• Danke fürs Verschieben, ich packe mal meinen Beitrag hierher:

    Auf dem letzten historischen Hildesheim-Bild sind noch sehr deutlich mittelalterliche Ständerbauten zu erkennen (mittleres Haus und das rechts dahinter). Die Fensterformate lassen erkennen, dass diese sogar relativ ursprünglich erhalten waren (keine Fenster des 18. oder 19. Jahrhunderts!).

    Würde mal gerne Riegels Expertise dazu hören. ;)

  • @ RMA
    Im Niedersächsischen Fachwerkbau kenne ich mich noch nicht so gut aus, als dass ich hier ein hiebfestes Urteil abgeben kann. Beim letzten Bild handelt es sich eher um Hinterhäuser und Rückfassaden, und bei solchen wurde naturgemäss weniger modernisiert als bei an wichtigeren Strassen/Plätzen gelegenen Fassaden. So erstaunt es nicht, dass hier noch ältere Fensteröffnungen überdauert haben.

    Der Niedersächsische Fachwerkbau beruht seit dem Mittelalter auf einer sehr engmaschigen und regulären Struktur (ganz im Gegensatz zur Alemannischen und später auch Fränkischen Bauweise), und so eine Struktur kam natürlich dem Ideal des Klassizismus - Regelmässigkeit und Wiederholung - entgegen. So sind barocke und klassizistische Eingriffe ins ursprüngliche Fachwerkgefüge Niedersächsischer Bauten oft minimal geblieben, und haben höchstens in einer Höhenänderung der Brust- und Sturzriegel ihren Niederschlag gefunden.

  • Die Hildesheimer Fachwerkbauten wurden leider schon im späten 19./frühen 20. Jh. stark verändert und dezimiert. Auf dem untersten Bild, das die Rückseite des Hokens zum Hohen Weg (früher auch Oberngünne an dieser Stelle) zeigt, sind gotische Fachwerkhäuser zu erkennen. Die Knaggen sind typisch für diese Häuser um 1500 (grob geschätzt). Das Haus rechts hat im 1 OG eine Renaissance-Ergänzung erfahren. Das ganze Haus wurde um 1900 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt - dessen Rückseite ist auf dem Bild darüber rechts im Bild zu sehen.
    Die Ratsweinschänke (links im entsprechenden Bild) wurde auch in dieser Zeit "angepasst" - die Stockwerkshöhen wurden verändert, das Gebäude radikal umgebaut. Zwischen 1880 und 1910 wurden etliche Fachwerkbauten vor allem am Hohen Weg abgerissen und durch historistische Neubauten ersetzt.

    Nichtsdestotrotz hat der Krieg einen immensen Bestand an historischen Gebäuden vernichtet, aber es war längst nicht mehr alles so historisch und pittoresk wie oft behauptet wird. Ich denke, die Flächensanierungen der 60er/70er Jahre hätten wahrscheinlich genau soviel Verluste gebracht wie der Krieg selber, und auch vor dem Krieg gab es schon Überlegungen zu Sanierungen - viel dieser Bausubstanz, die einst vorhanden war, hätte das 20 Jh ohnehin nicht überstanden, mit oder ohne Krieg. Natürlich war der Krieg die drastischste Zerstörung, aber beileibe nicht die einzige.

  • Quote

    Ich denke, die Flächensanierungen der 60er/70er Jahre hätten wahrscheinlich genau soviel Verluste gebracht wie der Krieg selber,

    Also das glaube ich nun wirklich nicht- sehe Dir nur unzerstörte Städte wie Celle, Goslar, Hameln oder Göttingen an.
    In allen diesen Städten sind wohl ein paar Wohnblocks an Fachwerkhäuser durch Nachkriegsabrisse verloren gegangen- aber das ist doch eine ganz andere Dimension als die Kriegszerstörung Hildesheims.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • @ Hildesheimer

    Quote from "Hildesheimer"

    Nichtsdestotrotz hat der Krieg einen immensen Bestand an historischen Gebäuden vernichtet, aber es war längst nicht mehr alles so historisch und pittoresk wie oft behauptet wird. Ich denke, die Flächensanierungen der 60er/70er Jahre hätten wahrscheinlich genau soviel Verluste gebracht wie der Krieg selber, und auch vor dem Krieg gab es schon Überlegungen zu Sanierungen - viel dieser Bausubstanz, die einst vorhanden war, hätte das 20 Jh ohnehin nicht überstanden, mit oder ohne Krieg.

    Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Im Krieg wurden in Hildesheim mit einem Schlag 1300 von 1500 Fachwerkhäusern zerstört. Ein solcher Verlust ist ohne den Bombenkrieg auch durch schlimmste "Altstadtsanierungen" nicht denkbar. Wäre Hildesheim im Krieg verschont geblieben, hätte man in der Nachkriegszeit sicherlich einzelne Häuser geopfert, aber diese Maßnahmen hätten sich wahrhscheinlich auf ein paar Dutzend beschränkt. Man braucht sich doch nur das nahe Goslar anschauen, wo auch heute noch 1500 Fachwerkhäuser stehen. Die dortige erhaltene Altstadt wurde - wie eigentlich überall sonst in ähnlichen Fällen in Deutschland (Regensburg, Bamberg, Heidelberg, Lübeck, Erfurt etc.) - nicht weiträumig abgerissen und neubebaut. Warum hätte es in Hildesheim anders sein sollen?

    Es scheint mir eine psychologisch zu begründene Aushilfsstrategie sein, zu versuchen, mit den Verlusten des Bombenkriegs dadurch fertig zu werden, indem man sich eingeredet, dessen Ergebnisse wären ohnehin eingetreten. Dem ist aber nicht so. Die kriegszerstörten Städte Deutschlands sähen ohne den Bombenkrieg heute ganz anders (d. h. besser) aus.

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Die Möglichkeit wäre allerdings da gewesen. Im nahezu unzerstörten Lüneburg wollte man nach dem Krieg einen Großtteil der Altstadt wegen Baufälligkeit abreißen lassen. Es ist einigen Bürgern zu verdanken, dass dies nicht geschehen ist.

    by-the-way: für mich heute eine der schönsten Städte in Deutschland - typisch norddeutsch.

  • Die Doppelturmfassade des Hildesheimer Domes stammte aus der Mitte den 19. Jh., nachdem das originale Westwerk baufällig geworden war. Das Vorbild nach 1945 war Minden, das sich wiederum seinerzeit am originalen Hildesheimer Westwerk orientiert hatte - somit schließt sich hier der Kreis. Die heutige Erscheinung ist eine Orientierung am historischen Original, wie dies auch bei St. Michael geschehen ist. Es gibt historische Abbildungen, die das belegen. Also immer langsam mit den jungen Pferden :zwinkern:
    Was allerdings wenig bekannt ist, ist die Tatsache, dass sich im Westwerk des Domes etliche Tonnen Beton verbergen - im Glockenstuhlbereich ist das offen zu sehen, dahin kommt man nur sehr selten.

  • das originale Westwerk war wunderbar ! Mit Kapelle mit Fresken aus der Romanik. St Michael ist wenn man so will eine der ersten Totalrekos nach dem Krieg, weiss jemand, was der Denkmalschutz dazu gesagt hat ?

  • Quote from "Der Herzog"

    das originale Westwerk war wunderbar ! Mit Kapelle mit Fresken aus der Romanik. St Michael ist wenn man so will eine der ersten Totalrekos nach dem Krieg, weiss jemand, was der Denkmalschutz dazu gesagt hat ?

    Wenn ich mich recht erinnere, hat der damalige Landeskonservator (Oskar Karpa?) das Vorhaben voll unterstützt. Totalreko hieße doch, etwas vollständig neu aufzubauen, richtig? Von der Michaeliskirche waren aber noch erhebliche Teile vorhanden, wenn auch schwer beschädigt. Viel Substanz des noch vorhandenen aufgehenden Mauerwerks wurde zunächst abgetragen und dann neu wieder aufgebaut, weil die Standsicherheit nicht mehr gewährleistet war. Auch wurde in Teilen Beton verwendet, um die Standsicherheit zu gewährleisten, da die Kirche bis heute Standsicherheitsprobleme hat, was am Untergrund liegt.
    Letztendlich ist die Michaeliskirche eine Mischung aus interpretierender Rekonstruktion und Anastilosis, mit einigen neuen Ergänzungen. Das Originalvorbild war auch nur aus historischen Abbildungen überliefert, da die Vierungstürme um 1660 abgetragen wurden. Die heutige Kirche ist eine Interpretation auf Basis der Überlieferungen.

