Berlin-Mitte - St.-Hedwigs-Kathedrale

  • Ich war noch nicht vor Ort, die Bilder lassen Schlimmes ahnen. Besonders abstoßend finde ich, dass der Altar ebenerdig ist. Keine heilige Stätte mehr, die über das Profane erhaben ist, sondern eine Theke in der Mitte eines Partyzelts. Spiritueller Selbstmord!

    Der Hintergrund ist ja die Eucharistie in Gemeinsamkeit mit der Gemeinde zu feiern, gleichberechtigt miteinander, Christus unter uns und nicht abgehoben von Priestern vermittelt. An sich ein reformierender Impuls. Doch die architektonische Lösung scheint mir misslungen. Es fehlt das Heilige, die Aura der Erhabenheit. Das halbe Altarei kann schon auf selbiger Ebene der kreisförmig versammelten Gemeinde sein, doch hätte ich die Bodengestaltung durch Stein- oder Holzeinlagen in ihrer Wertigkeit hin zum Altar sich steigernd kreisförmig betont. Diese Idee kam mir spontan beim Betrachten der Bilder!

  • Die tiefsitzende Enttäuschung über diese Raumneugestaltung fußt unter anderem darin, daß hier die komplette Vergangenheit des Innenraums auf eine solch gründliche Weise getilgt wurde, als ob es sie hier nie gegeben hätte, als ob das historische Gedächtnis vollständig eliminiert worden wäre, als ob hier hier die Erkenntnisse aus französischer Revolution und Kulturrevolution ein weiteres Mal angewendet wurden.

    Das historische Gedächtnis ist an diesem Ort durchaus erinnerungswürdig. Die wichtigsten Bezugspunkte sind hier die Person von Bernhard Lichtenberg, die Zerstörung der Kirche; und vor allem wird man an diesem Ort auch die Heimstatt der Gemeindemitglieder in den Jahren zwischen 1949 bis 1989 sehen, für die diese Verschönerungsmaßnahmen (sicher nicht ganz billig) nichts anderes als eine tiefe Entfremdung bedeuten müssen. Den Christkönigssonntag als Datum der Wiedereinweihung dieses sterilen, aseptischen, abweisenden, lebensfernen Innenraums zu nehmen, weckt erhebliche Zweifel, die durch die dadaistisch-purifizierte Form des Altars oder auch des Weihwasserbeckens nur noch verstärkt werden. Die Bilder aus der satanischen Krypta, teilweise als Asservatenkammer für historische Objekte, teilweise als künstlerischer Tummelplatz für einen neuen Denkansatz in dem Upcycling von Verbrennungsrückständen trägt zur Verbesserung der Situation leider nun gar nichts bei. Die Distanz, die sich beim Blick auf Gemeindeführung, Verantwortliche dieser Vandalisierung, aber auch der Zelebrierung einer von oben vorgegebenen "Moderne" auftut, ist erschreckend.

  • Ich finde auch, dass die Kirche jetzt wie ein Plenarsaal aussieht.

    Wir haben früher die Neugestaltung von Sankt Moritz diskutiert. Ich habe diese Kirche selbst erlebt und fand sie sehr schön und deutlich eleganter als die Hedwigskirche.

    Moritzkirche Augsburg John Pawson Architekten
    Architekturfotografie Moritzkirche Augsburg von John Pawson Architekten
    www.sichtkreis.com

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Eindeutig, das kannst überhaupt nicht vergleichen. Diese Eleganz und Stilsicherheit wird ein jeder zugestehen müssen, auch wenn er diesen modernistischen Zugang im Ganzen nicht schätzt. Bei der Hedwigskirche kann indes von solchen Tugenden nicht die Rede sein.

  • Die Aussenseite sollte doch wenigstens 100% historisch gestalltet sein, mit Laterne.

    Am Innern meinentwege modern.

    Berlin soll doch viel mehr wie heute etwas von der verloren grosse Vergangenheit zurückbekommen.

    Erstens der Dom und zweitens das Herzstück rund der Fernseh Turm. Vorbild: Potsdam.

  • Bewegende und bewegte Glaubende sind dankend andenkend.


