Rekonstruktionsdebatte

  • Wie ist das eigentlich bei seriellen Plattenbauten? Ein Entwurf, tausendfache Realisierung? Ist das nicht ein Beleg für die Unabhängigkeit des Entwurfs von der Realisierung? Wenn die WBS70 nur einmal gebaut worden bzw. nur noch eine davon übrig wäre, stünde sie zweifellos als herausragendes konzeptionelles und industrielles Denkmal da. Daran verdeutlicht sich auch das Dilemma, das Rekogegner begleitet: Mit fähigen Handwerkern und den richtigen Materialien lässt sich jeder Entwurf beliebig oft verwirklichen. Ist dann eine Rekonstruktionskritik nicht auch der Wunsch nach Verknappung des Herausragenden? Danach bleibt der einzige Ausweg aus diesem Dilemma die Hinzuziehung der Adresse als Konstante in den Wettbewerb der Entwürfe. In der hochwertigen Neubaupraxis ist die ausgiebige Bewertung der Adresse und ihrer Charakteristika schließlich als Basis der Diskussion unumstritten.

  • Einer der interessantesten Beiträge zur Rekonstruktionsdebatte, der Text "Die Echtheit der alten Steine" aus der NZZ vom 07.01.2009, der Dehio in Frage stellt "...Für Dehio war Echtheit an das Material gebunden, die alten Steine. Aber nach dem, was der Bombenkrieg der Jahre 1943–1945 angerichtet hat, die Vernichtung der baulichen Substanz fast aller deutschen Städte, kann man die Echtheit nicht mehr am Material festmachen, sondern muss die Kategorie neu bestimmen, und zwar von der Form her." In diesem Sinne hat z. B. die Reko der Frauenkirche den alten Formgedanken wiederstehen lassen und kann als authentisches Gebäude des Barocks gelten.

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  • An sich ist der Beitrag zielführend. In einem Punkt widerspreche ich aber. Es mag natürlich Architekturtheoretiker geben, die sich gegen Rekonstruktionen wehren, weil sie diese an Verdrängtes erinnern. Die üblichen Verdächtigen aber sind sich der Zerstörungen des Bombenkrieges durchaus bewusst. Sie begrüßen diese aber, zum Einen als "moralische Strafe", zum Anderen als "Chance", um möglichst geschichtslose, "untercodierte" Stadtbilder zu schaffen, die das Land geistig "fit" für die Globalisierung machen.

  • Zwei schöne Beiträge, die die Brücke von der Antike zum heutigen Rekonstruktionsgedanken schlagen:

    Die Diskussion erinnert doch sehr an das Schiff des Theseus. Der Einfachheit halber sei hier aus der Wikipedia zitiert.

    Plutarch berichtet:

    "Das Schiff, auf dem Theseus mit den Jünglingen losgesegelt und auch sicher zurückgekehrt ist, eine Galeere mit 30 Rudern, wurde von den Athenern bis zur Zeit des Demetrios Phaleros aufbewahrt. Von Zeit zu Zeit entfernten sie daraus alte Planken und ersetzten sie durch neue intakte. Das Schiff wurde daher für die Philosophen zu einer ständigen Veranschaulichung zur Streitfrage der Weiterentwicklung, denn die einen behaupteten, das Boot sei nach wie vor dasselbe geblieben, die anderen hingegen, es sei nicht mehr dasselbe".

    Nach Aristoteles bewirkt die Vereinigung einer Idee mit Materie das gegenwärtige Sein. Das heißt: Der Plan eines Gebäudes muss mit Materie, nämlich den Baustoffen verwirklicht werden, damit der Bau existiert. Es ist klar, dass es nicht der Baustoff ist, der dem fertigen Bau seine künstlerische Bedeutung verschafft, sondern der Plan, also die Form. Der Baustoff kann jederzeit ersetzt werden, freilich nicht mit anderen Stoffen als denen des geplanten Baus - der Baustoff ist vom Schöpfer des Plans ja immer mitgedacht.


    Für mich gibt Aristoteles das wichtigste Argument für die Berechtigung von Rekonstruktionen!


    Ob es im Osten Deutschlands aufgrund der häufigen synonymen Verwendung des Begriffes "Rekonstruktion" für Sanierung oder Wiederaufbau traditionell weniger Vorbehalte gibt? Schließlich formen Worte ja auch das Denken...

  • Also ich persönliche würde die beiden Begriffe immer getrennt verwenden. Für mich währe eine Rekonstruktion quasi die Note 1 bei einer Sanierung, wenn beispielsweise eine Erkerhaube wieder aufgesetzt wurde oder Fassadendetails wiederhergestellt wurden.

    Wenn ein historisches Gebäude neu errichtet würde, würde ich auch nicht diese Leistung als Sanierung bezeichnen.