Hans Stimmann - ehemaliger Senatsbaudirektor

  • "Bei Säulen denken viele an Speer"

    Hans Stimmann gab Berlin ein neues Gesicht. Wenn der Senatsbaudirektor demnächst in Rente geht, dürften Postmodernisten frohlocken. Schließlich stand er für feste Regeln. Mit SPIEGEL ONLINE sprach er über Künstler-Architekten, Formzwänge und die Erotik der Schönheit.


    SPIEGEL ONLINE: Herr Stimmann, Sie werden dieses Jahr in Pension gehen. Seit 1991 haben Sie als Senatsbaudirektor und Staatssekretär das Gesicht des neuen Berlin maßgeblich geprägt. Manche Ihrer schärfsten Kritiker sagen, der SPD-Mann Stimmann stehe für das steinerne Berlin. Beleidigt Sie das?


    Stimmann: Das sind Klischees. Ich hinterlasse hoffentlich ein Bewusstsein dafür, dass die Stadt nicht alle fünf Minuten neu erfunden werden muss. Nach 1945 glaubte man auf beiden Seiten, zu den jeweilig neuen gesellschaftlichen Strukturen - hier die parlamentarische Demokratie, dort der Staatssozialismus - bräuchte es neue bauliche Muster, die sich von den Mustern der traditionellen Stadt unterscheiden. So habe ich übrigens früher auch gedacht.

    SPIEGEL ONLINE: Und heute?

    Stimmann: Menschen halten sich dort auf, wo es ihnen gefällt. Ein schöner Platz ist ein schöner Platz - unabhängig davon, ob ihn manche für politische Demonstrationen nutzen oder zum Kaffee trinken.

    SPIEGEL ONLINE: Sie haben sich den Ärger der Architekten und der Feuilletons mit einem Regelwerk zugezogen. Welchen Vorwurf können Sie nicht mehr hören?

    Stimmann: Wenn ich mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit rede, sagt er manchmal leicht spöttisch: Hans, von dir wird mal die Traufhöhe übrigbleiben.

    SPIEGEL ONLINE: Weil Sie Investoren und Architekten mit der kritischen Rekonstruktion zum Maßhalten gezwungen haben?

    Stimmann: Die Traufhöhe eines Gebäudes steht symbolisch für eine gesellschaftliche Verabredung auf bestimmte Regeln. Der Konsens gehört zur europäischen Kultur, zur europäischen Stadt. Das zeitgeistige Bauen konnte in einer so vom Krieg und von der Nachkriegsplanung geschundenen Stadt wie Berlin nicht weitergehen. Die Stadt brauchte Form - und wir haben versucht, sie ihr zurückzugeben.

    SPIEGEL ONLINE: Sie wollen mit dem Planwerk Innenstadt Berlins getilgten Grundriss wiederherstellen. Beseitigen Sie damit nicht die Geschichte, die sich nach 1945 herausgebildet hat?

    Stimmann: Der Grundriss, die Straßen, die Plätze und die darin eingeschriebenen Adressen sind das Gedächtnis einer Stadt. Es gab auch in Berlin einen mittelalterlichen Kern, dann die barocke Zeit, schließlich außen die Gründerzeitviertel. Es geht uns ja nicht um die bloße Rekonstruktion, sondern um die Wiederbewusstmachung der historischen Strukturen und um die Verdichtung des städtischen Raumes, gerade im Ostteil. Dabei werden die Gebäude der Nachkriegsmoderne grundsätzlich erhalten und damit Geschichte bewahrt.

    SPIEGEL ONLINE: Warum wollen sich viele Architekten solchen Regeln nicht unterwerfen?

    Stimmann: Die meisten Architekten im 20. Jahrhundert sind großgeworden mit der Idee, für eine neue, avantgardistische Gesellschaft zu bauen. Nehmen wir das Beispiel des Kulturforums...

    SPIEGEL ONLINE: ... das von Hans Scharoun nach 1945 in Form einer offenen Stadtlandschaft in Westberlin geplant wurde und das Sie mit Neubauten ergänzen wollen.

    Stimmann: Genau, beim Kulturforum wurde radikal mit der Stadt gebrochen, der Tisch regelrecht abgewischt. Manche Architekten wie Scharoun fühlten sich wie Künstler, und das gilt für viele seiner Kollegen auch heute noch. Wenn dann einer kommt und sagt, ein Haus muss an der Straße gebaut werden...

    SPIEGEL ONLINE: ... die von Ihnen propagierte Blockrandbebauung...

    Stimmann: ... dann löst das natürlich keinen Jubel aus. Die Architektur muss sich aber bewusst sein, dass sie ein Stück weit einen Beitrag leistet zum Städtischen und nicht nur zum Individuellen. Das war und ist der Sinn und Zweck der so genannten kritischen Rekonstruktion.

    Gesamtes Interview unter

    http://www.spiegel.de/kultur/gesells…,408866,00.html

    In dubio pro reko

  • Interessantes Interview (ich hoffe, das hatte nicht schon jemand verlinkt):

    http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,408866,00.html\r
    http://www.spiegel.de/kultur/gesellscha ... 66,00.html

    Auszug:

  • wieder ein neuer Artikel über Stimmann im Tagesspiegel:

    Diesmal geht es um die Friedrichstraße.

    "Gefühlte Enge als Konzept

    Senatsbaudirektor Stimmanns Bilanz (Teil 2): Die neue Friedrichstraße hat er in historische Form gepresst"

    http://www.tagesspiegel.de/berlin/archiv/13.06.2006/2591851.asp#art\r
    http://www.tagesspiegel.de/berlin/archi ... 51.asp#art

    Am Ufer der Sonne wo die wesen vom sehen träumen ist in Echtzeit überall Nacht

  • Der Mann hat recht. Bloß mir wird ganz übel bei dem Gedanken, dass dieser Mann bald in rente geht. Wer kommt das bzw. was passiert dann? Wird dann total mit diesem Konzept gebrochen? Das wäre in meinen Augen eine Katastrophe. Ich hoffe, dass sein Nachfolger, das begonnene Werk in Stimmanns Sinne weiterführt.

  • Der Dompteur der Baulöwen, Hans Stimmann, verlässt die Manege:


    vgl. o. A. (2006), Der Dompteur der Baulöwen verläßt die Mangege; In: Immobilienzeitung 15/2006, s. 31

    Es ist wirklich schade für Berlin, dass dieser hervorragende Mann in Rente gehen muß. Dafür hat er angeküdigt, als Projektentwickler tätig zu werden!

    An dieser Stelle einen herzlichen :applaus: für Ihre geleistete Arbeit!

  • @ nitsche

    Danke! Ein wirklich vorzügliches Interview! Besonders gefällt mir die Passage:

    Zitat

    Man sollte einfach Häuser bauen, die in der Lage sind, nicht nur 20 Jahre, sondern möglichst 50 Jahre ohne größere Reparaturen zu überstehen. Das haben die Häuser geleistet, die man während der Gründerzeit am laufenden Band gebaut hat. Die sind nach, sagen wir mal, 50, 60 oder 70 Jahren zum ersten Mal saniert worden und halten noch mal 30 oder 50 Jahre und werden dann wieder saniert und werden weiterhin existieren, weil sie einfach eine gute Bausubstanz, einen gutern Rohbau besitzen, den Sie immer wieder mit neuen Elektroleitungen und neuen Sanitärinstallationen versehen können. Aber man würde die Häuser trotzdem nicht erhalten, wenn nicht auch ihre Architektur erhaltenswert erscheinen würde und die städtebauliche Konstellation nicht die richtige wäre

    Mahrzahn und die ganzen anderen Plattenbauschrottbezirke in DD, L et cetera werden demnach hoffentlich wirklich einmal verschwinden und durch solide und ästhetische Architekturen ersetzt werden.

  • Ist dir eigentlich klar, welches Ausmaß die Plattenstädte im Osten Berlins haben? Da verschwindet so schnell gar nichts. Hunderte Rückbauten und Abrisse - aber alles sieht so aus wie vorher (lediglich etwas mehr Grün zwischen den Autobahnen).

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Der Noch-Stadtbaumeister äußert sich zur (Schloß-)Rekonstruktion. Das Ganze anläßlich einer Konferenz, die er zum Thema Rekonstruktion veranstalten wird!

    http://www.tagesspiegel.de/kultur/archiv/05.09.2006/2755322.asp\r
    http://www.tagesspiegel.de/kultur/archi ... 755322.asp

    Zitat

    Am kommenden Wochenende findet in Berlin eine Konferenz statt, bei der auf Ihre Anregung hin, Herr Stimmann, eine große Zahl von Fachleuten eine Expedition durch das weite Feld der architektonischen Rekonstruktion unternimmt.

    Stimanns Sorge:

    Zitat

    So wie die Dinge liegen, kann das Vorhaben bei dem Anspruch, den wir haben, nicht gut gehen. Die Leute, die das Humboldt-Forum planen, ignorieren sozusagen seine räumlichen und inhaltlichen Restriktionen.

    Zitat

    Würden wir bauen, was im Moment auf dem Tisch der Planungen und Ideen liegt, bekämen wir drei Fassaden mit wunderschönen Portalen und dahinter etwas, was damit nichts zu tun hat. Das wäre eine Farce, eine Niederlage für jeden, der wirklich an den Themen Rekonstruktion und Humboldt-Forum interessiert ist.


    (Tja, Herr Stimann, werden Sie doch mal deutlicher. Wollen Sie also auch eine - natürlich kritische :zwinkern: - Rekonstruktion der Innenräume?)

    Blick nach Braunschweig:

    Zitat

    Auf keinen Fall bei Braunschweig. Das ist natürlich eine Horrorvision, weil es genau dem entspricht, was die Rekonstruktionsgegner sagen: So endet das alles! Also dann lieber gar nichts.

    Und Besinnungsworte über Rekonstruktion:

    Zitat

    Rekonstruktion sollte gerade keine Wiederherstellung im Sinne einer exakten Kopie sein. Sie muss eine Vermittlung zwischen Geschichte und Moderne suchen. Die Herausforderung ist die Neuschöpfung aus dem Geist der Achtung des Alten und dem Vermögen der Architekten von heute. In diesem Sinne spricht Romano Borelli davon, dass Architektur immer Rekonstruktion sei, weil sie nicht erinnerungslos sein kann.

  • Die Konferenz, die der Journalist in seiner Frage anspricht, ist folgende:

    http://www.die-neue-stadt.de/programm_ceu_internationaler_kongress_berlin.html\r
    http://www.die-neue-stadt.de/programm_c ... erlin.html

    Es geht allerdings weniger um Rekonstruktionen als vielmehr um New Urbanism und die Teilnahmegebühr von sage und schreibe 275 € bzw. inzwischen für Spätanmelder 325 € pro Nase (sic!) dürfte eine eher überschaubare Runde zur Folge haben.

  • Herr Stimmann ist ein Mann nach meinem Geschmack!

    Zitat

    “I had a drawer and I opened it up and pulled out the old city plan,” he said, recalling his first days on the job in 1991. “I said: ‘It worked for 250 years. Why do we need a new competition?’ ”

    :applaus:

    Zitat

    He saw the socialist architecture of East Berlin, embodied in the Palast der Republik, now being dismantled, and the modernism of the Hanseatic quarter, in the western end of Berlin, as architectural pipe dreams that had failed in execution. He said architects needed limits, and his brusque approach earned him many enemies among builders.

    Ich hoffe, dass die anderen von ihm lernen!!! Es lebe die Europäische Stadt!

  • Verliebt in Berlin

    Von Rainer Haubrich

    Wenn in diesen Tagen das Gespräch auf den scheidenden Berliner Senatsbaudirektor kommt, kann man auch von ansonsten gut informierten, gebildeten Zeitgenossen absonderliche Kommentare hören. Hans Stimmann? Das sei doch der, der die architektonische Kreativität einer ganzen Generation in seinem provinziellen Regelwerk erstickt habe, der gegen Hochhäuser war und für langweilige Steintapeten, der die internationalen Stars der Szene aus der Stadt getrieben habe und damit auch "innovative" Stadtideen.
    Angesichts solchen Unsinns fragt man sich, ob Architektur und Städtebau seit dem Fall der Mauer wirklich zu einem allgemein verstandenen Thema geworden sind. Über die Werke von Stararchitekten wird immer noch gesprochen wie über die jüngsten Alben von Popstars. Doch guter Städtebau folgt anderen Kriterien, er braucht einen langen Atem jenseits aktueller Moden.

    Über den Erfolg eines Stadtkörpers entscheidet nicht die Dichte an extravaganten Architekturen, sondern der Zusammenklang tausender Alltagsbauten, die für sich genommen nicht außergewöhnlich sein müssen, mehr noch, es zum Wohle des Ganzen gar nicht sein dürfen. Dazu braucht es Regeln für die Straßenflucht, die Höhe der Bauten und ihr Fassadenmaterial. So sind all die historischen Stadtviertel entstanden, die bis heute zu den populärsten Quartieren zählen. Dort wohnen bekanntlich auch jene Kultur-Eliten, die beständig nach "innovativen" Stadtideen verlangen.


    Der ganze Artikel unter: http://www.morgenpost.de/content/2006/1…ton/861535.html

    In dubio pro reko

  • Der TAGESSPIEGEL berichtet:

    "Früher beschimpft, heute gepriesen: So geht es auch Hans Stimmann, dem scheidenden Senatsbaudirektor.
    Nur Tage vor seinem Ausscheiden aus dem Amt verlieh ihm die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung am Donnerstagabend in Berlin ihren Sonderpreis im Rahmen der Verleihung des Deutschen Städtebaupreises."

    http://www.tagesspiegel.de/berlin/archiv/…006/2906058.asp

    Der Wind gedreht
    Albtraum verweht
    Zum Schluss jetzt das Glück
    Das Schloss kommt zurück!

  • Berlin verdankt Hans Stimmann viel!

    Wie oft war in Architektenkreisen die "Stimmann-Mafia" gerügt worden: Die Verbindung von Hans Stimmann und den Architekten Hans Kollhoff, Josef P. Kleihues, Hilmer und Sattler und anderen, die Anhänger der "kritischen Rekonstruktion", der alten Traufhöhe und der Blockrandbebauung waren.
    Statt die Stadt mit einem Konglomerat von autistischem Bauwerken zu überziehen, wie es viele Stararchitekten gerne gesehen hätten, sorgte Stimmann dafür, daß die Stadt Berlin nicht neu erfunden sondern in ihren Ursprüngen erkennbar repariert und modernisiert wurde.
    Hans Stimmann hat über Parteigrenzen hinweg viele Querdenker beeindruckt und - was noch wichtiger ist - eingebunden. Er hat für das Stadtbild Schlimmes verhindert und Gutes ermöglicht.

    Ein guter Kandidat für eine Ehrenbürgerschaft...
    Reinhard R.

    Der Wind gedreht
    Albtraum verweht
    Zum Schluss jetzt das Glück
    Das Schloss kommt zurück!

  • ...stattdessen wird über die Ehrenbürgerschaft eines Wolf Biermann gestritten...

    Der Wind gedreht
    Albtraum verweht
    Zum Schluss jetzt das Glück
    Das Schloss kommt zurück!

  • [url=http://www.taz.de/pt/2007/01/24/a0213.1/text.ges,1]Die Anti-Stimmännin[/url]

    Da stehen ja neue Highlights ins Haus... :augenrollen:

    Was mich immer ärgert, daß eine solche laissez-faire-Städtebauleitung als "mutig" bezeichnet wird, obwohl Fr. Gmür doch von der ganzen Zunft (Architekten(-kammern) und den "Kritikern") dafür ihre ganze Stiefelgarnitur geleckt bekommen wird.

    Wenn einer gekämpft hat, dann doch Stimann für sein bißchen Traufhöhe und Lochfassade.