    Fortbildend...

    Berliner Hedwigs-Kathedrale feierlich wiedereröffnet: Nach langem Streit ein Staunen
    Geradezu protestantisch schlicht präsentiert sich die älteste katholische Kirche Berlins nach einem umstrittenen Umbau in hellstem Licht – und will ein offenes…
    www.berliner-zeitung.de

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Auch 500 Jahre nach der Reformation sollen die Berliner erfahren, wie sich ein 'Bildersturm' anfühlte. Vielleicht braucht es noch eine Erklärtafel und ein Besucherzentrum.

  • Es ist doch eine Frage dessen, was man als Maßstab heranzieht. Vergleicht man mit dem vorherigen Zustand, so sehe ich schon eine Verbesserung. Bevorzugt man eine Annäherung an den Vorkriegszustand, dann ist das Ergebnis natürlich ernüchternd. Letzteres stand doch aber niemals zur Debatte, wenn ich mich nicht irre. Insofern verstehe ich die scharfe Kritik nicht ganz. Aber natürlich muss man einen solchen Raum in natura auf sich wirken lassen, um ein abschließendes Urteil bilden zu können.

  • Es ist ja sehr nett, daß sich das Erzbistum Berlin bei seinen Gästinnen und Gästen bedankt, die zu einem großen Fest an den Bebeplatz angereist sind. Es bleibt zu hoffen, daß dadurch die letzten Widerstandsnester in diversen Architekturforen nun endgültig gebrochen werden.

  • Mantikor : in Verbindung mit Deinem obigen Post schaut Dein Avatar irgendwie so aus, als ob er sich gerade ü... würde ;)

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Der Hintergrund ist ja die Eucharistie in Gemeinsamkeit mit der Gemeinde zu feiern, gleichberechtigt miteinander, Christus unter uns und nicht abgehoben von Priestern vermittelt. An sich ein reformierender Impuls. Doch die architektonische Lösung scheint mir misslungen. Es fehlt das Heilige, die Aura der Erhabenheit. Das halbe Altarei kann schon auf selbiger Ebene der kreisförmig versammelten Gemeinde sein, doch hätte ich die Bodengestaltung durch Stein- oder Holzeinlagen in ihrer Wertigkeit hin zum Altar sich steigernd kreisförmig betont. Diese Idee kam mir spontan beim Betrachten der Bilder!

    Die zentrale Frage ist, wie man die katholische Eucharistiefeier theologisch deutet. Wenn es ein Abendmahl ist wie im modernen Protestantismus, ist die Tischgemeinschaft auf "Augenhöhe" sinnvoll. Aber das ist nicht die Idee des katholischen Messopfers, wonach Christus in Gestalt der Opfergaben real gegenwärtig ist, und zwar nicht als der nette Freund, sondern als der auferstandene Herr des Kosmos, der durch seine Inkarnation sich mit den Menschen nicht nur irgendwie fraternisiert hat, sondern in ihr sündigen Dasein getreten ist, um sie von dort in die himmlische Herrlichkeit emporzuführen. Dabei handelt Priester im Rahmen der Sakramentespendung als Alter Christus; er ist quasi das Medium, durch das Gott selbst agiert.
    Innerhalb dieser Denkweise, die ich jetzt nicht verabsolutieren möchte, ist der ebenerdige Altar eine enorme Verflachung im buchstäblichen Sinne, ja eine regelrechte Trivialisierung. Oder anders gesagt: Es ist ein völlig anderes Verständnis von Liturgie und Christologie.
    Langfristig stellt sich die Frage, womit eine Kirche innerhalb einer säkularen Umwelt besser besteht: durch eine Angleichung an den Zeitgeist und eine Verweltlichung, die als Reform bezeichnet wird, oder durch Herausstellung eines strikt metaphysischen Profils, das das Wesentliche in einer höhreren Wirklichkeit sucht und die Sphäre des Menschseins damit ins Transzendente erweitert.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Wenn ich die letzten Beiträge lese komme ich zu dem Schluss: Gott sei Dank hat sich das Erzbistum Berlin dazu entschieden seine Kathedrale genauso umzugestalten, wie es jetzt gekommen ist. Sonst hätten doch die immer Gleichen keinen Aufhänger sich in einem Architekturforum über die Katholische Kirche im allgemeinen und die Messordnung, Gendern und angebliche Wokeness im Besonderen zu äußern. Lustig ist, dass gerade das Erzbistum Berlin eines der konservativsten in Deutschland ist.

    Im Übrigen: Wem St. Hedwig nicht gefällt, kann Sonntags gerne in die Heilige Messe in eine andere der Berliner Kirchen gehen. Deren Ausstattung dürfte doch eher gefallen:

    Die Kirchen sind alle von Mitte aus sehr gut, teils fußläufig, teils mit der U-Bahn, zu erreichen (so denn die Floristen nicht den Aufenthalt in Kreuzberg, Neukölln oder dem Prenzlauer Berg aus ideologischen Gründen ablehnen). In den Kirchen wird auch durchaus "Nichtwokes" geboten.

    Zu der Umgestaltung von St. Hedwig werde ich mir in den nächsten Tagen mal selber vor Ort ein Bild machen. Schlimmer als der Zustand vor der Renovierung kann es allerdings kaum sein.

  • Anbei einige Wettbewerbsentwürfe, die das Büro Bernd Albers nach maßgeblichen Anregungen eines Freiburger Kunsthistorikers und Theologen erarbeitet hat. Meines Wissens sind sie bereits im ersten Durchgang aussortiert worden. Wie die beigefügte Skizze zeigt, sollte der Grundriss den eucharistischen Kelch mit Patene symbolisieren.

    Die Bodenplatte mit dem Nimbus direkt unter der Laterne versinnbildlicht Christus und lässt Licht in die Unterkirche ein.

    Die roten Rauten sollen die Feuerzungen des Heiligen Geistes andeuten, die Rippen symbolisieren Lichtstrahlen. Die Kuppel als Sinnbild von Pfingsten. Die alten Säulen sind, wie von Resurrectus gewünscht, rekonstruiert.

    Das Taufbecken der Unterkirche befindet sich in der Mittelachse unterhalb der gläsernen Nimbus-Bodenplatte.

    Vermutlich war das Konzept den Theologen zu fromm und den Architekten nicht modern genug.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Was soll der Blödsinn? Ein Gedanke ist keine Person. Solche "Witze" über`s Gendern sind nicht witzig.

    Ich find's schon witzig :biggrin: wenn man nicht mal über sowas Harmloses Witze machen darf, dann leben wir aber schon in einer spaßlosen Gesellschaft ;)

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • wenn man nicht mal über sowas Harmloses Witze machen darf,

    Witze machen schon, aber nur solche die auch lustig sind :wink: Denn ansonsten leben wir ja wirklich

    schon in einer spaßlosen Gesellschaft

    (Um`s mal klarzustellen: Ich selber "gendere" - wie Du aus meinen Beiträgen siehst - nie. Ich habe aber auch kein Problem damit, wenn andere meinen dies tun zu sollen.)

    Edit: Dieser Beitrag un der davor machen keinen Sinn mehr, nachdem der Ausgangsbeitrag geändert und ich darauf hin auch meinen darauf bezugnehmenden bearbeitet habe.

  • Während der Modernismus in der Außenwelt immer mehr in die Kritik gerät, kann er sich in den Innenräumen noch austoben. Allerdings nur dort, wo es nicht darum geht, Geld zu verdienen, also zum Beispiel in Kirchen, Bibliotheken, Museen und anderen öffentlichen Gebäuden. Im privatwirtschaftlichen Bereich hingegen hat man erkannt, dass die Menschen sich in kahlen Innenräumen nicht besonders wohl fühlen, Beispiel Malls.

    Vielleicht liegt der kargen Innengestaltung dieser katholischen Kirche auch der mehr oder weniger unbewusste Wunsch zugrunde, nach den ganzen Missbrauchsskandalen mit den weißen Farben und den einfachen Formen Assoziationen von Reinheit und Zurückhaltung hervorzurufen, mit der runden, gleichebnigen Versammlungsanordnung eine Nähe zum unschuldigen Urchristentum zu beschwören.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Vielleicht liegt der kargen Innengestaltung dieser katholischen Kirche auch der mehr oder weniger unbewusste Wunsch zugrunde, nach den ganzen Missbrauchsskandalen mit den weißen Farben und den einfachen Formen Assoziationen von Reinheit und Zurückhaltung hervorzurufen, mit der runden, gleichebnigen Versammlungsanordnung eine Nähe zum unschuldigen Urchristentum zu beschwören.

    Diese Frage würde ich - als in der Katholischen Kirche ehrenamtlich "tätigen" und auch durchaus mit Fragen von Kirchenraumgestaltungen befassten- mit "nein" beantworten.

    Das hat eher was damit zu tun, dass sich Formen in der Liturgie ändern (was seit 200 Jahren ja regelmäßig der Fall war und ist). Dass das gemeinsame (Abend-)mahl hier mehr im Fokus wird so sein. Die Richtung dürfte bereits seit dem II Vatikanischen Konzil eingeschlagen sein und hat nichts mit der Aufarbeitung der Missbrauchsskandale zu tun. Hat die Heilige Messe diesen Fokus, ist die Idee den Altar auf gleiche Ebene wie die Gläubigen zu stellen zumindest nicht inkonsequent.

  • Sehr schade, daß dieser Entwurf bei der weiteren Auswahl nicht bedacht wurde. Ein Hort des heiligen Grals wäre es geworden - mit einer zentrierenden Symmetrie, symbolischen Zusammenhängen der Architekturglieder und einem historisierenden Bezug zum Außenbau, also einer Würdigung des historischen Standortes.

    Zu Deinen theologischen Deutungen des Katholizismus/Ritus weiter oben: wie Du eben schon betont hast, es nicht verabsolutieren zu wollen - es ist eine theologische Deutung der katholischen Eucharistie! Und ich frage jetzt häretisch was hat das mit dem kosmischen Christus zu tun? Die mystische Strömung im Christentum zeigt uns auf, daß Gott sich direkt im Menschen durch ein transformierendes Erwachen manifestieren kann. "Gehst Du einen Schritt auf Gott zu, kommt er Dir 1000 Schritte entgegen". Es geht um die innere Entscheidung. Die Hinwendung, die Zugewandtheit ist das Entscheidende. Wozu dann eine Überhöhung und Entrückung eines Altares? Es heißt auch: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter Euch." Glaubensbewegungen der frühen Christen wie die Arianer, später im Mittelalter die Katharer oder die Waldenser lebten dieses schlichte Christentum der Liebe ohne katholischen Ritus, aber mit Einweihungsritualen. Diese Glaubensbewegungen wurden aufs Schärfste von der Kirche verfolgt. Und selbst Mystiker, wie der erwachte Meister Eckart wurden mit dem Scheiterhaufen bedroht. Weshalb wohl? Bedrohung der Macht der Kirche!? Vielleicht erkennt manch einer in der katholischen Kirche, daß sie Jahrhunderte lang Unrecht getan und Millionen Menschenleben auf dem Gewissen haben. Vielleicht ist diese Gestaltung ein unbeholfener Versuch die Kirche/den Leib Christi wieder unters Volk zu bringen. Aber selbst darum würde es nicht gehen!? Was brauchen wir den römisch-katholischen Ritus, um zu glauben an die göttliche Natur in uns Selbst! Das ganz grob zu meiner Anschauung!

  • Lieber SchortschiBähr , ich glaube nicht, dass es so viel mit Machtdenken der Kirche zu tun hat. Es sind einfach völlig verschiedene theologische Konzepte. Die Arianer haben in Jesus einen gewöhnlichen Menschen gesehen. Auf ihr Betreiben hin wurden die Katholiken übrigens zeitweise verfolgt, weil die römische Kaiser Constantius II., Valens und Valentinian auch Arianer waren. Die Katharer waren Glaubensfanatiker, die von einer durchaus sündhaften Welt ausgingen und darum im großen Stil katholische Priester töteten. Ihre Bekämpfung hat also auch andere Hintergründe.

