• Ich bin heute nach langer Zeit mal wieder durch Zeitz gefahren. Es ist wirklich ernüchternd. Wie eine Zeitreise in die frühen 90er, aber ohne die Aufbruchstimmung. Gefühlt steht jeder zweite Altbau leer. Da blutet einem richtig das Herz. Prächtige Jugenstilmietshäuser, Villen und ja sogar eine Kirche (Nikolaikirche) zerfallen so vor sich hin, dass man nicht die Hoffnung auf Besserung hat. Selbst in der unmittelbaren Altstadt (Rahnestraße) stehen trotz der schon zahlreichen Abbrüche ganze Straßenzüge leer. Unbegreiflich sowas.
    Hier hat die Stadtpolitik völlig versagt. Deindustrialisierung und Bevölkerungsschwund hin oder her, wie kann sowas sein? Wir waren am selben Tag noch kurz in Naumburg und Freyburg. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Beileibe auch nicht alles perfekt. Aber eine derartige Verwahrlosung wie sie in Zeitz bisweilen herrscht, sieht man dort keinesfalls.

  • dazu (schon vom letzten Jahr):

    Zitat von Dlf

    Zeitz in Sachsen-Anhalt
    Fast schon eine Geisterstadt

    Immer mehr junge Menschen ziehen aus Zeitz im Burgenlandkreis weg, viele Häuser stehen bereits leer und verfallen. Außerdem fehlen Arbeitgeber, Zuzug gibt es gar nicht – ein schwer aufzuhaltender Kreislauf. In der benachbarten Stadt Naumburg hat man hingegen eine Lösung gefunden.
    Von Christoph Richter


    [...]
    „Wenn Sie da durch gehen, kriegen Sie Angst.“

    Zeitz, das sei heute die Bronx Sachsen-Anhalts. Und: Er weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll, sagt Dieter noch. Knapp 30 Prozent der Häuser stehen leer. Sieht aus wie nach einem Bombenschlag. Während die Mieten im nur 40 Kilometer entfernten Leipzig rasant steigen, bekommt man in Zeitz eine 100 Quadratmeter große Gründerzeit-Wohnung zu einem Kaufpreis von 8.000 Euro, und das ist jetzt kein Versprecher.
    [...]

    https://www.deutschlandfunk.de/zeitz-in-sachs…ticle_id=396104

  • 100m2 für 8000 Euro... mein antizyklisches Investoren-Herz sagt mir, dass man in Immobilien in Zeitz investieren sollte. Der Kreis der attraktiven Orte um Leipzig wird schließlich auch immer größer. Und hier ist ja großartiges Potenzial vorhanden. Wir haben schon so oft erlebt, dass eine abgeschriebene und verwahrloste Stadt den kompletten Turnaround schafft. Was wurde damals nicht alles z.b. über Görlitz gesagt...

  • Ohne Worte:

    Externer Inhalt youtu.be
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

  • Minute 1:19:

    "Großes Problem ist, dass die großen Filialisten alle draußen auf der grünen Wiese sind."

    Für das Problem der Discounter am Stadtrand sind die Stadtoberen aber selbst verantwortlich. Sie hätten die Baugenehmigungen verwehren können und die Filialisten dazu zwingen können, in die Innenstadt zu gehen.

  • kaufen heißt leider nicht sanieren... Häuser in der Innenstadtlage zu kaufen und verfallen zu lassen könnte möglicherweise wirklich kein schlechtes Geschäftsmodell sein.

    Zeitz ist eine Tragödie. So eine bedeutende Stadt. Substanzmäßig nimmt die es locker mit gewissen Großstädten auf. Von allem, was ich gesehen habe, war Zeitz das Extremste. Weißenfels hatte schon vieles hinter sich. Die Altstadt schrumpft auf gewisse Kernbereiche. In Zeitz ist dieses Ausmaß offenbar noch lange nicht absehbar.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Meines Erachtens politisches Versagen der Stadtpolitik.

    Ja, definitiv. Ich habe Beziehungen in die Kulturszene von Zeitz und weiß, dass man seitens der Politik wenig Interesse hat, das wenige kulturelle Angebot der Stadt am Leben zu erhalten. Es ist ein Trauerspiel.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Welche Lösungsansätze gibt es denn für Zeitz? Das ist doch die spannende Frage. Ggf. kann man das Modell der Wächterhäuser aus Leipzig importieren. Oder man findet idealistische Sanierungspioniere wie vor einigen Jahren am Chemnitzer Sonneberg.

    Sachsen-Anhalt ist insgesamt nicht dolle beim Denkmalschutz und dem weiterentwickeln, es ist natürlich auch viel Substanz vorhanden.
    Da bräuchte es mal einen gut ausgestatteten Fonds, der mehr möglich macht. Und mehr innovative Ansätze, um auch Raumpioniere zu werben.
    Manchmal liefern schon ein, zwei emsige Akteure genug Impulse, um das Ruder in einem Ort rumzureißen. Auch Orte wie das hessische Wanfried können ein Vorbild sein. Oder das erwähnte benachbarte Naumburg.

    Und nochmal, darin liegt der Schlüssel:
    "Während die Mieten im nur 40 Kilometer entfernten Leipzig rasant steigen, bekommt man in Zeitz eine 100 Quadratmeter große Gründerzeit-Wohnung zu einem Kaufpreis von 8.000 Euro, und das ist jetzt kein Versprecher. "


    Das ist eine riesige Chance, die nur ergriffen gehört. Ich weiß noch, wie vor Jahren alle die Stadt Güstrow abgeschrieben haben. Obwohl schon abzusehen war, dass Rostock immer weiter wächst und es einen Spillover-Effekt in nahe Städte geben wird. Heute ist Güstrow eine nahezu durchsanierte Perle. So wird es auch im Falle von Zeitz kommen, wenn man sich clever anstellt.


    Nicht zuletzt: Selbst wenn man schon abreisst, kann man das schonend machen und die Fassaden erhalten. Sodass spätere Neubauten diese integrieren können. Hier ein nettes Beispiel dafür, die Konditorei Bruehl am Nicolaiplatz 9 in Zeitz:

    1280px-Zeitz_Konditorei_Bruehl.jpg
    Urheber Kolonialware, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Zeit…orei_Bruehl.jpg

  • Ich verstehe solche Fälle wie Zeitz absolut nicht. Hier wurden offenbar die Zeichen der Zeit nicht oder zu spät erkannt. Zeitz liegt nahe der Autobahn A9, zwischen Leipzig und Gera. Eigentlich ideale Bedingungen! Sowohl harte als auch weiche Standortfaktoren sind doch hier zur Genüge erfüllt. Man sollte sich in der Stadtpolitik darauf konzentrieren, attraktive Anreize für Unternehmen des quartären Sektors zu schaffen. Vielleicht mal Geld in die Hand nehmen und den Glasfaserausbau forcieren, mit der Geschichte und der durchaus vorhandenen Attraktivität der Stadt werben, Förderungen in Aussicht stellen. Leipzig ist die Boomtown des Ostens und bringt jährlich zigtausende gutausgebildete Uniabsolventen hervor. Sicher auch viele, die Startups gründen wollen. Die steigenden Mieten in Leipzig erschweren solche Vorhaben.

    Naja, ich sehe auf jeden Fall Potenzial in der Stadt. Allerdings muss man hier offenbar in kurzer Zeit enorm viel aufholen.

    Zeitz war übrigens die erste Stadt, die ich mit meinen Eltern im Osten besuchte. Das war im Winter 1992. Diese Bilder blieben mir über Jahre im Kopf. Als wir aus dem Auto ausgestiegen und auf die nicht gepflasterten oder geteerten Gehwege gestiegen sind, wähnte ich mich in einer völlig anderen, grauenhaften Welt. Alles war grau, kaputt, trist. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, aber ich war damals wohl extrem verschüchtert und habe meine Eltern gefragt, in welchem Land wir hier sind.

    Die Menschen, die wir besuchten, waren indes unfassbar herzlich und sind mir immer extrem positiv in Erinnerung geblieben. Irgendwie sehr bizarr.

  • Zeitz war übrigens die erste Stadt, die ich mit meinen Eltern im Osten besuchte.

    Für mich waren das Zittau, Görlitz und Bautzen. Es war nicht mit meinen Eltern, sondern mit meiner Prager Tante seligen Andenkens. Von daher bedarf meine Aussage:

    von allem, was ich gesehen habe, war Zeitz das Extremste.

    schon einer Relativierung. Aber das heutige Wissen, dass es zumindest in Görlitz und Bautzen ein gutes Ende genommen hat, verklärt diese Erinnerung doch deutlich.

    Zittau ist ja auch ein erschreckendes Beispiel für sich fortfressende Altstadtverluste. Als östlichere, dem dt. Zentralmarktsystem angenäherte Stadt tut man sich in der Erhaltung der zentralen Ensembles halt leichter. Auch in Zeitz ist der Markt-Rathausbereich ja auch recht gut erhalten, leider jedoch nicht von derselben Bedeutung wie in Zittau.

    Um den ältesten Stadtteil Brühl herum kann man sich heute hingegen gar nicht mehr davon eine rechte Vorstellung ob des verlorenen Stadtraumes machen, was in der einstigen südlichen Zittauer Altstadt sogar noch krasser ist. In Summe muss man sagen, dass nach der Wende schon sehr viel geschafft worden ist. Und natürlich muss es, wie immer, eine Stadt geben, die hier sozusagen das Schlusslicht einnimmt, und das ist offenbar eben Zeitz. Offenbar kommen hier viele ungünstige Konstellationen zusammen: große Innen-/Altstadt ohne Konzentration des Bestandes auf leichter überschaubare Bereiche, hohe Bedeutung, aber alles andere als "glamourös", somit kein Tourismus, unfähige/unwillige Stadtverwaltung (s. Tegula), hohe Dichte an Industrie, die plötzlich nicht mehr überlebensfähig ist, etc

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Bei

    Wenn ein Zeitzer hier mitliest, möge er/sie doch gern einfach mal einen Lagebericht liefern, woher die Probleme präzise kommen - und was jetzt am besten konkret getan werden kann. :)

    Nicht direkt als Zeitzer, aber mit der Thematik vertraut. Auch konnte ich den OB diesbezüglich beraten. Zeitz hatte eine beispiellos multiple Problemelage. Eine Stadt mit enormen Funktionsverlust, völlig Zusammbruch der industriellen Betriebsstrukturen, beispiellosem Bevölkerungsrückgang, nicht vorhandenes Eigentümermanagement u.s.w.

  • Kleine Auffrischung zu Zeitz mit seinen Flächenabrissen. Da scheint es so weiterzugehen:

    Abrisse schufen in Zeitz manchmal auch Platz für Neues
    Wie sic h die Schützenstraße in 100 Jahren verändert hat.
    www.mz.de
    800 Jahre altes Denkmal zerfällt in Zeitz zu Schutt
    In der Steintorvorstadt in Zeitz ist der Abbruch des letzten Bauzeugen der Hanfmühle erfolgt. Warum es ein Tod in Raten war.
    www.mz.de

    Alles hinter Bezahlschranke, aber allein schon die Bilder... :augenkrummblau: