilen eine Art eigenen "religiösen" Kern, der die Stabilität des staatlichen Herrschaftsstrukturen garantiert.

    Ich zitiere mal im römischen Fall der Einfachheit halber "Wikipedia": "Seit seinem Tod wurden die meisten verstorbenen Kaiser konsekriert, also rituell als Numina der staatlichen Macht und Schutzgötter des Reiches verehrt. Zusätzlich zum Staatskult der Republik war nun auch die Person des Kaisers selbst mit der göttlichen Aufgabe als Heilsbringer für den römischen Staat beauftragt. Dadurch etablierte sich auch neben den Opfergaben an die bisherigen Götter das sakrale Opfer an den Kaiser. Somit wurden Teilnahme an religiösen Festen, Anbetung der Götter und des Kaisers sowie der Verzehr des Opferfleischs zu wesentlichen Elementen des Lebens als guter römischer Staatsbürger. Jeder, der sich diesen Kulten entzog, erschien den Römern höchst suspekt, da er in ihren Augen den pax deorum, den Frieden mit den Göttern, bedrohte und damit das öffentliche Wohl gefährdete. Christliche Autoren begründeten damit die Verfolgungen, denen sie ausgesetzt waren:"

    Den in fett hervorgehobenen Satz könnte man heute damit vergleichen, wenn sich eine Gruppe konsequent den hiesigen Ritualen verweigern würde, die im Umgang mit der jüngeren Vergangenheit eingeführt worden sind. Sie würde als suspekt betrachtet werden, der Gefährdung des inneren und äußeren Friedens sowie des öffentlichen Wohls bezichtigt werden. Das ist der Vergleich. Den ich jetzt nicht so vertieft hätte, wenn "Andreas" nicht umgehend - wie es der brave BRD-Bürger wohl so automatisch macht - von "Unsinn", und letztlich "Unvergleichbarkeit", angefangen hätte.

    Aber eben nur solange man sich innerhalb dieser Religion bewegte, nämlich der Auffassung das es ohnehin eine Vielzahl von Göttern gebe, von denen man eben irgendeiner, je ach belieben verehren können. Dies steht aber dem christlichen Gottesbegriff entgegen

    Ja und? Klar, es gab im Heidentum keinen letzten Wahrheitsbegriff und man bewegte sich innerhalb einer polytheistischen Welt. Dass steht der monotheistischen (in diesem Fall christlichen) Auffassung entgegen. Nichts anders habe ich geschrieben.

    Bloß, die Heiden hätten die Christen ihren Gott verehren lassen, wenn sie denn die kaiserlichen Staatsrituale zumindest pro forma mitgemacht hätten. Die Christen aber haben den Heiden nicht ihren Glauben gelassen, sondern die Tempel zerstört und in den folgenden Jahrhunderten zahlreiche "Ketzer" drangsaliert oder umgebracht. Das ist eben der Unterschied.

    Und heute bekommen sie die Rechnung mit Jahrhunderten Verspätung eben in Form ihrer jüngeren und vitaleren islamischen Brüder zurück. Bloß, das ist das lustige, sie merken es nicht einmal, weil sie mittlerweile von der Vorstellung der ummittelbar bevorstehenden Weltverbrüderung verblendet sind.

    Da stehe ich an der Seitenlinie und bin auch in diesem kleinen Fall (und einigen anderen; Zeitungssterben, Mitgliederabnahme auch bei politischen Organisationen usw.) köstlich amüsiert über die aktuelle Entwicklung.

    Gleichwohl eben mit einem schalen Gefühl.

    Denn, erstens, das Christentum ist eben noch in der mitmenschlichen Ethik verwurzelt in dieser Gesellschaft. Und durch die Ermattung des Christentums ergaben sich eben auch für Andersreligiöse (Heiden, "Ketzer", östlich-Spirituelle) neue Entfaltungsmöglichkeiten. Wenn das aber nun durch eine Ethik der Gewalt, Ehre und Unterwerfung ersetzt wird, wird das hiesige Leben nicht unbedingt gemütlicher. Ich habe aber nicht mehr so lange hier, insofern bekomme ich wohl noch halbwegs rechtzeitig die Kurve. Zudem bin ich ein Mann, trinke so gut wie kein Alkohol und esse gerne Geflügel oder Fisch (es muss also kein Schwein sein). Insofern bin ich minderbetroffen.

    Zweitens, und damit sind wir wieder beim Thema, tut es mir um die Kirchen als Teile unserer baulichen Kulturlandschaft leid. Aber, es ist wohl unabwendbar, dass die meisten fallen werden. Rettung ist nur durch Umnutzung zu erwarten, was bei Kirchengebäuden nicht einfach ist, somit nur durch massive innere bauliche Umgestaltungen möglich. Konzerthallen sind ja derzeit auch wegen Corona nicht so gefragt (und man wird sehen, wie das in Zukunft läuft), Turnhallen und Kaufhallen gibt es schon viele. Am einfachsten wäre da eben eine Umnutzung zur Moschee, was sehr große Umbauten nicht nötig machen würde. Das mögen nicht nur Christen bedauern, aber das ist die objektive Entwicklung.

  • Mir ist schon klar, dass bei dem Thema sofort die verinnerlichten Abwehrreflexe kommen.

    ...und mir war auch klar, dass darauf mal wieder fundamentale Kulturkritik kommt.:wink:

    Ich hätte auch nichts geschrieben, wenn Du Heimdall, es nicht gleich so hoch angehängt hättest.

    Aber zum ursprünglichen Thema zu kommen. Im Fall Hagia Sophie geht es nicht darum alle Kirchen oder auch nur die der Kirchengemeinde in der Onkel Henry aktiv ist, in eine Moschee umzuwandeln. Hier soll ein über Jahrhunderte als Moschee dienendes Gebäude, dass von einer religionskritischen Regierung profaniert wurde (und mit Sicherheit nicht, weil Atatürk die byzantinische Kultur in der Türkei hochhalten wollte), nunmehr wieder als solche genutzt werden. Das ist, soweit der Schutz der Kunstwerke gesichert ist, aus meiner Sicht nicht zu beanstanden.

    Wenn in diesem Zusammenhang etwas zu kritisieren ist, dann der Nationalismus und nicht die Religion.

  • Wenn in diesem Zusammenhang etwas zu kritisieren ist, dann der Nationalismus und nicht die Religion.

    Aber gerade Atatürk war ja Nationalist und hat das Gebäude zum Museum gemacht, somit zu einem Ort des aus vorislamischer Zeit übernommenen nationalen Kulturerbes. Die Umwandlung in eine Moschee hat hingegen mit Religion zu tun. Das kann man aber auch anders sehen.

    Zwar geht es bei der Hagia Sophia nicht um alle Kirchen. Aber einige sehen eben das Schicksal der Hagia Sophia auch auf viele hiesige Kirchen zukommen. Von diesen bedauern das einige, andere sehen es eher nüchtern als zwangsläufige Folge von Entwicklungen, die die Kirche zu fördern mitgeholfen hat. In vielfacher Weise.

    Deshalb haben einige Diskutanten den Fokus von der Hagia Sophia auf andere christliche Objekte erweitert.

  • Aber einige sehen eben das Schicksal der Hagia Sophia auch auf viele hiesige Kirchen zukommen.

    Ich halte diese Angst für unbegründet, ja geradezu irrational, wenn nicht sogar hysterisch.

    Wir haben in Deutschland rund 50.000 Kirchen. Wie viele davon sind in eine Moschee verwandelt worden? Und wie viele davon sind dem Willen der christlichen Gemeinde zum Trotz dazu gemacht worden? Und nachdem diese Frage seriös beantwortet wurde, können wir ja nochmal über die Angst reden.

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  • Eine

    Ich komme laut Wikipedia sogar auf vier: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von…iligt%C3%BCmern

    Mein Angstpegel wäre aber auch bei der 10fachen Anzahl nicht messbar. Was in der Türkei passiert, ist nicht auf Deutschland und auch nicht auf den Rest Europas übertragbar.

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  • Ich komme laut Wikipedia sogar auf vier:

    Stimmt wohl, mir war nur der eine bekannt. Seitdem ist man sowohl in den Evangelischen Landeskirchen, als auch in den katholischen Bistümer der Meinung gewesen, Verkäufe an Islamische Glaubensgeminschaften/Vereine nicht mehr vorzunehmen. Das Thema ist allerdings innerkirchlich durchaus in der Diskussion.

  • Lustigerweise wissen die Neuheiden immer genau, wie tolerant und großartig das Alte Heidentum war - obwohl es überhaupt keine Traditionslinie gibt, die das vorchristliche mit dem postchristlichen Heidentum verbindet (zumindest in Europa). Es fragt sich dann allerdings, warum dieses naturnahe, tolerante, friedliche Postkartenidyll von Heidentum so mir nichts, dir nichts vom Christentum abgelöst werden konnte. Die meisten Heiden (ich spreche jetzt von der Antike, nicht vom Frühmittelalter) hatten wenig Nostalgie, ihren alten Göttern Lebewohl zu sagen, und fühlten sich im Christentum gut aufgehoben. War vielleicht doch nicht so toll, das Heidentum...

    Ich sage das übrigens als jemand, der mit einem Neuheiden gut befreundet ist, mit ihm auch über Religion hervorragend diskutieren kann und mit dem er schon mehrfach eine Fürbittgemeinschaft hatte - jeder zu seinem Gott, in der Gewissheit, dass die Post schon an den richtigen Adressaten weitergeleitet wird. Dieser Heide bekommt allerdings auch keine Schnappatmung, wenn er einen Muslim sieht. Man kann eben nichts verallgemeinern...

  • Es gibt -wie weiter oben bereits für die Türkei ausgeführt- auch in islamischen Ländern nun einen massiven Trend zur Säkularisierung. Die Maßnahmen Erdogans sind typische Symbolpolitik für seine Klientel, eher als Zeichen der Schwäche denn als echte Bedrohung anzusehen. Allein in den letzten 10 Jahren ist die Türkei trotz (oder gerade wegen?) der Bemühungen Erdogans, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, in großen Schritten säkularer geworden, ich hatte weiter oben entsprechende Links geliefert.

    Der gleiche Vorgang hat (als noch zartes Pflänzchen) nun auch die arabische Welt erreicht:

    Link zur Studie des Arab Barometer Research Network und der BBC

    V.a. junge Leute wenden sich in durchaus beeindruckender Geschwindigkeit ab vom Islam.

    Auch bei den in Deutschland lebenden Muslimen gibt es einen starken Trend zur Säkularisierung:

    Link zum Cicero

    All dies sind vollkommen logische Entwicklungen, die aus meiner Sicht unaufhaltsam sind, der konservative/wahhabitische Islam ist bereits eine Reaktion auf die drohende "erste" Säkularisierung in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen, der nun zunehmend die Puste ausgeht. Ich bin extrem unglücklich mit Erdogans Verhalten in Bezug auf die Hagia Sophia und andere (ehemalige) Kirchen. Sie sind jedoch eher Ausdruck von Hilflosigkeit als von Stärke. Hieraus auf eine irgendwie geartete Bedrohung Deutschlands oder des Abendlandes durch den Islam zu schließen, wie hier wieder verbreitet geschehen, ist hanebüchen. Die Fertilität muslimischer Einwanderinnen ist nur in der ersten Generation signifikant höher, bereits die zweite Generation hat eine kaum noch von Herkunftsdeutschen unterscheidbare Fertilität, der ganze Quatsch mit den "Bäuchen als Waffe" usw. von dem hier ebenfalls weiter oben die Rede war, ist genauso paranoid und entspricht lediglich den Fieberträumen einiger weniger radikaler Religionsführer und Politiker aus islamischen Ländern als der Realität, wenngleich sie natürlich nur allzu gerne von unseren Kulturpessimisten aufgegriffen werden.

  • Es gibt -wie weiter oben bereits für die Türkei ausgeführt- auch in islamischen Ländern nun einen massiven Trend zur Säkularisierung. ... Auch bei den in Deutschland lebenden Muslimen gibt es einen starken Trend zur Säkularisierung:

    Link zum Cicero

    Da liegt der Cicero leider ziemlich schief. Da war wohl eher der Wunsch Vater des Gedankens. Wahr ist leider das Gegenteil, eine islamische Reformation-Aufklärung-Säkularisierung schreitet allenfalls im Schneckentempo voran. Und auch die Muslime in Europa werden zunehmend religiöser und fundamentalistischer in der Glaubensauslegung, das gilt insbesondere für die dritte und vierte Generation. Ein Reformer und Islamkritiker wie Hamed Abdel-Samad hingegen muss um sein Leben fürchten und hat nur eine kleine Schaar von aufgeklärten Menschen im Hintergrund, die seine Meinung teilen. Der Migrationsforscher Ruud Kopmans hat sich sehr detailliert mit der Problematik des islamischen Fundamentalismus beschäftigt, daher empfehle ich allen Blauäugigen wärmstens diese beiden Links:

    https://www.3sat.de/wissen/nano/ni…r-welt-100.html

    https://www.nzz.ch/feuilleton/die…-aus-ld.1563988

    Hinzu kommt dass der Westen zunehmend weniger bereit ist seine Werteordnung gegenüber dem Islamismus selbstbewusst zu verteidigen. Ein trauriges Beispiel für die freiwillige Unterwerfung bietet uns gegenwärtig wieder mal die ergrünt-vergenderte Evangelische Kirche.

  • Wir werden bei diesem Punkt nicht zusammenkommen. Viele Muslime in Deutschland haben sich innerlich bereits vom Glauben abgewandt und sind in etwa so muslimisch, wie der durchschnittliche Sachse noch Christ ist, weil er Weihnachten feiert. Es gibt eine kleine, sehr laute Minderheit, die die Schlagzeilen beherrscht, die meisten und v.a. jüngere Muslime feiern noch die Feste, beten aber kaum noch und sind sozusagen "Papiermuslime". Aufgrund des noch höheren sozialen Drucks in Gemeinschaften aus muslimischen Ländern sind viele Menschen noch nicht bereit, zu sagen, sie seien keine praktizierenden Muslime mehr, auch wenn sie es de facto sind, es ist ein innerer Rückzug, wie man ihn in sehr katholischen Gegenden nach dem Kriege erlebt hat, aufgrund des sozialen Drucks in Dorfgemeinschaften geht man noch in die Kirche am Sonntag, aber innerlich hat man sich weitgehend abgewandt - wir unterliegen also auch mit den typischen Befragungen (deren Wert hier bei anderen Themen ja ohnehin sehr gerne angezweifelt wird ;)) einer Bias in Richtung der "sozialen Erwünschtheit".

    Hier noch ein aufschlussreiches Interview mit dem Religionswissenschaftler Michael Blume zum Thema:

    Massive Säkularisierung unter Muslimen in Deutschland - Link zur Deutschen Welle

    Wir müssen uns hier wie gesagt gar nicht einig werden, es gehört ja hier eigentlich auch nicht hin - ich kann nur auf eine ausgewogene Darstellung des Themas dringen. Das Thema ist wesentlich komplexer, als es ein Link zur immer alarmistischen NZZ suggerieren würde. De facto findet eine massive Säkularisierung der Muslime auf der ganzen Welt statt und diese Entwicklung wird sich mit der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung weiter verschärfen. Das ist natürlich kein Appell dazu, den radikalen Islam aus den Augen zu lassen oder allzu nachgiebig gegenüber absurden religiösen Forderungen aus Teilen der islamischen Community zu sein. Man sollte aber niemals aus den Augen verlieren, dass bereits heute ein Großteil der jungen Muslime in Deutschland mit dem heutigen Islam nicht mehr viel am Hut hat.

  • ...und selbst die frommen Muslime, die ich kenne - die meisten davon in den letzten fünf Jahren aus Syrien eingewandert - gehen selten bis niemals in die Moschee, da sie sich in deutschen Moscheen fremd fühlen. Die heimatliche Volksfrömmigkeit gilt den Salafisten und Wahhabiten nämlich als Aberglaube - ähnlich wie in vergangenen Zeiten die katholische Volksfrömmigkeit von "aufgeklärten" Christen geschmäht wurde.

    Auch das gehört nämlich zur Wahrheit - der fundamentalistische, intolerante Islam findet seine nächste Parallele im reformierten Christentum, das vergleichsweise spät auf die Bühne trat, aber mit besserwisserischer Geste zu einem imaginierten Urchristentum zurückwollte und das gewachsene Christentum als Aberglaube abtat. Und wie das Christentum im 19. Jh. ist der fundamentalistische Islam in weiten Teilen zu einer verbürgerlichten Schau-Religion erstarrt, in der Äußerlichkeiten wichtiger sind als innere Überzeugung ("unterm Dach kann man Alkohol trinken, weil Allah es dann nicht sieht"). Die nächste Stufe ist dann die nahezu völlige Bedeutungslosigkeit, die mit einer anbiedernden Nähe zur Politik wettgemacht zu werden versucht wird.

    Am deutlichsten ist dieser Säkularisierungsprozess übrigens in der "Islamischen Republik" Iran gediehen, in dem der öffentliche, strenge Islam der Ayatollahs von der Jugend privat kaum noch befolgt wird.

  • Um aber auch noch etwas zum Thema beizutragen: den Skandal sehe ich eher darin, dass - in der Chora-Kirche mehr noch als in der Hagia Sophia - Fresken und Mosaike, die in den vergangenen Jahren für viel ausländisches Geld restauriert und gesichert wurden, nun mehr oder weniger dauerhaft den Blicken der Besucher entzogen sein werden. Da in Istanbul nun auch keine Knappheit an Moscheen herrscht, stellt sich die Frage, was der objektive Nutzen der Rückumwandlung in Moscheen sein soll.

  • Na, wenn dieses Zuhängen (das auch wieder jederzeit, wenn die allgemeine Säkularisierung um sich greift, verändert werden kann) das einzige Problem ist, während sich sonst alles zum Guten entwickelt, dann brauchen wir uns doch nicht die Köpfe heiß diskutieren. Alles wird gut und sich in Wohlgefallen auflösen.

    P.S.: Falls das irgendwie auf mich gemünzt gewesen sein sollte. Schnappatmung bezüglich Muslimen habe ich gar keine. Ganz im Gegenteil. Ich selbst bin völlig relaxed. Ich schaue mir das mit Interesse aus der Seitenauslinie an. Andere sollten sich Sorgen machen. Wenn sie es nicht machen, ist das aber auch nicht mein Problem.

  • Lustigerweise wissen die Neuheiden immer genau, wie tolerant und großartig das Alte Heidentum war - obwohl es überhaupt keine Traditionslinie gibt, die das vorchristliche mit dem postchristlichen Heidentum verbindet (zumindest in Europa). Es fragt sich dann allerdings, warum dieses naturnahe, tolerante, friedliche Postkartenidyll von Heidentum so mir nichts, dir nichts vom Christentum abgelöst werden konnte.

    Neuheiden ist ein sehr globaler Begriff, zu jener Gruppierung zählt so fast alles was sich der Vorchristlichen Mythologie bedient und es je nach Gefallen für sich verwendet. Hier hast Du über Paganismus, Odinismus, Asatru fast alle möglichen Richtungen vertreten. Aber selbst im traditionellen germanischen Heidentum gab es regionale Unterschiede und nicht immer Einigkeit. Während in den einen Stämmen Wotan/Odin als die oberste Gottheit angesehen wurde, waren es bei anderen hingegen Donner/Thor - bei den Kelten gar Luke/Loki.

    Läßt man allerdings mal das erste Gebot beiseite, so sind die Rituale der germanischen Stämme denen der römisch katholischen gar nicht mal so unähnlich.

    Snorri Sturloson, ein isländischer und zum christlichen Glauben konvertierter Gelehrter und Dichter, verfaßte um 1220 n.Chr. die Prosaedda, welche die "heidnischen Bräuche" vor dem Vergessen bewahrten. Hier deckt sich auch viel mit der hellenistischen Mythologie der Römer.

    Aber vergleichen wir doch mal eine Sache zwischen der germanischen Mythologie und des Christentums:

    In der germanischen Mythologie kommt die Gottheit Baldur durch einen Mistelstab des blinden Hödurs ums Leben, dank des Hasses und der List welche Loki gegen Baldur hegte. Etwas ganz ähnliches widerfuhr doch Jesus Christus - gestorben ist er durch den (geistig) blinden Pontus Pilatus, seinen Tod verursacht haben allerdings von Hass zerfressenden Menschen welche ihn auf niederträchtigste Art und Weise ans Kreuz lieferten. Und so finden sich noch so einige Parallelen.

    Aber gut, ich schwafel hier rum und sollte vielleicht auch mal auf den Punkt kommen - Die alten Religionen waren dem jüdisch-christlichem nicht so völlig unähnlich, irgendwo gibt es da auch einen gemeinsamen Kern.

    Jedoch gab es im Laufe der Zeit Sektierungen, welche sich mit feindseliger Absicht von den alten Religionen abspalteten und ihren "neuen Glauben" mit Gewalt verkündeten. Die Hagia Sophia wurde von den Osmanen mit Gewalt und Säbeln erobert- mit den abgeschlagenen Köpfen kleiner Kinder löschte man zum Hohn auch noch die Kerzen :crying: