Lübeck - Neubauten im Gründerviertel

  • Aber zurück zu Lübeck: warst du, Maxileen, jetzt eigentlich bei den Ausgrabungen im Gründungsviertel mit dabei, wie du vor ein paar Seiten geschrieben hast?


    Bei den Ausgrabungen im Gründungsviertel war ich leider nicht dabei, da die Stammmannschaft schon stand, als ich mein Studium beendet habe (dafür war ich ein Semester zu spät fertig) und ich als Hilfskraft überqualifiziert wäre. Ich hab aber im Juli bei der Ausgrabung (bzw. Baustellenbegleitung) an der Ecke Ellerbrook / Beckergrube teilgenommen, wo allerdings wenig spektakuläres zutage kam, da der Neubau nicht unterkellert wird und wir darum kaum tiefer als 1,00 m unter Straßenniveau gegangen sind. So kamen vorwiegend die Außenmauern der kriegszerstörten Häuser zutage (ich hoffe, das darf ich hier schreiben, hab schon mal einen Rüffel von offizieller Seite bekommen, weil ich etwas über eine Ausgrabung in Hildesheim geschrieben habe - aber da die Grabungserkenntnisse aus Lübeck kein großes Geheimnis sind und auch im offiziellen Jahresbericht erscheinen werden, sollte das kein Problem sein).

    Über die Großgrabung im Gründungsviertel weiß ich mangels aktiver Teilnahme also leider auch nicht mehr als das, was bereits in der Presse stand und auf den (meiner Meinung nach sehr informativen) Informationstafeln vor Ort hing:

    Besonders erstaunlich ist der Fund einer komplett erhaltenen Ledertasche aus dem Spätmittelalter. Meines Wissens gibt es kein weiteres derart vollständig erhaltenes Exemplar (was mal wieder die Wichtigkeit solcher Grabungen zeigt - früher wäre das alles mitsamt dem Baustellenaushub auf der Deponie gelandet).

  • Vielen Dank für den Bericht. Peinlicherweise habe ich nämlich ausgerechnet vergessen, die Ausgrabungen zu fotografieren, deine Bilder sind da eine gute Ergänzung.

    Von mir noch ein Panorama von der Petrikirche, das das Areal der totalen Zerstörung als auch den jetzigen Grabungsbereich auf einen Blick zeigt:


    (Klicken zum Vergrößern)

    Die untere Begrenzung des Bildes bildet die Holstenstraße, weiter südlich waren die Schäden ja eher sporadisch und sind auch heute dank der enormen Masse an Altbausubstanz nicht wirklich augenfällig. Leider ist die Petrikirche ausgebrannt und der Dom zumindest abgebrannt, wobei bei letzterem fast die gesamte Ausstattung gerettet werden konnte, insbesondere der abartig geniale Lettner mit der nicht weniger genialen astronomischen Uhr.

    Die rechte Begrenzung bildet das Rathaus am Marktplatz. Letzteres brannte teilweise aus, wodurch bedauerlicherweise auch hier mit der Kriegsstube ausgerechnet das Hauptwerk der Renaissance in Lübeck verbrannte. Andere historische Räume sind dagegen noch erhalten, die übrigen Gebäude des Marktplatzes sehe ich nicht als besonders großen Verlust, wenn auch der Abbruch des historistischen Postamtes, das mit seiner gesamten Fassade noch da war, vor allem in Anbetracht der sichtbaren Blechbüchse, die da heute steht, als Schande zu betrachten ist.

    Das Bild dominiert die Marienkirche, deren Schicksal und Baugeschichte hinreichend bekannt ist. Im Hintergrund links kann man sehr gut den unteren erhaltenen Rest der grandiosen Mengstraße erkennen. Davor bzw. auf halber Bildhöhe ganz links ansatzweise das Ausgrabungsareal, im Vollbild lassen sich sogar die Treppenabgänge zu den Kellern der ehemaligen Häuser zwischen Braun- und Fischstraße ausmachen.

    Man beachte schließlich die jüngsten Neubauten im oberen Bereich zwischen Fisch- und Alfstraße. Im Prinzip gar nicht mal schlecht, man erkennt zumindest den Versuch, eine alte Giebelreihung aufzunehmen, und im Detail (Bilder dazu später in meiner Galerie) erkennt man auch, dass die Bauten eine Ziegelverblendung haben. Andererseits sind die Ziegel eben nicht ortstypisch (warum nicht rot?) und die Fensterteilungen indiskutabel. Und dann wie so oft: in einer Neubausiedlung auf der grünen Wiese würde man sich über so etwas wohl freuen, aber doch bitte nicht auf einem historisch so bedeutenden Grund.

  • Schönes Bild, auch dank der enorm hohen Auflösung. Das Studentenwohnheim, das an der Alfstraße errichtet wurde, lässt schlimmes für den Rest des Areals des Gründungsviertels befürchten. Positiv überrascht war ich bei meinem letzten Lübeckbesuch hingegen von den Lückenschließungen an der Fischergrube, die meines Wissens aus den späten Neunzigern stammen. Dort hat man tatsächlich die alten Parzellen wieder aufgenommen und moderne Giebelfassaden geschaffen, die sich trotz weißen Verputzes (der spätestens seit Barock und Klassizismus ohnehin in der Stadt dominiert) gut einfügen. Auf dem Panoramabild sind diese Neubauten noch gerade zu erkennen (oberhalb des Studentenwohnheims, ein Stück rechts hinter den zwei Baukränen, die das Areal Fischergrube / Ellerbrook / Beckergrube kennzeichnen und dessen Neubebauung ebenfalls diskussionswürdig ist).

  • Zitat

    Das Studentenwohnheim, das an der Alfstraße errichtet wurde, lässt schlimmes für den Rest des Areals des Gründungsviertels befürchten.

    Sicher. Am besten wäre natürlich die Rekonstruktion des Vorkriegszustands, oder anders aber ein Projekt wie am Alten Fischmarkt in Münster. Aber bei der o.g. Lübecker Befindlichkeit... :augenrollen:

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • An sich gefällt s mir weit besser als dieser Sechziger-Jahr-Mist, aber das heißt leider nicht viel. Die Farbgebung ist mir prinzipiell wurscht, grade in Städten wie Lübeck, wo es um Substanz geht. Ein schlechter Bau wird durch vermeintlich "gute" Farbgebung um nichts besser. Diese Waschweiberthematik kennen wir schon von Dresden zur Genüge (bzw einiges darüber hinaus). Moderne Bauten kommen halt eher in kalten, neutralen Farben daher, wir sollten darob froh sein, sonst wären sich noch penetranter. Generell find ich s in Ordnung, wenn sich Neubauten, egal ob Füllbauten oder moderne Bauten, farblich zurückhalten. Das leuchtende Element sollte dem Alten, Originalen (incl Rekos in Originaltechnik) vorbehalten sein. Gegen diese Häuser kann man vorbringen, dass sie in der Formensprache beliebig sind (wobei ich eine Bezugnahme auf Lübecker Treppengiebel weit unerträglicher finden würde), Der einzige Bezug ist die Spitzgiebeligkeit, die immerhin auf die Gotik anspielt. Auch sind sie, wie viele Neubauten, zu groß und ungeschlachtet geraten. Die Farbgebung hingegen entspricht dem modernen Erscheinungsbild und ist als solche nicht zu bemängeln.

    Ich wüsste nur gern, wo das "Gründungsviertel" ist?

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • In letzter Zeit beobachte ich das Vordringen dieser Art von Gestaltung bei Neubauten in Altstädten. Proportionsmäßig i.O.; in bezug auf das Verhältnis der Fensterflächen zu Wandflächen anbetrifft, auch häufig. Aber ansonsten: Schrecklich, ungemütlich, abstoßend, kalt.

  • Ich glaube, ich habe nahezu identische Entwürfe für Münster gesehen....omannomann

  • Ich glaube, dass die Proportionierung nicht das eigentliche Problem ist, Zeno. Warum auch - diese Häuser sind modern und wollen so wahrgenommen werden. Die Abweichungen von der traditionellen Norm, dh deren Verletzung verleihen ihnen mE das einzige - beschränkte- Interesse. Die Unregelmäßigkeiten, Asymetrien sind das Einzige, das sie einigermaßen vor der lähmenden Primitivität und Monotonie der alten Wiederaufbauzeit bewahrt.

    Das wirklich Schlimme ist mE, dass Städte wie Münster (uv) Lübeck sich als so überhaupt nicht lernfähig erweisen, etwa von den Erfahrungen mit dem Dresdner Neumarkt oder (hier passender) mit Elbing. Neubauten ohne Bezug zum Altbestand (und sei es nur als noch so postmodernistische Zitate) sind einfach für (vormals) so hochbedeutende Altstädte keine langfristig hinnehmbare Lösung. Heute wirken solche Häuser auf Außenstehende wie mich (der ich solche noch nie gesehen habe) noch einigermaßen interessant, aber ich bin mir sicher, dass sie mir nach meiner nächsten BRD-Tour schon gründlich beim Hals raushängen werden.

    Während man dem Münsterianischen Wiederaufbau das eine oder andere zugute halten kann, gilt für Lübeck leider dasselbe wie für das Gros der dt Städte: völlig daneben.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
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    Einmal editiert, zuletzt von ursus carpaticus (27. April 2011 um 23:18)

  • Zitat

    Das wirklich Schlimme ist mE, dass Städte wie Münster (uv) Lübeck sich als so überhaupt nicht lernfähig erweisen, etwa von den Erfahrungen mit dem Dresdner Neumarkt oder (hier passender) mit Elbing. Neubauten ohne Bezug zum Altbestand (und sei es nur als noch so postmodernistische Zitate) sind einfach für (vormals) so hochbedeutende Altstädte keine langfristig hinnehmbare Lösung.

    Völlig richtig. In Münster scheint man sich für den in Ansätzen traditionellen Wiederaufbau jetzt entschuldigen zu wollen, indem man den einen nach dem anderen zackigen modernistischen Quatsch in die Altstadt wirft, allzu oft verbunden mit fiesem politisch-korrektem Unsinn. In Lübeck glaubt man schon der Altstadt genug zu haben, so scheint es. Da die Arbeit des Harris hier vielen offenbar nicht gründlich genug war, soll die erfolgreiche Zerstörung wohl an allen Ecken und Enden konserviert werden. So bleibt die Aufrechnung von Coventry aufrecht erhalten. Vor allem beim Auftraggeber des hier besprochenen Baus kann ich mich das so vorstellen, habe dafür aber fairerweise keine Belege.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Zitat

    Da die Arbeit des Harris hier vielen offenbar nicht gründlich genug war

    Das war sie eigentlich auch wirklich nicht - typischer Anfängerpfusch. Imgrunde erstaunlich - das viel kleinere Canterbury wurde zur gleichen Zeit mit keineswegs eigens dafür ausgelegten Bombern viel wirkungsvoller getroffen. Gibt s Hinweise, dass etwas daneben gegangen ist?

    Natürlich hat Lübeck im Vergleich zu Münster und anderen Städten "Luxusprobleme". Woanders gibt es mehr oder wenig unstimmige und gestörte Traditionsinseln - in Lübeck ist eine Art "Modernitätsinsel", die noch dazu von den erhaltenen Monumentalbauten arg beeinträchtigt wird. Da muss man mit den Pietisten, die aus Anstandsgründen vielleich auch lieber in einem norddeutschen Braunschweig oder Nürnberg leben würden, schon Mitleid haben.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • MW. ging nichts daneben. Die noch unausgereifte Technik der Briten und die seit dem Mittelalter per Bauverordnung vorgeschriebenen dicken Brandmauern der Backsteinhäuser haben den Feuersturm verhindert.

    Man sollte aber nicht vergessen, daß die Marienkirche, die Petrikirche und der Dom völlig ausgebrannt waren, wobei aus dem Dom noch einiges gerettet werden konnte. Auch vom Rathaus verbrannten wesentliche Teile. Vom Gründerviertel zwischen Marienkirche und Trave, mit den schönsten und größten Giebelhäusern, blieb fast nichts. Die Bombardierung traf also genau den Kern der monumentalen Altstadt und nicht daneben.

    Der größte Verlust liegt in der Ausstattung der Monumentalbauten und der ist sicher kein Luxusproblem. Rekonstruktionen wären hier unglaublich aufwendig und lohnend.

    Ansonsten steht Lübeck natürlich ungleich besser da als Braunschweig oder Nürnberg.

    Ein lernen von Dresden bzw. Elbing sehe ich bisher immer noch nur in [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon].

    VBI DOLOR IBI VIGILES


  • Besonders negativ fallen mir hier die bodentiefen Fenster auf. Das ist ein Trend, den man auch an Neubau-Einfamilienhäusern beobachten kann: Modisches Walmdach, Klinkerfassade und dazu dann aber immer häufiger diese bodentiefen Fenster. Die sind vom Format her eher passend für Hochäuser und dergleichen mit einer mehr vertikalen Ausrichtung.

  • Das ist aber nicht mehr der aktuelle Planungszustand. Die Denkmalpflege hat sich (ausnahmsweise mal) darüber beschwert, dass das Material der Dachdeckung dasselbe sein soll wie das der Wandverkleidung. Ob die Häuser nun ein ordentliches ziegelgedecktes Dach bekommen werden, weiß ich allerdings auch nicht. Jedenfalls kann man schon dankbar darüber sein, dass hier steile Satteldächer gebaut werden sollen und die historischen Parzellen zumindest optisch wieder aufgenommen werden. Angesichts solcher Katastrophen wie des Herder-Centers oder des grausamen Neubaus, der momentan an der Ecke Beckergrube / Ellerbrook hochgezogen wird, kann man dafür echt dankbar sein.

  • Meines Wissens wurde darüber im Forum noch nicht berichtet:

    Mitten in der Altstadt werden zwei blockfüllende Nachkriegsbauten niedergelegt.
    Ich halte das für eine hervorragende Nachricht. Die beiden Bauwerke zählen sicher zu den störendsten der ganzen Innenstadt.

    Zwar sind das alles andere als Betonmonster. Sie gehören mit ihrer armseligen, langweiligen, biederen, das gewesene komplett ignorierende Zeilenbauweise aber in die Reihe der vielen Nachkriegsbauten, die in vielen Bereichen unserer Städte zu einer ästhetischen Totenstarre führen, die einen frösteln lässt.

    Zudem stehen sie eben mitten in der Keimzelle der Stadt und erlauben durch ihr Dahinscheiden eine - vielleicht - bessere Neugestaltung.

    Zumindest ist wohl eine Bebauung gemäß dem historischen Parzellen-Raster im Gespräch ... Ob das dann gleich giebelständige Backsteinhäuser werden, sei mal noch dahin gestellt. Aber allein schon der Ansatz an dieser Stelle urban nachzuverdichten ist meiner Ansicht nach schon ein großer Gewinn!

  • ....Zumindest ist wohl eine Bebauung gemäß dem historischen Parzellen-Raster im Gespräch ... Ob das dann gleich giebelständige Backsteinhäuser werden, sei mal noch dahin gestellt. Aber allein schon der Ansatz an dieser Stelle urban nachzuverdichten ist meiner Ansicht nach schon ein großer Gewinn!

    Interessantes Projekt, das hier in der Tat unverständlicherweise etwas zu kurz gekommen ist und auch an mir vorbei gelaufen war.

    Dieses große Projekt im Gründungsviertel von Lübeck ist hier (Bilder anklicken!) vorgestellt. Speziell diese historischen Photo, die wohl aufgrund ihres Alters gemeinfrei sein sollten und die ich hier deshalb direkt einbinde

    zeigen auf der rechten Straßenseite einen Teil des neu zu bebauenden Areals, wenn ich es recht verstehe.

    Wenn dies nicht nach Rekonstruktionen schreit, dann weiß ich es nicht!!

