Berlin - einst und jetzt

  • @Palantier: Ist das von Dir gepostete Bild #209 wirklich die Ecke "Prenzlauer Berg - Prenzlauer Allee 240/Metzer Straße, etwa um 1900" ? Müsste diese Ecke nicht das Areal der Bötzow-Brauerei sein? Hier ein Bild von 1900 aus Wikipedia dazu: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bötzow-Brauerei_1900.jpg

    Der Prothesenhersteller Otto Bock entwickelt derzeit das Areal der ehemaligen Bötzow-Brauerei und es wird erwogen eine historische Villa wieder aufzubauen. (s. Artikel, 26.04.13, Berliner MoPo "Spitzenhotelier aus USA möchte in Bötzowbrauerei investieren": http://www.morgenpost.de/berlin/article…nvestieren.html - Zitat daraus: "...An der Ostseite des Areals, entlang der Prenzlauer Alles, stand einst die Villa von Julius Bötzow, des Brauereigründers. Näder spielt mit dem Gedanken sie wieder aufzubauen." (Hans Georg Näder ist Chef des Investors Otto-Bock-Gruppe)

    ...

    Einmal editiert, zuletzt von Wikos (27. April 2013 um 21:47)

  • Na endlich dann haben sie allen dieses von mit schon 20 Jahren zurück entdeckten super Knaller der GZ dann auch entdeckt und teils anerkannt. ablachen:)
    Die Kugel ist viellecht etwas zu gross aber dann auch gut sichtbar aus der Ferne.
    Berlin hatte vielleicht damals 10 oder 12 von diese Knaller der GZ die etwas zu grosszügig waren in unseren Augen von heute, wo fast alle Schnorkel verschwunden sind........
    Trotzdem könnte eine teilrekonstruktion sehr gut auswirken um dieses Hotel beliebt zu machen und Gäste aus höheren Schichten anzuziehen......
    Hauptstrasse war damals natürlich ganz anders mit vielen von diesen prächtige gebäuden, wie die Bülowstrasse, Tauentzien und auch dass südliche Teil der Kurfürstendamm wo heute nur sächliche und nüchterne moderne Bauten stehen.
    Übrigens liebe ich das Vorkriegs Berlin auch wegen die schöne von meherere Bäumenreihen geprägte Grünarchitektur an allen Hauptstrassen und Alleen.

  • Die südöstliche Ecke der Kreuzung Friedrichstraße/Leipziger Straße um 1907:

    Das 1908/1909 neu errichtete Kaufhaus Mädler:

    Aufnahme aus dem Jahr 1955

    Auch 2014 steht das Haus, welches nach Kriegsbeschädigungen 1998 umfassend restauriert wurde, glücklicherweise noch an gleicher Stelle.

    Das Mädler-Haus und der legendäre DDR-Chinese - Berliner Morgenpost

    P.S.: In FFM hat es wohl mal ein äußerlich sehr ähnliches Mädler-Kaufhaus gegeben.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Auch von mir ein paar Vergleichsbilder vom Kurfürstendamm, wo bereits Ende der Zwanziger der Entstuckungswahn begann. Man hatte sich die überladenen Fassaden satt gesehen, außerdem kamen die Gebäude ja in die Jahre und Sanierung, wie man es heute kennt, gab es nur selten.

    Kurfürstendamm 31, Ecke Uhlandstraße um 1900:

    Kurfürstendamm 31, Ecke Uhlandstraße, 1929:

    Heutige Ansicht der Ecke mit BMW, 2011:


    Kurfürstendamm 32, zwischen Uhland- und Grolmannstraße, um 1900:

    Kudamm 32, Ecke Uhlandstr Hamburg-Mannheimer-Vers AG, 1957:

    Gesamtansicht, 2011:

    Kurfürstendamm 33, Ecke Grolmannstraße, um 1915:

    Kudamm 33, Ecke Grolmannstr 37, Geschäftshaus Königstadt, 1955:

    Kudamm 33, Ecke Grolmannstr 37, Geschäftshaus Königstadt, 1960:

    Heutige Ansicht, 2011:


    Gegenüber steht heute das Maison de France, Kurfürstendamm 211, das auch nicht immer so glatt und abweisend aussah:

    Kurfürstendamm 211, 1910:

    Entwurfsplan für das Haus Kurfürstendamm 211 von W. Klopsch, 1897:

    Das Haus kurz vor dem Umbau 1926-27:

    Nach dem Umbau, 1929:

    Um 1932:

    Kriegsschäden, 1946:

    Wiederaufbau, 1952:

    Bombenattentat auf das Maison de France, 1963:

    Heutige Ansicht, 2011:

  • Was das Kaufhaus Mädler betrifft, so kann man nur sagen, dass es sich für Berliner Verhältnisse um eine ausgesprochen gelungene Restaurierung handelt. Sogar die eigenwilligen Fenster wurden wieder hergestellt. Das Dach ist leider mal wieder recht primitiv ausgefallen, stört aber nicht weiter.
    Zum Ku-Damm kann man nur sagen, dass sich auf den Vorkriegsbildern eine Tendenz abzeichnet, die wohl dafür gesorgt hätte, dass der Boulevard auch ohne Kriegszerstörung wohl nicht viel anders als heute aussehen würde. Der Berliner Hass auf den Historismus und der damit verbundene Entstuckungswahn, ist singulär in Deutschland und mir aus keiner anderen Großstadt in diesem Maß bekannt. :thumbdown:
    Die Meisterbrand-Werbung an der ausgebrannten Ruine, dem heutigen Maison de France, wirkt ziemlich makaber.

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Nur scheint mir, dass vorkriegszeitliche Entstuckungsmaßnahmen in Berlin, zumindest im Bereich Kurfürstendamm, nicht mit den massenhaften Entstuckungen der Nachkriegszeit gleichzusetzen sind. Die von Spreetunnel dankenswerterweise zusammengestellten Beispiele zeigen, dass es sich in allen Fällen um echte Modernisierungen handelte, um Umbaumaßnahmen, die der damals für großstadtgemäß gehaltenen Formensprache der Neuen Sachlichkeit, der bei Mendelsohn so sehr bevorzugten dynamischen Ausstrahlung mit der markant herausgehobenen Horizontale der Brüstungsbänder entsprechen. Gerade diese Beobachtung verdeutlicht den kolossalen Absturz der Baukultur nach dem Zweiten Weltkrieg. Danach gab es keine Umbauten mehr, die zu Recht als Modernisierungen hätten bezeichnet werden können. Stuckabschlagen und Kratzputz drauf war alles, was man der Gründerzeibebauung in riesig ausgedehnten Wohnvierteln angedeihen ließ. Das Modernisierungsbestreben hatte dem Modernisierungswahn Platz gemacht, der keinerlei Gestaltungsabsicht mehr kannte, sondern nur noch den Furor gegen alles "Verschnörkelte" auslebte und Modernität als Weglassen alles "Überflüssigen" verstand. Warum dieser Furor, diese ästhetische Selbstentleibung einer Metropole in Berlin viel, viel radikaler wütete als in jeder anderen vom Krieg gebeutelten Stadt, ist ein noch kaum gelöstes Rätsel (man vergleiche damit Hamburg, wo ein derartiger Umgang mit Gründerzeitfassaden praktisch unbekannt war).

  • Im Zusammenhang damit fällt mir gerade ein, was ich im 1981 in der Schinkelausstellung im Martin-Gropius-Bau (wobei nebenbei der Begriff "Bau" fürchterlich in meinen Ohren klingt :unsure: ) gesehen habe. Dort wurde gezeigt, wie man Stuckornamente und anderen Fassadenschmuck wieder an "entstuckte" Häuser anbringen könnte. Es wurden auch Muster gezeigt.... Aber es scheint so, daß das Projekt wohl nicht weiter verfolgt wurde.... Schade!!!

  • Ach du heilige... Es geht doch!
    Ironie höchster Güte - in Mitte säh's wahrscheinlich noch heute wie in den 30ern aus...

    Form is Function.

    "Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von Jahren alt, hat mit uns mehr Zusammenhang als die Lüge, die neben uns schreitet."

    Adolf Loos (Ja, genau der.)

  • @ Philoikódomos:

    Die differenzierende Ansicht zwischen der beginnenden behutsamen Modernisierung zu Beginn der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts und dem massenhaften Entstuckungswahn der Zeit nach dem verheerenden 2. Weltkrieg finde ich plausibel und richtig.
    Wohin dieser Trend der sich anbahnenden sachlichen Moderne geführt hätte bleibt spekulativ.
    Allerdings bin ich davon überzeugt, dass dieses Ausmaß unerreicht geblieben wäre.
    Warum in Berlin dieser Wahn ein derartiges Ausmaß annahm ist eine interessante Frage.
    Wissenschaftliche Untersuchungen dazu wären sicher spannend, sofern es diese nicht schon gibt, sich aber meiner Kenntnis entziehen.
    Gewiss spielte auch die besondere Situation in Berlin eine Rolle - das Aufeinanderprallen verschiedener politischer, sozialer, ideologischer und städtebaulicher Interessen.
    Vermutlich brachte die sich auftuende Aufbruchstimmung zur Mitte des letzten Jahrhunderts auch den Wunsch mit sich, ein vielleicht kollektiv vorhandenes Schuldbewusstsein abzustreifen, eben alles anders und damit besser zu machen.
    Zumindest städtebaulich ist dieser Wunsch gründlich in die Hose gegangen - salopp gesagt.
    In diesem Sinne erfreut mich das zaghafte Aufkommen eines (vorsichtig formuliert) Neo-Historismus, welcher sich hoffentlich weiter entwickelt und durchsetzen wird. Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang auch die Wiederbestuckung der massenhaft kahlen Altbauten hier wie dort.
    Erbauende Beispiele gibt es glücklicherweise.
    Grüße aus Berlin

  • Es ist schon 2012 ein Buch mit dem Namen "Schnörkellos" im Gebr. Mann Verlag erschienen, das sich genau mit dieser Problematik beschäftigt. Werde ich mir mal zulegen. Kostet knapp 70 Euro soviel ich weiß, ist also nicht billig. Hatte bei meinen Anschaffungen letztes Jahr andere Prioritäten auf dem Schirm.
    http://www.reimer-mann-verlag.de/controller.php…302650&verlag=3

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Ich habe das Buch sofort gekauft, aber meine Suche nach den Ursachen, warum gerade in Berlin massenhaft entschnörkelt wurde werden nach lesen nicht klar. Auch nicht die Vereinfachungen an Dächern, Beiseitigung von Gauben oder alle Giebel, Wellen in Dächern usw. Es wurden 2 Karten eingezeichnet für Kreuzberg um anzugeben, welches Haus noch einigermassen intakt ist, welches Haus abgestuckt usw. Auch eine Karte von Prenzlauerberg. Bilder leider s/w. Das endgültige Buch über Berliner Gründerzeitbauten in alle Variationen die es gab von mehr einfacher Art (1880), sehr aufwendig (1900) bis schon etwas nüchern (1914) bis erste Versächlichungen (1925) bis Neo-klassische NS Bauten (1935).

  • Klassiker,
    ich weiß nicht, ob es Dich weiterbringt, da diese Aussage natürlich nicht von Fachleuten getroffen wurde, sondern von "Zeitzeugen" welche ich in den 60/70er Jahren kannte. Entsprechende Entstuckungsbefürworter begründeten es mit der leichteren Pflegbarkeit. An "Zierrat" müsse wohl öfter mal was gerichtet werden, und das streichen mache wohl mehr Arbeit. Gründerzeitmöbel wurden ebenso aus ähnlichem Grunde abgelehnt, das Staub wischen koste zu viel Zeit.

    Von daher würde ich mutmaßen, daß der Modernismus mit der Entwicklung der "Leistungsgesellschaft" zunahm. Und wann ging denn die modernistische Epoche los? Ich würde vermuten zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise, in Zeiten extrem hoher Arbeitslosigkeit wo tatsächlich nur noch die absolut leistungsfähigsten Menschen so einigermaßen in Brot und Arbeit standen.

    In der DDR versuchte man ja in den Anfangsjahren eine recht ansprechende Architektur (Frankfurter Allee) zu schaffen, nur fehlte es wohl dann an finanziellen Mitteln und der Wohnungsbau ging zu langsam voran.

    Die in der BRD, Zeiten des Wirtschaftwunders führten wohl auch zum Leistungsdruck der Bevölkerung, jeder wollt möglichst viel verdienen um sich möglichst viel leisten zu können.


    Dieses sind allerdings nur so meine eigenen Vermutungen bezüglich des Entstuckuckungs- und Modernisierungswahnes, ein anderer vernünftiger Grund für solch ästethischen Gräultaten fällt mir sonst nicht ein.

  • Warum in Berlin dieser Wahn ein derartiges Ausmaß annahm ist eine interessante Frage.
    Wissenschaftliche Untersuchungen dazu wären sicher spannend, sofern es diese nicht schon gibt, sich aber meiner Kenntnis entziehen.
    Gewiss spielte auch die besondere Situation in Berlin eine Rolle - das Aufeinanderprallen verschiedener politischer, sozialer, ideologischer und städtebaulicher Interessen.

    Oh, das ist schon alles untersucht worden, es ist aber wie bei vielen Dingen hochkomplex und man muss vieles bedenken und weit ausholen.

    Grundsätzlich muss man bei der besonderen Situation in Berlin bedenken, dass der Mietskasernebau hier besonders ausgeprägt war. Durch die schon damals vorherrschende Maximierung der Flächen entstanden die bekannten Hinterhofhäuser mit z.T. engen Innnenhofflächen von min. 5 x 5 m und den vielen Klein- und Kleinstwohnungen der Arbeiter. Das die räumliche Enge, schlechten Lichtverhältnisse, Lärm und Emmisionen der ansässigen (Klein)Gewerbe und die vorherrschende miesen sanitären/hygienischen Bedingungen nicht gerade "imageördernd" waren, kann man ja gut nachvollziehen. Die verzierteren Vorderhäuser sind ja auch nicht gerade wegen ihrer üppigen Gärten und ruhigen Wohnlagen an den Straßen bekannt. Nachdem nun diverse Reformbewegungen die Enge der Mietsbebauung der Gründerzeit oft schlecht haben aussehen lassen, wurde nun bei den Planern der Wunsch nach Auflockerung, Durchgrünung der Vietel geweckt. Hierbei steht eindeutig die Überwindung wilhelminischen Mietskasernenbaus im Vordergrund. Andere Konzepte (Gartenstädte, genossenschaftlicher Wohnungsbau,...) trugen dazu bei. Dass dabei auch "moderne" schlichtere Baustile zum Einsatz kamen, lag zum einen an der Zeit und zum anderen an den Planern, die von der Charta von Athen (Le Corbusier, etc) sicherlich mehr beeindruckt und geprägt waren als von der Schönheit gründerzeitlicher Fassaden. Die galten damals eben als "unchic"! Der damalige Stadtplaner hat sich in seinem Selbstverständnis ja durchaus als "Arzt der kranken Stadt des 19. Jahrhunderts" (und der engen Gründerzeit) gesehen und wollte die "Misstände" beseitigen. Das geht am Besten über einen Stil- und Paradigmenwechsel!
    Das Ganze wurde ja auch duch die antiurbane und monumentale Stadtplanung im 3.Reich möglicherweise verstärkt. Die wollten ja auch nicht gerade die gründezeitlichen Viertel mit ihrem innewohnenden "Proletariat" beibehalten.
    Nach den verheerenden Zerstörungen des WKII mussten in Berlin zuerst die fehlenden Wohnungen hergerichtet oder erstezt werden, da war Pragmatismus und nicht Ästhetik am Werk, verständlicherweise. Des weiteren waren ja auch die Stadtplaner aus der Vorkriegszeit weiter im Amt und so wurde die antigründerzeitliche Baupolitik beibehalten. Es gab ja in den 50ern durchaus kontroverse Debatten zwischen den tradtionelleren Wiederaufbaubefürwortern und den radikaleren, erneuernden Modernisten. Die Leitbilder der 50er von der aufgelockerten, gegliederten, durchgrünten Stadt sind ja die Ergebnisse der vorheigen Entwicklungen und da sind alle alten überkommenen Strukturen fehl am Platze. Das galt auch für die DDR in den 50ern. Auch der Wiederaufbau wude dazu genutzt die Baulandumlegungen (Parzellenverschiebungen) durchzuführen. Das hat dann zu der Entwicklung der autogerechten Stadt in den 60ern geführt, die den Gründerzeitlern oft den Rest gegeben haben. Glatt, praktisch, modern musste es halt sein und das war schon seit Jahrzehnten in den Köpfen der Planer und Bürger verankert und keiner hat sich was dabei gedacht, wenn ein Stuckhaus verschwand oder "modernisiert" wurde. Besonders in Berlin wollte man mit der Verbesserung der Wohnsituation und der sozialen Struktur in den alten Vierteln den Menschen was gutes tun und hat die eben nach den damals modernen Prinzipien "saniert". Erst Mitte der 80er gab es eine Wende im Sanierungsdenken und vieles Altes wurde erhalten oder wenigstens entwickelte sich langsam ein Bewusstsein dafür.
    Dauert halt eben etwas länger in die Tradition fortzuschreiten, als mit der Moderne mitzurennen!
    Wie gesagt, es ist ein hochkomplexes Thema mit vielerelei Gründen und Akteuren, Strukturen und Mechanismen und vieles habe ich sicherlich nicht erwähnt und bedacht.

    Labor omnia vincit
    (Vergil)

  • Das angeblich miserable Image der Mietskasernenstadt mit vielen lichtlosen Hinterhöfen dürfte den geringsten Faktor bei der anstehenden Frage ausmachen, denn der allergrößte Teil Berlins hatte und hat keine solchen Hinterhöfe, sondern die noch heute hochgeschätzten viel geräumigeren Innenhöfe mit Seitenflügeln und Quergebäuden. Etwas anderes ist die mäßige architektonische Qualität vieler Mietshausfassaden vor allem der Übergangszeit zwischen Neorenaissance und früher Moderne, in der sich kaum ein qualitätvoller Jugendstil ausbilden konnte (im Gegensatz zu Hamburg und München), aber angesichts einer ungeheuer ausgedehnten Bautätigkeit viel geschmackliche Unsicherheit sich breitmachte. Berliner Mietshausarchitektur stand tatsächlich sowohl vor als auch nach dem 2. Weltkrieg in keinem hohen Ansehen, und so war die Bereitschaft, sie preiszugeben, recht ausgeprägt.

    Ein entscheidender Gegensatz zu Hamburg bestand in der Bevölkerungsstruktur nach dem 2. Weltkrieg. In Hamburg beharrte ein selbstbewusstes Bürgertum auf der Pflege seines Immobilienbesitzes, in Berlin dagegen wanderte eben dieses Bürgertum und überhaupt der größte Teil der Elite in den Westen ab, so dass keine emotionale Bindung eines traditionsbewussten Stadtbürgertums zu seinem Hausbesitz mehr bestand. Auch der Mietshausbesitzer gehörte fortan dem die Stadt prägenden Kleinbürgertum an, welches Mietshauseigentum nur unter wirtschaftlichem Aspekt nutzte und schätzte.

    Dass der Umgang mit Stuckfassaden tatsächlich auch mit der Qualitätseinschätzung der Mietshausarchitektur zu tun hatte, zeigt der Blick auf die Berliner Ausnahmebereiche. Schon in den 70er Jahren gabe es die ersten Wiederbestuckungen, und zwar unter Stadtbildpfleger Konwiarz in den geschützten Baubereichen. Diese erstreckten sich auf Teile des westlichen Kreuzberg (die Gegenden um Riehmers Hofgarten und Chamissoplatz), auf das nördliche Charlottenburg westlich der Schlossstraße und den östlichen Kurfürstendamm mit Nebenstraßen, im Osten auf das Gebiet um den Kollwitzplatz. Der Grund ist nicht so schwer nachzuvollziehen, zeichneten sich doch diese Stadtviertel (mit Ausnahme des Ku-dammbereichs)durch eine durchgängige, hochwertig-disziplinierte Architektur in den Formen des Spätklassizismus (Schinkelschule) und der Neorenaissance aus. Selbst in der Nachkriegszeit bestand ein gewisser Respekt gegenüber der architektonischen Strahlkraft dieser Quartiere, so dass sich der Entstuckungswahn hier sehr in Grenzen hielt. Dass dennoch solche hochkarätigen Stadtviertel noch in den 70er Jahren ein Opfer von Flächensanierungen wurden, steht auf einem anderen Blatt.

  • Ein entscheidender Gegensatz zu Hamburg bestand in der Bevölkerungsstruktur nach dem 2. Weltkrieg. In Hamburg beharrte ein selbstbewusstes Bürgertum auf der Pflege seines Immobilienbesitzes, in Berlin dagegen wanderte eben dieses Bürgertum und überhaupt der größte Teil der Elite in den Westen ab, so dass keine emotionale Bindung eines traditionsbewussten Stadtbürgertums zu seinem Hausbesitz mehr bestand. Auch der Mietshausbesitzer gehörte fortan dem die Stadt prägenden Kleinbürgertum an, welches Mietshauseigentum nur unter wirtschaftlichem Aspekt nutzte und schätzte.

    Ein sehr interessanter Ansatz, der sich auch mit meinen Beobachtungen deckt. Die erhaltenen Gründerzeit- und Villenviertel Hamburgs, auch die Arbeiterviertel, verströmen eine Urbanität alleine durch ihre Bebauung, die Berlin leider völlig abgeht. Vergleicht man allein die Ecke mit dem "Kuchenkaiser" am Oranienplatz welche hier vorher schon aufgezeigt wurde, vorher – nachher, wird augenfällig welchen Verlust an Urbanität nur die Entstuckung mit sich brachte. Heute wirkt das ganze schäbig und öde obwohl die Bebauung noch die selbe ist. Ein Gang durchs Hamburger Karoviertel oder über das Schulterblatt, alles nicht gerade "feine" Gegenden, ist ein ganz anderes Erlebnis als ein Gang über die Rosentaler oder die Oranienburger, wobei ich der Oranienburger hier etwas Unrecht tue, obgleich der "Erlebnisfaktor" ansonsten ähnlich ist. Von Eppendorf, Harvestehude, Rotherbaum und wie sie alle heißen, ganz zu schweigen. Selbst St. Pauli und St. Georg, früher verrufen, heute hip, überraschen mit stellenweise überbordender Pracht. Fazit meinerseits: Berlin hat sich nach dem Krieg selbst verstümmelt. Die Stadt kann ihren heutigen Mangel an Schönheit keineswegs nur auf die Zerstörungen des 2. Weltkriegs zurückführen.

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Anfang der 90iger Jahre kam ich bezüglich Fassadenrekonstruierung mal mit einen Immobilienunternehmer ins Gespräch, warum er denn seine entstuckten Häuser (welche er im Ostteil kaufte) nicht in den Originalzustand zurückversetzen ließe?
    Seiner Aussage dann zufolge zählte wohl die Fassadenrekonstruktion rechtlich zur Sanierung, die er nicht auf die Miete umlegen könne, hingegen eine Fassadendämmung sei eine Modernisierung, welche eine Mieterhöhung rechtfertige.

    Ich weiß nicht ob dieser "rechtliche" Unsinn noch immer in Berlin besteht, in anderen Stadten jedenfalls, wie beispielsweise München, zahlt man für eine ansehnliche Fassade so einiges drauf.

  • Das angeblich miserable Image der Mietskasernenstadt mit vielen lichtlosen Hinterhöfen dürfte den geringsten Faktor bei der anstehenden Frage ausmachen, denn der allergrößte Teil Berlins hatte und hat keine solchen Hinterhöfe, sondern die noch heute hochgeschätzten viel geräumigeren Innenhöfe mit Seitenflügeln und Quergebäuden.


    Ist das so? Ganz so einfach abtun sollte man die schlechten Mietshaussituationen sicher nicht, vor allem nicht in ihrer Ausdehnung und Beeinflussung auf das Image der gründerzeitlichen Stadtviertel. Die Zunahme der Bevölkerung in der industriell geprägten Gründerzeit war in Berlin enorm, alleine in Moabit stieg die Zahl von 10.000 (1858) auf 93.000 (1890)! Diese Masse an Arbeitern und Angestellten musste ja irgendwo untergebracht werden, da sind natürlich die damaligen Stadtplaner, Bauherren und Bodenspekulaten auf die enorme Nachverdichtung der bestehenden und neuen Quartiere gekommen. Dies sorgt natürlich für enorme soziale Probleme, die selbstverständlich zum Image der Bauphase beitragen. Man kann sich ja leicht vorstellen, dass eben die Masse der Bauten nicht die Villenviertel oder Prachtboulevards waren, lediglich die Vorderhäuser waren wertvoller verziert und qualitätsvoller.
    Dies ist aber eben nur ein Punkt in einer Entwicklung, die dann zu der "Ablehnung" der gründerzeitlichen Bauepoche durch andere Strömungen, Ideen und Konzepte beiträgt, Ein dauerhafter Paradigmenwechsel in den Köpfen der damals "neuen"Planer und die danach erfolgten Entstuckungen und Abrisse, der mangelnde Respekt dieser Bauepoche zeugen davon !
    Man kann die Gründerzeit eben nicht nur kunsthistorisch betrachten, das haben die Entscheider damals ja auch nicht unbedingt getan.

    P.S.: Die heute so hoch geschätzten Innenhofsituationen sind doch oftmals erst durch Abriss vieler Hinterhäuser (Baufälligkeit, Hygiene, Krieg) entstanden.

    Labor omnia vincit
    (Vergil)

  • P.S.: Die heute so hoch geschätzten Innenhofsituationen sind doch oftmals erst durch Abriss vieler Hinterhäuser (Baufälligkeit, Hygiene, Krieg) entstanden.


    Nun ja, es waren auch entsprechende Arbeiterviertel wo inflationär Mietskasernen gebaut wurden; Prenzlauer Berg und Wedding waren damit wohl am dichtesten besiedelt. Ich kann mich erinnern, im Prenzlauer Berg um die Schönhauser Allee herum (es muß wohl Ende der 60iger oder Anfang der 70iger Jahre gewesen sein) schier endlose Höfe erlebt zu haben. Etliche Hinterhäuser und Seitenflügel wurden dann im Laufe der Zeit weggesprengt.
    Die Vorderhäuser (sofern noch nicht entstuckt und mit Kratzputz versehen) machten einen herrschaftlichen Eindruck, ganz anders hingegen die Seitenflügel und Hinterhäuser, diese strahlten eine graue langweilige Tristesse aus, schon im Originalzustand waren die stuckfrei.