Berlin-Mitte - St.-Hedwigs-Kathedrale

  • Es geht hier aber nicht darum, wie die Kirche als irdischer Verein zu organisieren ist, sondern wie wir Gläubigen Gott gegenübertreten, das ist ein riesiger Unterschied. Wir haben kein Recht, uns auf die gleiche Ebene zu stellen wie das Allerheiligste, das ist für mich fast ein Sakrileg.

    Das genau ist der Punkt. Man kann nicht, was jahrhundertlang als heilig galt, plötzlich als nebensächlich über Bord werfen. Damit gäbe die Kirche zu verstehen, dass ihre bisherige Existenz eine Lüge war.

    Auch begreifen die meisten nicht, was Tradition bedeutet. Das ist keine Folklore, die man den Zeitläuften anpassen kann. Vielmehr steht die Idee dahinter, dass die katholische Lehre ein von Gott empfangenes (traditum) Glaubensgut (depositum fidei) ist, ein Glaubensschatz, den sie treuhänderisch zu verwahren und zu verwalten hat. Sie ist nicht befugt, dieses Glaubensgut zu verändern. Zum Glaubensgut gehört aber auch die Liturgie, zumindest sofern sie zentrale Glaubensaussagen zu vergegenwärtigen hat. Lex orandi, lex credendi - das Gesetz des Betens entspricht dem Gesetz des Glaubens.

    Durch die gezielte, höchst manipulative Anpassung an einen sich stets ändernden Zeitgeist macht die Kirche sich zwangsläufig überflüssig. Sie verschleudert ihr depositum und löst sich so von innen her auf. Und überall, wo sie dies tut wie in Westeuropa, zerfällt sie.

    Man muss ja kein gläubiger Katholik sein, aber als Katholik zu meinen, Selbstpreisgabe hätte etwas mit Reform zu tun, ist ein verhängnisvoller Irrtum. Am Schluss bleibt Ringelpietz mit Anfassen um einen runden Tisch bei ein paar Orgelklängen, Kerzenschein und hübschen Liedern. Das ist dann aber kein Alleinstellungsmerkmal, das wirklich Sinnsuchende bzw. Gottsuchende überzeugt.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Das Problem der katholischen Kirche war noch nie zu viel Abkehr von Traditionen, sondern ihr mangelnder Reformwille.

    Deshalb sind sie auch keine "Reformierten".

    Man könnte auch sagen: Das Problem der katholischen Kirche war schon immer darin gelegen, dass sie katholisch war und bleiben wollte.

    Leider stimmt es heute nicht mehr. De facto ist der Unterschied zu den "Reformierten", sprich Protestanten ziemlich marginal.

  • Das Problem der katholischen Kirche war noch nie zu viel Abkehr von Traditionen, sondern ihr mangelnder Reformwille.

    Die katholische Kirche ist nicht nur eine der größten, sondern auch so ziemlich die älteste Organisation der Welt. Wer fast 2000 Jahre überdauert hat, war wohl klug beraten, nicht jeder Mode nachzulaufen.

  • Leider stimmt es heute nicht mehr. De facto ist der Unterschied zu den "Reformierten", sprich Protestanten ziemlich marginal.

    Das empfinde ich doch anders. Nicht zuletzt deshalb bin ich nach 50 Jahren konvertiert. Allein das Zölibat oder das Verbot von Frauen im kirchlichen Amt ist so weit entfernt von der Lebenswirklichkeit der Menschen, dass man sich fragen muss, wo da noch der christliche Gedanke bleibt. Wer die Forderung nach Abschaffung dieser katholischen Grundsätze als Zeitgeist abkanzelt, sollte vielleicht noch mal schauen, was eine christliche Gemeinschaft wirklich ausmacht.

    Die katholische Kirche ist nicht nur eine der größten, sondern auch so ziemlich die älteste Organisation der Welt. Wer fast 2000 Jahre überdauert hat, war wohl klug beraten, nicht jeder Mode nachzulaufen.

    Genau deshalb laufen ja jetzt der katholischen Kirche so viele Mitglieder weg, wie keiner anderen Religionsgemeinschaft in Deutschland. Wir mögen zwar gestalterisch nicht alles gut finden, was in der St.-Hedwigs-Kathedrale geschaffen worden ist, aber ich finde es richtig, dass man endlich andere Wege beschreitet. Ob es funktioniert, wird die Zukunft lehren. Ein "Weiter so" wie in den vergangenen 2000 Jahren sollte sich schon lange verbieten.

  • Tegula, ich weiß nicht, ob Du wirklich verstehen willst, was Seinsheim oben sehr schön zusammengefasst hat, vermutlich geht's Dir bei Religion um was ganz anderes. Aber wenigstens hast Du die richtige Konsequenz gezogen und bist aus der katholischen Kirche ausgetreten, da gehörst Du anscheinend wirklich nicht hin. Dass Du die "Lebenswirklichkeit" der heutigen Menschen über die tradierten Glaubensgrundsätze stellst und verlangst, dass sich die Kirche dieser anpasst, ist eine groteske Verdrehung des katholischen Verhältnisses zu Glauben und Gott.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Allein das Zölibat oder das Verbot von Frauen im kirchlichen Amt ist so weit entfernt von der Lebenswirklichkeit der Menschen, dass man sich fragen muss, wo da noch der christliche Gedanke bleibt.

    Das versteh ich nicht. Natürlich geht das an der Lebenswirklichkeit, sprich an MEINER Lebenswirklichkeit vorbei, aber diese sieht eben so aus, dass ich nicht katholischer Priester bin. Ich würde das auch gar nicht für gut befinden, da ich dazu schlicht nicht würdig genug bin und gar keiner Kirche angehören möchte, die solche Priester wie mich und meinesgleichen hat. Ich möchte sogar voraussetzen wollen, dass wahre Priester meiner Lebenswirklichkeit nicht anzugehören haben und über dieser stehen. Ich kann doch meine Lebenswirklichkeit nicht als Richtschnur oder Maßstab für die von Christus eingesetzte Kirche fordern. Wozu wäre eine solche Kirche zu gebrauchen?

    Rhetorische Frage. Wir haben heute de facto eine solche Pseudo-Kirche. Und wie man so sieht, braucht sie offenbar keiner, denn die Leute laufen ihr in Scharen davon.

  • Leonhard

    Ich habe dich in dieser Diskussion nicht einmal angesprochen und trotzdem glaubst du, persönlich werden zu dürfen. Ich glaube nicht, dass du auch nur ansatzweise beurteilen kannst, in welcher Kirche ich richtig aufgehoben bin. Nur weil wir offensichtlich eine andere Meinung zu der Umgestaltung der St.-Hedwigs-Kathedrale haben, gebührt dir noch lange nicht das Recht, zwischen richtigen und falschen Katholiken zu scheiden. Vielleicht habe ich die 50 Jahre in der katholischen Kirche vollkommen anders erlebt als du, allein, weil ich in einem anderen Staat, in einem anderen Bundesland, in einer anderen Diözese, in einer anderen (Kirchen)-Gemeinde aufgewachsen bin. Also tu bitte nicht so, als ob deine Kirche die wahre gewesen wäre und andere Vorstellungen christlichen Miteinanders ketzerisch sind. In Berlin scheint man da ja anderer Ansicht zu sein. Wenn dir die Liturgie in Berlin nicht zusagt, kannst du eine der unzähligen anderen Kirchen für die katholische Messe besuchen.

  • Genau deshalb laufen ja jetzt der katholischen Kirche so viele Mitglieder weg, wie keiner anderen Religionsgemeinschaft in Deutschland. Wir mögen zwar gestalterisch nicht alles gut finden, was in der St.-Hedwigs-Kathedrale geschaffen worden ist, aber ich finde es richtig, dass man endlich andere Wege beschreitet. Ob es funktioniert, wird die Zukunft lehren. Ein "Weiter so" wie in den vergangenen 2000 Jahren sollte sich schon lange verbieten.

    Die Leute laufen nicht weg, weil die katholische Kirche der vermeintlichen Lebenswirklichkeit zu weit entfernt ist, sondern weil sie zu dieser Lebenswirklichkeit keine ernsthafte Alternative mehr bietet. Das Reich Gottes steht nach der Lehre Christi gegen diese Welt. Es gibt etliche Aussagen von Christus, wonach seine Anhänger nicht Kinder dieser Welt sein können, dass sie sogar in dieser Welt verachtet werden. Wo immer die Kirche sich in dieser Welt als Alternative, ja als Antithese begriffen hat, wo immer sie eine echte, über die Welt hinausweisende Alternative geboten hat, war sie stark: zur Zeit der Christenverfolgungen im 2. und 3. Jh., in der Zeit des Investiturstreits, unter verschiedenen diktatorischen Regimen. Wo immer sie sich angepasst hat, wurde sie schwächer. Insofern ist das westliche Christentum heute auch nicht mehr stark. Anders in Afrika, in der Untergrundkirche in China usf.

    Im übrigen ist das von Christus am häufigste Gebraucht Bild das Reich Gottes. Die Christen sollen die Welt auf das Reich Gottes hin verändern und sich ihr nicht anpassen. Und hierzu gehört auch der Zölibat: Er ist genau deshalb der Stein des Anstoßes, weil er von Priestern verlangt, ein Leben zu führen ohne Bindung an diese Welt, in Vorwegnahme eines ganz auf Christus ausgerichteten Lebens. Wie gesagt, Religion ist ohne Transzendenz nicht zu begreifen.

    Man kann ja durchaus andere Formen der Spiritualität bevorzugen, aber man sollte m. E. das Katholische katholisch sein lassen.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Witzig, wie viele Anhänger für die tridentinische Messe sich hier finden. Für mich war die Messe damals ein absolutes Novum, als Papst Benedikt diese Messform 2008 wieder zuließ. Sie war auch umstritten und für mich so exotisch, dass ich sie unbedingt kennenlernen musste. Damals nahm mich ein frischer Konvertit auf den Heilig-Rock-Tagen nach Trier mit. Ich war hingerissen von dieser Heiligkeit dieser Handlungen, diese (bereits oben erwähnte) mystische Versenkung. Ich war dann längere Zeit dabei und verlor sie aus verschiedenen (traurigen) Gründen wieder aus den Augen. Unter anderen Voraussetzungen könnte ich mir vorstellen, dass man in solcher Gemeinde sehr glücklich und aufgehoben wäre. Deswegen freut es mich sehr zu hören, dass sich diese Messform in München etabliert hat. Auch wenn ich letzten Sommer spirituell fernöstlich in der Südsteiermark unterwegs war, bleibe ich der Kirche irgendwie doch treu.

    Man kann ja durchaus andere Formen der Spiritualität bevorzugen, aber man sollte m. E. das Katholische katholisch sein lassen.

    Sehe ich auch so. Jeder soll seine Spiritualität leben können, wie er möchte.

    Zur Kirche selbst: Ja, die Entwürfe, die Seinsheim zeigte, wären traumhaft schön gewesen. Ein gut durchdachtes Konzept.

    Ich kann ja nicht sagen, dass ich die räumliche Umsetzung als schlecht empfinde. Mich erinnert sie an die Pinakothek der Moderne. Mehr ein Museum als eine Kirche. Ich würde sie trotzdem gerne mal besuchen.

    Beauty matters!

  • Tegula, ich würde das gerne deeskalieren - ja, ich bin persönlich geworden, aber das ist einerseits dem hochemotionalen Thema geschuldet, andererseits aber auch der Frustration, dass Du leider zum wiederholten Male nicht auf Argumente eingehst, sondern einfach nur Deine weltanschauliche Position wiederholst, ohne auf vorherige Argumente zu antworten oder sie gar zu widerlegen. Ich finde, dass sowohl ich, Ursus, vor allem aber Seinsheim in seinen wohl fundierten Beiträgen Dir einige traditionelle katholische Sichtweisen dargelegt haben, die Dich zum Nachdenken hätten anregen können und auf die Du zumindest kurz inhaltlich hättest reagieren sollen, wenn Du Interesse an einem wirklichen Austausch gehabt hättest. Du bist auch überhaupt nicht auf den von mir geposteten Artikel auf kath.net eingegangen, der einige wichtige Hintergründe zum Wesen des katholischen Altarraums erläutert und wiederholst stattdessen immer nur die gleichen weltanschaulichen Phrasen. Wenn Du z.B. argumentiert hättest, dass der Zölibat erst später eingeführt wurde, wahrscheinlich eher pragmatische Hintergründe hatte und somit womöglich nicht direkt ein Gottesgesetz ist, wäre das ein Argument gewesen, aber zu sagen, dass das nicht mehr der heutigen Lebenswirklichkeit entspricht und deswegen abgeschafft werden muss, ist in Religionsangelegenheiten einfach kein ernstzunehmendes Argument, tut mir leid - damit könnte man nämlich alles mögliche legitimieren, weil die Lebensrealität der meisten westlichen Menschen fast nichts mehr mit den tradierten Vorgaben des katholischen Glaubens gemein hat. Und so ist meines Erachtens halt keine ernstzunehmende Diskussion möglich, tut mir leid.

    Ich möchte Dir aber um Himmels willen nicht in Deinen persönlichen Glauben hineinreden oder etwa behaupten, dass Du kein guter Christ wärst, das steht mir überhaupt nicht zu. Aber mit katholischen Grundsätzen scheinen mir Deine Positionen nicht wirklich vereinbar zu sein.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Noch eine Bemerkung zur White-Cube-Ästhetik, die angeblich dazu dient, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Ich behaupte, sie isoliert den Menschen. Weil Franka die Pinakothek der Moderne erwähnt hat: in der Alten Pinakothek - wie in allen historischen Museen - sind die Wände farbig. Die Farbe bringt die Bilder gerade dadurch zur Geltung bringen, dass sie deren Kolorit aufgreift. Außerdem sind die Wände und Decken gegliedert - wie der menschliche Körper. Dadurch wird auch der Mensch zu einem Teil des Raumes.

    Und darin erkenne ich einen ganz wichtigen Aspekt: Ist der Raum eine sterile Schale, in welcher der Mensch als Monade existiert? Oder geht er mit dem Raum eine Verbindung ein? In diesem Sinne ist die klassische Liturgie mit ihren Paramenten darauf angelegt, Zelebranten, Altarraumausstattung und Kirchenraum als eine Einheit darzustellen. Die Sakralarchitektur soll das Himmelreich vergegenwärtigen und der Mensch soll sich als ein Teil von davon wahrnehmen - im Vorgriff auf die himmlische Herrlichkeit.

    Der moderne Mensch dagegen verabsolutiert sich. Für mich ist das ein Scheinerfolg. Denn damit verabsolutiert er sich auch, grenzt sich selber aus. Er verliert den Bezug zum univeralen Großen Ganzen. Sehr wohl kann er sich mit den übrigen Anwesenden als Teil einer versammelten Gemeinschaft fühlen - aber nicht mehr. Ganz anders das überwältigende Gefühl der unio mystica, der mystischen Verbindung, welche die Gläubigen über Zeit und Raum hinweg mit den Verstorbenen, den Lebenden überall auf der Welt, den Heiligen, den Chören der Engeln und mit Gott verbindet - dieses Gefühl des Sursum Corda, bei dem das Herz sich erhebt, emporfliegt in überirdische, Grenzen überschreitende Weiten und Höhen?

    In orthodoxen Gottesdiensten ist diese Universalität heute viel besser erlebbar, wenngleich auf eine andere Weise. Die Wände der Kirchen sind alles andere als kahl, es sind gebaute Ikonostasen, der Gläubige wird hineingenommen in die Gemeinschaft der Heiligen. Das hat eine ganz andere Dimension als das protestantische Gedächtnismahl, das mehr auf Innerlichkeit zielt.

    Ich sage das hier frei von jeder Wertung. Es sind verschiedene Formen von Spiritualität und ich finde, sie sollen in ihrer Eigenart erhalten bleiben.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Als nur gelegentlicher Besucher hier bin ich etwas erstaunt über die aktuelle Diskussion im Zshg. "Hedwigskathedrale". Mein Lieblingszitat aus der Luther-Bibel: "In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen..." lässt diese Schärfe hier eigentlich nicht zu. Ich glaube, wer etwas gelassener an die Dinge herangeht, kann weder die 200jährige Kirchengeschichte unrealistisch verklären ("mystische Verbindung über Zeit und Raum hinweg"), noch die extreme Purifizierung der Hedwigskirche bejubeln. Jetzt haben wir halt das Berliner Ergebnis: einen protestantisch-prunkvollen "Dom" mit gar nicht so dürrer Liturgie und eine blendend-weiß- sterile "Kathedrale", die natürlich eher ans Pantheon in Rom erinnert als an eine Kirche. Stilistisch passt dieses von einem schwul-atheistischen Aufklärer gestiftete Bauwerk nicht gerade zur Erzeugung der von Seinsheim bewunderten "unio mystica" über Zeit und Raum hinweg. Als Bischofskathedrale war er ja nie vorgesehen. MIr allerdings ganz unverständlich, warum man nicht wenigstens die korinthischen Säulen wieder hergestellt hat.

  • Glaub dass Friedrich dG weder "schwul" noch "atheistisch" war. Als Syphilitiker von Jugend an war er durch Kurpfuscherei ziemlich geschlechtslos geworden, und wenngleich vom Masonismus angekränkelt ist er soviel ich weiß gottgläubig geblieben.

  • Leonhard

    Dann will ich auch versuchen, zu deeskalieren. Du definierst den Katholizismus aus seiner Geschichte und der tradierten Lehre. Dem habe ich auch nicht widersprochen, denn das kann man natürlich so machen und kommt dabei zu einem sehr traditionellen Katholizismus-Verständnis. In Berlin fügt man aber diesem Bild eine Gegenwartsperspektive hinzu. Und dem kann ich durchaus etwas abgewinnen. Denn hier wird der Katholizismus als Ergebnis einer zeitgenössischen Interpretation einer langen Glaubensgeschichte verstanden. Der Blick richtete sich eher von heute rückwärts in der Zeit. Ich glaube nicht, dass es den Verfechtern einer der beiden Auffassung zusteht, die Lehre der anderen Seite als falsch darzustellen. Jeder soll doch bitte nach seiner Fasson zu Gott finden. Leider fällt diese Toleranz Traditionalisten nicht immer leicht, denn dass der Raum der St.-Hedwigs-Kathedrale vielleicht nicht in jedem Punkt katholischer Lehre und Liturgie entspricht, ist wohl nicht in Abrede zu stellen. Das muss er auch nicht, wenn die Gemeinde entschieden hat, diesen Weg zu gehen. Ob wir es als ästhetisch gelungen empfinden, ist das dann wiederum eine ganz andere Argumentationsebene.

  • Meine Haltung: Es soll jeder den Schwerpunkt setzen, der ihm gemäß ist. Die Botschaft Jesu bietet mehr als nur einen Zugang. Deswegen würde ich aber niemandem sagen, sein Glaube sei der „falsche“. Es gibt die Gläubigen, die den persönlichen Seelentrost (Krankheit, Verlust etc) und die tradierten Rituale in den Vordergrund stellen, die aufgrund ihrer Dauer und Weltabgewandtheit durchaus Halt geben. Und es gibt die Gläubigen, die karitativ wirken möchten. Letztere haben Probleme mit gewissen „Ausgrenzungstendenzen“ (Frauen, Homosexuelle, Andersgläubige etc.), stellen also den sozialen Aspekt höher als die ewige Tradition. Aber ich denke ebenfalls nicht, dass die Kirchenaustritte wegen einem Zuviel an Tradition geschehen, sondern eher wegen des Gegenteils. Der Zeitgeist (egal welcher!) verwässert jede überzeitliche Lehre, weswegen ich da gerade dem Katholizismus zur Vorsicht raten möchte. Es gibt wohl zwei ‚Schulen’: Jene, die die konservative Beständigkeit der Kirche achten und darin Trost finden, eben weil diese Beständigkeit in zweitausend Jahren keine oder nur wenige Zugeständnisse machte und damit eine über-weltliche Wahrheit vertritt. Und jene, die in der noch heute in Teilen „progressiven“ Botschaft Jesu ein persönliches Vorbild sehen und die ihr weltliches Handeln danach richten möchten. Natürlich gibt es Mischverhältnisse, ich stelle hier nur zwei Extreme einander gegenüber. Das ist m.E. ein Konflikt, der immer bleiben wird. Die Traditionalisten gegen die Moralisten. Ästhetik (in Form ewiger Prinzipien und ja, auch tradierter Schönheit) vs. Ethik (Schwerpunkt: gegenwärtiges Handeln und Veränderung im Diesseits). Ich las mal in einem Buch von Lichtmesz von der Gegenüberstellung von rechter Kirche und linkem Jesus. Natürlich eine allzu knappe Formel, aber irgendwie war sie mir einleuchtend.


    Das noch von meiner Seite. Und ja, ich finde diese „Sanierung“ mit ihrem seltsamen Stuhlkreis und der Sterilität, die bei mir nicht im Ansatz metaphysische Gefühle erweckt, grässlich. Es erinnert an futuristische Filme, beispielsweise „Alien“. Kalt, abweisend und fast schon beängstigend.

  • East_Clintwood Ich stimme Dir vollkommen zu, das ist die alte Antithese. Der französische Theologe Adolf Loisy sagte einmal: "Jesus predigte das Reich Gottes und es kam die Kirche". Das kann man antithetisch oder synthetisch deuten: die Kirche als Verfälschug oder als Erfüllung der Verheißung Jesu.

    Die zentrale Frage ist, wie man Jesus sieht. War er ein eher innerweltlicher revolutionärer Wanderprediger - gewissermaßen "links" - , dessen sich die Kirche später bemächtigt und den sie in ihrem Sinne umgedeutet hat? Oder steht die Kirche in der Tradition Jesu. Im einen Fall wäre die Tradition eine Manipulation, im anderen Fall die Gewähr auf Authentizität.

    Vielleicht kann man - sehr profan gesprochen - die Religionen mit verschiedenen Architekturstilen vergleichen, die alle ihre Berechtigung haben. Jeder kann sich seinen Stil aussuchen. Aber keiner wird glücklich damit, wenn man einen wilden Synkretismus betreibt. Wenn ein Hausbesitzer in die Fenster eines Bauhausbungalow Butzenscheiben einsetzt oder auf ein Barockgebäude ein Stahl-Glas-Loft setzt, dann ist das m. E. eine Versündigung, auch wenn es den momentanen Bedürfnissen der Bewohner entgegenkommt. Ich finde, da ist immer auch ein wenig Demut angebracht. Synkretismus ist der Feind des Pluralismus.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • tegula , danke für Deine Antwort. Zuerst einmal möchte ich festhalten, dass es mir nicht um die ästhetische Gestalt des Kirchenraumes von St. Hedwig geht, sondern um die theologische Botschaft, die hier gesendet wird. Und unter diesem Aspekt, der wesentlich wichtiger ist, finde ich eben nicht, dass man in St. Hedwig lediglich eine Gegenwartsperspektive hinzufügt - eine Anpassung sozusagen - sondern dass man die Eucharistie von Grund auf neu denkt. In der katholischen Liturgie ist die Eucharistie aber der wichtigste Teil: wir glauben an die Realpräsenz Jesu Christi in der Eucharistie und zwar in seiner Gestalt als Gebender und Erlöser. Der Priester spricht dabei "in persona Christi“, also als Stellvertreter Christi; zu diesem Zweck ist er geweiht und steht damit in direkter, ununterbrochener Nachfolge von Christus selbst. Das Erzbistum München-Freising schreibt hierzu: „Durch die sakramentale Weihe verbindet sich Christus in einzigartiger Weise mit dem Priester und befähigt ihn dadurch, in seinem Namen zu sprechen und zu handeln.“ Diese Realpräsenz Christi und das Stellvertretertum des Priesters während der Eucharistie sind im katholischen Glauben von zentraler Bedeutung und meines Erachtens nicht verhandelbar. Die Feier des Abendmahls ist im Katholizismus eben nicht nur Erinnerung, sondern vor allem das „Mysterium der Gegenwart Christi“. Wenn aber jemand diese Realpräsenz nicht anerkennt oder nicht genügend respektiert und in der Eucharistie primär eine gemeinschaftliche Erinnerung an das letzte Abendmahl sieht, in der sich alle Beteiligten gleichberechtigt gegenübertreten, kann er zwar sicher immer noch ein guter Christ, aber halt kein Katholik mehr sein - diese Überzeugung gehört eben zum innersten Wesen des Katholizismus, ohne die es kein katholischer Glaube mehr wäre. Diese „Demokratisierungstendenzen“, dieses Abbauen des Altarraums und seine Einfügung mitten in den Gemeinderaum, widersprechen somit meines Erachtens fundamental dem katholischen Verständnis der allerheiligsten Handlung und stellen eine Anmaßung des modernen Menschen dar, der sich damit auf die gleiche Stufe mit dem Allerheiligsten, mit der Gegenwart Jesu Christi stellt. Von daher muss ich Deinen Satz „Ich glaube nicht, dass es den Verfechtern einer der beiden Auffassungen zusteht, die Lehre der anderen Seite als falsch darzustellen.“ leider zurückweisen: ich sehe nicht, wie man ernsthaft um die Anerkennung des obigen Sachverhalts herumkommen soll, es sei denn, man glaubt eben nicht mehr an die Realpräsenz und das Sakrament der Eucharistie. (Vermutlich wird es auch darauf hinauslaufen, dass man irgendwelche theologischen Winkelzüge konstruiert, um die Realpräsenz zumindest zu schwächen und ihre bisherige Deutung als missverständlich zu devaluieren...)

    Noch ein Gedanke: warum muss man den Menschen gerade in der Religion, in der es um den Glauben an ein höheres Schöpferwesen geht, an die zentrale Stelle setzen? Wozu brauche ich dann noch Religion, wenn ich die Überlegenheit Gottes relativieren und selbst entscheiden möchte, was richtig und falsch ist? Entweder ich glaube daran, dass das Überlieferte von Gott stammt, oder ich glaube es halt nicht; im zweiteren Falle steht es mir frei, mir eine andere Konfession oder Religion zu suchen (oder gar nicht zu glauben), aber an einem jahrtausendealten Glauben so etwas Zentrales und eben nicht Nebensächliches ändern zu wollen, erscheint mir völlig unlogisch. Ich vermute, dass man mit dieser Neuinterpretation der Eucharistie lediglich ein Zeichen setzen wollte „schaut her, wir Katholiken sind gar nicht so verknöchert, wir wagen auch grundlegende Veränderungen!“ und man sich damit mehr Relevanz in der säkularisierten Welt erhofft.

    Für mich bräuchte die Menschheit hingegen wieder mehr Demut und Bereitschaft, sich nicht mehr als die wichtigste Instanz zu sehen, das stünde uns wesentlich besser zu Gesicht.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Kompliment, Leonhard , besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Es geht letztlich um das Sakramenteverständnis. Ich möchte nicht wissen, wieviele Priester - oder auch Bischöfe - wirklich noch zu den zentralen Glaubenssätzen stehen. Ich kenne jede Menge Priester, denen jedes Basiswissen fehlt. Und das wundert mich auch nicht, wenn ich mir die Ausbildung an den katholischen Fakultäten ansehe. Da wird den jungen Leuten der Glaube regelrecht ausgetrieben. In den Priesterseminaren sieht es nicht anders aus. Wer den Rosenkranz betet, fliegt raus, weil rückständig....

    Es gibt Dokumente des sogenannten Synodalen Weges, da kommt das Wort Gott nicht einmal mehr vor. Weiten Teile der Kirche fehlt nicht nur der Mut, den Gottesglauben zu lehren und zu verteidigen, sie genieren sich dessen sogar. Zu dieser Selbstpreisgabe gehört auch, dass man eine Kathedrale von atheistischen Architekten und Künstlern gestalten lässt und sich dann auch noch geehrt fühlt, dass diese den Auftrag annehmen. Nach dem Motto: Seht her, wir Katholiken sind doch gar nicht so weltfremd.

    Personen, die am architektonischen Wettbewerbsverfahren teilgenommen haben, erzählten mir, dass der Klerus von St. Hedwig (damals noch mit Kardinal Woelki) auf die Prämierung der Entwürfe so gut wie keinen Einfluss genommen hat. Das muss man sich mal vorstellen. Der Auftraggeber überlässt das Feld Leuten, die mit Kirche nichts zu tun haben. Als im Vorfeld des Wettbewerbs die erste offizielle Begehung mit den Architekten stattfand, habe ich mich dazugesellt und war entsetzt. Die Herren Architekten stolzierten ohne jedes Verständnis durch den Kirchenraum, die Würde des Ortes völlig missachtend - manche behielten sogar ihre Mützen auf - und malten sich aus, wie sie hier alles nach eigenen Vorstellungen ummodeln können. Es ist die Selbstermächtigung eines modernen Menschen mit Gotteskomplex, der alles neu erschaffen will: die neue Welt, den neuen Menschen, die neue Gesellschaft. Dieses ideologische Herrenmenschentum vefügt aber weder über die Bildung, noch über die Demut, den Respekt oder die geistige Offenheit, um sich wirklich auf das einzulassen, was es da vor sich findet.

    Es ist letztlich dieselbe Hybris wie im Städtebau....

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Das ist ja unglaublich, was Du da erzählst! Dass es so schlimm ist, hätte ich nicht gedacht... das ist wirklich eine Selbstaufgabe.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus