Berlin - einst und jetzt

  • Tja, an den beiden letzten Beispielen wird wieder sehr deutlich, dass die Berliner nach dem Krieg irgendwie allergisch auf Ornamentik waren.
    Auch das Schulgebäude ist komplett in der Struktur erhalten geblieben und wurde wahrscheinlich kaum im Krieg beschädigt. Doch auch hier hat man brutal mit dem Brecheisen nachgebessert. Es wirkt alles so glatt und bereinigt. Praktisch jede Verzierung bzw. Ornamentik, die etwas Leben in die Architektur bringt, wurde abgeschlagen. Mit einem unglaublichen Aufwand. Verbissen, bis das letzte Stückchen abgeschlagen war. Warum bloß?


    @ Vulgow: Was ist das eigentlich für ein besonders prächtiges Gebäude hinter dem Schickler Haus? Rechts im Hintergrund sieht man eine beeindruckende Fassade und Kuppel.

  • Tja, an den beiden letzten Beispielen wird wieder sehr deutlich, dass die Berliner nach dem Krieg irgendwie allergisch auf Ornamentik waren.
    Auch das Schulgebäude ist komplett in der Struktur erhalten geblieben und wurde wahrscheinlich kaum im Krieg beschädigt. Doch auch hier hat man brutal mit dem Brecheisen nachgebessert. Es wirkt alles so glatt und bereinigt. Praktisch jede Verzierung bzw. Ornamentik, die etwas Leben in die Architektur bringt, wurde abgeschlagen. Mit einem unglaublichen Aufwand. Verbissen, bis das letzte Stückchen abgeschlagen war. Warum bloß?


    @ Vuglow: Was ist das eigentlich für ein besonders prächtiges Gebäude hinter dem Schickler Haus? Rechts im Hintergrund sieht man eine beeindruckende Fassade und Kuppel.

    Weil der böse Willi II scheinbar auf Ornamentik stand ???

  • Kaiser Karl:


    Das ist das Haus Schicklerstraße 3-5 hier in einer Zeichnung aus der Deutschen Bauzeitung von 1892:









    Wollte nur aushelfen, bis das Gebäude als Foto gepostet wird :cool:

  • Bei meinen "Schöneberger Impressionen" hatte ich das Haus Münchener Straße 2 gezeigt und wie richtig bemerkt wurde ( @ Philoikódomos ) ist es eine Wiedebestuckung.
    Hier nun mal die Gegenüberstellung:




    Münchener Str 2_erbaut 1900-1901 von W. Rettig, München & Alfred Jaster_BfAuK_1902:






  • Kaiser Karl:


    Das ist das Haus Schicklerstraße 3-5 hier in einer Zeichnung aus der Deutschen Bauzeitung von 1892:


    Vielen Dank Spreetunnel.
    Na, das nenne ich mal ein wirklich prächtig durchkomponiertes Haus. Sieht aus wie ein Schloß. Wirklich gelungen. :thumbup: Das zählte sicher zu den prachtvollsten Gebäuden Berlins.
    Soetwas sollte auch mal rekonstruiert werden, anstatt immer so hilflos provisorisch wirkende Riegel in die Landschaft zu klotzen.


  • Interessante Gegenüberstellung. Erst wenn man genau hinschaut, ist die Stuckierung sowie die Balkone komplett anders. Hier hat man, recht gelungen, würde ich sagen, die Fassade neuinterpretiert. So gelungen, dass ich den jetzigen Stuck und die Balkone für das Originaldesign gehalten hätte. Wann wurde der Bau wiederbestuckt? Erst vor kurzem?

  • Ach si

    Die Sonntagsfrage der Abendschau: Gab es Prämien für abgeschlagenen Stuck?


    http://www.rbb-online.de/abend…abgeschlagenen-stuck.html


    Ach, sieh mal einer an... Also stimmt das Horrormärchen gar nicht, dass Prämien fürs Stuckabschlagen gezahlt wurden. Eine Geschichte, die sich ja ganz tapfer hält und auch hier im Forum schon des öfteren als Fakt präsentiert wurde. Ich bin nun etwas erleichtert, dass diese Kulturbarbarei nicht noch von der Politik prämiert wurde (weder im Westen noch Osten), gleichzeitig bin ich aber auch entsetzt von den Hauseigentümern, die dennoch so zahlreich allen Ernstes glaubten, sie täten etwas für den guten Geschmack und würden damit die Stadt und ihr Haus aufwerten. Teilweise passiert das ja auch heute noch...


    Was mich auch etwas geärgert hat:
    Hat der Stuckateur vom Fach da wirklich gesagt, dass bei heutigen Fassadensanierungen (und er sprach ja damit vor allem von sich bzw. seinem Betrieb) zwar wieder der Stuck angebracht wird, aber oft etwas vereinfacht? Warum nicht originalgetreu? Ist das nicht sein Job? :boese:

  • Ich erwähnte es schon anderweitig mal; was den Ostteil der Stadt anbelangte, war schlichtweg weder Geld noch Material da um den Stuck zu erhalten oder zu pflegen. Die eine oder andere Putte an den Fassaden machte auch nach dem Krieg ihre Flugversuche, welche dann unter Umständen rabiat vor den Füßen (oder noch schlimmer) der Bürger landeten. Auch der eine oder andere Gründerzeitbalkon gehorchte mitunter dem Gesetz der Schwerkraft, was ihn für seine zugedachten Zwecke denkbar unbrauchbar machte.
    Hier wurde nun einfach mal der Stuck abgeschlagen, die Balkone abgerissen es kam einfacher Kratzputz rauf und vor den Balkontüren kamen einfach Gitter. Da der überwiegende Nachkriegsgeschmack ohnehin nicht sehr dem wilhelminischen Zierrat verbunden war, gab es von Seiten der Bevölkerung kaum Proteste gegen diese Art von Modernisierungen.

  • Ich habe mal versucht ein paar Fotos von Schicklerstraße 3-5 zu finden, doch leider gab es da nichts.
    Es gibt tatsächlich noch "Weiße Flecken", was den photographischen Zustand des Kaiserlichen Berlins betrifft.
    Dieses Gebäude fehlt auch in der Rubrik "Berliner Prachtbauten" weil es wohl keine brauchbaren Abbildungen mehr gibt. Wirklich schade, denn es gehörte zweifellos zu den besonders prächtigen Bauten, mit sechs Geschossen, (einschließlich Dachgeschoss) symmetrischer Fassade und zwei prägnanten Eckkuppeln.

  • In der damaligen Zeit mussten sich interessierte Bürger sicher keine Sorgen über einen Architekturwettbewerb machen. Die Bauten waren alle sehr schön und prunkvoll. Ich bin immer wieder überwältigt von der früheren Pracht. Um das tolle Haus an der Gabelung ist es äußerst schade. Das sah aus, wie ein kleines Schloss.


    Hier sieht man das heutige Straßenbild am Richard-Wagner-Platz. Die Häuser an der Ecke sind noch erhalten. Jedoch leider im typisch entstuckten und verstümmelten Berliner Stil. :crying: Die Wahrscheinlichkeit einer Fassadenreko ist hier wohl eher gering.


    Man stelle sich nur eine weitgehende Wiederbestuckung (inklusive Giebeln und Eckhauben) des gesamten Berliner Gebäudebestandes vor,... :engel:

  • Hier findet sich ein wirklich großartiger Film, der den architektonischen Wettstreit zwischen Ost- und Westberlin während des Kalten Krieges nachzeichnet:


    http://www.ardmediathek.de/tv/…=31205806&bcastId=3822114


    U.a. kommen Experten wie Wolfgang Kil oder Bruno Flierl zu Wort. Unbedingt ansehen!

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Zur Thematik des Films passt auch gut folgende Seite:
    Doppeltes Berlin



    Hinsichtlich der wechselnden und beiderseitig ideologisierten Grundsatzanschauungen kann auch das unten folgende Zeitdokument herangezogen werden:


    Das Geschäftshaus Potsdamer Straße N°140 (Deutsche Bank), welches Anfang der 1950er nach Plänen von Paul Schwebes errichtet wurde.

    Bildquelle: Wikimedia, Urheber 'Dirk Ingo Franke' CC BY-SA unportiert



    Dieses Bild hatte folgenden ADN-Begleittext:
    "Westberliner USA-Architektur. Zu den Betonklötzen, die Profitsucht und amerikanische Kulturbarbarei in das Stadtbild Westberlins pflanzten, gehört auch der Disconto-Bank Palast in der Potsdamer- Ecke Bülowstraße"
    Wenig später baute man selbst gar nicht mal so viel anders...

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Hmmh... ich dachte bei dem Bild zuerst eher an eine Spätauswirkung der 3. Reich-Architektur... ausserdem fällt mir auf, wie sich der Stuck am Nachbarhaus rechts zwischenzeitlich reduziert hat...

    Wer zwischen Steinen baut, sollte nicht (mit) Glashäuser(n) (ent)werfen...

  • Abgesehen davon, dass der Disconto zwischenzeitlich Farbgliederung und abschließendes Kranzgesims abhanden gekommen sind. Der ohnenhin schon kargen Ästhetik zusätzlich außerordentlich abträglich.

    Form is Function.


    "Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von Jahren alt, hat mit uns mehr Zusammenhang als die Lüge, die neben uns schreitet."

    Adolf Loos (Ja, genau der.)

  • Die Vorkriegsbebauung der betreffenden Ecke Potsdamer Straße/Bülowstraße so im übrigen so aus.


    Das nachkriegssimplifizierte Nachbarhaus Potsdamer Straße N°138 (1886 von Paul Opitz)


    Zu Paul Schwebes, einem der Nachkriegsarchitekten in West-Berlin noch folgende exemplarische Sachen - sämtlichst aus der Potsdamer Straße:
    Beruflich begonnen hatte er 1927 beim Architekten Bruno Paul, der in seiner auf Moderne gewandelten Spätzeit (1928-1930) das Kathreiner-Hochhaus am Kleistpark errichtete.
    Bereits im Jahr 1933 baute er in Vorausschau der gerade anbrechenden Architekturzeit das nach Plänen von Kurt Berndt gebaute Haus Potsdamer Straße N°184 auf hässlich um. Das Gebäude dürfte zuvor dem ebenfalls und im gleichen Jahr von Kurt Berndt errichteten Haus Potsdamer Straße°87 recht ähnlich gewesen sein.
    Nach dem Krieg war Paul Schwebes mit dieser funktional-schmucklosen Art des Bauens natürlich en vogue wie nichts Gutes...

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

    Edited once, last by Mantikor ().

  • Ehrlich gesagt finde ich die Potsdamer Straße Nr. 140 gar nicht so schlecht, wie generell die Werke von Paul Schwebes. Allerdings war auch hier der Erbauungszustand wesentlich ästhetischer. Generell habe ich den Eindruck, dass die Architekten, die bereits in der Vorkriegszeit modern gebaut haben, meist nach dem Krieg die schöneren Gebäude gebaut haben im Vergleich zu denen, die erst später damit angefangen haben (z.B. auch Werner March, Emil Fahrenkamp).

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)