Berlin - Reichstagsgebäude und Spreebogen

  • Das gegenwärtige Reichstagshaus ist heute nur noch ein Schatten seiner selbst. Zahlreiche Reduktionen des baukünstlerischen Schmucks, die einst das mächtige Neorenaissance - Gebäude zu gliedern vermochten, wurden bekanntlich beseitigt.
    Selbst Bruno Taut lobte seinerzeit " die feine, intime Verteilung des Schmucks" am Reichstag.
    Die heutigen, unzähligen "Fehlstellen" wirken sich natürlich schädlich auf das Gebäude aus. Absurde Verkürzungen der vier Ecktürme führen zu einer von Prof. Wallot so nicht beabsichtigten, weiteren, lastenden, unschönen Betonung der Horizontale.

    Möglich, dass der Reichstag zur Zeit seiner Erbauung - aber auch heute - mehr Kritiker als Freunde hatte.
    Vor allem störte damals die zu flache Kuppel, die aber von Wallot entschieden höher, repräsentativer vorgesehen war. Diese hätte vermocht, den gesamten Bau vorteilhafter zu gliedern.
    Daraus wurde jedoch nichts, weil Wilhelm II. sein Veto einlegte.

    Der heute zu sehende "Nachfolgebau", fast allen Zierrats entkleidet, mit einer überaus unpassenden Kuppel versehen, sagt mir nicht zu.
    Er spreizt sich mit modernistischen Staffagen, lässt Harmonie und Gefälligkeit der Historismus - Architektur kaum noch erkennen.
    Das führt vor allem j e t z t zu protziger Klotzigkeit, betont überproportional die kubische Mächtigkeit.

    Da war mir doch der alte Reichstag in seiner Architektur entschieden ehrlicher - und - wie sich dies für den Historismus gehört, sehr viel repräsentativer, meinetwegen sogar etwas zu prunkvoll.

  • Hat jemand Innenaufnahme der historischen Ausstattung, neben dem Plenarsaal, zur Hand? Ich bin nur mal auf ein Bild kurz nach Kriegsende gestoßen, dass ziemlich üppige Dekoration im Foyer (meine ich zumindest) gezeigt hat.

  • Nun, mir ist das Ganze (war das Ganze) immer noch zu viel des Guten, aber Geschmacksache. Mir missfällt vorallem diese martialische Deutschprotzerei an alle Ecken und Enden. Wieviel eleganter und weltoffener wirkt da beispielsweise das Wiener Parlament.
    http://img.fotowelt.chip.de/imgserver/comm…56518/1280x.jpg
    Wurde das RT-Gebäude beim ersten Wiederaufbau entkernt oder warum ist garnichts mehr erhalten? Selbst im Dresdner Rathaus gibts noch mehr historisches.

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Ich habe bereits vor beiden Parlamentshäusern gestanden : dem verstümmelten Berliner RT und dem prachtvollen Wiener Parlament. Keine Frage : das Wiener Gebäude wirkt lichter, einladender, vornehmer - dennoch nicht zurückweisend. Die Auffahrt mit Brunnenanlage ist edel.

    Der neue Berliner Reichstag an einem simplen Rasenplatz, Bismarck - Denkmal und die noch besseren Brunnenanlagen an anderem Ort oder gänzlich verschwunden. Wer nicht in die RT - Kuppel möchte eilt rasch vorüber.

    Da ist das architektonische Erlebnis am Parlament in Wien eine ganz anderes : Schönheit, Gediegenheit, Ausgewogenheit.
    Möglich das es sich dabei um ein Stilproblem handeln könnte.
    Die deutsche Neorenaissance am RT wirkt insgesamt gedrungener, in sich geschlossener. Manchmal weht noch Düsternis des Mittelalters herüber.
    Repräsentativität ist ihr aber keineswegs abzusprechen. Etwas weniger Deutschtümelei am RT ? - ja, OK - ist aber sicher dem damaligen Zeitgeschmack geschuldet.

  • Hm, was ist denn am Reichstagsgebäude so "deutsch"? Natürlich sind die Motive eher deutsch. Der Spruch "Dem Deutschen Volke", die Germania (die ja eh weg ist) und die Wappen am Haupteingang (die ich eigentlich ziemlich cool finde). Aber an anderen Parlamentsgebäuden hat man dann eben solche, die auf das jeweilige andere Land ausgelegt sind. Diese Personifikationen von Landwirtschaft, Industrie, Stadt, Land, Fluss usw. findet man ja überall auf der Welt zuhauf an allerlei öffentlichen Bauten und Denkmälern.

    Laut Wiki zeigt das zentale Giebelfeld die öster. Kronländer und zu Athenes Füßen liegen auch die Flüsse Altösterreichs. Also auch nationale Symbole. Und bescheiden ist die Dame mit ihrer goldenen Rüstung ja nun auch nicht grad. Ich finde das österr. allerdings auch besser, bin ich doch eh eher ein Freund des (Neo-)Klassizismus. Man war in manchen Punkten vielleicht einfach raffinierter. Es hat eben das Glück, statt mit grauem Sandstein mit - wie so viele Bauten in diesem Stil - weißem Marmor verkleidet zu sein. Sicher wirkt das anders, heller, leichter...Die Lage an der Ringstraße und nicht auf weiter Flur lassen es auch anders wirken.

    2 Mal editiert, zuletzt von Benni (27. Februar 2013 um 15:53)

  • Die Ausstattung ist halt ein Kind ihrer Zeit und war in natura sicherlich sehr beeindruckend. Wenn man sich mal so Bilder vom Berner Bundeshaus anschaut, sieht man dass es absolut kein deutsches Phänomen war solche Gebäude mit reicher Bildsprache auszustatten.

  • Hm, was ist denn am Reichstagsgebäude so "deutsch"?


    Die Architektur sicherlich nicht unbedingt, da wäre der Stil des Hamburger Rathauses oder was mittelalterlich/gotisches sicherlichlich "deutscher" gewesen Ich meine diese Archaik im allgemeinen, an allen Statuen dieser grimmige, entschlossene, freudlose Gesichtsausdruck. Habt ihr ein entspanntes Gesicht oder gar ein Lächeln gesehen? Ich mag solche Plastik nicht, die förmlich die anderen Nationen zuzurufen scheint "kommt nur, wir haben keine Angst vor euch!" Das meinte ich mit deutsch-kraftmeierisch. Dieser monumental-archaische Stil ist typisch wilhelminisch.

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Das Hamburger Rathaus imitiert den Campanile in bella Venezia und ist daher italienisch. Mir fällt spontan kein typisch deutsches Verwaltungsgebäude ein!?

    Vielleicht der neugotische Anbau beim Rathaus in Perleberg !?

  • Das Wiener Rathaus oder das Reichenberger Rathaus in Nordböhmen sind meiner Meinung nach typisch deutsch. Auch das Amtshaus des 13. Bezirks in Wien ist typisch deutsch - genau genommen nürnbergerisch. das Neue Rathaus in Görlitz ist doch auch deutsche Neorenaissance, wenn ich mir das gerade vor Augen halte. Das Rathaus in Wernigerode finde ich auch sehr deutsch.

    Einmal editiert, zuletzt von Exilwiener (27. Februar 2013 um 20:31)

  • Das Görlitzer Neue Rathaus greift öfter verwendete Motive des Renaissance - Stadtbaumeisters Wendel Roskopf auf. Prächtig für sich sprengt es dennoch in diesem Bereich alle Maßstäbe.

    Das Leipziger Neue Rathaus und nicht zu vergessen die in München, Hannover, Berlin sind auch solch gewaltige, gleichwohl malerisch - prachtvolle Verwaltungskästen. Letzteres ist nicht abwertend gemeint . . .

    Dresden kann in diesem Reigen leider nicht mehr mitreden. Unser schönes, neobarockes Rathaus wurde 1945 und danach gründlich verstümmelt. Dafür haben wir aber eine größere Anzahl mehr oder weniger historistisch geprägter Rathäuser in anderen Stadtbezirken.
    Einige erfüllen die Anforderungen, die Der Herzog oben erfragt.


  • (...)Ich meine diese Archaik im allgemeinen, an allen Statuen dieser grimmige, entschlossene, freudlose Gesichtsausdruck. Habt ihr ein entspanntes Gesicht oder gar ein Lächeln gesehen? Ich mag solche Plastik nicht, die förmlich die anderen Nationen zuzurufen scheint "kommt nur, wir haben keine Angst vor euch!" Das meinte ich mit deutsch-kraftmeierisch. Dieser monumental-archaische Stil ist typisch wilhelminisch.

    Nichts gegen lachende Gesichter, aber ist die Staatsplastik anderer Nationen aus jener Zeit so viel lustiger? Zum Beispiel in Frankreich ( 1 / 2 ) , in England ( 1 / 2 / 3 ), in Ungarn oder den USA. Es gab aber auch öffentliche Plastik im Deutschland jener Jahre, die ganz entspannt ist, sogar lustig. Insofern sollte man eben nicht pauschalisieren. Gleichwohl, das kann man bewerten wie man möchte, gelten die Deutschen generell wohl als etwas introvertierter, inniger, in die Tiefe sinkender als viele andere Völker, insofern womöglich auch humorloser erscheinend. Hinzu kommt der protestantische Business-Geist. Insofern ist gegen ein bisschen mehr Freude nichts einzuwenden. Doch sollte das davor hüten, den Reichstag nun mit netten Spaßfiguren aufzuhübschen. Dazu ist nämlich derzeit die Lage zu ernst. :zwinkern:

    Einmal editiert, zuletzt von Heimdall (28. Februar 2013 um 02:41)

  • Naja, die beiden fröhlichen Beispiele sind ja wohl kaum vergleichbar. Es sind ja nur kleine Brunnen auf dem Marktplatz oder so und kein Skulpturenprogramm irgendwelcher großer Denkmäler oder Bauten, wie sie die grimmigen Beispiele zeigen. Sie stellen halt siegreich-stolze oder ekstatisch zum Kampf rufende Personen dar, und keine spielenden Kinder oder Tugenden oder den "wohltätigen Herrscher". Und Victoria war in dem Alter, in der sie das Denkmal zeigt auch nicht mehr die neueste und seit dem Tod Prinz Alberts ja auch kein Sonnenschein mehr. Scheint wohl einfach den Fotos dieser Zeit nachempfunden zu sein.

    Wie wärs denn mit der Goldelse oder der Quadriga? Sie sind zwar nicht die personifizierte Freude, aber man kann in ihren Mundwinkeln ein leichtes Lächeln erkennen; zumindest wirken sie lockerer, entspannt.

    Einmal editiert, zuletzt von Benni (28. Februar 2013 um 03:10)

  • Zum Beispiel in Frankreich ( 1 / 2 )


    Die gezeigte "Marseillaise" ist für mich eine der aggressivsten und abstoßendsten Plastiken dieser Zeit. Genau diese Art, die ich ablehne, wie den ganzen Arc De Triomphe. Passt aber gut zum Text. Da ist vom "Unreinem Blut", das "die Ackerfurchen tränken" möge und von "ausländischem Gesindel" das "gekommen ist "um unsere Frauen zu enthaupten und zu schänden" (sinngemäß) die Rede.
    Großbritannien: Dass Königin Viktoria zum Lachen in den Keller ging ist ja auch allgemein bekannt, warum sollte man sie lächelnd darstellen? :rolleyes:
    Der Friedensengel in München ist sehr schön:
    http://www.muenchener-rundschau.de/wp-content/upl…iedensengel.jpg

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Genau, ohne das Gewusel im Dachbereich sagt mir die Kuppel von S. Calatrava mehr zu.

    Vielleicht lohnt es sich, hier im Forum, die unterschiedlichen Architekturen der ( deutschen ) Landesparlamente, Staatskanzleien
    vorzustellen ? Sicher ist da manches Spannende, der Diskussion Würdige dabei.

  • Hat was von ner Lotusblüte :D. Sieht gut aus, aber erinnert irgendwie eher an ein Casino in Thailand oder so...Ich kann mit der jetzigen gut leben. Irgendwann muss man sich auch mal mit den Tatsachen abfinden.

    @Herzog
    Der heißt jetzt schon Eierbecher.

  • Gerade im Ticker gelesen:

    Zitat

    Berlin – Das geplante Besucher- und Informationszentrum des Bundestages vor dem Reichstagsgebäude soll rund 250 Millionen Euro kosten. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung veranschlagt eine „prognostizierte Gesamtsumme” von 215 Millionen Euro. Das meldet der „Berliner Kurier” unter Berufung auf die aktuellen Planungen des Bundes. Hinzu kämen Ausstellungskosten in Höhe von 25 Millionen Euro sowie 8 Millionen Euro für die Anbindung an das Reichstagsgebäude. Quelle: Bild


    Das sind ja Wahnsinnssummen. Sollte man für dieses Geld nicht lieber das Band des Bundes komplettieren und das Besucherzentrum dort unterbringen?

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