  • der Ostchor und der westliche Vierungsturm fehlten. Nach dem heutigen Erscheinungsbild war es naezu ein Neuaufbau.

  • Karpa selber zur den Zerstörungen:

    "Die Dächer und Decken [...] sind eingestürzt. Die Gewölbe der Krypta blieben erhalten. Die Umfassungsmauern überstanden zwar das Zerstörungswerk, in den Ostteilen (Vierungsturm und Querschiff mit Treppentürmen) waren sie jedoch durch Hitze und Explosionsdruck in den oberen Teilen so zerrüttet, daß umfassende Erneuerungen nötig waren."

    (Quelle: Oskar Karpa, Die Kirche St. Michaelis HIldesheim, Hildesheim 1961, Gerstenberg; S. 42)

    Ein Foto dazu zeigt, dass das aufgehende Mauerwerk des Westchores und des Hauptschiffs in voller Höhe erhalten war, ebenso das südliche Seitenschiff. Das gotische Maßwerk in den Seitenschifffenstern war zerstört. Die Mohrmannsche Zutat des Südwestquerschiffs mit Treppenturm (1907/10) war erhalten, die westlichen Türme ebenfalls. Der Ostchor und die Apsiden fehlten schon seit 1650. Da von nahezu Neuaufbau zu sprechen, erscheint mir übertrieben.

    Karpa schreibt im Text: "Seit über 300 Jahren nur noch als beklagenswerter Torso überkommen..."
    (Quelle wie oben, S 25). Er schreibt auch, dass das originale Steinmaterial wieder verwendet wurde und die zusätzlichen Steine in technisch gleichartiger Weise hergestellt wurden.
    Er begreift die furchtbare Zerstörung als Chance, den Bau in seiner ursprünglichen Gestalt wieder herzustellen. Die ursprüngliche Gestalt hat für ihn den höheren Wert als die überkommene aus den Jahren bis 1945, daher nähert er sich diesem Ursprung so weit wie möglich wieder an.
    Die Denkmalpflege hat diese Wiederherstellung also voll unterstützt. (Karpa war zu dieser Zeit Landeskonservator)

  • Ein besonders schöne Ecke gab es auch hinter dem Domhof, wo sich die Domschenke, der Goldene Engel und das Gasthaus um neuen Schaden einander gegenüberstanden:

    Der Domschenke:

    Quelle: http://www.bildindex.de" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.bildindex.de

    Der Goldene Engel:

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    Zum neuen Schaden:

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    Die Ecke gehört unbedingt rekonstruiert.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Der Unterbau der Domschänke steht auch noch. man hat sich beim neubau des gebäudes nicht getraut das fachwerk zu rekonstruieren, wegen der Kosten habe ich mal gelesen.

  • Quote

    man hat sich beim neubau des gebäudes nicht getraut das fachwerk zu rekonstruieren, wegen der Kosten habe ich mal gelesen.

    Dieser Grund scheint mir sehr plausibel. Deshalb sollte es in Hildesheim auch einen "Altstadtfreunde"-Verein geben, die solchen Projekten energisch vorantreiben würde, und wo die Leute dafür spenden könnten.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Die Quelle der Aussage zu den Kosten würde mich sehr interessieren. Nach dem Krieg war es meiner Meinung nach eher eine Sache des Geschmacks, das Fachwerk nicht wieder aufzubauen - man wollte "modern" bauen. Aber das mag in dem Fall anders sein.
    Es gibt ja die Altstadtgilde, deren Vorsitzender Herr Geyer lange war, und die auch sein Anliegen unterstützt. Die wäre eigentlich der Ansprechpartner für solche Projekte.

  • Es ist ja immer wichtig zu wissen, wie die Gegenseite denkt, um argumentativ gewappnet zu sein... daher bitte ich alle an Hildesheim Interessierten, diesen Artikel zu lesen:

    http://exportabel.wordpress.com/2009/05/27/postmoderne-mythenbildung-in-hildesheim/\r
    exportabel.wordpress.com/2009/05 ... ildesheim/

    Es handelt sich um einen Anti-Reko-Artikel zum Hildesheimer Marktplatz (mit vielen Fotos). Bitte um Kommentar....

  • Moin, ein richtiger Antirekoartikel ist es nicht. Er regt vielmehr an, dass auch wir auf ordentliche Rekos pochen und uns nicht mit " Fassadismus" zufrieden geben !!!