    Leider scheinen die entscheidenen Weichen gegen Rekonstruktionen in diesem zentralen historischen Bereich von Lübeck aber wohl schon gefallen zu sein. Lediglich die Parzellenstruktur soll exakt wie früher wiederaufgenommen werden, aber es werden bewußt keine Leitbauten definiert und sämtliche Bauten sollen "modern" ausfallen, wie ich der Anmerkung Mäcklers in diesem eben von mir in Bezug auf Frankfurt zitiertem Interview und dieser ausführlichen Kommentierung in der Broschüre der Bürgerinitiative "Rettet Lübeck" entnehmen kann.

    Ein Skandal!

  • Das Foto links ist eine Aufnahme der Alfstraße, dieses Foto wurde auch in dem sehr empfehlenswerten Buch von Lutz Wilde: "Bomber gegen Lübeck, Eine Dokumentation der Zerstörungen in Lübecks Altstadt beim Luftangriff im März 1942", Schmidt Römhild Verlag, aufgeführt.
    Das Foto rechts kann eigentlich nur die Mengstraße sein.
    Das seit Jahrzehnten brachliegende Areal direkt westlich der Marienkirche an der Ecke Mengstraße und Schüsselbuden mit dem Standort des Fredenhagenhauses dürfte den meisten von uns nicht unbekannt sein; ein Überdenken einer Stadtreparatur in diesem Bereich war in den letzten Jahren bei der Beobachtung des Geschehens in der Stadt nicht ersichtlich, und die bereits neugebauten Häuser in der Fischstraße oder auch in der Beckergrube (am Standort des neuerbauten Hauses von Thomas Manns Eltern) läßt aufgrund der für Lübeck vollständig unpassenden Materialwahl, der Farbgebung wie auch der ausschließlichen Betonung des Neokubismus die Frage aufkommen, in welchem Zusammenhang dies mit Lübeck gesehen werden soll. Ein Wille oder ein Bewußtsein einer Stadtreparatur ist nicht ersichtlich, auch die Umgestaltung des Burgklosters läßt die Frage aufkommen, ob Städtebau heute lediglich noch darin besteht, Entfremdungsprozesse auszulösen. In Lübeck gibt es nur ein Material, das ist der Backstein; und dieser Backstein ist rot. Die außerordentliche Bedeutung der Mengstraße, der Alfstraße und der Fischstraße erfordern ein etwas behutsameres Vorgehen als ein abgekartetes Spiel zwischen Stadtplanern und modernistischen Architekten im stillen Lübecker Amtskämmerlein. Über die Frage, welche Rolle die Alfstraße, die Fischstraße und die Braunstraße in diesen letzten Jahrzehnten nach diesem Handeln, das man "Wiederaufbau" genannt hat, gespielt haben, wäre es angebracht, ein wenig intensiver als bisher geschehen, zu sprechen, wiewohl es zu wünschen wäre, daß diese Gespräche mehr mit den Lübeckern oder durch die Lübecker stattfinden sollten.
    Die verschiedenen Raumbilder, die sich im Zusammenspiel der Mengstraße, der Alfstraße, der Fischstraße und der Braunstraße im Zusammenspiel mit dem Westwerk der Marienkirche ergaben, gehörten einst zu den großartigsten und bedeutendsten der Welt.

  • Schön, dass das Thema "Günderviertel" oder auch "Gründungsviertel" hier aufgegriffen wird. Ich wollte schon länger einen Beitrag dazu schreiben, aber die Zeit fehlte leider.
    Ich fange jetzt einfach mal an und befürchte, dass es länger werden könnte...

    Zunächst einmal: In Lübeck scheuen die Verantwortlichen von je her leider Rekonstruktionen wie der Teufel das Weihwasser. Bis auf die Löwen-Apotheke wurde nach dem Krieg nicht ein einziges Haus rekonstruiert - im Gegenteil: Es wurden viele noch stehende Fassaden beseitigt und bis Ende der 70er Jahre eine Unmenge an unversehrten Häusern abgerissen.
    Man kann von Glück reden, dass überhaupt die großen Kirchen (St. Marien, Dom, St. Petri) zumindest äußerlich wiederhergestellt wurden. Aber als bei letzterer vor einigen Jahren ein Mäzen den noch fehlenden Petri-Dachreiter spendieren wollte, wurde auch dieses Projekt mit einer Diskussion über "modern oder nicht" zerredet. Das muss man sich mal vorstellen: Das Geld war da, aber man wollte den historischen Dachreiter nicht, der als letztes Element zur Wiederherstellung der Stadtsilhouette noch fehlt! Sowas gibt es nur in Lübeck, glaube ich.

    Zum Gründerviertel selbst:
    Es erhielt seinen Namen, weil es als ältester Teil Lübecks, also quasi die Keimzelle der mittelalterlichen Handelsstadt gilt und liegt auf der westlichen Hälfte der Alstadtinsel. Zum Gründerviertel gehören (von süd nach nord die Braunstraße, Fischstraße, Alfstraße und Mengstraße, die von der höchsten Stelle des Stadthügels mit Markt, Rathaus und Marienkirche hinab zum Hafen führen. Diese Lage war ideal für die Kaufleute: Die Waren wurden im Hafen angelandet, in den Häusern des Gründerviertels gelagert und auf dem Markt verkauft. Verbunden waren diese sogenannten "Rippenstraßen" noch mit sehr schmalen Gassen, der Einhäuschenquerstraße zwischen Braun- und Fischstraße, Krumme Querstraße zwischen Fisch- und Alfstraße und Gerade Querstraße zwischen Alf- und Mengstraße.
    Das Gründervierteil bestand fast ausschließlich aus den größten und prächtigsten Giebelhäusern der reichen Kaufleute, überwiegend aus der Zeit der Gotik und der Renaissance, denen allerdings später zu einem nicht unerheblichenTeil Straßenfassaden von Barock bis Klassizismus vorgesetzt wurden, hinter denen die alten Häuser aber meist bestehen blieben. Die Hoffassaden blieben so auch fast immer in der alten Form bestehen. D.h. die Häuser waren fast durchweg deutlich älter als man von der Straße vermuten konnte.

    Die alliierten Bomber haben es geschafft, ausgerechnet dieses prächtigste Viertel der Lübecker Altstadt fast vollständig auszulöschen, während die weitaus ärmlichere - wenn auch deutlich größere - Ostseite fast vollständig verschont blieb.
    Von den ca. 130 Häusern des Gründerviertels blieb nur die untere Hälfte der Mengstraße mit ca. 30 Häusern (hier erhält man noch einen guten Eindruck der einstigen Pracht), 4 Häuser in der unteren Alfstraße und ca. 10 Häuser in der Braunstraße (4 im oberen Teil, der Rest im unteren). Die sehr bedeutende Fischstraße wurde komplett zerstört.

    Nach dem Krieg brach man - wie in allen zerstörten Teilen der Alstadt - komplett mit der seit der Stadtgründung bestehenden Parzellenstruktur und Giebelständigkeit. Der größte Teil des Gründerviertels wurde mit zwei Berufsschulen bebaut, deren einzige Reminiszenz an die alte Bebauung die Backsteinsichtigkeit und rotbraune Satteldächer waren. Ansonsten handelte es sich um langgestreckte traufständige Bauten mit einem oder zwei Giebeln pro Straße. Zudem wurden die historischen Baufluchten durch zahlreiche Vor- und Rücksprünge im Fassadenablauf negiert. Der Rest der zerbombten Flächen wurde mit Wohnblöcken in unterem Vorstadtniveau bebaut oder blieb bis vor kurzem unbebaut. Diese unbebauten Flächen wurden aber leider inzwischen mit dem Internationalen Studentenwohnheim (2006) bebaut, das so einige Schwächen aufweist und nicht in das jetzige Konzept passt, eine weitere Fläche wird gerade mit einem Gebäude für die Ulrich-Gabler-Stiftung bebaut, das zum Glück schon einen deutlichen Schritt zur Besserung erkennen lässt (Satteldächer und ähnliche Kubatur wie die alte Bebeauung, siehe rechtes Bild im vorhergehenden Beitrag meines Namensvetters), aber dennoch weit weg von einer Rekonstruktion ist. Zu diesen neuen Bauten kann ich später nochmal was schreiben.

    Durch eine großzügige Spende der Lübecker Possehlstiftung ergab es sich vor einige Jahren, dass die Berufsschullandschaft in Lübeck so umgebaut werden konnte, dass die inzwischen sanierungsbedürftigen Schulen im Gründerviertel nicht mehr benötigt werden. Die eine (zwischen Braun- und Fischstraße) ist bereits vor 2 Jahren abgerissen worden, die andere (zwischen Fisch- und Alfstraße) soll in Kürze folgen. Auf dem Abrissgelände tummeln sich seitdem die Archäolgen (zumindest in den Bereichen, in denen die Schule nicht unterkellert war) und graben sich bis auf den gewachsenen Boden hinunter. Dabei kommen die alten Kellermauern der mittelalterlichen Häuser wieder zu Tage.

    Jetzt zum aktuellen Stand:
    Zunächst hieß es wie immer, dass man die freiwerdenden Grundstücke an große Wohnbaufirmen vergeben wollte. Das hätte bedeutet, man hätte wie überall große Renditewohnblöcke mit Geschosswohnungen und Tiefgarage bekommen.
    Aber etwas später besann man sich dann erstaunlicher- und erfreulicherweise doch auf die Geschichte des Ortes und will nun die Grundstücke in Form der historischen Parzellen vergeben. Es soll sogar ausgeschlossen sein, dass ein Bauherr zwei nebeneinanderliegende Grundstücke kaufen kann, um zu verhindern, dass doch größeren Bauvolumina entstehen.

    2011 fand ein Workshop unter Beteiligung aller interessierten Bürger statt. In mehreren Gruppen wurden Vorschläge erarbeitet, wie man sich eine Neubebauung vorstellte.
    Im Februar 2012 wurden die Ergebnisse dieser Arbeiten der Öffentlichkeit vorgestellt (ich war dabei anwesend).

    Konsens herrschte in folgenden Punkten:
    - Die Parzellenstruktur soll erhalten bleiben
    - Die hinteren Bereiche sollen nicht so dicht bebaut werden wir vor dem Krieg

    Bei den weiteren Punkten war es dann mit der Einigkeit auch schon vorbei:
    - Die einen wollten Satteldächer, den anderen waren Dachterrassen (und Balkone!!!) wichtiger
    - Einige Bürger wollte auch Rekonstruktionen möglich machen, was wiederum die anwesenden Architekten strikt ablehnten
    - Viele Bürger wollten gerne die alten Verläufe der kleinen Querstraßen wiederhergestellt sehen, was wiederum der Gestaltungsbeirat ablehnte und einen geraden Straßenverlauf forderte, der durch die unteren Nachkriegs-Baublöcke am Hafen, die leider bestehen bleiben, vorgegeben wird.

    Auf der anderen Seite hatte der Gestaltungsbeirat die gute Idee der "Hüllkurve", d.h. die neuen Häuser sollen in etwa der Silhouette der historischen Fassadenabwicklung folgen.


    Also nochmal zusammenfassend der aktuelle Stand, der mich nicht gerade beruhigt:

    Positiv:
    - Die Neubebauung soll auf den alten Parzellen erfolgen, was aufgrund der geringen Grundstückbreite fast zwangläufig bedeutet, das wohl wieder giebelständige Häuser und zudem die alten Straßenfluchten entstehen werden.