    Aber zurück zum mystischen Verhältnis zu Christus. Das eine ist die Individualfrömmigkeit, bei der die Begegnung mit Christus im Herzen oder im Geist stattfindet. Neben Meister Eckart wären Theresa von Avila, Ignatius von Loyola u.a. zu nennen.

    Und dann gibt es eben die Frage, ob oder inwiefern Gott auch kultisch zu verehren sei. Hier steht die katholische Liturgie (leiturgia bedeutet im Griechischen Dienstleistung) stark in der Tradition des Alten Bundes. Das Tabernakel mit der Hostie ist das neue Bundeszelt (tabernaculum), der traditionelle Hochaltarbereich gleicht dem Allerheiligsten im Jerusalemer Tempel. Mose begegnet Gott auf dem Berg Sinai - wie in allen Kulturen ist das Göttliche erhöht, daher auch die Altarstufen, weil der Altar der Thron Gottes ist.

    Die klassische römische Liturgie versteht sich bereits ab dem 3. Jahrhundert als eine Hinwendung zum auferstandenen Christus, der im Jenseits als Weltenherrscher wartet, um die Erde nach dem Jüngsten Tag neu zu erschaffen. Daher ist die Kirche Abbild des himmlischen Jerusalem, das außerhalb von Zeit und Raum bereits existiert. Die klassische Liturgie versteht sich als ein Vorschein der himmlischen Herrlichkeit.

    In ihr gehen die Menschen durch Zeit und Raum Christus entgegen, der nicht nur in der Eucharistie, sondern auch in den Apsisbildern oder später den Hochaltarbildern präsent ist. Die Mosaike und Hochaltäre sind keine Abbildungen wie wir sie verstehen, sondern Vergegenwärtigungen einer himmlischen Wirklichkeit, durch die man hindurchsieht und die man gedanklich durchschreitet. Daher auch die aufgezogenen Stuckvorhänge und die portalähnlichen Architekturen barocker Hochaltäre. Oder die Auflösung der gotischen Architektur in Licht...

    Letztlich hat dieser Prozessionscharakter der Liturgie etwas mit der Pilgerschaft des Gottesvolkes im Alten Testament zu tun. Der Priester schreitet den Gläubigen voran wie Mose, der beim Zug durch die Wüste aus der ägyptischen Gefangenschaft das Volk ins Gelobte Land führte und dabei der göttlichen Feuer- und Wolkensäule folgte. In diesem Sinne steht der Priester nicht mit dem Rücken zum Volk, sondern blickt mit dem Volk zu Gott.

    Wie gesagt, es sind ganz unterschiedliche Formen, Gott zu begegnen. Ich persönlich halte es so, dass ich die mystische Begegnung innerhalb der Privatsphäre verorte und für den öffentlichen Raum die geordnete klassische Liturgie bevorzuge, die 1800 Jahre lang gewachsen ist, bis sie nach 1970 - übrigens in einer keinesfalls vom Zweiten Vatikanischen Konzil beabsichtigten Weise - zum Experimentierfeld theologischer Sozialingengieure wurde.

    Die neue Fassung der Hedwigskathedrale trägt m. E. dem Säkularismus, aber auch der Schönheitsfeindlichkeit der Moderne Rechnung. Man empfindet die Vergangenheit als Belastung und nicht als einen Schatz und will sich ihrer entledigen. Joseph Ratzinger hat dies als eine Hermeneutik des Bruchs bezeichnet. Darüber hinaus sehe ich einen Kotau gegenüber einer profanen, latent antiklerikalen Gesellschaft, die eine selbstbewusste Kirche ablehnt und jede Form der Repräsentation als Prunk und Machtgehabe anfeindet. Passend hier zu auch der vermeintliche Skandal um die Limburger Vikarie. In diesem Zusammenhang gebe ich in Teilen auch Snork Recht. Man will gerade nach dem Missbrauchsskandal nicht auftrumpfen, sondern schön leisetreten.

    Die Frage bleibt allerdings, wodurch glaubensferne Menschen letztlich zum Glauben geführt werden. Was denkt ein Moslem, was ein Buddhist, wenn er diese kahlen Räume sieht?

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.