• Oh no! Geht's noch?? Und wo war der Denkmalschutz? Der Altbau sah nach über 100 Jahren noch top aus - aber wie werden wohl die Nachwuchs-Corbusiers-Klötze in spätestens 20 Jahren aussehen... ?(

  • Es gibt weltweit allgemeine Entwicklungen, bundesdeutsche Phänomene und regionale Besonderheiten. Und da, lieber Königsbau, sei mir da bitte nich böse: Meine Stuttgarter Erfahrungen zeigen mir, daß man hier besonders viel Geld und besonders wenig Geschmack hat. Vor allem besitzt man keine wirkliche "öffentliche Identität". Wenn wieder einmal der Kleinkrieg Baden gegen Württemberg ausgegraben wird, argumentieren die Stuttgarter immer mit der größeren Bevölkerungszahl als Karlsruhe (was ja verwaltungstechnisch stimmt) und der höheren Wirtschaftskraft. Darüber hinaus hat man eigentlich wenig bis nichts.
    Der Stuttgarter im allgemeinen sagt kein schlechtes Wort über seine Stadt und ist nach außen stolz auf "Stuggi". Aber eigentlich ist er zutiefst verunsichert und in keiner Weise selbstbewußt. Der Münchner hat das arrogant-selbstbewußte "Mia san mia", der Nürnberger das gemütlich-phlegmatische "Bassd scho". Der Stuttgarter besitzt nichts dergleichen.
    Man merkt vielerorts, trotz Massenzuzug, den pietistisch-evangelikalischen Kern. Und der heißt nun mal Fleiß, Sparsamkeit, Innerlichkeit, Leben im Privaten ("schaffe, schaffe, Häusle baue", Kehrwoche), aber auch Affektvermeidung und sich niemals emotional zu entblößen. Und daher ist die "Stadt" (wo soll diese in Stuttgart überhaupt sein?) weitaus weniger wichtig als die eigenen vier Wände. Und aufgrund irgendwelcher Komplexe baut man halt "modern".

    Ach ja, diese Betrachtungen sind natürlich alles Verallgemeinerungen und dürfen nicht auf einzelne Personen konkret bezogen werden.

  • Man merkt vielerorts, trotz Massenzuzug, den pietistisch-evangelikalischen Kern. Und der heißt nun mal Fleiß, Sparsamkeit, Innerlichkeit, Leben im Privaten ("schaffe, schaffe, Häusle baue", Kehrwoche), aber auch Affektvermeidung und sich niemals emotional zu entblößen.


    Pietistisch wollen sie sein, evangelikal und evangelisch. Aber all das andere hat ja mit Christsein nicht viel zu tun, ist eher das Gegenteil.

    Und der Umgang mit den Stadtbildern, mit dem, was frühere Generationen geschaffen haben, ist ja absolut nicht christlich. Ich habe eher das Gefühl, dass die Württemberger alles andere als christlich sind, mit ihrer Selbstgerechtigkeit, mit ihrem Neid, mit ihrem Geldwahn, mit ihrem Angebertum, mit ihrem Wahn danach, besser als die anderen sein zu müssen. Ihre Orientierung auf das Materielle, auf das Haus, das Auto, die Arbeit, ihr Perfektionswahn und natürlich das Geld als Mittelpunkt allen Denkens sind wirklich das Gegenteil von christlich.

    Wahrscheinlich habe ich den Pietismus nicht verstanden. Er scheint mir der württembergische Versuch zu sein, Christentum mit materiellem Egoismus zu vereinbaren. Aber das kann nicht gutgehen.

  • Hallo Eduard und Zeno,

    was ihr von der Stuttgarter Mentalität oder dem schwäbischen (=württembergischen) Pietismus schreibt, ist in weiten Strecken auch meine Erfahrung, da ich immerhin 36 Jahre lang in Stuttgart gewohnt und gearbeitet habe. Der Pietismus kommt oft recht Lust feindlich und verbissen daher. Es fällt mir da eine Episode ein. Wir waren 1990 in ein Haus umgezogen in dem in der Wohnung unter uns ein Großonkel meines Partners wohnte. Am Ende des Umzugstages saßen wir etwas erschöpft auf dem Balkon und tranken zusammen eine Flasche Wein. Am nächsten Tag begegnete uns Onkel Otto mit den Worten: "Des muss i Eich sage: Gell, geschtern habt Ihr zamme e Flasche Wei dronke. No ja, wenn mer au nix Eignes hot, Hauptsach : gut g'lebt".

    Übersetzung ins Hochdeutsche: "Das muss ich Euch sagen: Gelt, gestern habt Ihr zusammen eine Flasche Wein getrunken. Na ja, wenn man auch nichts Eigenes hat (=meint kein eigenes Haus oder zumindest eine Eigentumswohnung), die Hauptsache ist: gut gelebt". Also wichtig ist vor allem Eigentum und Grundbesitz, auch wenn er nur mit bitteren Entbehrungen möglich ist, dann die Missgunst und die Zurechtweisung, endend mit dem Vorwurf, dass wir zu gut leben würden. Ach, ich könnte Bücher schreiben, was ich da alles erlebt habe.

    Die andere Seite der Medaille ist Fleiß und kluge Köpfchen, auch was Erfindungen usw. anbelangt. Daher auch viel Firmen mit Weltrang und eben ein verhältnismäßig großer Wohlstand.

    Es gibt freilich auch ganz andere Charaktere, viele Menschen, die gerne leben, die die vielen Besenwirtschaften besuchen und dort gemütlich zusammen sitzen. Es gibt auch viele Leute, die in Chören und Orchestern mitsingen oder mitspielen, dann auch Menschen die oft und gerne diese Veranstaltungen besuchen. Auch Viele, die die Badekultur vom Mineralbad Berg oder Leuze pflegen. Leute, die einfach herzlich und hilfsbereit sind, solche habe ich auch kennen gelernt. Deshalb meine ich, man kann nicht alle über einen Kamm scheren. Dennoch die pietistische Prägung, mit der Fixierung auf das Materielle, bis hin zum Geiz, das bleibt der Stadt Stuttgart wohl für immer erhalten.

    Dass speziell in Stuttgart die Bewahrung des baugeschichtlich kulturellen Erbes so gut wie gar keinen Stellenwert hat, kann ich voll bestätigen. Wie viele schöne Bürgerhäuser wurden in den 36 Jahren, die ich dort gelebt habe, nicht alle abgerissen. Wenn das Geld lockt (und bei den dortigen Grundstückspreisen ist das reichlich der Fall), dann wird an einen Investor verkauft, der abreißt und halt wieder eine kalte Kiste hinsetzt. Hauptsache ist für den Verkäufer, dass er die Millionen auf dem Konto hat, alles andere zählt leider nicht.

    5 Mal editiert, zuletzt von Villa1895 (21. Juli 2016 um 23:48)

  • Leider wird bei der großen Umbaumaßnahme des Wilhelmspalais (ehemalige Stadtbibliothek) zum Stadtmuseum die Chance nicht wahrgenommen, die ursprüngliche Versprossung der Fenster wiederherzustellen.
    Wer jetzt nach Ausflüchten und Zwängen sucht, wieso auf eine angemessene Fenstergestaltung verzichtet werden kann, sollte oder muss, wird wenige Schritte weiter, bei einem Gebäude mit vergleichbarer Architektur und Nutzung, die alte Staatsgalerie, eines Besseren belehrt...

    Stadtmuseum/ Wilhelmspalais:

    Planung/Entwurf:
    http://www.stadtmuseum-stuttgart.de/assets/cache/i…planung.92b.jpg

    Aktueller Stand der Baustelle:
    http://abload.de/img/stadtmuseumstuttgartgcr3t.jpg

    Wilhelmspalais, 1904 mit Versprossung der Fenster
    http://cdn1.stuttgarter-zeitung.de/media.media.8d…normalized.jpeg

    Alte Staatsgalerie:
    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm…art_2013_02.jpg

    Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie das Wilhelmspalais mit Versprossung aussehen könnte:

    Jeder, der sich die Fähigkeit erhält Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.
    http://www.archicultura.ch

    2 Mal editiert, zuletzt von zeitlos (2. September 2016 um 19:58)

  • Mich stören noch mehr diese 3 Dachaufbauten, die wohl für Zuluft und Abluft vorgesehen sind. Angeblich ist dies mit der Denkmalbehörde abgestimmt. Ich finde, es zieht das Palais optisch ins Lächerliche.

    In dubio pro reko

  • Wie das geht immer noch ohne Versprossung durch!? Kann mich dunkel entsinnen schon vor Jahren von dem Projekt gehört zu haben. Unglaublich: Die Kamine sind wohl von der Titanic geborgt. Lächerlich. Krampfhaft versucht man dem ehrwürdigen Palais eine futuristische Note aufzudrücken!
    Als noch vor langer Zeit die Stadtbibliothek drinnen wahr, habe ich mir dort Bücher für's Abitur geholt!

  • Auf facebook ist die Empörung groß, alle sind sich einig dass das Palais durch die Dachaufbauten und die toten Fenster erheblich beeinträchtigt wird. So wie auf deiner Visualisierung, zeitlos, so wäre es gut gewesen. Leider mussten sich hier wieder Architekten auf Kosten des Bauwerks selbst verwirklichen. Und die Schlaffis von der Denkmalbehörde haben es abgenickt.

    In dubio pro reko

  • Auf facebook ist die Empörung groß, alle sind sich einig dass das Palais durch die Dachaufbauten und die toten Fenster erheblich beeinträchtigt wird. So wie auf deiner Visualisierung, zeitlos, so wäre es gut gewesen.