    Negativ:
    - Die Dachformen stehen noch nicht fest. Es kann also auch passieren, das wir statt Satteldächern auch Flachdächer oder sonstigen Unfug bekommen
    - Der Verlauf der neu zu bildenden Querstraßen steht noch nicht fest - sieht eher nicht nach dem historischen Verlauf aus, da hier die erwähnten unteren, begradigten und verschobenen Baublöcke entgegenstehen.
    - Die historischen Grundmauern müssen nicht erhalten werden - das ist den Bauherren freigestellt. Wer wird das schon machen, wenn es was kostet? Außerdem haben die Archäologen inzwischen ohnehin fast alles zerstört.
    - Und das Schlimmste: Es sollen KEINE Rekonstruktionen entstehen, obwohl die meisten Fassaden (z.B. die gesamte Fischstraße) sehr gut dokumentiert sind. Die "Bürgerinitiative Rettet Lübeck" (BIRL), deren Mitglied ich auch bin, will sich allerdings dafür einsetzen, dass zumindest ein oder zwei Fassaden rekonstruriert werden. Viel Hoffnung habe ich aber aus langjähriger Erfahrung nicht - das müsste dann auch bald festgelegt werden, da die Grundstücke demnächst ausgeschrieben werden sollen.

    Ich verfolge das weitere Geschehen und werde berichten, sobald ich mehr weiß.

    Weiterführende Links:
    Historische Bilder des Gründerviertels, zusammengestellt von Jan Zimmermann:
    Braunstraße
    Fischstraße
    Alfstraße
    Mengstraße
    Einhäuschenquerstraße
    Krumme Querstraße


    Ausführliche Berichte mit Lageplänen zu den archäologischen Grabungen

    Auf diesem Plan sieht man einen großen Teil des Gründerviertels (oben fehlt noch die Mengstraße).

    Die farbigen Bereiche sollen neu bebaut werden. Die grau hinterlegten Flächen zeigen die historische Bebauung samt Hausnummern, die schraffierten Flächen die jetzige, die bestehen bleibt. Man sieht auf der linken Seite den abweichenden Verlauf der historischen Querstraßen (die teilweise von den Schulen überbaut waren) und das Problem mit den unteren Baublöcken ganz links. Die einzigen noch vorhandenen historischen Häuser auf diesem Plan sind Braunstraße 1-5 (neugotischer Postbau), 6, 8, 10, 12, 19, 23 und 25. (21 wurde nach dem Krieg noch abgerissen!). Alles, was an schraffierten Häusern sonst zu sehen ist, sind Nachkriegsbauten, zum größten Teil der übelsten Sorte.
    Dort, wo "Altgrabung 1985-1990 steht, wurde 2006 ein Studentenwohnheim gebaut, das von der Alf- bis zur Fischstraße die gesamte Fläche einnimmt. Oben rechts an der Ecke Alfstraße/Schüsselbuden entsteht gerade das Ulrich-Gabler-Haus, das zumindest in etwa an die Kubatur der historischen Bebauung erinnern wird. Alles in allem sehr schade, dass hier erst vor einigen Jahre ohne Not die Gelegenheit vergeben wurde, das Parzellenkonzept auch auf diese beiden Bereiche auszudehnen.

    Ein paar eigene Bilder von 2012 kann ich in den nächsten Tagen noch nachliefern, falls gewünscht.

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

  • Zitat

    Das Foto rechts kann eigentlich nur die Mengstraße sein.


    Das Foto rechts zeigt ebenfalls die Alfstraße, nur ein Stück weiter oben als das linke. Das ist die Ecke, an der gerade das Ulrich-Gabler-Haus gebaut wird, das z.B. an dieser Stelle auch ein vorkragendes Obergeschoss haben wird.

    Zitat

    In Lübeck gibt es nur ein Material, das ist der Backstein; und dieser Backstein ist rot.


    Das kann ich so nicht stehenlassen. Für die Monumentalbauten (Kirchen, Rathaus und Stadttore) ist das richtig. Inzwischen wird das Stadtbild aber deutlich von verputzten hellen Fassaden des Klassizismus geprägt. Die backsteinsichtigen Häuser der Gotik und Renaissance sind in der Minderzahl. Zudem sind diese nach ihrer Erbauung nachweislich ebenfalls nicht backsteinsichtig, sondern geschlämmt und farbig gefasst gewesen. Nachgewiesen sind u.a. rote und gelbe Farben. Einige Häuser sind dementsprechend in der letzen Zeit gefärbt worden (Beispiele finden sich in Engelsgrube, Fischergrube und Depenau).

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)