Lübeck - Neubauten im Gründerviertel

  • Und das Problem in vielen deutschen Städten sind eben die von dir erwähnten Zwiebelschalen: es gibt sie nicht mehr. Der Bombenkrieg hat innerhalb weniger Stunden die gebaute Geschichte mehrerer Jahrhunderte ausgelöscht. Nun kann man sagen: wir bauen die Stadt eben komplett neu auf, so wie Magdeburg nach dem 30-jährigen Krieg oder Lissabon nach dem Erdbeben von 1755.

    Die Erfahrung zeigt allerdings, dass die moderne Architektur dabei versagt. Man schaue sich nur die meisten deutschen Städte an.

    Stimmt, die "Zwiebelschalen" gibt es vielerorts nicht mehr. Komplett neu bauen lassen sich Städte aber auch nicht mal eben so, oder willst du die Eigentümer all der Gebäude enteignen? Und wo soll dafür das Geld her kommen? In der Realität kann man immer nur nach und nach vereinzelt Gebäude ersetzen und die betreffenden Neubauten sind dann immer dem jeweiligen Zeitgeschmack unterworfen.

    Selbst wenn moderne Architektur beim Städtebau 1000 mal versagt: es bleibt ja dabei, dass eine fundamentale Kehrtwende hin zum klassischen Bauen nicht eintreten wird. Dieses würde ja auch eine ebenso fundamentale Veränderung unseres ganzen gesellschaftlichen Denkens voraussetzen. Und da sind Viertel wie das Gründerviertel ein guter Ansatz es zukünftig besser zu machen. Aber ich wiederhole mich. Dabei kann ich deine Argumente schon nachvollziehen. In der Realität gehören sie aber leider in den Bereich des Idealismus und Wunschdenkens. Aber damit bist du hier in guter Gesellschaft.

  • Man muss immer bedenken, dass sich Menschen heutzutage einfach keine Brokatvorhänge mehr in die Wohnung hängen, sondern Filme bei Netflix streamen.

    Bei Deiner Aussage muss ich an den "Gelsenkirchener Barock" denken - der Begriff aus den 70ern, der dafür steht, dass Architekten völlig an den Bedürfnissen der Menschen nach Schönheit vorbeiplanen. Außen Platte, innen der hilflose Versuch, mit Kitsch gegen die Trostlosigkeit gegenan zu dekorieren

  • Die Fassade des Gebäudes Alfstraße 25 ist für mich der am meisten gelungene Beitrag zu dem Projekt "Neubauten im Gründerviertel". Die expressiv gestaltete Schauseite ist durchaus "stiläquivalent" mit der Backsteingotik. Schade, dass die Fenster keine hellere Rahmung haben, das hätte die Fassade noch mehr aufgewertet.

    Zur Zeit ist es auch bei uns in Hamburg ein absolutes "muss", dass Fenster in einem düsteren Grau gerahmt werden. Architektur ist ein Metier, das nur zu oft durch mutloses Kopieren des jeweils aktuellen Stils statt durch Kreativität gekennzeichnet ist.

  • In der Realität kann man immer nur nach und nach vereinzelt Gebäude ersetzen und die betreffenden Neubauten sind dann immer dem jeweiligen Zeitgeschmack unterworfen.

    In der Realität entstehen aber doch prinzipiell in vielen Städten wieder die ,,Schalen". Nämlich dadurch, dass man sehr unterschiedliche Gestaltungssatzungen, Bebauungspläne, kommunale Förderprogramme usw. je nach Umfeld verabschiedet. Das könnte man durchaus nochmal ausbauen und konsequenter durchsetzen, und schon haben die Städte, die zumindest noch Fragmente historischer Bebauung vorweisen können, unterscheidbare Räume, welche den unterschiedlichen Entstehungszeiten der Stadträume entsprechen. Dass dies dem Zeitgeschmack unterworfen ist, würde ich so nicht sehen. Den Zeitgeschmack liest man immer recht gut bei den Einfamilienhäusern ab. Ich habe aber weder in sensiblen Stadträumen z.B. die vor ein paar Jahrzehnten beliebten Toskana-Stile entdeckt, noch sehe ich heute z.B. diesen starken Farbtrend anthrazit-weiß dort besonders ausgeprägt. Es sind also eher die Stadträume, bei denen gerade nicht so extrem der Zeitgeschmack zuschlagen kann (durch mehr einflussnehmende externe Faktoren).

  • Stimmt, die "Zwiebelschalen" gibt es vielerorts nicht mehr. Komplett neu bauen lassen sich Städte aber auch nicht mal eben so, oder willst du die Eigentümer all der Gebäude enteignen? Und wo soll dafür das Geld her kommen? In der Realität kann man immer nur nach und nach vereinzelt Gebäude ersetzen und die betreffenden Neubauten sind dann immer dem jeweiligen Zeitgeschmack unterworfen.

    Du hast mich missverstanden. In Magdeburg musste ja die gesamte Stadt nach der 'Magdeburger Hochzeit' neu aufgebaut werden. Ebenso große Teile Lissabons nach dem Erdbeben. Oder eben Teile Dresdens nach dem Beschuss durch die Preußen im 18.Jahrhundert.

    Was ich sagen will: damals hat es funktioniert, auch ohne Rekonstruktionen. Denn die Architektursprache hatte überzeugende Lösungen parat. Nach den Zerstörungen des 2.Weltkriegs hat es oftmals nicht funktioniert. Weil die Moderne eben vieles so radikal anders machen wollte. Im Nachhinein wäre es klüger gewesen, mehr zu rekonstruieren und sich stärker an den alten Grundrissen zu orientieren.

    Nun ist es für viele Städte zu spät. Nach und nach kann - und sollte - man einzelne Stadtplätze aufwerten, da bin ich ganz bei dir. Aber eben auch mit Rekonstruktionen, es sei denn, die Moderne entwickelt sich endlich weiter. Und ich bin mir auch bewusst, dass "mehr" oft nicht geht.

    Deswegen glaube ich auch, dass z.B. Dresden ein "Jahrhundertprojekt" ist. Ich bin mir sicher, dass das Neustädter Rathaus zurückkommt, weil die aktuelle städtebauliche Situation so unbefriedigend ist. Ich bin mir aber nicht sicher, dass ich den Wiederaufbau noch erleben darf.

    Das Lübecker Gründerviertel finde ich gelungen, zwar nicht immer im Einzelnen, aber definitiv im Ganzen.

  • In der Realität entstehen aber doch prinzipiell in vielen Städten wieder die ,,Schalen". Nämlich dadurch, dass man sehr unterschiedliche Gestaltungssatzungen, Bebauungspläne, kommunale Förderprogramme usw. je nach Umfeld verabschiedet. Das könnte man durchaus nochmal ausbauen und konsequenter durchsetzen, und schon haben die Städte, die zumindest noch Fragmente historischer Bebauung vorweisen können, unterscheidbare Räume, welche den unterschiedlichen Entstehungszeiten der Stadträume entsprechen.

    Völlig richtig, das ist in der Regel der einzige Hebel wo man ansetzen kann.

    Und um meine Einstellung zu Rekonstruktionen generell einmal ins rechte Licht zu rücken:

    Die Dresdner Frauenkirche wurde mit großem Detailaufwand unter Einbeziehung von Originalsteinen und mit viel Schweiß wieder aufgebaut und ist für mich dadurch in jeder Beziehung eine authentische Frauenkirche. Hier spreche ich auch ungern von Rekonstruktion, sondern lieber von Wiederaufbau. Das Knochenhaueramtshaus wiederum wurde ebenfalls sehr detailverliebt neu errichtet. Auch damit habe ich prinzipiell kein Problem. Allerdings wirkt es in der Hildesheimer Betonwüste ziemlich verloren, was leider die Glaubwürdigkeit herabsetzt. Tatsächlich würde es auch im Gifhorner Mühlenmuseum eine gute Figur machen, da steht ja auch schon eine russische Kirche.

    Deutlich kritischer sehe ich z.B. das Braunschweiger Schloss. Sieht wirklich schön aus. Wenn ich davor stehe, wird mir aber immer bewusst, dass hier nur ein Einkaufszentrum mit einer 12 cm dicken Schlosstapete verkleidet wurde. Und das sehe ich wirklich mit sehr gemischten Gefühlen. Das Schloss Herrenhausen hingegen wahrt die originale Kubatur. Innen aber von der originalen Raumaufteilungen keine Spur, stattdessen nüchterne Tagungsräume. Ist das ein Schloss? Eher nicht. Dennoch kann ich mit der Nutzung leben, da der Bau im Kontext mit den Herrenhäuser Gärten funktioniert und hier einfach kein moderner Bau vorstellbar gewesen wäre. So sehe ich halt jede Rekonstruktion aus einem anderen Blickwinkel. Das verkleinerte Palais von Turn & Taxis in Frankfurt lässt mich schon wieder schaudern. Das hat es so halt nie gegeben. Die Neubauten auf dem Dresdner Neumarkt? Schön, dass der Platz so viele Menschen begeistert. Ich kann den Gedanken an eine Betonkulisse allerdings nicht ganz abschütteln.

    Das extremste Beispiel ist für mich das Berliner Schloss. Sehr schön geworden, an dieser Stelle wäre kaum ein anderes Bauwerk vorstellbar gewesen. Dennoch bleibt die Tatsache, dass es sich nur um eine Hülle handelt. Um ein modernes Gebäude mit Rolltreppen im Inneren. So schön es auch ist: ich bin froh, dass mir andere die Entscheidung über den Wiederaufbau abgenommen haben. So bin ich aus der Nummer raus.

  • Orakel Nur kurz aus Interesse, weil es nicht unbedingt zum Strangthema zuträgt, wie siehst Du dann die heute üblichen ,,Sanierungen" vieler historisch wertvoller Gebäude, die letztlich genau das im Ergebnis sind, das Du bei den kritischer bewerteten Rekos siehst: Vollentkernte Betonneubauten mit völlig anderen Nutzungsformen und ,,dünner Fassadentapete"? Ich denke da z.B. Neuhauser Straße 20 in München, an die vielen Fassaden in Landshut, hinter denen nur noch Neubauten stecken, aber auch gerade wieder einen historischen Gasthof, den ich im Augsburger Land zu Gesicht bekam - jetzt Haus der Vereine - von dem nur noch die Ziegelwände außen ohne Putz blieben bei der Millionensanierung. Ein wirklich enorm verbreitetes Vorgehen.