    Hoffe, dass der Widerstand gegen die aktuelle Planung auch noch größer wird. Ohne die Versprossung sehen die Fenster wirklich merkwürdig und leblos aus. Die Sprossen geben dem Ganzen doch erst das gewisse Etwas!

  • Fairerweise muss man sagen, dass das Wilhelmspalais im ganzen 20. Jahrhundert keine Sprossenfenster mehr hatte, diese waren nur in den ersten Jahrzehnten nach Erbauung (2. Hälfte 19. Jahrhundert) vorzufinden, dementsprechend auch nur anhand alter Lithografien nachweisbar. Aber das heißt ja nicht, dass man diesen Ursprungszustand nicht wieder herstellen könnte. Denn es sieht mit Sprossenfenstern ja unbestreitbar am besten aus, und so hätte es Giovanni Salucci vermutlich auch gewollt.

    In dubio pro reko

  • Ich habe das auch schon auf Facebook geschrieben, wer sowas in den Bau-bzw. Denkmalschutzämtern durchwinkt hat dort nichts mehr verloren! Irgendwann reicht es und daher muss auch mal die Personalfrage gestellt werden!

  • Fairerweise muss man sagen, dass das Wilhelmspalais im ganzen 20. Jahrhundert keine Sprossenfenster mehr hatte, diese waren nur in den ersten Jahrzehnten nach Erbauung (2. Hälfte 19. Jahrhundert) vorzufinden, dementsprechend auch nur anhand alter Lithografien nachweisbar.

    Da möchte ich Dich korrigieren. In meinem Beitrag oben beziehe ich mich anhand der Visualisierung ausdrücklich auf die in der Verlinkung gezeigte Fotografie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Meines Wissens nicht der einzige fotografische Nachweis, dass die Fenster ursprünglich und bis ins 20. Jahrhundert versprosst waren.

  • Auf der facebook-Seite von AbrissWatch Stuttgart habe ich heute noch folgende Meldung vom Stadtteil Sillenbuch gefunden.
    https://www.facebook.com/abrisswatch/ph…3764029/?type=3

    Hier nochmal das Google-Streetview-Foto vom Haus Kirchheimer Straße 109:
    https://www.facebook.com/abrisswatch/ph…?type=3&theater

    Die Meldung ist zwar schon fast zwei Monate alt (vom 18. Juli 2016) und vielleicht wurde sie an anderer Stelle schon gepostet. Jedenfalls hoffe ich sehr, dass die sehr Stadtteil prägende Villa noch nicht abgerissen wurde, evtl. durch nachbarschaftliche Proteste etc. Auf dem Foto sieht sie ja wirklich top aus mit dem noch frischen weißen Anstrich. Fensterrahmen und Dachziegel sehen auch gut aus. Baufälligkeit kann man nirgends entdecken... Vielleicht weiß jemand mehr darüber.

  • AbrissWatch... genialer Einfall. Wusste gar nicht, dass Stuttgart so viele Bürger hat, die am Erhalt historischer Bauten interessiert sind. Ich bin zwar nicht bei Facebook, aber sowas würd ich mir auch für Westfalen wünschen.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • AbrissWatch... genialer Einfall.

    Ja, das stimmt! Heute Abend war ich wieder auf der facebookseite von AbrissWatch Stuttgart und dort habe ich eine sehr schöne Nachricht erfahren. Und zwar wird das schöne Haus im historisierenden, Stadtbild prägenden Baustil an der Hölderlinstraße Nr. 3a, Baujahr 1952, höchstwahrscheinlich NICHT abgerissen. Hier noch mal der rückschauende Beitrag vom 21. März diesen Jahres:
    https://www.facebook.com/abrisswatch/ph…?type=3&theater

    Vorgestern kam von AbrissWatch nun die folgende Meldung:

    "Ist das eine erste ERFOLGSMELDUNG? Am Haus Hölderlinstraße 3a, wo der Abriss schon als beschlossene Sache galt, hängt folgender Hinweis: "DAS HAUS WIRD NICHT ABGERISSEN!" Kann jemand bestätigen, dass das wahr ist? Bei all den negativen Meldungen wäre das doch mal eine tolle Nachricht!"


    Dazu ein Foto mit einem Zettel an der Tür des Hauses mit der Nachricht, dass es nicht abgerissen wird:
    https://www.facebook.com/abrisswatch/ph…?type=3&theater

    Noch weiß man nicht, wer den Zettel dort an die Haustür geklebt hat, aber es gibt einem Hoffnung... biggrin:)


    Leider erfährt man bei AbrissWatch auch von lange leer stehenden Altbauten, die "Abrisskandidaten" zu werden scheinen bzw. es schon geworden sind. Traurig... :crying:

  • Wenn der mal 60 ist, schafft er es nicht mehr, die luftige Treppe (0:00:20) hochzugehen. Und wenn er heute nachmittag einen Unfall hat und sich nennenswert verletzt, schafft er es heute abend schon nicht mehr.