Görlitz - Einkaufszentrum Berliner Straße 39 - 43, Salomonstraße 9 - 18

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    Ich teile die allgemeine Dramatisierung nicht sagen wir mal so. Wer nach Görlitz zieht wird nicht oder ganz selten in Neubaublöcken wohnen. Zuzügler kommen ja hauptsächlich wegen der Altstadt. So dass von auszugehen ist dass der Rückbau von Wohnraum weiter von außen nach innen stattfindet.
    Zumal, und das ist in meinen Augen schlichtweg fakt, die Vergleiche mit der absoluten Einwohnerzahl vor dem Krieg und heute zum verdeutlichen der Wohnungslage in der Altstadt Humbug sind. Es wohnen nachweislich weniger Menschen in einem Haushalt und auch in einer Wohnung als vor 70 Jahren. Soll heißen die Stadt kann heute genauso von viel weniger Menschen gut unterhalten werden als damals dort lebten. Das ist kein Referenzwert.

  • Ich kann Saxonia nur beipflichten, Görlitz hat laut Inseg-Studie, so meine ich mich zu erinnern, durchschnittlich 1,8 Bewohner/Haushalt. Dieser Wert soll sich in den nächsten 10 Jahren auf 1,4-1,5 absenken. D.h. in Görlitz gibt es überdurchschnittlich viele Singlehaushalte, die teilweise in 90 qm Wohnungen leben, meistens ältere Menschen. So etwas dürfte es vor dem Krieg kaum gegeben haben.

    Damals lebten ca. 85.000 EW im heutigen historischen Zentrum (Polnische Seite schon rausgerechnet), aktuell sind es etwa 27.400 EW. Ich schätze Görlitz bräuchte ca. 40 Tsd. Einwohner damit das Zentrum propevoll ist. (dabei ist einberechnet das alle heut unsanierten Gebäude hergerichtet wären). Die Entwicklung der letzten 7 Jahre sieht so aus, dass das historische Zentrum im Durchschnitt pro Jahr 180-230 EW dazugewinnt, die Randgebiete ca. 400-600 EW verlieren.

    Sofern der Zuwachs die nächsten Jahre fortschreitet und die Kennzahl für Bewohner/Haushalt sinkt, sieht es nicht ganz so düster aus. Zudem werden immer mehr nicht vermietbare Wohnungen zu Ferienwohnungen umgebaut.

  • Unterm Strich: Görlitz kann keines seiner Probleme (Einwohnerwegzug, geringe Wertschöfpung, zuwenige Steuern) durch das geplante EKZ lösen. Im Gegenteil, die Nachteile überwiegen. Görlitz lebt nun mal von der touristischen Anziehungskraft seiner geschlossenen historischen Bausubstanz - durch das Projekt wird ein Teil dieser Bausubstanz zerstört. Neue Arbeitsplätze und nachhaltige Immobilien werden kaum entstehen, die Einwohnerschrumpfung wird kaum damit zu stoppen sein. Dafür müssen die bisherigen 1a-Lagen in Görlitz wegen der Umsatzverschiebung auf das EKZ mit weniger Umsatz rechnen.

    Alles in allem ein verzweifelter Versuch der Stadtoberen, "einen Investor" nach Görlitz zu bringen, der Umsatz, Arbeitsplätze und Nutzung von Immobilien verspricht . Görlitz braucht ein völlig anderes Konzept. Denkbar wäre z.B. ein "Prag-Ansatz". Prag zog mit billigen Mieten und dem reizvollen Stadtbild nach der Wende Künstler und Intellektuelle aus der ganzen Welt an - dann kamen klein-Gewerbe, Gastronomie, Hotels und noch mehr Touristen.

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  • Das Thema Einkaufszentrum sollte man in einem größeren Zusammenhang sehen. Bautzen hat bisher als einzige Stadt der Oberlausitz so ein großes Einkaufszentrum. Das wurde ein wirtschaftlicher Erfolg, und nun wollen alle anderen oberlausitzer Städte auch so ein Ding, weil sie nicht wollen dass die regionale Kaufkraft nach Bautzen oder gar Dresden abwandert. Also planen Görlitz und Zittau nun, wider aller rationalen Erwägungen, auch so ein Ding in die Altstadt zu pflanzen. Und um dem die Krone aufzusetzen möchte man das Bautzener Einkaufszentrum nun auch noch vergrößern.
    Für einen Investor macht das natürlich nur begrenzt Sinn. Görlitz und Zittau haben eine stark schwindende und überalterte Einwohnerschaft, zudem ist die Region arm. Also hofft man, wie immer, auf solvente Polen und Tschechen. Dort gibts aber bereits ein Überangebot an derartigen Einkaufszentren. Ich glaube Reichenberg/Liberec hat jetzt drei oder vier.
    Also muß der Investor so billig wie möglich bauen damit es für ihn Sinn macht, was für die Kommunen wiederum wohl kein Problem sein wird weil sie ja unbedingt so ein Ding haben wollen. Weil irgendwie dann auf einmal die gesamte regionale Kaufkraft nicht mehr außerhalb verprasst wird, und somit wie durch ein Wunder auch der 1/3 Geschäftsleerstand beseitigt wird. So ist der Plan.

  • Karasek? Wie schön, wieder etwas von Dir zu lesen. Willkommen zurück! :smile:

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Willkommen zurück, Karasek!

    Ähnliche Gedanken (Wettbewerb um die schwindende Kaufkraft) hatte ich auch schon im Zusammenhag mit dem neuen Center in Bautzen gehabt.
    Was ich allerdings nicht nchvollziehen kann, ist die gewählte Sublage. Meiner Ansicht nach ist dieser Teil der Berliner Straße schlichtweg tot und auch zu weit entfernt von den Hauptlagen. Insofern bräuchte man gegen das existierende Zentrum um die untere Berliner, den Post-, Marien- und Deminaniplatz, einen wirklichen Einkaufsmagneten, der mit allen wichtigen Filialisten eine Verkaufsfläche von ungefähr 15.000-20.000qm bräuchte. Meinem Kenntnisstand nach ist etwas derartiges nicht geplant und von der Florana wohl auch kaum zu leisten. Letztendlich frage ich mich also, wie ein solches Center überhaupt funktionieren soll.

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Jö Karasek! Ich dachte schon, die haben unseren geliebten Räuberhauptmann aufgehängt... ;)

    Die Situation in ZI finde ich fast noch schlimmer als in GR. In GR werden zumindest hoffentlich die Fassaden erhalten, wohingegen in ZI banalste "Architektur" die Neustadt verschandeln würde. Außerdem soll ja auch die Albertstraße mit ein paar sanierten Altbauten verschwinden... . Und ein Supermarkt im Zentrum ist wieder nicht geplant, wobei gerade das am meisten dort fehlt, da ich ja unmittelbar am Marktplatz wohnte.

    Ach ja, Deine Bildegalerien fehlen mir - unbeschreiblich!

  • Von der geplanten "Einkaufspassage" Berliner/Salomonstraße, hat man hier in letzter Zeit nur wenig NEUES gehört. Florana mitsamt ihren "genialen" Architekten geht doch nicht etwa in Insolvenz, bevor man sich in und an Görlitz saniert hat ?

    Da könnte doch der "Borgia - KELCH" an den Görlitzern noch mal vorbei gehen - zum Glück !

    Zu hören war wenigstens, dass an dem Florana - Projekt gewisse, architektonische "Modifizierungen" vorgenommen wurden und die Schleifung der Historismus - Denkmale an der Berliner / Salomonstraße vom Tisch ist.
    Das war allerdings das mindeste, was man von Herrn Nettekoven erwarten konnte - absolut zwingend.
    Allein schon das Vorhaben, ein ausgewiesenes Denkmal des Jugendstils an der Salomonstraße abreißen zu wollen, ist doch ein Stück
    aus dem Tollhaus !
    Günstiger, man hätte diesem Herrn Nettekoven das Projekt vollständig und für immer entzogen.

    Görlitz mit seinem überaus kostbaren Bestand an Bauten des Historismus, braucht Nettekovens Abschreibungs - "Architektur" keineswegs.

    Diese Stadt benötigt ganz besonders einfühlsame Architekten, die in ihren Entwürfen den vorhandenen Altbestand akzeptieren, aufgreifen und außerdem befähigt sind diesen ggf. weiter zu entwickeln.
    Es sind in Sachsen ausreichend gestandene Architekten vorhanden.
    Da müssen doch nicht Landfremde hoffiert werden - unbedingt nicht !

  • Es sind in Sachsen ausreichend gestandene Architekten vorhanden.
    Da müssen doch nicht Landfremde hoffiert werden - unbedingt nicht !


    Ob "landfremd" oder sächsisch halte ich für relativ uninteressant - die Frage ist doch, ob Investor, Architekt und Stadt "unsere" Ziele im Auge haben oder eben andere verfolgen. Architekten, die regionaltypisch und sensibel entwerfen, ohne um jeden Preis aktuellen Trends und Ideologien entsprechen zu wollen, sind in Sachsen wohl ebenso Mangelware wie in Westfalen oder Bayern.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
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  • Leider hat der oben genannte Bau - Unternehmer aus dem Taunus bei der Planung seiner Vorhaben eben gerade nicht regionaltypisch schon gar nicht sensibel gearbeitet.
    Schrecklich, was er mit seiner Einkaufspassage an der Kesselsdorfer Straße in Dresden/Löbtau hinterlassen hat : Prototypen einer Bauweise, die rückwärts gerichtet und letztendlich einfallslos dafür aber brutal bleibt.

    Dort ehemals vorhandene, 1945 zerstörte Geschäftshäuser aus dem Historismus ( "Dreikaiserhof" etc. ) betonten einst in gefälliger, anspruchsvoller Weise den Kreuzungsbereich.
    Davon ist in der jetzt geschaffenen Situation gar nichts mehr zu bemerken.
    Wenigstens hätte ein erhalten gebliebenes Neorenaissanceportal mit mächtigen Säulen, in den Neubau einbezogen werden können.
    Aber nein - rasch abgerissen, verschwand es auf einer Deponie.
    Solch einen Umgang mit dem Erbe der Väter wollen wir in Dresden eben gerade nicht.

    Wie solche, noch vorhandenen Rudimente, geschützt und teilweise auch aufgewertet werden können, zeigt der Neubau eines Seniorenheimes an der Dresdner Lukaskirche.
    Es gelang tatsächlich, Portale, Rundbogenfensterlaibungen sowie Treppen des 1945 zerstörten Pfarrhauses mit dem
    Neubau zu verbinden.

  • Leider hat der oben genannte Bau - Unternehmer aus dem Taunus bei der Planung seiner Vorhaben eben gerade nicht regionaltypisch schon gar nicht sensibel gearbeitet.


    Schon klar, das liegt aber nicht daran, dass er aus dem Taunus kommt. Würde ich sagen... :wink:

    Zitat

    Solch einen Umgang mit dem Erbe der Väter wollen wir in Dresden eben gerade nicht.


    In Dresden gibt es Architekturbüros, die zuweilen haarsträubende Vorschläge abliefern (z.Bsp. Gewandhaus). Wer etwas an der Vorherrschaft der austauschbaren Architektur ändern will, kann sich aktiv engagieren. In Dresden z.Bsp. hier:

    StadtbilDD - Das Korrektiv

    Architektur klassisch: Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden e.V.

    Liebe Grüße aus Freiburg. :smile:

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  • Gewiss doch ! Aber der haarsträubende Vorschlag für das sog. Gewandhaus kam nun ld. mal von einem Büro aus Stuttgart. Die Namen der
    beiden Architekten sind mir und anderen bereits nicht mehr geläufig.

    Viele Grüße von mir & hier - ins schöne Freiburg.

  • Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
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    Einmal editiert, zuletzt von youngwoerth (5. Juli 2012 um 11:29)

  • Die obigen Entwürfe haben eines gemeinsam: sie sind wenig durchdacht, schlecht und unsensibel unter Negierung der kostbaren Umgebungsarchitektur: Frauenkirche, Johanneum, div. barocke Bürgerhäuser.
    Deshalb haben sich u.a. Bürgerinitiativen gegen diese vorgesehene, empörende Verhunzung des Neumarkts ( mit Erfolg ) gewehrt.
    Die bekannte Fläche am Neumarkt ( dort befand sich bis 1945 lediglich eine schlichte Straßenbahnhaltestelle ) wird nach wie vor unbebaut bleiben und das ist die beste Lösung.
    Was die "Geschäftspassage" in Görlitz angeht, "ruht weiterhin still der See". Jedenfalls ist nicht bekannt, wie es da weitergehen soll.
    Am besten man legte das Projekt entgültig AD ACTA, konzentriert sich auf eine Neubelebung des historischen Jugenstilkaufhauses.

  • D´accord! Dieser Sachverhalt in Görlitz, die projizierte Entwicklung eines Einkaufszentrums, das keinen unmittelbaren Bedarf erkennen läßt, ins Gespräch gebracht durch das Bestreben eines alten Mannes, Umsatz zu machen in Verbindung mit einem sehr zu bedauernden Leerstand des wohl bedeutendsten Kaufhauses Deutschlands (jedenfalls wird sich kein zweites mit so einer überwältigenden Faszination finden lassen), und bei dem der Leerstand einzig und allein lokalpolitischer Kurzsichtigkeit geschuldet ist, läßt einen so manche freie marktwirtschaftlichen Überzeugungen von einst über Bord werfen (noch dazu, wenn es in Verbindung mit Görlitz steht). Für die Notwendigkeit, das Görlitzer Kaufhaus wieder zurück ins Leben zu führen, gibt es keine Alternative; und diese wundervolle Stadt braucht keine alten fragwürdigen Geschäftsmänner, deren Handeln sich darauf beläuft, weil sie das vor 6 bis 7 Jahrzehnten sich in dieser Form haben einprägen lassen - eine so große Stadt wie Görlitz braucht Kapazitäten.
    Wenn wir den Gedanken weiterführen - der Leerstand des Kaufhauses zum einen, die theoretische Möglichkeit zum anderen, daß immer wieder ein neuer Investor aufkreuzt und die Stadt mit der Hybris der Notwendigkeit eines neuen Einkaufszentrums einlullt - wie lange will man das weiterführen, bis es zur Lüge wird??? Pardon, ich bin nicht überzeugt.

  • Den Bemerkungen von Weingeist ist nichts hinzu zu fügen.
    Was fast jeden berührt, hat er auf "den Punkt gebracht".

    Unverständlich bleibt darüber hinaus, warum, wieso und überhaupt das wunderbare Jugendstil - Kaufhaus zum Spekulationsobjekt und Spielball irgendwelcher Immo - Mogule werden konnte.
    Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen.
    Ich habe den schockierend leeren Lichthof des Warenhauses ( eigentlich ein zu profaner Begriff für die außergewöhnliche Ausstattung ) bei einem Besuch der Stadt Görlitz persönlich gesehen, war schockiert.
    Wie kann solches zugelassen werden ? Unbegreiflich und ein Armutszeugnis für alle dafür Verantwortlichen.

    Die Görlitzer, darauf angesprochen, haben längst resigniert.
    Selbst in den schlimmsten Notzeiten konnten sie ihr Warenhaus aufsuchen, nun ist es seit Jahren geschlossen, dümpelt vor sich hin.
    Lediglich in einem kleinen Bereich des Erdgeschosses hat noch ein Ladengeschäft, als letzter Mieter, in dieser geradezu gespenstischen Atmosphäre durchgehalten.
    Es liegt auf der Hand, dass die kostbare Architektur mit der Zeit Schaden nehmen wird. Alles das u n b e g r e i f l i c h !

  • Gestern, 18.10.12, erschien in der FAZ ein Artikel "Geiz ist zerstörerisch" zum EKZ Dilemma in Görlitz und anderswo. Der Artikel ist im Web leider nicht auffindbar. Vielleicht wandert der Artikel ja demnächst ins FAZ-Online-Archiv.

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  • Die SZ vermeldet:

    Freitag, 01.02.2013

    http://www.sz-online.de/nachrichten/pa…rn-2498870.html

    "We live in the dreamtime-Nothing seems to last. Can you really plan a future, when you no longer have a past." Dead Can Dance - Amnesia